Bewertung zu "Ein anderer Takt" von William Melvin Kelley
Inhalt
Kelley erzählt von Sutton, einem kleinen Dorf, nahe der Stadt New Marsails, in einem fiktiven, zwischen den Staaten Alabama und Mississipi gelegenen Saat im Süden der USA und seiner weißen Bevölkerung. Im Jahr 1957 streute hier der schwarze Farmer Tucker Caliban Salz auf seine Acker, tötete sein Vieh, brannte sein Haus ab und fuhr mit seiner Familie nach Norden. Das Buch stellt jedoch nicht Tuckers Reise, sondern die Reaktion der weißen Bevölkerung Suttons auf sein Verschwinden, sowie das Verschwinden der gesamten schwarzen Restbevölkerung des Staates dar. Die hier dargestellten Perspektiven reichen von denen eines Kindes eines mehr oder minder liberalen "guten Rassisten" bis zu denen eines ehemaligen Kommunisten und Aktivisten, der als Folge seines persönlichen Scheiterns als Pächter für das Land seines Vaters arbeitet.
Meine Meinung
Um das Buch vernünftig zu rezensieren muss man wohl die einzelnen Charaktere und ihre Entwicklungen behandeln, sowie ihre Repräsentation der weißen Bevölkerung thematisieren.
Die erste Einzelperspektive, die näher erläutert, der folglich ein ganzes Kapitel gewidmet wird ist die Harry Lelands. Er ist einer der Männer auf der Veranda, die ein Gros der weißen Bevölkerung der damaligen Zeit repräsentieren. Harry hat einen Sohn, Harold "Mister" Leland, den er und seine Frau, vor allem auf ihr Geheiß hin versuchen "moderner" zu erziehen, so soll er das N-Wort nicht benutzen. Harry selbst hegt allerdings noch einige rassistische Vorurteile und seine Freunde (die Männer auf der Veranda) sind alle "straight up" rassistisch, wodurch sein Sohn jeden Tag offen mit Rassismus konfrontiert ist. Zum Einen erkennt die Leser*In, dass Harry einen inneren Konflikt durchmacht, da er zumindest zum Teil weiß, was richtig und was falsch ist und sich selbst dafür verurteilt noch immer rassistisch zu sein, auf der anderen Seite hält er an alten Autoritäten fest und überträgt diese auf seinen Sohn. So scheinen die anderen Männer auf der Veranda ihn nach Mr. Harper als Autorität zu akzeptieren und schicken ihn wegen ihrer Angelegenheiten häufiger vor. Im Bezug auf rassistische Äußerungen und Gewalt ist er von sich aus zwar zurückhaltend, hält jedoch seine Freunde bzw. Bekannten nicht von ihren Taten ab oder maßregelt sie aufgrund ihres Verhaltens, so trägt er zum Einen aufgrund seiner eigenen Unsicherheit, zum Anderen aufgrund seiner Ignoranz einen Teil zu den Ausschreitungen am Ende des Buches bei, sowie dazu, dass der Rassismus sein Platz in der Mitte der Gesellschaft behält.
Sein Sohn Harold denkt in rassistischen Denkmustern, äußert sich jedoch aufgrund der Erziehung seiner Eltern, wahrscheinlich vor allem seiner Mutter nicht oft rassistisch in der Öffentlichkeit, so degradiert er men of colour nicht öffentlich, spricht auch sie, wie weiße Autoritäten mit "Sir" an, hat jedoch noch immer Gefühle von Überlegenheit und Stereotypen internalisiert. Er versteht Tuckers Weggehen und seine Aussage, er könne es nicht verstehen, weil er noch nichts verloren habe genauso wenig wie die Erklärungsversuche von Pastor Bradshaw. Seine Interpretation der Geräuschkulisse der rassistischen Ausschreitungen gegen den Pastor als Feier von Tucker und seinen Freunden, den er für seinen Freund hielt ist das pessimistische Ende des Buches. Sein Verständnis von Schreien und Gesang, die durch Folter und Zwang herbeigeführt werden als lustiges Treiben repräsentieren das bis zum Ende fehlende Verständnis und die Ignoranz der weißen Bevölkerung für das Leid und die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung.
Die Ausschreitungen gegen den Pastor Bradshaw am Ende des Buches wurden von den weißen Tätern als Strafe für die gesamte schwarze Bevölkerung des Staates interpretiert und sie legitimierten sie damit, dass dieser der letzte man of colour sei, den sie misshandeln und erniedrigen könnten. Der mehr oder weniger liberale Dewey Willson, der mit ihm vor den Ausschreitungen im Wagen gesessen hatte, entschied sich schließlich auf Basis der Aussage Mr. Harpers (der Autoritätsperson der Männer auf der Veranda) dies sei die letzte solche Ausschreitung, dagegen etwas zu tun und den Pastor zu retten und trank stattdessen mit Mr. Harper einen Kaffee. Am Ende war er also nicht besser, als die Männer, die Bradshaw töteten. Er nahm seinen Tod hin, weil er ihn nicht als Person wahrnahm, sondern als Schwarzen, nur so konnte sein Tod und seine Erniedrigung relativiert werden.
Dies unterstützt die Message des Buches, die, wie im Nachwort geschildert darauf basiert, dass das Rassenproblem Amerikas, wie von dem Historiker Lerone Bennett Jr. verfasst ein weißes Problem ist. Das Ende des Buches ist ein tragisches und pessimistisches, trotz dem Erfolg der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Die moralischen Fähigkeiten der weißen Bevölkerung werden als mickrig und unzulänglich entlarvt, da trotz ihrer teilweise vorliegenden Ambitionen alle weißen Charaktere ignorant und verständnislos bleiben, das ist ihr tragisches Los unter dem natürlich am Ende Bradshaw leiden musste, jedoch nicht mehr der Rest der schwarzen Bevölkerung Suttons. Diese hat sich selbst befreit, einen Grund die Weißen von ihrer Ignoranz und Blindheit zu befreien hatte sie nicht, da diesen das Privileg der Einsicht nicht zustand. Das ist, meiner Meinung nach auch weshalb sich die people of colour bis auf Bradshaw nicht rechtfertigten oder versuchten den Weißen etwas zu erklären. Das machte letztlich ihre Befreiung aus.
Das Zitat von Henry David Thoreau, das an den Anfang des Buches gestellt ist:
"Wenn jemand mit seinen Gefährten nicht Schritt hält, so tut er es vielleicht deshalb nicht, weil er einen anderen Trommler hört. Lasst ihn zu der Musik marschieren, die er hört, wie immer ihr Takt und wie fern sie selbst auch sei."
besagt, glaube ich, genau das, dass man sich nicht dadurch befreien kann zu versuchen, einer blinden Person das Sehen beizubringen, einer Person, die in diesem Fall das Leid des Gegenübers nicht verstehen will oder kann, dieses erklären zu wollen und so nicht nach der Absolution einer solchen Person zu streben, sondern sich diese selbst zu geben.