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Monsignore

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Kleiner Mann – was nun? (ISBN: 9783351036416)

Bewertung zu "Kleiner Mann – was nun?" von Hans Fallada

Kleiner Mann – was nun?
Monsignorevor 8 Jahren
Neuentdeckung eines großen Romans

Fallada war ein extrem zurückhaltender Mensch mit einem geradezu verborgenen, aber sehr wachsamen Blick auf die Wirklichkeit seiner Zeit. Er benötigt 2-3 Sätze und die Figur steht dem Leser klar vor Augen.

In diesem Roman sind es zwei Liebende aus einfachen bis chaotischen Verhältnissen und ab der Hälfte des Buches kommt ihr Baby dazu. Herzergreifend und anrührend ist die Story, ohne auch nur ansatzweise kitschig zu werden. Zu Beginn der 1930-er Jahre spielend, sind die Themen Arbeitslosigkeit, Hunger, Perspektivlosigkeit, Aufkeimen der politischen Extremen, Ausbeutung und Politikversagen. Dem beklemmenden Stoff wird die Liebesgeschichte entgegen gestellt und sehr geschickt dramaturgisch entwickelt.

Fallada und sein Verlag kürzten den Roman aus politischen Gründen - und sie kürzten massiv. Jetzt liegt das Buch endlich in vollständiger Fassung vor. Die bisher fehlenden Textteile geben dem Buch ein neues Gesicht, eine neue literarische Intensität.

Cover des Buches Letzte Haut (ISBN: 9783882217445)

Bewertung zu "Letzte Haut" von Volker H. Altwasser

Letzte Haut
Monsignorevor 8 Jahren
Das Unrecht im noch größeren Unrecht bekämpfen.

Eine aberwitzige Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht. Da wird ein promovierter Richter, Jahrgangsbester und in SS-Uniform, in Konzentrationslager geschickt, um die Korruption beim Leitungspersonal vor Gericht zu bringen. "Die SS soll sauber bleiben", hat der Reichsführer gesagt und meint es ernst. Der Richter gilt als hochverdienter Korruptionsjäger. Ausgestattet mit Vollmachten von allerhöchster Stelle und mit Kriminalassistenten an seiner Seite sieht er alles, was in den Lagern geschieht - und legt Akten über Unterschlagung, Bereicherung und Dienstvergehen an. Erst spät kommt er auf den Gedanken, dass das Geschehen in den Lagern auch etwas mit Mord zu tun haben könnte. Doch hierfür NS-gerichtstaugliche Beweise zu finden, ist sehr schwierig.

Im Buch heißt der Richter Kurt Schmelz. Der tatsächliche Richter hieß Konrad Morgen und hat tatsächlich einen KZ-Kommandanten an den Galgen gebracht. Wieviele Morde und Folterungen der Richter selbst auf dem Gewissen hat, ist historisch unklar. Allerdings traf er beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als Zeuge der Verteidigung auf und schilderte die Konzentrationslager als friedliche, beschauliche Orte. Er war bis 1979 als Rechtsanwalt in Frankfurt/Main tätig.

Je mehr man über diesen Stoff recherchiert, desto aberwitziger wird die ganze Geschichte. Und so ist es auch beim Lesen, man gerät von einer unfassbaren Geschichte in die nächste.

Das Thema "Haut" durchzieht den gut konstruierten Roman, der aber auch einige Längen hat, Kürzungen hätten dem Buch gut getan. Dabei geht es nicht nur um die hautbespannten Lampenschirme - das Lebensende des Richters im Nachkriegs-Frankfurt ist beherrscht von einer grausamen Krankheit: er verfault bei lebendigem Leib, seine Haut löst sich vom Körper ...

Cover des Buches Das Kleid meiner Mutter (ISBN: 9783518425169)

Bewertung zu "Das Kleid meiner Mutter" von Anna Katharina Hahn

Das Kleid meiner Mutter
Monsignorevor 8 Jahren
Ganz großes Romantheater, schräg und fließend ...

Der Leser erfährt nicht, warum die Eltern plötzlich tot im Bett liegen. Doch der arbeits- und chancenlosen Akademikerin, die im Elternhaus mehr schlecht als recht leben kann, ist klar: die Rente muss weiter fließen. Sie vertuscht das Ableben nicht nur, sie nimmt in den Kleidern der Toten deren Rollen ein. Und unweigerlich entdeckt sie die Geheimnisse ihrer Eltern: Liebhaber, Lügen, Tarnungen. Offensichtlich haben sich in dieser Familie alle etwas vorgemacht und es hat funktioniert - funktioniert  immer noch.

Eine große Prise Fantastik durchweht diesen glänzend strukturierten und verschachtelten Roman, dazu viele Anleihen aus der Romantik,  der Bibel. Und Luzifer mit Hündchen kommt auch drin vor.

Dabei hat das Buch viele Gegenwartsbezüge: Der wirtschaftliche Niedergang weiter Teile Europas, die Hoffnungslosigkeit der spanischen Jugend, Nazideutschland und die Flut im Oderbruch.

Es kommt richtig dicke in diesem Buch, manchmal zu dick, aber toll geschrieben mit wunderbaren Gedankengängen und Formulierungen.


Cover des Buches Effi Briest (ISBN: 9783596512089)

Bewertung zu "Effi Briest" von Theodor Fontane

Effi Briest
Monsignorevor 8 Jahren
"Ohne Leichtsinn ist das Leben keinen Schuß Pulver wert."

Klassiker haben es schwer, insbesondere aufgrund der giftgelben Zumutungen in der Schule. Erstaunlicherweise hat es mir Fontane in dieser Hinsicht immer leicht gemacht - sowohl in alten Schulzeiten als auch heute beim nochmaligen Lesen. Warum? - Weil ihm ein zeitloser dynamischer Lesefluss gelingt, weil seine Figuren so schnell erfassbar und in all ihrer Tiefe begreifbar sind, weil die Motive unverstellt offen liegen. Und weil der Stoff schlichtweg grandios ist.

Hinzu kommen Spannungselemente wie ein Spukhaus, eine verbotene Liebe, ein Duell und der Niedergang einer vom Leser lieb gewonnenen Effi Briest. Und dann die markigen preußischen Sätze, z.B. "Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar, und Ihr Lebensglück ist hin."

Zum Inhalt sage ich hier nichts, den kann jeder bei Wikipedia nachlesen oder - besser noch - gleich den Roman lesen. 1896 veröffentlicht, hat er in seinen Grundmotiven mehr als ein Jahrhundert überdauert, ist besser lesbar als manch verschwurbelter Gegenwartsroman.

Cover des Buches Macht (ISBN: 9783869710082)

Bewertung zu "Macht" von Karen Duve

Macht
Monsignorevor 8 Jahren
Wenn das Ende nah und die Verjüngungspille auf dem Markt ist ...


Olaf Scholz hat es im Jahr 2031 als Quotenmann zum Bundeskanzler  einer öko-feministischen Regierung gebracht. Und es sieht schlimm aus, unrettbar schlimm: die selbstgemachte ökologische Katastrophe trifft alle, dem Planeten werden noch 5 Jahre gegeben. Für Fleischessen und Autofahren muss man ein ausreichendes CO²-Punktekonto haben. Testosterongesteuerte Manager und Politiker haben das angerichtet.
Einziges Trostpflaster ist das frei verfügbare Medikament Ephebo, welches in jeder Beziehung um bis zu 30 Jahre jünger macht; allerdings liegt bei der Einnahme das Krebsrisiko bei über 50 % und die Krankenkassen zahlen in diesem Fall nicht.

So weit, so gut und manchmal plump.
Doch der Roman hat einen Täter im Mittelpunkt. Sebastian hat die Schnauze voll vom Feminismus und hat seine Frau - Regierungsmitglied - in einem schalldichten Keller mit großzügiger Küchenzeile eingesperrt. Dort fällt er nach Belieben über sie her, nachdem sie ihm Plätzchen und Gulasch zubereitet hat. Die Demütigung ist sein Ventil.

Der Roman ist eine Mischung aus Gedankenexperiment, Belehrung und Satire. Eine schöne Mischung mit beeindruckenden Textstellen:
"Gerechtigkeit? Gerechtigkeit ist etwas, von dem nur die Schwachen profitieren."

Und als Ex-Katholiken gefallen mir im Buch die christlichen Endzeit-Auswüchse, z.B. gibt es die "Johannesjünger der sieben Posaunenplagen" mit ihrem "Buch der unanfechtbaren Erkenntnisse". Daraus muss frau erst mal kommen ...

Cover des Buches An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts (ISBN: 9783100024701)

Bewertung zu "An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts" von Roland Schimmelpfennig

An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Monsignorevor 8 Jahren
Nicht Fisch, nicht Fleisch, nur etwas Brühe ...


Laut Klappentext handelt es sich um den Erstlingsroman des meistgespielten Gegenwartsdramatikers Deutschland.
Nun ja, die dramaturgischen Fähigkeiten des Autors sind unübersehbar - und letztlich wirkt das Buch wie eine Regiearbeit für das Bildungsbürgertum und dessen Rezensenten.

Gelungen ist das Wolfs-Motiv. Der einsame und hungrige Wolf bewegt sich im Winter vom Osten her nach Berlin, kommt in die Stadt. Mit ihm kommen diverse Personen aus unterschiedlichen Motiven ebenfalls nach Berlin. Wie ein Theaterensemble werden die Personen in knapp und prägnant geschriebenen Schlaglichtern in Richtung Wolf zusammengezogen.

Gelungen ist ebenfalls die Sprache, vor allem die Bildersprache. Da sind einige Seiten, an denen sich der Leser regelrecht besaufen kann.
Aber das ist es dann auch. "Roman" steht vorne drauf. Aber ein Roman ist mehr, viel mehr, z.B. fehlen sich entwickelnde Figuren, eingebettet in einen Zeitzusammenhang.

Wie es sich für diese Modetexte gehört, wird einem auch gleich erklärt, um was es geht - meine Güte, wie oft habe ich das schon gelesen oder gehört: die Kälte unserer Zeit, das Verlorensein, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, die Suche als vergebliches Lebensmotiv ... Na dann "Prost-Mahlzeit!" wie der Rheinländer sagt.

Cover des Buches Drohnenland (ISBN: 9783462046625)

Bewertung zu "Drohnenland" von Tom Hillenbrand

Drohnenland
Monsignorevor 8 Jahren
Wenn Drohnen nicht nur Pakete zustellen ...

Smartphones sind völlig out. Datenbrillen und Kehlkopfgeräte sind an ihre Stelle getreten. Und Drohnen überall. Die Raumreinigungs- und Gartenpflegedrohnen sind ja noch praktisch, aber die diversen Polizei- und Geheimdienstdrohnen sorgen für totale Überwachung. Ermittler arbeiten in gespiegelten Simulationen, ein intelligentes Großrechnersystem unterstützt dabei.

Eingepackt in einen klassischen Kriminalfall (toter Europaabgeordneter in Brüssel) kommt die vorstellbare und beklemmende Zukunft daher. Wobei dem Autor etwas die Fantasie durchgeht: In naher Zukunft sind die Niederlande aufgrund des Klimawandels komplett abgesoffen, die arabischen Länder nach einem atomar geführten Krieg verseucht, die USA nach Staatsbankrott unbedeutend. Die Währung lautet "Nord-Euro".

Terror, Korruption und wirtschaftliche Gier haben die Europäische Union zu einem totalitären Überwachungsstaat gemacht. Nur die Briten wollen austreten und paktieren mit dem russischen organisierten Verbrechen. Der EU-Geheimdienst führt ein menschenverachtendes Eigenleben in unsichtbaren virtuellen Räumen.

Ständig überschlagen sich die Ereignisse, alle paar Seiten sitzt jemand einer Täuschung oder Datenillusion auf, die Grenzen der Realität sind schwer auszumachen. Dem Autor gelingt eine Zukunftsvision, die greifbar erscheint, ähnlich wie in "Der Circle"von Dave Eggers. Und es gibt schöne Seitenhiebe, z.B. haben sich die Christen inzwischen auch radikalisiert und neigen zur Gewalt, insbesondere Splittergruppen wie die "Sturmjesuiten" und die "Lanze Christi" - schöne Sprachspiele!

Cover des Buches Weit über das Land (ISBN: 9783100022271)

Bewertung zu "Weit über das Land" von Peter Stamm

Weit über das Land
Monsignorevor 8 Jahren
Weit, weit fort über das Land ...

Auch wenn 97 % aller Vermisstenfälle in Deutschland aufgeklärt werden, so bleiben doch tausende Menschen spurlos verschwunden. Es ist der Traum vieler: sich von heute auf morgen allem entziehen, mit neuer Identität wo ganz anders neu anfangen.

Der Familienvater in diesem Buch steht einfach auf und geht - ohne Vorbereitung, ohne Plan, anscheinend ohne Gedanken an irgendwas. Über sein Motiv kann man nur mutmaßen. Die Familie arrangiert sich schnell mit seiner Abwesenheit, der Arbeitgeber reagiert unaufgeregt, einzig der zuständige Polizist zeigt Anteilnahme.

Seine Flucht ist erfolgreich, er schlägt sich durch, erst in der Schweiz, dann in vielen anderen Ländern. Bald wartet niemand mehr auf ihn.

Die schmucklose und schnörellose Sprache mit kurzen Sätzen (außer in den so schönen Landschaftsbeschreibungen in der Schweiz!) zieht in den Bann. Die Geschichte dieses Mannes geht unter die Haut. Und gerade weil ein Erklärungsmuster fehlt, nur wenige Andeutungen vorhanden sind und der Autor an keiner Stelle psychologisiert, gerade deshalb kann beim Leser die Fantasie blühen ...

Cover des Buches Der Grund (ISBN: 9783499268823)

Bewertung zu "Der Grund" von Anne von Canal

Der Grund
Monsignorevor 8 Jahren
Wenn nichts im Leben mehr Bestand hat, immer wieder ...

Das Meer und die Musik sind die großen Leidenschaften dieses Romans, der trotz seiner geschickten Verschachtelung verschiedener Zeitebenen sehr leichtfüßig daher kommt.

Der Vorspann gibt den Funkverkehr zwischen zwei Schiffen wieder, eines davon in Seenot; beim Versuch der Positionsbestimmung reißt der Funkverkehr ab. Ein Funkverkehr, der tatsächlich so stattgefunden hat - doch mehr sei nicht verraten ...

Zu Beginn begegnet man einem Pianospieler auf einem Kreuzfahrtschiff, der offensichtlich schon bessere Tage gesehen hat und auf der Flucht vor den Menschen und dem Menschsein ist. Das Buch ist seine Lebensgeschichte, die es in sich hat: Hinterhältiger Verrat, eine aufgezwungene Lebenslüge und ein schwerer Schicksalsschlag zwingen ihn immer wieder zu Neuanfängen.

Eine wunderschöne Sprache, an der man sich berauschen kann - hoffentlich kann die Autorin weitere Roman mit dieser Intensität und diesem Ideenreichtum schreiben ...

Cover des Buches I Saw a Man (ISBN: 9783641154295)

Bewertung zu "I Saw a Man" von Owen Sheers

I Saw a Man
Monsignorevor 8 Jahren
Zuchtmeister Tod und seine Wirkung auf Menschenleben

Eine gewaltige Story von Shakespearschem Ausmaß - wie ein Getriebener breitet der Erzähler schnell und fieberhaft seine Geschichte aus. Eine Geschichte von der Last schwerwiegender Geheimnisse, unerträglicher Schuld, verkrampften Schweigens und der Suche nach einem Ausweg.
Doch auch der Leser wird zum Getriebenen, denn die Erzählhaltung ist dem Leser stets einen Schritt voraus, mit dem Leser wird geschickt gespielt, seine Erwartungen und Mutmaßungen gehen häufig ins Leere, die Handlung überschlägt sich; die Handlung bricht mehrfach über den Figuren zusammen.
Lange habe ich keine so überzeugend-gute Romankonstrution gelesen, es erinnert an Anthony McCarten und Ian McEwan.

Über mich

  • männlich
  • 14.06.1962

Lieblingsgenres

Krimis und Thriller, Historische Romane, Literatur, Unterhaltung

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