Leselampe_s avatar

Leselampe_

  • Mitglied seit 15.01.2012
  • 30 Freund*innen
  • 1.148 Bücher
  • 210 Rezensionen
  • 614 Bewertungen (Ø 4,19)

Rezensionen und Bewertungen

Filtern:
  • 5 Sterne263
  • 4 Sterne241
  • 3 Sterne84
  • 2 Sterne17
  • 1 Stern9
Sortieren:
Cover des Buches So weit der Fluss uns trägt (ISBN: 9783570105139)

Bewertung zu "So weit der Fluss uns trägt" von Shelley Read

So weit der Fluss uns trägt
Leselampe_vor 6 Monaten
Hätte mehr Potential

Victoria wächst auf einer kleinstädtischen Pfirsichplantage im Colorado der 1940er Jahre auf. Bereits in jungen Jahren verliert sie ihre Mutter bei einen Autounfall, wird folglich zur Frau des Hauses auserkoren und vor allem mit der Aufgabe betreut, den Vater, den kriegsinvaliden Onkel und ihren missmutigen Bruder zu verköstigen. Als sie sich eines warmen Herbsttags Schlag auf Schlag in den Ortsfremden Wil verliebt, setzt dies kurz darauf eine Kette von Ereignissen in Gang, die Victoria zur Flucht aus ihrem Zuhause zwingen. Sie begibt sich in die Tiefe der Berge, wo sie der rauen Natur ausgesetzt ist, um alsbald wieder zurückzukehren und ein anderes Land vorzufinden als jenes, das sie verlassen hat.

Eines vorweg: die Geschichte hat mich zeitweise wirklich berührt. Es handelt sich um eine eindrucksvolle Coming-of-Age-Geschichte, die sich um eine den Widrigkeiten der Zeit trotzende Protagonistin dreht. Leider war aber ein tieferer Einstieg in die Hauptfigur nur partiell möglich, da zwischendurch immer mal wieder ein paar Jahre übersprungen werden, die den Leser ständig aus den Lebenspfaden Victorias hinauskatapultieren. Es fiel mir daher recht schwer, mich auf tiefgreifende Gefühle und Sympathien den Charakteren gegenüber einzulassen. Gut gefallen hat mir die Atmosphäre, auch wenn die etwas zu arg romantisierende Beschreibung der Natur hie und da stark von der eigentlichen Geschichte abgelenkt hat und einige Beschreibungen doch ein bisschen over the top waren. Noch weniger gefallen hingegen hat mir die mitunter leider total unkritische Sichtweise auf Rassismus sowie Gewalt und die Zentrierung auf eine sehr einvernehmende, schicksalhafte Liebe auf den ersten Blick. Alles in allem trägt die leider ziemlich unspannende, zu hastig erzählte Geschichte mehr Potential in sich, als im Endeffekt ausgekostet wurde.

Cover des Buches Zwischen Himmel und Erde (ISBN: 9783455016062)

Bewertung zu "Zwischen Himmel und Erde" von Yara Rodrigues Fowler

Zwischen Himmel und Erde
Leselampe_vor 8 Monaten
Es scheitert am unkonventionellen Schreibstil

