Bewertung zu "Notizen zu einer Hinrichtung" von Danya Kukafka
Inhalt: Ansel Packer weiß ganz genau, was er verbrochen hat, und wartet nun auf seine Hinrichtung - das gleiche grausame Schicksal, das er vor Jahren seinen Opfern auferlegt hat. Doch er will nicht sterben. Er will anerkannt und verstanden werden. Durch ein Kaleidoskop von Frauen - eine Mutter, eine Schwester, eine Kommissarin der Mordkommission - erfahren wir die Geschichte vor Ansels Leben. Atemberaubend spannend und mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen zeichnet Kukafka ein erschütterndes Porträt von Weiblichkeit, während sie gleichzeitig das Narrativ des Serienmörders und unsere kulturelle Besessenheit von Kriminalgeschichten hinterfragt.
Meinung: Durch die Sozialen Medien bin ich auf dieses Schmuckstück aufmerksam geworden. Kukafka erzählt das Leben eines Serienkillers von Geburt an - aus seiner wie aus der Sicht von Menschen, die ihn auf unterschiedlichen Ebenen begleitet haben.
Ansel Packer ist der Mittelpunkt der Geschichte, er wartet in seiner Zelle auf die Übersiedlung in den Todestrakt. Sein einsames Dasein wird gelegentlich durch Besuche der Polizistin Shawna unterbrochen, in der er eine Vertrauensperson findet. Auf der Tagesordnung stehen ansonsten nur flüchtige Gespräche mit anderen Gefangenen, Wärtern, Psychologen und Seelsorgern. Der Alltag des Protagonisten ist sehr bildlich beschrieben, wie auch der Rest des Buches.
Zitat: > Da muss es eine Zeit gegeben haben, hatte der Reporter zu dir gesagt. Eine Zeit, als Sie noch nicht so waren. Sollte es sie je gegeben haben, würdest du dich gern daran erinnern. <
Ansels Kapitel sind in der zweiten Person verfasst, was sehr interessant zu lesen ist. Alle anderen Kapitel werden in der dritten Person erzählt.
Ganz besonders angetan hat es mir die Perspektive von Lavender, Ansels Mutter. Wir begleiten sie von den Wehen weg bis zu dem Zeitpunkt, wo sie als betagte Frau über ihr Leben sinniert und sich immer wieder Fragen stellt, die mit "Was wäre, wenn ..." beginnen. Lavenders Entscheidungen konnte ich zwar selten nachvollziehen, dennoch ist sie ein sehr authentischer Charakter, der ebenso wie Ansel vom Leben gezeichnet ist.
Zitat: > Seit fünf Jahren hatte Lavender das Land rund ums Farmhaus nicht verlassen. Zuerst hatte sie die Isolation wie ein Geschenk empfunden, die wilde Natur wie ein Gegengift zum chemischen Elend im Trailer ihrer Mutter. Den Wendepunkt konnte sie nicht festmachen, den Moment, als das Farmhaus für sie zur Falle geworden war. <
Saffys Kapitel beginnen im Kindesalter und begleiten das junge Mädchen, wie sie Ansel kennenlernt, dann aus den Augen verliert und erst nach vielen Jahren wieder auf ihn trifft. Ihre Sicht auf Ansel ist ebenso interessant, wobei für mich die Passagen aus ihrem erwachsenen Leben nicht so ausgeschmückt werden hätten müssen.
Zitat: > Zum ersten Mal in ihrem Leben hasste Saffy sich selbst, nicht wie ein Kind, sondern mit dem Bewusstsein einer erwachsenen Frau: wütender, verzweifelter, schambesetzter Hass, der im Schatten lauerte, die Zähne fletschte, der hässlichste Teil von ihr. Sie umarmte ihn, wiegte ihn, hieß ihn willkommen. <
Dann gibt es noch die Kapitel aus Hazels Sicht, die nur gelegentlich mit Ansel in Kontakt war, jedoch auch bis an ihr Lebensende mit ihm verbunden ist - ob sie will oder nicht. Ihr Charakter und Werdegang haben mir besonders gut gefallen. Am Ende wird auch klar, wieso gerade sie in Ansels Geschichte zu Wort kommt.
Zitat: > Jenny blickte rasch auf Hazels Kniestütze, dann zu ihr, sagte aber nichts - doch Hazel hatte es aufblitzen sehen. In ihrem Blick lag Genugtuung. Strahlend, gewiss. Weil sie die Schwester war, die noch stand. <
Das Buch hat mir insgesamt gut gefallen, ich habe mich in jede Perspektive hineinfühlen können und würde "Notizen zu einer Hinrichtung" ohne Bedenken jedem empfehlen, der gerne liest, dabei muss man nicht unbedingt Thriller als Lieblingsgenre haben. Ich würde es als Roman mit psychologischem Hintergrund betiteln. Meiner Meinung nach hätte es ein bisschen brutaler sein können, da die Taten an sich immer nur angerissen worden sind. Ansel hat sich dem Leser hier sehr verschlossen gezeigt. Bis auf diesen Punkt und die Tatsache, dass mir Saffys Ausführungen als Erwachsene an einigen Stellen etwas zu langgezogen waren, hat mich das Buch vollends begeistern können. Daher gebe ich nur einen halben Stern Abzug und bewerte "Notizen zu einer Hinrichtung" mit 4,5 von 5 Sternen.