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Cover des Buches Sieben Jahre (ISBN: 9783100751263)

Bewertung zu "Sieben Jahre" von Peter Stamm

Sieben Jahre
JulienSvor 15 Jahren
Rezension zu "Sieben Jahre" von Peter Stamm

„Autoren sind jene Spezies, denen die rettungslose Einsamkeit des Menschen bewusster ist als anderen.“ Diese Behauptung Robert Musils stimmt wahrscheinlich für keinen Autor der Gegenwart mehr als für Peter Stamm. Füreinander fremd bleiben sich alle Figuren in seinem Werk, gleichgültig, ob sie die Nähe des anderen suchen oder nicht. Am einsamsten bleiben sich wohl diejenigen, die in einer Beziehung leben.

Alex studiert Architektur. Er lernt Sonja kennen. Sie ist intelligent, kennt ihren Weg, weiß wohin und weiß auch, wie sie das tun wird. Eine beeindruckende Sicherheit scheint sie zu umgeben. Alex lässt sich an die Hand nehmen, er kann nicht anders, er heiratet sie. Sie gründen gemeinsam ein Büro, mit dem sie zunächst sehr erfolgreich sind. Fast zur gleichen Zeit lernt Alex Iwona kennen. Iwona ist etwas zu dick, nicht schön, nichts sagend, langweilig, irgendwie angegraut, ohne Zukunft. Alex glaubt, er habe nichts zu verlieren und nichts zu befürchten. Ob sie ihm nur leid tut? Aber fängt man deshalb mit jemandem was an? Das Wort Liebe wäre wohl nicht angebracht, nicht bei Iwona. Aber ist es das bei Sonja? Alex jedenfalls lebt sein Leben in der Ehe mit Sonja und trifft sich mit und trennt sich immer wieder von Iwona. Was ihm mit ihr geschieht, versteht er nicht. Über Sonja denkt er nicht nach. Schließlich bekommt Iwona das Kind, das Sonja sich immer gewünscht hat. Und immer noch dauert es etwas, bis es dramatisch wird. Das wird es eigentlich erst, als das Architekturbüro kurz vor der Pleite steht und als Sonja beginnt, etwas zu ändern.

Peter Stamm erzählt immer wieder am Rande des Lebens entlang, am Rande, d.h. dort, wo so viele leben, in dem Bereich, in dem das Leben stimuliert wird, indem es simuliert wird. Er beschreibt ein Lebensgefühl, das sich aus totaler Freiheit, also Orientierungslosigkeit speist, in dem die trostlose, weil ungelebte Realität von wilden Imaginationen überblendet werden muss, in dem die Ausbruchsphantasien die Alltagsträgheit zwar überlagern, aber trotzdem Phantasie bleiben. Dieses Nachahmen eines Gefühls, dieses Hoffen auf Veränderung, diese unfassbare Energie, die seltsamerweise zu fast nichts führt als wiederum nur zum Nachahmen und Hoffen, erschreibt Stamm mit einer ganz erstaunlichen Sprache, eine Sprache, die – wie mir scheint – genau auf die Schmuck-Elemente verzichtet, die nichts anderes wären, als das Nachahmen eines Gefühls. Er verzichtet auf die Ausschmückung, auf Sentimentalität erzeugende Adjektive, auf Pathos inszenierende Nebensätze, zugunsten der Genauigkeit. Anders als seinen Figuren spielt ihm die Sehnsucht keinen Streich. Die schmucklose Präzision seiner Sätze lässt das nicht zu.

Mit gleichem Recht und mit gleicher Genauigkeit beschrieben, stehen halbe Wahrheiten und halbe Erfindungen seiner Figuren nebeneinander. Sie kleben sie sich zusammen, die zur Hälfte gelebten, zur Hälfte gebastelten Teile des Bildes, das sie von sich haben. Sie lassen sich durch das, was geschieht, irritieren – und reagieren schnell, bevor sie hinsehen müssen: mit Verleugnung. Wir Leser schauen ihnen dabei zu und entdecken im besten Fall uns selbst.

Stamm suggeriert und spielt an und hebt Versunkenes ans Licht. Er bildet die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit ab, wie kaum ein anderer zur Zeit. Er ist kein Vielredner, kein Großauftreter, keiner, der dauernd im Mittelpunkt steht. Peter Stamm schreibt vielleicht im Moment die Bücher, die unserer Angst, unseren Hoffnungen und Sehnsüchten, unserer Einsamkeit, eben: unserer Realität am nächsten sind. Formal macht er das mit der gleichen Diskretion, unprätentiös, leise, wortkarg fast, aber so schneidend, so genau, so hellsichtig und aufklärend wie sonst keiner.

Cover des Buches Lauf Jäger lauf (ISBN: 9783596155446)

Bewertung zu "Lauf Jäger lauf" von Henning Ahrens

Lauf Jäger lauf
JulienSvor 15 Jahren
Cover des Buches Kein Schlaf in Sicht (ISBN: 9783100005250)

Bewertung zu "Kein Schlaf in Sicht" von Henning Ahrens

Kein Schlaf in Sicht
JulienSvor 15 Jahren
Rezension zu "Kein Schlaf in Sicht" von Henning Ahrens

Das Buch heißt „Kein Schlaf in Sicht“. Gemeint ist damit zum Beispiel, wir kennen das sicher alle auf die eine oder andere Weise, der Zustand, in dem man sich befindet, wenn man nicht schlafen kann. Oder wenn man nachts aufwacht, noch halb im Traum im dunklen Zimmer. Man weiß nicht, wie viel Uhr es ist. Ist man gerade eingeschlafen? Hat man noch sechs Stunden Erholung vor sich? Oder ist es schon fast Tag? Ist das Licht, das, wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, das langsam die Einzelheiten erkennbar werden lässt, schon die Ankündigung des Morgens? Oder macht das der Mond? Und ist das, was man als Stuhl zu erkennen glaubt, wirklich ein Stuhl? Hatte man da nicht gestern seine Klamotten drauf geworfen? Oder sitzt da jemand. Wenn da einer sitzt, dann sieht er komisch aus.