Die brasilianische Doktorandin Catarina entstammt einer politisch einflussreichen Familie und zieht zwecks ihres Studiums nach London. Hier kommt sie in einer WG unter, in welcher sie auf ihre Mitbewohnerin Melissa stößt. Diese widerum ist in einer sozial schwachen Gegend Londons aufgewachsen, doch merken beide schnell, dass vor allem ihre Wurzeln sie verbinden. Denn auch Melissas Vorfahren mütterlicherseits stammen aus Brasilien, nur sie selbst hat ihre britische Heimat nie verlassen und weiß auch nicht viel vom Leben ihrer früh verstorbenen Mutter in Brasilien. Es ist 2016, beide Länder befinden in Zeiten politischer Umbrüche sowie gesellschaftlicher Spannungen. Im Vereinigten Königreich löst das Votum zum Brexit eine Welle politischer Erdbeben aus, und auch Brasilien kommt aufgrund andauernder Proteste gegen die politische Führung nicht zur Ruhe. Melissa und Catarina sind selbst beide politisch interessiert und aktivistisch unterwegs, darin bestrebt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Der Klappentext klingt so vielversprechend und auch das vielfältige Themenpotpourri, in das die Geschichte eingebettet ist, ist sehr spannend. Man erfährt einiges über die britische sowie vor allem über die brasilianische Zeitgeschichte: politische Unruhen, Putschversuche, Kolonialismus. Aber der Schreibstil hat leider alles verhagelt. Fowler verliert sich in ihrer Geschichte häufig in Belanglosikeiten. Die Art des Schreibens ist sehr artifiziell, experimentierfreudig und zeichnet sich durch einen überwiegend fragmentarischen Charakter aus. Eine sehr gewundene, ausufernde und unstringente Erzählweise, die irgendwie auf kein Ergebnis kommt - kann man mögen, aber ich hab einfach nicht verstanden, wie dieses Buch funktioniert und worauf es hinauslaufen soll.
Nicht jedes Buch muss Spaß machen, aber dieses war leider überhaupt nichts für mich. Ich habe das Buch in seiner Quintessenz schlichtweg nicht verstanden, weshalb ich irgendwann den Faden komplett verloren habe und es nach der Hälfte erleichtert abgebrochen habe. Ein Buch, das keinen Spaß gemacht hat und eher einer formalen Achterbahnfahrt glich, keine Empfehlung.

Cover des Buches Als lebten wir in einem barmherzigen Land (ISBN: 9783446276246)

Bewertung zu "Als lebten wir in einem barmherzigen Land" von A. L. Kennedy

Als lebten wir in einem barmherzigen Land
Leselampe_vor 8 Monaten
Musste mich sehr durchkämpfen

Anna ist Lehrerin einer angesehenen Schule in London und verbringt ihren Berufsalltag angesichts der Corona-Pandemie vor den verpixelten Zoom-Kacheln ihrer Grundschüler und ihren Alltag mit ihrem bei ihr wohnenden, erwachsenen Sohn. Schon immer will Anna, dass es allen gut geht, und so versucht sie Tag für Tag ihre Schüler zu beglücken und auch ihren Sohn Paul bestmöglich zufriedenzustellen. Bereits in ihrer Jugend lebte sie ihre wohlwollende Seite aus, verbrachte viel Zeit als Aktivistin in einer Artistengruppe, die häufig durch Protestaktionen auffiel und die Kriegs- und Sozialpolitik der Regierung anprangerte - jedoch immer auf die friedliche Art. Stets bemühten sie sich, durch die Kunst der Unterhaltung die Menschen auf Ungerechtigkeiten und alle möglichen Arten von Elend und menschenverursachten Leid hinzuweisen und sie dadurch zu motivieren, durch Handeln und Solidarität für Gerechtigkeit zu sorgen sowie durch eigene Selbstlosigkeit zufriedener zu werden. Und bald schon schließt sich ein weiterer Mitstreiter der Artistenguppe an. Bis dato gab es keine groß einschneidenden Vorkommnisse, doch das Neumitglied entpuppt sich als verdeckter Ermittler der Polizei, der zugleich die Rolle des Agent Provocateur aufs Beste auslebt und die Gruppe zu gröberen Straftaten animiert. Das Trauma des Verrats in der Gruppe und der alternden Anna sitzt tief doch nun, mehr als 20 Jahre später, kreuzen sich die Wege zwischen Anna und dem V-Mann erneut. Und die nach wie vor gutmütige Heldin muss sich selbst sowie ihre moralischen Prinzipien hinterfragen: muss man auch unbarmherzigen Menschen gegenüber barmherzig sein?

