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Julino

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Weißblende (ISBN: 9783902844989)

Bewertung zu "Weißblende" von Sonja Harter

Weißblende
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Behandelt wichtige Themen und fällt durch eine sehr dichte Sprache auf. Wirkt auf mich aber zu überambitioniert.
Cover des Buches Nachts ist es leise in Teheran (ISBN: 9783462048919)

Bewertung zu "Nachts ist es leise in Teheran" von Shida Bazyar

Nachts ist es leise in Teheran
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Bazyar erzählt eine Familiengeschichte und verknüpft dabei Themen wie Liebe und Flucht mit der jüngeren Geschichte des Irans. Großartig!
Cover des Buches Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf (ISBN: 9783954627295)

Bewertung zu "Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf" von Uli Wittstock

Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Beginnt spannend, aber hat mich schnell verloren und ab einem gewissen Punkt nur noch verwirrt und überfordert.
Cover des Buches Ymir (ISBN: 9783946120186)

Bewertung zu "Ymir" von Philip Krömer

Ymir
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Ein starkes Debüt, das mir das Genre des Abenteuerromans näher bringt und dabei durch eine eindringliche Erzählerstimme glänzt.
Cover des Buches Die Sonnenallee (ISBN: 9783898091329)

Bewertung zu "Die Sonnenallee" von Jörg Sundermeier

Die Sonnenallee
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Sundermeiers locker-flockigen Erzählstil, der ganz ohne Lokalpatriotismus auskommt, macht dieses Buch zu einem genialen Leseerlebnis.
Cover des Buches Gehen, ging, gegangen (ISBN: 9783328101185)

Bewertung zu "Gehen, ging, gegangen" von Jenny Erpenbeck

Gehen, ging, gegangen
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Ein hochaktueller und wichtiger Roman, der uns zeigt, wie wichtig es ist, nicht vorschnell zu urteilen, sondern sich dem Fremden zu nähern.
Cover des Buches Ohrfeige (ISBN: 9783442714902)

Bewertung zu "Ohrfeige" von Abbas Khider

Ohrfeige
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Eine interessante Fluchtgeschichte. Leider viel zu konstruiert.
Cover des Buches Untenrum frei (ISBN: 9783498064396)

Bewertung zu "Untenrum frei" von Margarete Stokowski

Untenrum frei
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Dass es Spaß machen kann, sich mit dem Feminismus zu beschäftigen und das eigene Handeln in Frage zu stellen, beweist dieses Buch! Grandios!
Cover des Buches Wir Flüchtlinge (ISBN: 9783150193983)

Bewertung zu "Wir Flüchtlinge" von Hannah Arendt

Wir Flüchtlinge
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Ein wichtiger und angesichts aktueller politischer Geschehnisse auch ein zeitloser Text.
Cover des Buches Kaltenburg (ISBN: 9783518461037)

Bewertung zu "Kaltenburg" von Marcel Beyer

Kaltenburg
Julinovor 7 Jahren
Kurzmeinung: Ein famoses Werk, das durch seine besondere Sprache besticht.
Bälge, Standpräparate und Schreckmauser

Bälge, Standpräparate, Schreckmauser, Sämereien – in Marcel Beyers 2008 bei Suhrkamp erschienenem Roman Kaltenburg stehen Tiere, genauer: Vögel, vielleicht noch genauer: Ornithologen ganz im Mittelpunkt des Geschehens. Aus Anlass der Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Marcel Beyer in diesem Jahr habe ich mir das Buch mal vorgenommen.

Kaltenburg beginnt raffiniert: Der weltbekannte Zoologe Ludwig Kaltenburg wird am Ende seines Lebens als einsamer, trauriger alter Mann beschrieben, der beim Besuch von Gästen auf sein Leben zurückblickt. Der Erzähler schweift dabei ein wenig ab, um das große Ganze besser in den Blick zu nehmen. Bei einer eigenartigen Episode aus Kaltenburgs umstrittenem Hauptwerk Urformen der Angst gibt der Erzähler sich dann plötzlich, im letzten Wort des ersten Kapitels, als Ich-Erzähler zu erkennen, dessen Lebensweg eng mit dem Kaltenburgs verflochten ist.

