Lebensbeschreibungen lese ich ausgesprochen gerne. Umso mehr, wenn sie gut und flüssig geschrieben sind. Und ganz besonders dann, wenn Autor oder Autorin durch persönliches Kennen, gründliche Recherche und viel Empathie nahe am „Gegenstand“ ihres Schreibens sind. Alle diese Voraussetzungen sind bei dem Buch „Nur 24 Zeilen“ gegeben. Erika von Wietersheim schreibt als erfahrene Journalistin flüssig, verständlich, differenziert und unterhaltsam. Die Lebens- und Liebesgeschichte, die sie beschreibt, ist die ihrer Eltern. Der Fokus liegt vor allem auf den schier unglaublichen Begebenheiten im Leben ihres Vaters als junger Mann. Der hat 1934 in Deutschland seine Lehrerausbildung absolviert und dann beschlossen, den Berufseinstieg in Südafrika zu unternehmen. Fünf Jahre ist er in der Südafrikanischen Union, zu der das heutige Namibia gehört, als Lehrer tätig, taucht in die deutsche Community ein und lernt schließlich ein junges Mädchen kennen, von dem er sich sofort sicher ist, dass sie später einmal seine Frau sein wird. Mit Kriegsausbruch im Sommer 1939 flieht er aus dem Land, um der Internierung zu entgehen. Er will zurück nach Deutschland, kommt dort jedoch 10 Jahre lang nicht an, sondern überlebt Schiffbrüche und durchsteht Gefangenenlager in Afrika, Europa und schließlich in Australien. Seelische Stütze in dieser äußerst herausfordernden Zeit ist ihm der Briefwechsel mit seiner südafrikanischen Freundin, die in den Jahren die Schule abschließt, eine Lehrerausbildung durchläuft und in ihrem Beruf arbeitet. Die Briefe – seine sind kurz, dürfen aus dem Lager nur 24 Zeilen umfassen – sind monatelang unterwegs. Schwieriger und schwieriger wird es, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Schließlich reißt der Faden, alles scheint umsonst gewesen zu sein. Doch der Vater der Autorin gibt nicht auf, gelangt schließlich zurück nach Südafrika, und es gelingt ihm in einem dramatischen Wettlauf mit der Zeit, das Herz seiner Liebsten wieder zu gewinnen. Das Buch „Nur 24 Zeilen“ macht auch die Zeitumstände – Hitler regiert in Deutschland, entfesselt schließlich den Zweiten Weltkrieg – anschaulich, zumal in der überaus reduzierten Wahrnehmung aus dem fernen Ausland und von praktisch allen Nachrichten abgeschlossen im Lager. Die Autorin des Buches wurde 1952 in Namibia geboren, hat viele Jahre auch in Deutschland gelebt, pendelt heute zwischen Europa und Afrika. Sie rekonstruierte die Geschichte aus dem Briefwechsel ihrer Eltern viele Jahre nach dem Tod des Vaters. Eine spannende und berührende Lektüre, uneingeschränkt empfehlenswert. (Und wer wissen möchte, wie es Wietersheim in vierwöchiger Wüsteneinsamkeit ging, als sie das Buch schrieb, dem sei noch ihr Büchlein „Aus-Zeit“ zum Lesen empfohlen).
M
MeretHansen
- Mitglied seit 24.09.2017
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Kurzmeinung: Eine unglaubliche Lebensgeschichte, spannend und berührend erzählt. Sehr zu empfehlen.
Eine unglaubliche Lebensgeschichte, aber wahr
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MeretHansen ist ein Mysterium. 🕵️♂️