Ich fand das Buch relativ unzugänglich, da es sich nicht nur sehr komplexen Themen widmet, sondern auch dem Sprachfluss recht schwierig zu folgen war. Ab der zweiten Hälfte lief es zwar wesentlich besser, aber Kennedys Roman ist definitiv ein Werk, für das man sich Zeit nehmen muss - mein Interesse hat jedoch leider nach dem bereits schleppenden Beginn rasant nachgelassen. Thematisch ist der Roman reich bestückt, doch aufgrund dieser Multidimensionalität wird vom Leser hohe Konzentration und so einiges an Hintergrundwissen bezüglich Thatcher-Zeit, des Brexit sowie der heutigen gesellschaft-politischen Notlage innerhalb des Vereinigten Königreichs gefordert. Erzählt wird die Geschichte aus wechselnder Sicht Annas und aus dem Leben des Undercover-Cops namens „Buster“, was für eine gute Portion Auflockerung sorgte. Insgesamt kam mir jedoch der Spannungsbogen zu kurz, und die irgendwie doch insgesamt recht unglaubwürdige und schwer nachzuvollziehbare Geschichte lief relativ zäh vor sich hin. Kennedy drückt sich gewählt und mitunter auch schwer metaphorisch aus, jedoch nicht unbedingt auf die eingängige Art, weshalb bei mir kein Leseflow aufkam, der mich vollends begeistert hat. 

Alles in allem ist „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ eine sehr anspruchsvolle Lektüre ohne Page-Turner-Effekt, die mich leider aufgrund ihres überfrachteten Wesens nicht richtig überzeugen wollte, aber sicher seine Liebhaber findet, denn es steckt nicht nur viel Wehmut sondern auch viel Scharfsinn im Kennedys Roman. Streckenweise war es thematisch wirklich interessant, aber leider musste ich mich überwiegend doch sehr durch die knapp 500 Seiten kämpfen und daher wird mir dieser Roman wohl nicht lange im Kopf bleiben.

Cover des Buches Jahreszeit der Steine (ISBN: 9783406799914)

Bewertung zu "Jahreszeit der Steine" von André Hille

Jahreszeit der Steine
Leselampe_vor 10 Monaten
Wunderbar

"Ich befinde mich im Zentrum des Lebens, es ist wie im Sommer, wenn alles auf einmal blüht und man nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll, dieser Überfluss an Rede, an Streit, an Liebe [...] und nur an einem herrscht Mangel: an Zeit." (S. 302)

Doch ist es kein sonnendurchfluteter Sommertag, an den uns André Hille in seinem wunderbaren Roman entführt, sondern ein kaltgrauer Tag im November. Eine Zeit, die er als "Jahreszeit der Steine" betitelt und mit der er jene Epoche im Jahr ganz und gar zutreffend definiert, in welcher die Äcker brach liegen und die Steine des Bodens die Oberfläche zieren. Ein scheinbar trostloser Zustand leblos wirkender, abgeernteter Felder, die doch zeitgleich in größter Vorbereitung neusprießenden Lebens stehen. Über einen ganzen Tag hinweg begleiten wir den namenlosen Protagonisten: ein Ich-Erzähler, der augenscheinlich mit dem Autoren selbst gleichzusetzen ist. Er ist Vater dreier Kinder, verheiratet, und erzählt von seinen ganz gewöhnlichen Alltagsroutinen, stets darum bemüht, Familie, Freizeit und Beruf unter ein Dach zu bringen. Niemals rosig dargestellt, sondern total real. Und am Ende dieses ganz gewöhnlichen Dienstags im Herbst bleibt ihm lediglich die Frage: bin ich diesem Tag gerecht geworden? 

Viel außergewöhnliches passiert in diesen 24 Stunden zwar nicht, aber es steckt so viel Liebe im Detail und das ist hierbei ganz klar die Sprache. Hillers scharfe Beobachtungsgabe, die selbst die kleinsten, feinsten Bestandteile des Lebens miteinfasst, verströmt eine ganz ruhige, ureigene Dramaturgie, die feinfühliger und sensibler nicht sein könnte. Voller Empathie und Emotionen ist dieses Buch ein gänzlich unaufgeregtes über den ganz gewöhnlichen Alltagswahnsinn, vom Leben auf dem Land, dessen Inhalt sich durch die sprachliche Ausdruckskunst im Gedächtnis des Lesers manifestiert und festankert. Die Wortwahl ist auf höchste Form bedacht, die Gedanken angenehm ausschweifend und immer wieder nachsinnend. Ein literarischer Strom ungezügelter, gar beflügelnder Gedankengänge, die gerne auch ins philosophische abdriften und mal hierhin, mal dorthin schwärmen; auch in die Kindheit des Autors, die er aus heutiger Sicht in eigener Rolle des Vaterseins reflektiert. Hille macht sich die Sprache in höchstem Geschick zu eigen und macht diesen Roman trotz so wenig Handlung doch so lebendig.

