Bewertung zu "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" von Verena Roßbacher
Ehrlich gesagt: Ich hätte wahrscheinlich nicht so schnell zu Mon Chérie und unsere demolierten Seelen gegriffen, wenn ich zuerst mit Cover, Klappentext oder auch nur dem Titel konfrontiert worden wäre. Tatsächlich geriet ich durch mehrere Zufälle (unähnlich denen in Charly Benz’ Leben) an eine Leseprobe des Romans und war ganz begeistert von dem Prolog, in dem sich die Erzählerin an literarischen Größen wie Peter Handke und Karl Ove Knausgård, also an dem männlichen Ego schlechthin, abarbeitet.
Sex, Träume, jemand, den wir auf dem Klo betrachten – falls eine dieser Rubriken für Sie sozusagen den Grundpfeiler guter Literatur bildet, sollten Sie dieses Buch schleunigst wieder weglegen. […] Kaufen Sie sich was von Knausgård oder so, da sind Sie auf der sicheren Seite, Masturbation ohne Ende, Sex auf jeder Seite, und sicher träumt er ab und an was Unsinniges oder hockt auf dem Klo, das kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, ich habe es naturgemäß nie zu Ende gelesen. (S. 8)
Diese Pseudo-Programmatik – die noch mehr Witz erhält, wenn man sie nach Beenden des Buchs noch mal liest – setzt den Grundton für den Rest des Buchs. Mon Chérie und unsere demolierten Seelen ist vordergründig humorvoll, enthält dabei aber mehr oder weniger große Körnchen Wahrheit. Selbst Themen, die man gefühlt nur ernst nehmen kann (wie zum Beispiel Krebs), oder Themen, die man vielleicht nicht immer so ernst nimmt (Naturheilkunde), werden mit derselben humorvollen Aufrichtigkeit behandelt. Das muss man mögen, und wenn man es nicht auf der Stelle mag (wie ich), dann ist es im Falle von Mon Chérie und unsere demolierten Seelen ratsam, diese Art der Weltwahrnehmung einmal auszuprobieren. Leider hat das bei mir erst nach der Lektüre so richtig eingesetzt, als ich Verena Roßbacher (im Gespräch mit Tilmann Rammstedt) im Literaturhaus Berlin über den Roman sprechen hörte. Als Rammstedt sie auf den Humor ansprach, und wie er eben mit all diesem Themen-Wirrwarr zusammengehe, erwiderte sie (sinngemäß), dass Humor kein schlichtes Wegwinken, sondern vielmehr auch eine Form der durchaus ernsthaften Auseinandersetzung sei und man somit sehr vieles auch mit Humor angehen könne. Um es mit den Worten Mo Gablers, eines der drei Männer in Charlys Leben, zu sagen:
“[…] Glauben Sie mir, diese Kinder sind nicht mehr in der Lage, Ambivalenzen auszuhalten oder etwas im historischen Gesamtkontext zu sehen, sie kennen nur gut und böse, schwarz und weiß, richtig oder falsch. Sie wollen sich mit all dem, was dazwischen ist, nicht beschäftigen, und dabei ist praktisch alles dazwischen.” (S. 221)
Das macht Mon Chérie und unsere demolierten Seelen trotz seiner Länge von 500 Seiten sehr kurzweilig – aber für so viel Kurzweiligkeit ist das Buch dann doch ein bisschen zu lang, wenn das Sinn macht. Denn auch wenn ich Roßbachers Praxis, dass man mit Humor ziemlich viel angehen kann, mittlerweile unterschreiben würde, ist es schwierig, das für eine Romanlänge aufrechtzuerhalten. Dann ist das Buch sehr viel damit beschäftigt, Ambivalenzen aufrechtzuerhalten, und die Figurengestaltung bleibt beispielsweise auf der Strecke. Dem kann man natürlich entgegenhalten, dass Typen – also eben keine ausgeformten Figuren – in humoristischen Gattungen üblich sind. Für mich hätte es etwas mehr Entwicklung auf dieser Ebene gebraucht. Die drei Männer in Charlys Leben konnte ich nur aufgrund äußerer Merkmale auseinanderhalten. Was genau sich zwischen ihnen und Charly entwickelt, wird nicht erzählt, wodurch Charlys Verhalten immer etwas undurchsichtig bleibt. Einige Nebenfiguren verwechselte ich wegen ihrer oberflächlichen Charakterisierung bis zum Ende. Das wird dann zum Problem, wenn tatsächlich mal ein Thema angesprochen wird, bei dem der Ernst überwiegt, oder aber der Roman versucht, neben dem Humor andere Emotionen anzuspielen. In beiden Fällen war ich dann distanzierter von der Geschichte, als es mir eigentlich lieb gewesen wäre, sodass der Stoff beinahe unpassend auf mich wirkte.
Das heißt nicht, dass ich Mon Chérie gar nichts abgewinnen konnte oder es nicht auch Szenen gab, die mein Herz erweichten. Gerade das Thema found family wird in dem Roman sehr groß gemacht und konnte mich, trotz der fehlenden Figurentiefe, doch irgendwie packen. Außerdem bin ich auf einer übergreifenden Ebene sehr beeindruckt von den Ambitionen des Romans, der sich an Traditionssträngen und Genres bedient, wie es ihm passt. Letztlich hätte es für mich nach diesem starken Beginn vielleicht doch etwas weniger Ambivalenzen gebraucht. So habe ich einen Großteil der Lektüre damit verbracht, zu rätseln, was genau mir das Buch gerade sagen will. Dazwischen immer ein bisschen Geschmunzel. Aber vielleicht ist auch gerade das der Punkt des Romans.
2,5 Sterne – danke an Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar!