Bewertung zu "In der Stille die Freiheit Band 2" von Silke Ellenbeck
Man fragt sich manchmal, wie Menschen etwas aushalten können, wenn die unruhigen Zeiten überwiegen und oftmals geht man davon aus, daß es im Adel damals nicht so tragisch war- die hatten Geld u.a.- da kann man vieles aushalten. Alices Familie doch wird mittellos, als man Anfang der Zwanziger Jahre Griechenland verlassen muss, wobei das Nesthäkchen Philip, 1921 geboren, noch ein Baby ist- in einer Obstkiste verlässt er mit seiner Familie Griechenland in eine ungewisse Zukunft. Nach dem griechisch-türkischen Krieg wird die Familie verbannt und verliert alles- wozu auch der Besitz, die Villa "Mon Repos" auf Korfu zählt. Man kann aber hinzufügen, daß es vielleicht auch Alices Verdienst ist, daß ihr Ehemann Andrea nicht hingerichtet worden ist, wie andere Generäle (was genau passiert, lest bitte selbst, ich will nicht spoilern), doch man kann verstehen, wie sehr Alice dies nun belastet und belastet hat. So landet man auf Umwegen in Paris, findet bei der bekannten Psychoanalytikerin Marie Bonaparte in St. Cloud Unterschlupf. Die ganze Familie lebt in einem kleinen Haus im Garten, Alice macht in Paris einen Wohltätigkeitsladen auf, sie versucht ihre beiden ältesten Töchter zu verheiraten und ist liebevolle Mutter für die jüngeren Töchter und den kleinen Philip. Doch als Ehepaar haben sie und Andrea sich entfremdet- es wirkt fast so, als warte ihr Ehemann nur darauf, sie endlich verlassen zu können. Dabei war sie seine Lebensretterin und da wird man stellenweise schon wirklich wütend, muss ich sagen.
Alice verfällt in Depressionen, steigert sich in Spiritismus und es könnte auch mitreingespielt haben, daß ihre Tante Alix und ihre Familie (Zarenfamilie), ebenso wie die Schwester der Zarin Elisabeth, in Russland ermordet wurden. Die Familie von Alice erfährt über eine ehemalige Hofdame, Sophie von Buxhoeveden, davon- erhält da eigentlich schon die endgültige Gewissheit, weswegen auch das Auftauchen des "Fräulein Unbekannt" in Berlin eigentlich eher irrelevant für sie alle ist- für Alice und ihre Familie ist sie sofort eine Betrügerin. Hierbei sei erwähnt, daß andere Verwandschaft sich aber für die Unbekannte engagiert, sie finanziell unterstützt und so gelangt sie auch in die USA.
Das traurigste in Alices Biographie ist nun ihr seelischer Verfall, der sie schließlich in einem Sanatorium enden lässt. Für die Einweisung sind Ehemann und Mutter verantwortlich, was ich noch tragischer fand. Alice ist so gut wie entmündigt. Philip, noch Kind, kommt von einem Picknick zurück und man hat die geliebte Mutter einfach fortgebracht. Nun wird der Kleine von Verwandten weitergereicht, wird auch bald als Adresse "heimatlos" angeben. Das muss man schon selbst lesen und auf sich wirken lassen.
Für Alice geht das Leben in der Familie nun ohne sie weiter- die Töchter heiraten, ihr Ehemann verlässt sie, sucht sich eine Geliebte und dennoch beweist Alice Stärke, denn auch in den Sanatorien rebelliert sie noch, kämpft um Heilung, will aber dennoch wieder ohne fremde Mitbestimmung leben. Kurzer Zusatz- es war anscheinend gängige Praxis unliebsame Frauen gerne einmal in ein Sanatorium abzuschieben, wenn sie sich in etwas reinsteigerten, denn zeitgleich mit Alice befindet sich in dem einen Sanatorium auch die Großherzogin Elisabeth von Oldenburg. Zusatz nun von mir, da für Alices Biographie nicht relevant- Elisabeth war in der Ehe unglücklich, liebte aber ihre drei Kinder abgöttisch, doch als sie fremdging, ließ der Großherzog seine Gattin als "hysterisch" vom Hof verweisen und sie musste in ein Sanatorium. Sie konnte dieses zwar wieder verlassen bald darauf, aber ihre Kinder nicht mehr sehen- wenn sie also auf Postkarten mit diesen zu sehen ist, so sind diese Aufnahmen nur für offizielle Zwecke gemacht worden, danach musste sie den Hof wieder verlassen und bei ihrer Mutter in Mecklenburg leben.
Zurück zu Alice, die ihrer Familie bald darauf entsagt, was man verstehen kann. Sie hat den Wunsch ein Kloster zu gründen, als Nonne zu leben- nach ihrer Definition, denn sie trinkt gerne mal Alkohol, spielt und raucht. Durch einen tragischen Unglücksfall findet die Familie 1937 wieder zusammen, doch auch, wenn Alice hofft, wieder mit ihrem Ehemann zusammenzukommen, so ist das Eheglück doch zerbrochen. Er bevorzugt das Leben als "Lebemann" an der französischen Riviera mit seiner Geliebten.
Alice widmet sich ihrem Wunsch, gründet das Kloster und ich möchte auch hier nicht zuviele Familienereignisse vorwegnehmen- eines ist sicher die Hochzeit Philips mit Elizabeth (spätere Queen Elizabeth II. von England) und, obwohl Alices Kloster scheitert, wird sie für Charles und Anne die Großmutter sein, die sie für die Kinder ihrer Töchter nie sein konnte.
Ich war sehr gefesselt von Alices Leben, diesen schwierigen Zeiten, die sie durchschiffen musste und dennoch war sie stets jemand, der sich einmischte (auch, wenn sie vieles politisch gesehen nichts anging), sich ihren Mut bewahrte, sich ein Leben zurückerkämpfte und einer jüdischen Familie das Leben rettete, was sie nie selbst erzählte- man erfuhr es erst später. Sie war eine bemerkenswerte Frau, dennoch bescheiden und die meisten Dinge waren für sie selbstverständlich, wie etwa die jüdische Familie vor der Deportation zu bewahren.
Mir haben beide Bände sehr gut gefallen und es war mir ein literarisches Vergnügen in Alices Leben einzutauchen. Es ist eher sehr schade, daß sie so im Hintergrund steht.