Ein überaus angenehmes Buch, das total ergreifend ist, obwohl es sich lediglich einen ganz normalen Alltag als Thema ausnimmt. Es lebt vom herumirren, vom vor sich hin sinnieren und ist eine ganz große, unerwartete Überraschung und damit auch ein komplettes Highlight für mich. Ich habe dieses Buch Seite für Seite genossen: wunderbar unaufgeregt, melancholisch und richtig, richtig toll zu lesen!

Cover des Buches Das Café ohne Namen (ISBN: 9783546100328)

Bewertung zu "Das Café ohne Namen" von Robert Seethaler

Das Café ohne Namen
Leselampe_vor 10 Monaten
Heimelig

Es sind die 1960er-Jahre in Wien. Zeit und Gesellschaft sind geprägt von einer merkbaren Aufbruchstimmung, die aus dem noch gar nicht mal allzu fernen Ende des Krieges resultiert. Am Karamelitermarkt erfüllt auch Robert Simon sich seinen Traum: er bricht aus seinem Alltag als Gelegenheitsarbeiter am Markt aus und pachtet das örtliche Café am Rand des Marktes. Schnell etabliert es sich zum Treffpunkt der Arbeiter des Viertels und sonstigen Flaneuren auf der Suche nach Gesellschaft. Fortan beobachtet Robert als neuer Gastwirt die Menschen bei Kaffee, Bier und Schmalzbrot, bei Tag sowie bei Nacht, schnappt ihre Geschichten auf über Glück, Träume, das Leben und die Vergänglichkeit im Wandel der Zeit.

Der Roman war mein erster Seethaler, aber mir hat die warme, heimelige und doch zugleich sehr seichte Art des Erzählens von Beginn an sehr gut gefallen. Die Geschichte ist aus dem Alltag gegriffen und thematisch passiert gar nicht mal allzu viel, und dennoch verströmt das Werk einen sehr behaglichen, stillen und angenehmen Flair. Mit Robert Simon hat Seethaler einen komplett umgänglichen Protagonisten erschaffen, der wirklich sympathisch daherkommt und in den man sich prima einfühlen kann. Ich habe mich sehr wohlgefühlt in der Geschichte und hatte einige sehr schöne Lesestunden. Es wird ganz sicher nicht das letzte Buch sein, das ich von ihm gelesen habe!

Cover des Buches Malibu Rising (ISBN: 9783548067544)

Bewertung zu "Malibu Rising" von Taylor Jenkins Reid

Malibu Rising
Leselampe_vor einem Jahr
Malibu, the Place to be

Malibu im Sommer 1983. Wie jedes Jahr schmeißt Model und Herzblut-Surferin Nina Riva die Party des Jahres in ihrer Strandvilla: der Place to be für die High Society. Angelockt per Mund zu Mund Propaganda erscheint nahezu jeder der Rang und Namen hat, und so stehen auch heute wieder die Stars und Sternchen Hollywoods, Topmodels, Sänger und Produzenten auf der Fußmatte.
Im Buch begleiten wir Gastgeberin Nina sowie ihre drei jüngeren Geschwister Jay (Profisurfer), Hud (Fotograf) und Kit (Nesthäkchen) vom Tag vor der Party bis hin zu ihrem Ende. Dabei erfahren wir in allerlei Rückblenden von der harten Kindheit der vier, die sich lange ohne elterlichen Halt durchs Leben schlagen mussten, bevor jeder für sich seinen Weg gefunden hat. Doch mit der Party gerät ihre Welt erneut ins Wanken, als nicht nur die Champagnerkorken knallen: auch die Stimmung ist hoch explosiv. Denn so einige Überraschungsgäste erschüttern mit ihrem Erscheinen den harmonischen Zusammenhalt der vier Geschwister und nach und nach wird das ein oder andere Geheimnis gelüftet. Und mit steigenden Alkohol- und Drogenkonsum unter den Gästen wird die Feierlaune immer und immer ausgelassener - bis plötzlich alles in Flammen steht.

Taylor Jenkins Reid hat die Gabe, ganz unaufgeregt zu schreiben und den Leser trotzdem durchgehend am Ball zu halten. Ihre Charaktere sind mit Hand und Fuß ausgestattet, wunderbar griffig und echte Individuen, die einander sehr gut ergänzen und vollkommen authentisch wirken.
Auch Carrie Soto, Tennis-Ass und Protagonistin aus TJR vorherigem Roman "Carrie Soto ist Back" besetzt eine Nebenrolle, welche die Handlung stark prägt. Ihr neuer Roman "Malibu Rising" reiht sich also mit in das literarische Universum der Autorin ein, in welcher starke Frauenfiguren im Zentrum der Erzählungen stehen. Bisher habe ich nur "Carrie Soto" und "Malibu Rising" der bisherigen vier übersetzten Werke gelesen, aber beide haben mich sehr für sich begeistern können. Es sind leichte Lektüren mit ganz eigener Dynamik und unerwartet viel Tiefgang, die mich beide sehr positiv überrascht haben!

Cover des Buches Es war einmal in Brooklyn (ISBN: 9783463000442)

Bewertung zu "Es war einmal in Brooklyn" von Syd Atlas

Es war einmal in Brooklyn
Leselampe_vor einem Jahr
Durchschnittlich

Wir schreiben das Jahr 1977. Brooklyns Bewohner ächzen unter einer enormen Hitzewelle, die der Stadt die Luft abschnürt. Darunter befinden sich auch Juliette und David, beide 17 Jahre jung und schon seit frühester Kindheit beste Freunde. Eben noch waren sie unzertrennlich, doch in diesem Sommer liegt Veränderung in der Luft. David lebt seit einer Weile mit der Diagnose Leukämie und in dem Wissen, dass ihm nicht mehr viel Lebenszeit bleibt. Er steht total auf Juliette und will endlich sein Liebesleben in Angriff nehmen. Juliette steht kurz vor dem College und will dahingehend sogar fortziehen, doch vorher will auch sie noch die Liebe entdecken - nur eben nicht mit David. Aber dann gehen die Lichter aus: New York wird von einem 25-stündigen Blackout ins Chaos gestürzt - und das Leben von Juliette und David gleich mit.

"Es war einmal in Brooklyn" ist ein gar allzu typischer Coming-of-Age-Roman, der neben Freundschaft und dem ersten Mal Verliebtsein auch schwere Themen behandelt. So geht es um den Umgang mit einer schweren Krankheit und die Sorge um die abzählbar kurze Lebenszeit. Von Seiten Juliettes geht es überdies hinaus um körperliche Gewalt und psychologische Gesundheit. Im Allgemeinen sind das keine neuen Themen, die nicht schon unzählige Male in der Adoleszenzliteratur abgehandelt worden sind. Leider werden diese Themen hier aber nur sehr lakonisch behandelt. Auch die Figuren wirkten in der ersten Hälfte unscheinbar, doch zumindest dies hat sich ab der zweiten Hälfte entscheidend geändert - und dann war das Buch leider fast schon wieder vorbei. Die Sprache war angenehm leicht, die Kapitel kurz, und so blieb das Buch eines zum schnell wegsnacken ohne dabei groß Tiefgang zu haben. So ganz catchen wollte mich der Roman also nicht, er hat mir aber insgesamt gut gefallen. Wer etwas innovatives sucht wird womöglich enttäuscht werden, doch wer auf der Suche nach einem unaufgeregtem Buch ist welches schwierige Themen sanft anspricht, der ist hiermit sicherlich gut bedient. Ich hatte einfach mehr Pepp erwartet, und vielleicht richtet sich das Buch eher an noch jüngere Leser.

Cover des Buches Der Traum von einem Baum (ISBN: 9783442757916)

Bewertung zu "Der Traum von einem Baum" von Maja Lunde

Der Traum von einem Baum
Leselampe_vor einem Jahr
Ein für mich sehr stimmiges Ende

In Spitzbergen liegt sie, die Arche Noah der Gegenwart. Tief in einem Berg, verschlossen vor der Öffentlichkeit, in einem Bunker verwahrt: die größte Samenbank der Welt, das Vermächtnis aller Pflanzensamen aus aller Herren Länder. Im Jahr 2110 ist die Nahrung knapp geworden, durch verschärfte klimatische Verhältnisse sind weite Teile der dringend benötigten Nutzpflanzen ausgestorben, globale Nahrungsknappheit ist die Norm.
Der 18-Jährige Tommy und 4 weitere junge Menschen sind sie letzten Überlebenden einer Seuche, die alle Bewohner Spitzbergens dahingerafft hat. Die Verantwortung des wichtigen Saatguts liegt nun in ihren Händen. Bisher lebten sie abgekapselt von der globalen Welt in totaler Isolation, und Tommy ist auch weiterhin der Überzeugung, dass die Menschheit für das Aussterben der Arten verantwortlich sind und folglich unter dem selbstauferlegten Schicksal zurechtkommen sollten. Die Erde wird sich in ungezähmter Natur ohne Kultivierung am besten von selbst regenerieren, und so will er nach wie vor jeden Kontakt zur Außenwelt vermeiden und sich alleine durchschlagen. Doch seine Freundin Rakel sieht das anders und kontaktiert heimlich per Funksignal die Außenwelt, die sich schon bald auf den Weg macht, um die Samen einzufordern. Doch auch die Gefahr in ihrer Heimat ist groß: Eisbären sind auf der Suche nach den letzten Futterreserven, schmelzende Gletscher lassen die Hänge abrutschen, die Sonne zeigt sich im nordischen Winter wenn überhaupt nur selten.

Und somit spielt Maja Lundes Roman inmitten der großartigen Atmosphäre Spitzbergens und erzählt dabei wieder einmal von einer dystopischen Zukunft unter dem Einfluss des Klimawandels. Die Kinder, bzw. jungen Erwachsenen sind in einer gebeutelten Welt aufgewachsen, in der Verzweiflung und Einsamkeit herrscht, in der aber die Hoffnung ein großer Anker geworden ist und die niemals versiegt.
Lundes Schreibstil ist wie aus ihren Vorgängern gewohnt schlicht sowie flott zu lesen, macht aber dabei keine Abstriche wenn es um das Schaffen von Bildern und Spannung geht. Mit eingebunden in den Roman ist eine gute Bandbreite interessanter Fakten, die den Roman passend abrunden. Ein wirklich gelungener Abschluss der insgesamt vierteiligen Klimaserie von Maja Lunde, hab ich sehr gern gelesen und kann ich nur weiterempfehlen!

Cover des Buches Seemann vom Siebener (ISBN: 9783608501803)

Bewertung zu "Seemann vom Siebener" von Arno Frank

Seemann vom Siebener
Leselampe_vor einem Jahr
Überraschend tiefgründig

"Flaues Gefühl im Magen und Butter in den Knien. Geländer fleckig oxidiert, der Beton voller Flechten und Moose. Beinahe wie etwas Natürliches, vielleicht ein Felsen im Mittelmeer. Nichts wirft Schatten auf einen Siebener. Es fühlt sich an wie das Dach der Welt." (S. 231)