Man verliert die Orientierung, den Halt. Man ist aus dem geworfen worden, was sonst als sicher gilt, man ist verunsichert, man hat keinen Boden unter den Füßen. Wenn man diese Momente nutzt, also nicht versucht, sich gleich wieder in die Wirklichkeit zu retten, kann passieren, dass man etwas besonderes erlebt, dass man etwas versteht, sich befreit von den Zwängen, die der Alltag bereit hält, damit wir so funktionieren, wie es die Wirklichkeit verlangt.

Das Motto dieses wunderschönen, auf vertrackte Weise ganz einfachen Gedichtbandes, stammt von einem unbekannten Neunjährigen. Es lautet: „Man muss das Leben von der krassen Seite sehen, sonst schockt es nicht.“ Das könnte heißen, man soll ruhig immer den nächsten Schritt wagen, man soll sich trauen. No risk, no fun, heißt das wohl. Man soll zum Beispiel jene Zwischenmomente der Unsicherheit, von denen eben die Rede war, jenes Schweben ohne Sicherheitsnetz, nutzen. Man wird davon etwas haben. Dort, in den Zwischenwelten, den märchenhaften und unwahrscheinlichen Bereichen des Gewöhnlichen, entstehen Augenblicke größter Realität. Die Welt und ihre Phantasie sind nämlich nur durch eine hauchdünne Membran getrennt. Und der Zugang zur Wirklichkeit heißt Sinnestäuschung oder Unaufmerksamkeit, kann vielleicht auch Verzweiflung heißen oder Müdigkeit.

Wir, die Leser, die vielleicht nicht jeden Augenblick der Unsicherheit, nicht jede sich bietende Möglichkeit zur Flucht nutzen dürfen, haben solche Gedichte, profitieren vom Mut und der Geduld eines Autors, der zu den wichtigsten seiner Generation gehört. Der großen Intensität des Gefühls dieser Gedichte gelingt es, dem Alltag Leben einzuhauchen.

Hier gelingt es einer Stimme, sich selbst zu formulieren: persönlich, erzählerisch, nicht revolutionär, sondern zauberhaft und komisch. Gegenwartsbezüge verschmelzen mit Visionen. Das Wunderbare ist plötzlich so nah, dass man es nur aussprechen muss. Es sind Visionen, die mit den Lebenslügen aufräumen. Kein Sprachspiel, ein Wahrnehmungsspiel ist das, und dabei entsteht eine Stimmung, die eindringlich und ernst ist, schwärmerisch und ironisch zugleich. Und der Erzähler dieser Gedichte wendet sich dem Traum und dem Nebenbei, den unmittelbaren Bildern im Bedürfnis nach Orientierung in der Welt zu. Jedes Gedicht ist auch ein Versuch, die schwierigen und schwer wiegenden Fragen mit Leichtigkeit zu stellen.

Henning Ahrens hat einen bemerkenswerten Gedichtband geschrieben, bemerkenswert leicht und witzig, bemerkenswert lebensklug, spöttisch und befreiend und bemerkenswert lesbar. Und wer einmal gelesen hat, wie in einem Gedicht vom Autor auf der Leipziger Buchmesse erzählt wird, der erst dort feststellt, dass er mit Cowboystiefeln die falschen Schuhe für den Anlass gewählt hat, der weiß, warum ich so schwärme.

Cover des Buches Die Arbeit der Nacht (ISBN: 9783446207622)

Bewertung zu "Die Arbeit der Nacht" von Thomas Glavinic

Die Arbeit der Nacht
JulienSvor 15 Jahren
Cover des Buches Der Felsen, an dem ich hänge (ISBN: 9783518223895)

Bewertung zu "Der Felsen, an dem ich hänge" von Hans-Ulrich Treichel

Der Felsen, an dem ich hänge
JulienSvor 15 Jahren
Rezension zu "Der Felsen, an dem ich hänge" von Hans-Ulrich Treichel

Alles über das Schreiben!

Cover des Buches Der Kameramörder (ISBN: 9783353011916)

Bewertung zu "Der Kameramörder" von Thomas Glavinic

Der Kameramörder
JulienSvor 15 Jahren
Cover des Buches Menschenflug (ISBN: 9783518417126)

Bewertung zu "Menschenflug" von Hans-Ulrich Treichel

Menschenflug
JulienSvor 15 Jahren
Cover des Buches Südraum Leipzig (ISBN: 9783518418734)

Bewertung zu "Südraum Leipzig" von Hans-Ulrich Treichel

Südraum Leipzig
JulienSvor 15 Jahren
Cover des Buches Das bin doch ich (ISBN: 9783446209121)

Bewertung zu "Das bin doch ich" von Thomas Glavinic

Das bin doch ich
JulienSvor 15 Jahren
Cover des Buches Tristanakkord (ISBN: 9783518411278)

Bewertung zu "Tristanakkord" von Hans-Ulrich Treichel

Tristanakkord
JulienSvor 15 Jahren

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