Bewertung zu "Der Fuckepott: Teil 1" von Bettina Barkhoven
Es kommt selten vor, dass mich allein der Titel eines Romans zum Lesen animiert. Ein wenig Lokalkolorit, Platz für Mehrdeutigkeit und etwas schnoddrig Raues habe ich in diesen Begriff, den ich vorher nicht kannte, hineininterpretiert. Und das trifft es irgendwie ziemlich gut. Ruhrpott, 90er, Punkrock-Szene. Dass der Titel darüber hinaus den heutigen Algorithmen einen gestreckten Mittelfinger zeigt, ist vermutlich nicht beabsichtigt, aber ein herrlicher Sidekick. Punk's not dead.
Bettina Barkhoven konfrontiert uns in diesem Setting mit einem sperrigen Protagonisten. Markos desaströses Selbstbild ist mitunter nur schwer zu ertragen. Er ist gefangen in einer Welt aus Scham und Selbstverachtung, die durch die gewählte Perspektive zur Welt der Lesenden wird. Eine Welt, die verstörend wirkt. Eine Welt, mit der man sich im Idealfall nicht identifizieren kann und möchte.
Die Gewalt die Marko widerfahren ist wird nicht ausgeblendet, doch der Fokus liegt auf deren Folgen. Auf der Passivität, die sich daraus entwickelt hat und dem selbstzerstörerischen Verhalten. Die Gründe hierfür werden sehr genau analysiert. Persönlich hätte ich hätte die ein oder andere Erläuterung nicht so ausführlich benötigt, aber das ist sicherlich Geschmacksache, genau wie Markos romantische Ader. So ist es dann auch die Liebe, die ihm überhaupt erst die Kraft zur Entwicklung gibt. Eine Entwicklung, die uns auch sehr herzerwärmende und unbeschwerte Szenen schenkt - verpackt in wunderschönen Sprachbildern.
Als große Stärke dieses Debüts, empfinde ich die fast schon brutale Unmittelbarkeit der Perspektive. Der Tunnelblick und die damit einhergehende eingeschränkte Wahrnehmung haben meine Gefühle intensiviert. Es ist mutig von der Autorin, dem Innenleben ihres Protagonisten einen solchen Raum zu gewähren. Und es setzt Lesende voraus, die bereit sind eigene Empfindungen und Wertvorstellungen erst einmal hintenanzustellen und sich voll und ganz auf diese andere Perspektive einzulassen. Ich habe dieses „Einlassen“ als großen Gewinn empfunden.
Wer liest, um auch die weniger gefälligen Pfade zu erkunden, der sollte sich auf den Weg machen, wie auch Marko sich auf den Weg gemacht hat – auf den Weg zu sich selbst. Für ihn war und ist es keine einfache Reise. Doch während er anfänglich noch destruktiv und ziellos umherirrt, findet er „Schienen und Leitplanken“, die ihm den Weg weisen und die benötigte Stabilität bieten. Am Ende scheint er angekommen zu sein, doch ein Ende ist immer auch ein Anfang.