Es riecht nach Pommes, Chlor und warmen Gras. Sonnenstrahlen kitzeln in der Nase, das Leben hält für einen Sommertag inne, alles scheint friedlich. Die Wärme lockt die Bewohner von Ottersweier ins Freibad, doch der Tag wird von einem Ereignis in der Vergangenheit überschattet, infolgedessen auch der große Sprungturm geschlossen ist. Die Erinnerung an einen Unfall mit fatalem Ausgang im vergangenen Herbst liegt noch allzu präsent in der Luft. Doch das Freibad stellt einen ganz eigenen Kosmos dar, in dem sich bekannte und unbekannte Wege kreuzen und Menschen am Abend mit neuen, geteilten Erinnerungen wieder auseinandergehen. Und so begleiten wir eine Handvoll Menschen an diesem schönen Tag. Zum Beispiel Renate, die vom Kassenhäuschen aus zuschaut, wie sich die Liegewiese allmählich füllt. Mit Bademeister Kiontke besuchen wir sie hin und wieder und erleben, wie er mit Schuldgefühlen anlässlich des Unglücks kämpft, das er nicht abzuwenden vermochte. Wir gehen zu Sergej an den Kiosk, der uns mit einer frischen Portion Pommes und mit Flutschfingern versorgt und begleiten ein Mädchen, welches vom geschlossenen Siebener unbedingt den Seemann machen will - ein wahrlich halsbrecherischer Sprung ins kühle Nass.

Noch so einige engmaschig verstrickte Lebensgeschichten mehr treffen in diesem begrenzten Raum des Freibads, an diesem schönen, hitzigen Sommertag aufeinander. Zu Beginn waren mir die Figuren zu stereotypisch gestaltet, aber ab der zweiten Hälfte des Romans haben sie an Tiefe gewonnen. Auch der Schreibstil hat sich im Verlauf stark verändert, zuerst rau und mit Hang zum Plumpen wurde er zusehends feiner, ausgeschmückter und angenehmer zu lesen. Auf alle Fälle jedoch kommt eine immer stärkere Freibadstimmung auf: Gerüche, Gefühle, Geräusche, die eigene Erinnerungen wachrufen.
Tobende Kinder, störende Bienen, jeder hängt in der Sonne irgendwie seinen Gedanken nach, sinniert vor sich hin. Ein schönes atmosphärisches Buch für den Frühling, das große Lust auf Sommer macht und mit überraschendem Ende inklusive wow-Effekt überzeugt!

Cover des Buches Liebes Arschloch (ISBN: 9783462004991)

Bewertung zu "Liebes Arschloch" von Virginie Despentes

Liebes Arschloch
Leselampe_vor einem Jahr
Not woth the hype

Rebecca ist eine berühmte französische Schauspielerin, die mit ihren jedoch etwa 50-jährigem Kapital (aka ihrem Körper) für den Filmmarkt nunmehr als zu alt sprich uninteressant gilt. Auf Instagram sieht sie einen reißerischen Beitrag vom etwa 10 Jahre jüngeren Oscar, der zwar selbst efolgreicher Schriftsteller ist, aber zur Zeit ebenfalls in einer Schaffenskrise steckt. Öffentlich lästert er über Rebecca: der ehemalige Teenie-Schwarm sei nicht nur zur Schlampe verkommen und alt geworden, "Sie ist auch auseinandergegangen, verlebt, schlechte Haut, ein schmuddeliges, lautes Weibstück" (S. 5). Rebecca lässt das natürlich nicht unkommentiert und reagiert promt mit folgenden keifenden Worten: "Liebes Arschloch [...] Ich hoffe, dass deine Kinder von einem Lastwagen überfahren werden und du ihren Todeskampf mitansehen musst, ohne etwas tun zu können, und dass ihnen die Augen aus den Höhlen spritzen und ihre Schmerzensschreibe dich jeden Abend verfolgen." (S. 6).

Als dritte im Bunde mischt sich alsbald Zoé ein, ehemalige Pressereferentin in Oscars Verlag, die nach übergriffigem Verhalten durch Oscar inklusive Stalking nur noch die Kündigung als Ausweg sah und sich nun auf Instagram zur bekannten, radikalfeministischen Aktivistin hochgebloggt hat - und Oscar im Zuge von #MeToo an den Pranger stellt.

