Dana Polz' trockene, ehrliche Sprache lässt den Leser tief und direkt in eine Welt eintauchen, die der Wirklichkeit ganz nah ist, doch dieser kaum gleicht.
„Ich war fünfzehn, siebzehn vielleicht, da habe ich das erste Mal Blut gepisst.“ (Polz, S. 9)
Der Schmierfink überzeugt nicht nur durch seine sprachliche und literarische Qualität, auch entführt er in eine Welt, die so oft behandelt wurde und in diesem Werk einzigartige Darstellung erfährt. Texte über Internate sind im literarischen Milieu häufig anzutreffen (man denke an Das fliegende Klassenzimmer, Vom Ende der Einsamkeit, Gespräche am Teetisch …) Jedes Werk versucht sich individuell dem Thema zu nähern, Polz dagegen bricht bewusst mit dem Bild des literarischen Internats.
Die junge Autorin versteht es, das Gesamtkonzept Internat geschickt zu umgehen, indem sie mitten hineinleitet. Sie schildert einen Alltag und formt plastische Charaktere und Umstände, die den Leser unheimlich nah an die Handlung bringen, mitfühlen lassen, aber auch gerne mal provozieren. Poetische und derbe Sprache schließen sich dabei nicht aus.
Eine große Qualität des Romans ist das gekonnte Spiel mit der Erwartungshaltung des Lesers. Polz arbeitet fast pedantisch dagegen, Klischees zu bedienen oder geht auch gerne noch einen Schritt weiter und wendet sie als ironisches Stilmittel an.
„Ich erwachte in einem dunklen Kellerloch.
Kleiner Spaß.
Es war ein heller, freundlicher Raum.“ (Polz, S. 151)
Ein Umschwung der Handlung wird zärtlich eingefädelt und brutal umgesetzt. Längst zwischen den Zeilen angekündigt, entfaltet die Peripetie doch vollkommen ihre Wirkung.
Polz spricht zum Leser, interagiert auf geschickt literarische Weise, sodass ein Dialog aus Empfindungen, Gedanken und dem geschriebenen Wort unumgänglich wird.
Die Personenzeichnungen könnten kaum authentischer sein. Der Direktor, die Klassenkameraden, die Gruppierungen entstammen so sehr dem Realen, dass man in die Handlung hineingezogen wird und jede Gegenwehr gerne fallen lässt. Ist sie dennoch präsent, beschreibt sie einzig den dringenden Wunsch, dem Protagonisten zureden zu wollen, sich mit ihm auszutauschen, um gemeinsam die Umstände zu überstehen.
Polz erschafft keine Welt, sie gestaltet die bestehende um. Teils ausgeschrieben poetisch, zu jeder Zeit literarisch, gelingt es ihr, Adoleszenzthematiken zu behandeln und gleichermaßen mit ihnen zu brechen, ein neues Bild zu kreieren, tief hineinzusehen und nicht bloß die oberste Schicht abzukratzen, um dem Sekret mit etwas Hitze einen Stempel aufzudrücken.
Drückend, bedrückend, aber doch in keinem Moment unbedacht, zeichnet die Autorin eine großartige Geschichte, die gekonnt mit den Emotionen und Vorstellungen des Lesers spielt und es gleichzeitig vermag, eine Bindung mit ihm herzustellen.
Mit Sprachgewalt und Witz hallt dieses faszinierend kraftvolle Debüt lange nach.
Das Ungesagte steht groß im Raum und groß steht der Roman im Raum der Gegenwartsliteratur.