Hermann Funk, so der Name des Erzählers, wächst in Posen auf, zur Zeit der deutschen Besatzung Polens durch die Nationalsozialisten. Zum ersten Mal begegnet er hier dem zu dieser Zeit in Königsberg lehrenden Professor Kaltenburg, der ein Freund der Familie wird. Später zieht Familie Funk nach Dresden um, wo Hermann in den Luftangriffen vom Februar 1945 seine Eltern verliert.

Einige Jahre später nimmt er wieder Kontakt zu Kaltenburg auf, der derweil ein zoologisches Institut in Dresden leitet. Funk wird Kaltenburgs Schüler, lernt von ihm alle Handgriffe und Theoreme der Zoologie, vor allem der Ornithologie. Am Institut treiben sich neben unzähligen Tieren auch die unterschiedlichsten Gestalten herum. Tierfilme werden gedreht, Experimente durchgeführt, Tiere aufgezogen, beobachtet und versorgt. Auch die Stasi ist mit offenen Ohren auf dem Gelände unterwegs.

Doch Hermann Funk kann nie die Erwartungen Kaltenburgs ganz erfüllen, wendet sich innerlich von der Zoologie mehr und mehr ab, um schließlich auch dem Professor in Anbetracht von dessen im Laufe des Romans immer mehr zutage tretender NS-Vergangenheit den Rücken zuzukehren. Kaltenburg selbst wird zunehmend von seiner Vergangenheit eingeholt und verlässt schließlich Hals über Kopf Dresden, um in seine österreichische Heimat nach Wien zurückzukehren, wo er einsam sterben wird.

Marcel Beyer gestaltet den Roman als Erinnerungsbuch, in dem sich der Erzähler frei in die Vergangenheit zurückversetzt, Ereignisse erinnert und in diesem Erinnern neue Zusammenhänge erkennt. Als Rahmenhandlung dient der Austausch mit einer Dolmetscherin, die immer wieder überraschend auftaucht und durch eingestreute Fragen den Erinnerungen Richtung gibt. Wo diese Dolmetscherin herkommt und was sie dazu antreibt, den alten Funk wiederholt aufzusuchen, bleibt jedoch im Dunkeln.

In erster Linie konzentrieren sich die Erinnerungen auf Funks Verhältnis zu Kaltenburg. Doch auch Funks Leben abseits des Instituts wird erinnert. Vor allem Klara Hagemann, seine erste große Liebe und spätere Ehefrau, bildet einen zweiten Schwerpunkt, dazu kommen noch einige Freunde, vor allem der Tierfilmer Knut Sieverding und der Bildende Künstler Martin Spengler. Letztere stehen ebenfalls in engem Kontakt mit Kaltenburg – irgendwie dreht sich am Ende also doch alles um den verschrobenen Professor.

Kaltenburg zeichnet sich vor allem durch eine wunderbare Sprache aus. Die frei treibenden, gelegentlich auch etwas dahindümpelnden Erinnerungen erhalten einen edlen Klang. So edel, dass auch trotz teilweise anhaltender Ereignislosigkeit der Lesefluss nicht abreißt. Nicht ganz zufällig ist Funks Frau Klara eine faszinierte Leserin von Prousts Recherche.

Immer wieder tauchen dabei Eckdaten deutscher Geschichte auf, werden zeittypische Stimmungen eingefangen, mit wenigen Strichen skizziert. Daran arbeiten sich andere Autor_innen ganze Romane lang ab.

Freitag, der sechste März. Am Morgen ist die Nachricht von Stalins Tod gemeldet worden. […] Während ich die halbe Treppe zu den Brut- und Sammelbecken hinuntersteige, die in den Räumlichkeiten zur Hangseite untergebracht sind, spüre ich eine Verlorenheit, die ich in diesem Haus noch nie empfunden habe. Das Gemäuer wirkt feucht, meine Schritte hallen auf den Steinstufen wider, nirgendwo eine Menschliche Stimme, nirgendwo ein Tier. Das kalte Licht im Vorraum, das Tonnengewölbe mit den dicht an dicht stehenden Aquarien, das leise Summer zahlloser Umwälzpumpen.