Was sich ergibt, ist ein 330 Seiten mächtiger elektronischer Briefwechsel zwischen Rebecca und Oscar, der hin und wieder durch Essays von Zoé unterbrochen wird. Aus dem anfänglichen Hasstiraden zwischen Rebecca und Oscar ergibt sich nach und nach so etwas wie Freundschaft, denn beide sind sich ähnlicher als gedacht und nähern sich immer weiter einander an. Doch die 330 Seiten umfassende Korrespondenz hat mich nicht mal annähernd so begeistert wie erwartet und leider regelrecht gelangweilt und genervt. Beide Protagonisten sind schrecklich nervtötende Persönlichkeiten, die eine Person anstrengender und unsympathischer als die Andere. Es wurde so viel um sich gebissen (ja, es wurde auch so etwas in der Art wie sich versöhnt, Einsicht gezeigt und aufeinander zu gegangen). 

Und ja, der Roman thematisiert viele aktuelle, unbestreitbar wichtige Themen wie Feminismus und das systemische Patriarchat, Elternschaft, Älterwerden, Sucht, Cyber-Mobbing und psychische Gesundheit in Zeiten von TikTok. Zudem spielt das Buch in großen Teilen zur Zeit des Lockdowns, wobei infolgedessen auch immer wieder so viel uninteressantes hochgefahren und eingefangen wird (erklär mir doch noch mal Zoom! Und juchu, jetzt klatschen wir alle nochmal schön für die Pflegekräfte!) Aber die Charaktere leiden unter ausgeprägten Narzissmus und übertrumpfen sich ständig selbst mit endlosen Gefasel über sich selbst. Despentes Roman ist ein Werk über die rage culture, und Rebecca ist dabei eine unerträgliche Diva, Oscar ein zutiefst gekränkter Täter mitten im #MeToo-Skandal, der sich ja auch so leid tut und damit durchgehend in Selbstmitleid suhlt (*hust* Täter-Opfer-Umkehr). Die Dialoge sind langatmig, beide haben ein Faible dazu endlose Monologe zu führen und drehen sich dabei thematisch oft und immer wieder im Kreis. 

"Liebes Arschloch" hat mich leider Mal so richtig kalt gelassen und war dem Schreibstil sei dank sehr anstrengend zu lesen, ich habe nichts gefühlt und keinen Zugang gefunden - weder zu irgendeinem Charakter noch zu Despentes mir zu aufgesetzten, mal umgangssprachlich mal intellektuell hochtrabenden Schreibstil. Gestört hat mich auch der unkritische exzessive Drogenmissbrauch. Oscar (dieser Kotzbrocken - sorry) schließt sich zwar als Teil seiner persönlichen Charakterentwicklung den Narcotic Anonymous an - in seiner Lage wäre es ja auch immerhin brandgefährlich unter dem Einfluss von Alkohol noch etwas schlechtes in die Welt herauszuschreien. Rebecca (die Femme Fatale schlechthin) kokst und säuft derweil fröhlich weiter - Drogenmissbrauch ist für sie das, was sie scheinbar ein stückweit jung hält und nach wie vor interessant macht.

Zwischendurch gab es immer wieder einige interessante Ansätze und auch die Protagonisten haben eine relativ ansehbare Entwicklung zum Guten hin durchlebt, aber die monologisch gehaltenen Dialoge zweier privilegierter Menschen haben mich doch ziemlich entnervt zurückgelassen. Was mich aber am stärksten entzaubert hat war die Form des Briefromans, in der zwei Boomer in ihrer Midlife-Crisis vor sich hin fabulieren - und was am Anfang noch witzig und spritzig war, war am Ende leider nur noch ermüdend und qualvoll. Dem Buche zugutehalten muss ich: die Themen sind gut, die Umsetzung hat mich durch die ständig unter Drogen stehenden und wehleidigen Protagonisten null erreicht.

Über mich

Marie 26, Vielleserin

Lieblingsgenres

Krimis und Thriller, Sachbücher, Historische Romane, Literatur, Unterhaltung

Mitgliedschaft

Freund*innen

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks