Kulturspion
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Bewertung zu "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza
Bewertung zu "Glücklich die Glücklichen" von Yasmina Reza
Interessiert man sich für die Geschichte und Geschichten des Ersten Weltkrieges, hat man momentan einen schweren Stand. Das Angebot an Literatur ist nicht mehr zu bewältigen, täglich erscheinen neue Interviews, Einschätzungen, Abhandlungen von Teilaspekten des vor hundert Jahren angefachten Weltenbrandes. Als müsste man den damals vollzogenen mechanisierten Overkill heute in Printform wiederholen. Der Erste Weltkrieg als Schlachtfeld der Publikationen, und der einfache Leser droht in seiner Stellung im Schützengraben an der Flut reisserischer Titel zu ersticken. Wir stehen gebeutelt an der Lesefront und winken müde mit der weissen Parlamentärsflagge. Gnade. Einhalt!
Doch dann fällt unser Auge auf einen weiteren Titel und instinktiv greifen wir zu. Wir Leseratten sind zäh. Und der vorliegende Band ist einfach nicht zu ignorieren, knüpft er doch am Ursprungsmythos des Grande Guerre an: am Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand. Genauer: Die Welt seines Attentäters Gavrilo Princip.
Henrik Rehr erzählt in klaren Schwarzweiss-Bildern die fundierte Biographie des Gavrilo Princip. In seinem an die Illustrationen und Fotografien der damaligen Zeit angelehnten Stil, zeichnet Rehr detailliert das politische Umfeld des jung nationalisierten Gavrilo nach. Man nimmt Anteil an der Empörung gegen die österreichischen Besatzer und nimmt gleichzeitig wahr, wie einseitig und instrumentalisiert die jungen Anarchisten denken. Man versteht die Wut und Enttäuschung angesichts der grassierenden Armut und ist bass staunt, dass ausser dem Mut zum Attentat keine Folgehandlungen geplant waren. Man kommt nicht umhin, die Hingabe des bemerkenswert menschenfreundlichen Gavrilo Princip anzuerkennen und schreckt vor dem rein theoretisch gebildeten Widerstandsdenken bar jeder weitsichtigen, politischen Vision zurück.
Facettenreich blättert Henrik Rehr diese junge, radikalisierte Biographie vor uns auf. Der Blick in die Welt des Gavrilo Princip ist ein lohnenswerter. Abstriche zu verzeichnen sind bloss in den gar hölzernen Dialogen und den wenig überzeugenden inneren Monologen des Hauptcharakters. Die zeichnerische Kunstfertigkeit gleicht dieses Manko aber spielend wieder aus.
Am Ende bleibt die traurige Erkenntnis, dass sich allein die Kriegstechnik heutzutage modernisiert hat, das Verhaltensmuster der kriegführenden Machtelite verläuft in althergebrachten Bahnen. Auf die verdammenswerten Provokationen der Organisation Islamischer Staat wissen die Kriegstreiber in den Vereinigten Staaten von Amerika nichts besseres zu antworten, als dass man die hochtechnisierte boom-boom-boom-Taktik* anwenden werde. Der Blick zurück auf hundert Jahre moderne Kriegsführung lehrt uns nur eines: wir lernen es nie. Der nächste Krieg ist immer der beste. Wozu also all die Publikationen, fragt sich die Ratte im Schützengraben, wenn die Entscheidungsträger ja doch nicht lesen.
>Henrik Rehr: Der Attentäter – Die Welt des Gavrilo Princip; Jacoby & Stuart 2014.
*Die republikanische Kolumnistin Peggy Noonan in der Fernsehsendung Face the Nation auf CBS: „We probably know of fifty targets on which we can go boom boom boom“.
(Sehenswert die Kritik dazu auf dem Kanal der Young Turks. Nur in englisch.)
Wie soll man diesen Comic nicht auf Anhieb lesen wollen? Der Zeichenstil ist ansatzlos sympathisch. Thomas von Kummant mischt kräftige, satte Farben an, denen die Kraft eines wilden, ungebändigten Raubtieres innewohnt, doch der Dompteur hat seine Wildkatzen jederzeit eisern im Griff. Nie überbordend, nie effekthascherisch, aber Seite für Seite die Muskeln der Farbpalette spielen lassend.
Ebenso überzeugend fällt die Mischung aus Computergrafik und pinselschwingendem Handwerk aus. Und dann erst die Motive: die spektakulären Landschaften, die einzigartigen Charaktere und die pulsierende Lebendigkeit in jedem einzelnen Panel. Ein wuchtiger Auftritt, den Gung Ho äusserlich bietet.
Und die Geschichte? Die hinkt dem Zeichenstil in keinster Weise hinterher, dafür sorgt der Szenarist Benjamin von Eckartsberg. In einer nahen Zukunft hat sich das heutige Europa aufgelöst in wenige, stark befestigte Städte und Siedlungen. Eine überzüchtete Affenart beherrscht die unbesiedelten Zonen und droht jederzeit, in die Menschenansammlungen einzudringen. Strenge Regeln und detaillierte Sicherheitsszenarien sichern das Überleben der Menschheit.
Doch Zack und Archer Goodwoody, zwei rebellierende Teenager, haben eine instinktive Abneigung gegen Regeln und Autoritäten. Eine lange Geschichte von Übertretungen aller Regeln hat sie nun in die exponierteste aller Siedlungen verschlagen, in Siedlung Nr.16, auch Fort Apache genannt. The Last Stand sozusagen. Hier, mitten in der Natur, trennen sie nur einige Holzbarrikaden und der rostige Lauf einer Schrotpistole von der weissen Plage. Dieser Nervenkitzel sorgt für den exakt richtigen Adrenalinlevel, auf den die Brüder abfahren. Zudem haben ihre Augen bereits einige heisse Mädels ausgemacht und die nervigen Vorgesetzten versprechen ebenfalls allerhand Spass, jedenfalls aus der Sicht der aufmüpfigen Jungs.
Was ihnen aber als Freizeitpark für ihre hormonellen Abenteuer erscheint, wird nach der ersten Attacke rasch zum bitteren Überlebenskampf. Das Leben in Fort Apache ist kein Spiel. Schon gar kein Kinderspiel. Das lernt man in Siedlung Nr.16 auf die brutale Art. Fressen und gefressen werden.
Mit diesem überzeugenden Projektauftakt haben sich die beiden „vons“ definitiv in den Adelsstand des deutschen Comics geschrieben und gezeichnet. Angelegt auf fünf Bände verspricht der furiose Anfang weitere geballte Unterhaltung. Und so apokalyptisch die Geschichte auch anmutet, man sehnt sich paradoxerweise geradezu danach, wenigstens einmal diese farbenprächtige Endzeit-Zukunft besuchen zu dürfen. In den weiteren vier Bänden ist das zum Glück möglich.
Besonders begeisterte Leser können sich mit der hochwertigen Vorzugsausgabe selbst beschenken. Neugierige finden Vorstufen und allerlei Informatives im Gung Ho-Blog (der leider schon länger nicht mehr aktualisiert wurde, aber selbst die alten Einträge sind ein Augenschmaus).
>Benjamin von Eckartsberg, Thomas von Kummant: Gung Ho Band 1 – Schwarze Schafe; Cross Cult.
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- 01.01.1933