Auch der Protagonist Kaltenburg ist in der Geschichte verankert. Seine Figur ist eng an den Zoologen Konrad Lorenz angelehnt, der allerdings nach 1945 nicht in Dresden – der Heimat Beyers –, sondern im westfälischen Buldern ein Institut leitete. Bleibt Kaltenburgs Haltung zur NS-Ideologie jedoch durchweg unklar, ist in Lorenz’ Sympathie für biologistische Argumentationen eine klare Nähe zu den Nationalsozialisten erkennbar, die nach wie vor aufgearbeitet wird.

Was Beyers Roman für mich aber neben der Sprache zu einem besonderen Buch macht, sind die Tiere. Das mag in Anbetracht von mächtigen historischen Flaggschiffen wie NS-Ideologie, der Bombardierung Dresdens, dem Mauerbau, der Stasi und dem Prager Frühling etwas lapidar klingen. Aber dies alles wäre für sich in seiner ja nicht gerade neuen Abfolge allzu statisch, allzu absehbar, ja vielleicht sogar gewollt, wären da nicht die vielen Tiere. Überall begleiten sie Kaltenburg, umgeben ihn wie ein Hofstaat, dem er als liebender Fürst vorsteht. Erst sie beleben den grauen, ja oft – nomen est omen – kalten Kaltenburg, lassen ihn Emotionen zeigen. Eine besondere Liebe drückt sich im Umgang mit seinen Tieren aus, die er Menschen gegenüber kaum zeigen kann. So erlangt der Roman eine Wärme, eine Beflügelung, die ihm ansonsten verwehrt geblieben wäre. Die Tiere zeichnen ihn aus, machen ihn besonders.

Ein Herbstnachmittag – Kaltenburgs erster Herbst in Dresden – mit scheußlichem Wind und Regen, es ist still um die Villa, still auch, als ich die Halle betrete, alle Lebewesen haben sich vor dem Wetter zurückgezogen. Alles im Haus ist nach einem genau austarierten System auf die Tiere ausgerichtet, bald vierzig Jahre Erfahrung stecken im Erscheinungsbild der Räume, die auf den Unkundigen zunächst wie das blanke Chaos wirken mögen. In einem Zimmer etwa stehen die Möbel ein Stück von der Wand abgerückt – dahinter die Höhle eines Tieres, das außer Kaltenburg vielleicht noch niemand zu Gesicht bekommen hat. In einem anderen Raum unglaubliches Gerümpel, Stühle und Tische durcheinander, leere Buchrücken – dies war das Lieblingszimmer eines Kapuzineraffen, der längst in den Zoo abgewandert ist, heute aber scheinen sich dort die Hamster besonders wohl zu fühlen. […] Nirgendwo Deckenleuchten, die Vorhangstangen jedoch sind – anders als die Vorhänge – in jedem Raum geblieben: Alle Finken müssen geeignete Schlafzimmer vorfinden.

Auch wenn Kaltenburg ein wenig Straffung an einigen Stellen nicht geschadet hätte, halte ich den Roman für ein famoses Werk. In erster Linie ist dies der Sprache geschuldet, der Beschreibungskunst, mit der Beyer feinfühlig Stimmungen zu erzeugen und seine Figuren zu charakterisieren versteht. Der Kunstgriff, mit Hilfe von Tieren dem Roman ein ganz eigenes Leben einzuhauchen, setzt dem Ganzen dabei die Krone auf. Ein würdiger Büchner-Preisträger, dem Sprache alles ist und der sie in einzigartiger Weise einzusetzen vermag.

Nicht ganz unpassend vergleicht sich Marcel Beyer in seiner schlicht Hund betitelten Büchner-Preisrede mit einem ebensolchen. Dem Preisträger gebühren hier die Schlussworte:

Die Reizdeutschen steigen von ihren Feldherrenhügeln herab und sprechen längst ein anderes, ein Schlüpferjägerdeutsch, ich aber merke, wie ich mürbe werde, mürbe. Ein in den Putz gezeichneter, von der Rückseite der Welt her über den Horizont schauender, auf immer in der Sprache halbversunkener Hund. […]
Ich bin der Hund, dem Woyzeck auf den Hut geholfen hat.

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