„Autoren sind jene Spezies, denen die rettungslose Einsamkeit des Menschen bewusster ist als anderen.“ Diese Behauptung Robert Musils stimmt wahrscheinlich für keinen Autor der Gegenwart mehr als für Peter Stamm. Füreinander fremd bleiben sich alle Figuren in seinem Werk, gleichgültig, ob sie die Nähe des anderen suchen oder nicht. Am einsamsten bleiben sich wohl diejenigen, die in einer Beziehung leben.
Alex studiert Architektur. Er lernt Sonja kennen. Sie ist intelligent, kennt ihren Weg, weiß wohin und weiß auch, wie sie das tun wird. Eine beeindruckende Sicherheit scheint sie zu umgeben. Alex lässt sich an die Hand nehmen, er kann nicht anders, er heiratet sie. Sie gründen gemeinsam ein Büro, mit dem sie zunächst sehr erfolgreich sind. Fast zur gleichen Zeit lernt Alex Iwona kennen. Iwona ist etwas zu dick, nicht schön, nichts sagend, langweilig, irgendwie angegraut, ohne Zukunft. Alex glaubt, er habe nichts zu verlieren und nichts zu befürchten. Ob sie ihm nur leid tut? Aber fängt man deshalb mit jemandem was an? Das Wort Liebe wäre wohl nicht angebracht, nicht bei Iwona. Aber ist es das bei Sonja? Alex jedenfalls lebt sein Leben in der Ehe mit Sonja und trifft sich mit und trennt sich immer wieder von Iwona. Was ihm mit ihr geschieht, versteht er nicht. Über Sonja denkt er nicht nach. Schließlich bekommt Iwona das Kind, das Sonja sich immer gewünscht hat. Und immer noch dauert es etwas, bis es dramatisch wird. Das wird es eigentlich erst, als das Architekturbüro kurz vor der Pleite steht und als Sonja beginnt, etwas zu ändern.
Peter Stamm erzählt immer wieder am Rande des Lebens entlang, am Rande, d.h. dort, wo so viele leben, in dem Bereich, in dem das Leben stimuliert wird, indem es simuliert wird. Er beschreibt ein Lebensgefühl, das sich aus totaler Freiheit, also Orientierungslosigkeit speist, in dem die trostlose, weil ungelebte Realität von wilden Imaginationen überblendet werden muss, in dem die Ausbruchsphantasien die Alltagsträgheit zwar überlagern, aber trotzdem Phantasie bleiben. Dieses Nachahmen eines Gefühls, dieses Hoffen auf Veränderung, diese unfassbare Energie, die seltsamerweise zu fast nichts führt als wiederum nur zum Nachahmen und Hoffen, erschreibt Stamm mit einer ganz erstaunlichen Sprache, eine Sprache, die – wie mir scheint – genau auf die Schmuck-Elemente verzichtet, die nichts anderes wären, als das Nachahmen eines Gefühls. Er verzichtet auf die Ausschmückung, auf Sentimentalität erzeugende Adjektive, auf Pathos inszenierende Nebensätze, zugunsten der Genauigkeit. Anders als seinen Figuren spielt ihm die Sehnsucht keinen Streich. Die schmucklose Präzision seiner Sätze lässt das nicht zu.
Mit gleichem Recht und mit gleicher Genauigkeit beschrieben, stehen halbe Wahrheiten und halbe Erfindungen seiner Figuren nebeneinander. Sie kleben sie sich zusammen, die zur Hälfte gelebten, zur Hälfte gebastelten Teile des Bildes, das sie von sich haben. Sie lassen sich durch das, was geschieht, irritieren – und reagieren schnell, bevor sie hinsehen müssen: mit Verleugnung. Wir Leser schauen ihnen dabei zu und entdecken im besten Fall uns selbst.
Stamm suggeriert und spielt an und hebt Versunkenes ans Licht. Er bildet die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit ab, wie kaum ein anderer zur Zeit. Er ist kein Vielredner, kein Großauftreter, keiner, der dauernd im Mittelpunkt steht. Peter Stamm schreibt vielleicht im Moment die Bücher, die unserer Angst, unseren Hoffnungen und Sehnsüchten, unserer Einsamkeit, eben: unserer Realität am nächsten sind. Formal macht er das mit der gleichen Diskretion, unprätentiös, leise, wortkarg fast, aber so schneidend, so genau, so hellsichtig und aufklärend wie sonst keiner.