Bewertung zu "Das Gewicht aller Dinge" von Britta Röder
Sie erwacht auf einer Parkbank in Frankfurt. In einem dünnen Kleid und barfuß - ohne sich daran zu erinnern, wie sie dorthin gelangt ist. Woher sie kommt. Wie sie heißt. Wer sie ist. Wohin die Menschen um sie herum eilen.
Aber diese fremden Menschen sind es, in denen sie etwas auslöst. Allein mit ihrer Anwesenheit. Manche empfinden Trost in ihrer Nähe, die Erinnerung an eine vergangene Liebe oder einen verstorbenen Menschen. Und sie können nicht anders, als sich auf sie einzulassen, sich ihrer anzunehmen, sie bei sich aufzunehmen, ihr Essen, Schuhe, ein Bett, Arbeit zu geben. Und einen Namen. Angelica.
„Das Gewicht aller Dinge“ ist ein leiser Roman. Einer, der keine spannungsgeladenen Übergänge, keine Effekthascherei braucht, weil es ihm mit seiner ausdrucksstarken Sprache schon auf den ersten Seiten gelingt, Leserinnen und Leser auf besondere Weise für sich einzunehmen.
Kapitel für Kapitel nimmt die Autorin ihre Leserschaft an die Hand, um von den Menschen zu erzählen, denen Angelica begegnet, und von ihren Lebensgeschichten, die sie bereitwillig vor Angelica aufblättern. Wie durch ein unsichtbares Band mit ihr verbunden, so fühlen sie sich, ohne es näher erklären zu können.
Doch Angelica selbst bleibt unergründlich, ein Rätsel, ein wenig nebulös, nicht richtig greifbar. Als liege ein Schleier über ihr, der ihr wahres Ich verbirgt. Immer wieder habe ich mir gewünscht, endlich zu erfahren, wer sie ist, warum sie fließend zahlreiche Sprachen spricht, warum sie nicht zu (be)greifen, nicht einzuordnen, nicht aus der Ruhe zu bringen ist, warum sie in jeder Begegnung etwas unbeteiligt wirkt, obwohl ihre Gegenwart in anderen stets starke Emotionen auslöst. Diese Fragen gilt es auszuhalten – in der Hoffnung, die Antwort im nächsten oder im übernächsten Kapitel zu finden.
Ob die Autorin diesen Schleier lüftet und das Geheimnis um ihre Protagonistin löst, verrate ich natürlich nicht...
Nicht unerwähnt soll dagegen bleiben, dass sich im Verlauf der Geschichte mehr und mehr herauskristallisiert, wie viel Philosophie in diesem wunderbaren, knapp zweihundertseitigen Roman steckt. Zahlreiche der mit Bedacht und gekonnt formulierten Sätze habe ich zweimal, dreimal gelesen, weil Britta Röder es mit ihrem besonderen Schreibstil versteht, Alltäglichkeiten mit tiefen Einsichten zu verbinden - auf eine Weise, die aus diesen Alltäglichkeiten kleine Besonderheiten macht.
Ein Roman, der zu 100% hält, was Cover und Buchtitel versprechen.