Das Buch erzählt von einem Ort, einem Hotel, in dem in fünf Episoden fünf Personen und ihre Geschichten beleuchtet werden. Dabei gibt es einen gemeinsamen Nenner, einen (blut)roten Faden, der sich durchs Buch zieht.
Die Sprache:
Die Sprache der Autorin ist sehr wortgewaltig. Es geht nicht nur darum, was passiert, sondern auch viel um Emotionen, Innenleben und Athmosphäre. Andere AutorInnen hätten selben Inhalt wohl auf deutlich weniger Seiten untergebracht.
Aber ist das jetzt schlecht? Meiner Meinung nach nicht. Das Buch, die Geschichten und der Erzählstil Faye Hells haben mich gefesselt, mit Worten umschlungen und hinabgezogen in lichtlose Untiefen des menschlichen Handelns. Weniger Worte hätten nicht den Effekt gehabt, jedes einzelne wird benötigt um das umfassen Grauen vor dem Leser auszubreiten. Mich persönlich hat das sehr abgeholt, tief in die Texte eintauchen lassen, tiefer als ich es bei bei mancher Episode wollte.
Der Inhalt:
Das erste Kapitel "Blanke Zahlen" ist klassischer Horror, ebenso "4 Minuten". Vor allem ersteres hat mich sehr begeistert. "Stillschweigend" hat mir die Gänsehaut aufrennen lassen. Wieder einmal ist es der Abgrund der Seele, der einen ängstigt.
Aber die beiden anderen Kapitel sind ... heftig. Heftigst.
Als Horror und Splatterfan halte ich mich für abgehärtet, aber "Der schöne Christian" hat mich eiskalt erwischt. Ohne zu spoilern: Der Anfang ist schlimm, aber die Kehrseite der Medaillie ist bedeutend schlimmer.
Sowohl "Makellos" als auch "Fegefeuer" sind bitterböse, zynisch, gewalttätig, bluttriefend, zerstörend, verstörend, ekelerregend, explizit und abstoßend. Das ist nicht negativ gemeint. ;) Man muss wissen, worauf man sich einlässt und auch dorthin gehen, wo es wehtut. Sich das hässliche Zerrgesicht der menschlichen Willensfreiheit ansehen.
Und so viel sei verraten: Es tut verdammt weh. Auf der Skala der heftigen Dinge die ich in Büchern gelesen und Filmen gesehen habe, war das, was da abgegangen ist, eine 10/10.
In der Diskussion um Triggerwarnungen muss ich sagen, hier wäre eine für (sexuelle) Gewalt durchaus angebracht. Ich hab mich mehrmals bei dem Gedanken ertappt, ob ein männlicher Autor das ungestraft so schreiben hätte dürfen, sehr unangenehmer, starker Tobak. Selten hat mir eine Geschichte so zugesetzt, wie die Lebensgeschichte von Christian. Das hat mich nach dem im Verhältnis sehr soften Einstieg unerwartet getroffen.
Ein Fun Fact dazu: Ich hab das Kapitel teilweise beim Tätowieren gelesen, was den Schmerz im Buch wirklich immersiv und erlebbar gemacht hat. Bei "Fegefeuer" erahnte ich dann bereits was mich erwartet.
Fazit:
Der Schreibstil und der schwere, drückende Inhalt machen "Keine Menschenseele" zu keinem einfachen Buch, keines, dass man sich an einem sonnigen Tag auf der Veranda zu Gemüte führt. Man muss sich darauf einlassen, sich abholen lassen, auf eine Reise in die Hölle, geschaffen durch die Hände der Charaktere und durch die Feder Faye Hells. Ein Trip, den nicht jede/r Leser/in schaffen wird.
5/5 Narben auf der Leserseele, Chapeau!