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Jayden

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Cover des Buches Young Mungo (ISBN: 9783446275829)

Bewertung zu "Young Mungo" von Douglas Stuart

Young Mungo
Jaydenvor einem Jahr
Kurzmeinung: Erschütternd und ehrlich.
Am Ende des Tages ist ein Lichtstreif zu sehen ...

Wenn ein Buch es schafft, dass ich das dringende Gefühl habe, meine Sprachlosigkeit in Worte zu fassen, dann hat es bei mir voll ins Schwarze getroffen. Und das ist nicht leicht. Ich bin bin schwer zu begeistern. Mich können Bücher zu Beginn einfangen und dann lese ich sie doch nicht zu Ende, weil wir einander irgendwann verlieren, weil ich abschweife und mich anderen Dingen widme, bis es aus meinem Sinn verschwunden ist. Dieses Buch aber, Young Mungo, war anders.

Ich kann tatsächlich kaum Worte finden, da mich einfach alles an dieser Geschichte fasziniert hat, obwohl ich eher nicht der Typ für Young-Adult-Romane bin: die Authentizität des Handlungsortes, den ich in allen Facetten sehen, hören und riechen konnte, sei es die dreckigen Arbeiterviertel von Glasgow, die Schönheit der stillen unberührten schottischen Lochs oder zuletzt gar das unbeständige britische Wetter.

Die Beschreibung der Haupt- und Nebencharaktere ist überaus gelungen. Ich möchte bei manchen nicht soweit gehen, dass man sie versteht, aber man kann in den meisten Fällen verstehen, was sie zudem Wrack, zu dem Monster, zu dem harten, verbitterten Menschen gemacht hat. Und das finde ich faszinierend. Keiner der Antagonisten ist ausschließlich böse. Sie tragen ihr Päckchen, ob nun selbst verschuldet, hineingeboren oder psychisch erkrankt.

Ich möchte auch kurz auf eine andere Rezension eingehen, wo Zweifel geäußert wurden, dass es diese Fülle an schrecklichen Ereignissen in einem einzigen Leben nicht geben kann. Doch, kann es. Definitiv. Das Leben schreibt tatsächlich manchmal Geschichten, denen wir in Büchern und Filmen ohne zu zögern Unglaubwürdigkeit attestieren würden. Ich weiß das leider aus Erfahrung.

Stuart hat einen einnehmenden Schreibstil. Stellenweise hart und ungeschönt, sind die Worte an anderen Stellen beinahe poetisch und filigran. Er schafft es ein rundherum vollständiges Bild einer Familie zu malen, deren drei halbwüchsige Kinder unter der schweren Alkoholabhängigkeit ihrer jungen Mutter aufwachsen müssen; im verblassenden Schatten eines Vaters, der vor vielen Jahren in den Bandenkriegen zwischen Protestanten und Katholiken ermordet worden ist.

Vor allem der jüngste, Mungo, hat mich mit seiner Fürsorglichkeit seiner Mutter gegenüber mehr als einmal berührt. Während die beiden älteren Kinder viel zu schnell gealtert sind und mehr oder weniger ihren Platz im Leben suchen, ist der Jüngste der drei kindlich und naiv geblieben. Meint man. Denn bei ihrer Mutter kehren sich die Rollen plötzlich um. Der 15jährige wird zum rational denkenden Elternteil, der hält und tröstet, während die Mutter zum Kind avanciert, welches verletzlich, vom Alkohol geschunden und schutzbedürftig ist.

Jody, nur zwei Jahre älter als ihr Bruder, aber maßgeblich für dessen Erziehung verantwortlich, ist intelligent, träumt von einem besseren Leben und möchte fliehen; verachtet und hasst ihre Mutter, ihre Familie, ihr Sein.

Hamish hingegen, der Älteste, dem alle Chancen versagt wurden, als er noch Hoffnung hatte und der sich verbittert einen Ruf als gefürchteter angesehener Schläger aufgebaut hat, entsetzt aufgrund seiner maßlos ausgelebten Gewalt - und doch erhascht man hier und da einen Blick hinter den Vorhang, versteht, warum der Hass und die Verzweiflung überkocht und gierig nach einem Ventil sucht. Als er begreifen muss, dass hinter Mungos sensiblen Wesen, seiner „Andersartigkeit“, noch viel mehr steckt, als er sich je vorzustellen gewagt hat, kann man die Angst riechen, die er um den Verlust seiner eigenen, so schwer erarbeiteten Rolle wittert, denn sie ist alles, was er hat. Aber man riecht auch jene, die er um seinen kleinen Bruder hat, weil er genau weiß, welche Lebensgefahr diesem droht. Um seinen Schmerz über sein eigenes vermeintliches Versagen zu äußern und seinen Bruder zu retten, tut er etwas, was unsereins erschreckt, was für ihn in seiner Rolle jedoch der einzige erlernte und akzeptable Weg ist. Man muss in dieser grauenhaft brutalen Szene genau hinschauen: Er weinte, als er es erfuhr – und ich denke, das die Tränen echt waren. Die homophob geprägten Arbeiterviertel von Glasgow sind für die beiden Brüder die Welt, es gibt nichts mehr, sie kennen nichts mehr über die Grenzen der Stadt hinaus. Das muss man verinnerlichen.

Hamish ist es übrigens auch, der mich am Ende mit seiner aller letzten Handlung seinem Bruder gegenüber überrascht hat. Und ich meine, so WIRKLICH überrascht hat.

In all dieser Gewalt und Trostlosigkeit, welche das Buch so ergreifend weiß zu schildern, sind da allerdings immer wieder diese warmen Sonnenstrahlen, ganz kleine Sequenzen, die alle miteinander das Potential haben zu wachsen und zu einem lichtdurchfluteten Teppich für Mungo zu werden. Man geht gemeinsam mit dem Hauptprotagonisten wahrlich geschunden aus dieser Geschichte hervor, was unbedingt für die bildhafte Sprache des Autors spricht, doch das eher offene Ende zeigt das größer werdende Licht – und das ist wichtig. Man saugt es auf, wie ein gieriger Schwamm. Ich habe das Buch mit einem leisen Lächeln beendet. Wissend, dass alles gut werden wird. Irgendwie.


Content: massive körperliche Gewalt, Mord, sexueller Übergriff, Homophobie, Alkoholabhängigkeit, Vernachlässigung von Schutzbefohlenen.

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