NicolasDierks
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NicolasDierks´ Bücher
Zur BibliothekRezensionen und Bewertungen
Axel Honneth gehört bereits zu den Klassikern der kritischen Theorie. Nach Adorno/Horkheimer und Habermas/Apel vertritt er die dritte Generation der Frankfurter Schule. Dieses Buch ist aus seiner Habilitation entstanden und will, in Antwort auf die Schriften Foucaults, das theoretische Fundament einer normativen Gesellschaftstheorie auf Grundlage eines anerkennungstheoretischen Konzepts menschlichen Lebens legen.
Dies ist ein Fachbuch und deshalb ist der akademische Stil und die debattenorientierte Behandlung des Themas Programm. Honneth setzt, ganz in der Tradition der FS, bei Hegel an, geht dann mit G. H. Mead darüber hinaus und macht im dritten Schritt Vorschläge, wie das anspruchsvolle Programm einer öffentlichen Wertegemeinschaft unter Bedingungen der Moderne einzulösen wäre.
Spannend ist der Einstieg, wenn Honneth die entscheidende Einsicht des jungen Hegel in Jena rekonstruiert. Dieser hatte ein vorausweisendes Konzept eines "Kampfes um Anerkennung" als eines moralischen Bildungsprozesses der Gesellschaft entworfen, allerdings dieses Potential durch Preisgabe einer der individuellen Selbstverwirklichung vorgänigen Intersubjektivität nicht entfaltet.
Honneth setzt bei der Sozialpsychologie Meads an, um durch die Wiedergewinnung der vorgänigen Intersubjektivität in Meads Interaktionismus den Weg für eine Entwicklung jenseits der bloßen Rechtsgemeinschaft frei zu machen. Allerdings fehle bei Mead die familiäre Dimension, die Honneth im Anschluss an die psychoanalytische Theorie der Objektbeziehung einzuholen gedenkt. In der Differenzierung der Erfahrungen von Mißachtungen erarbeitet Honneth dann sowohl den motivationalen Hintergrund für den "Kampf um Anerkennung" als auch die groben Umrisse eines formalen Konzeptes der Sittlichkeit.
Letztlich eröffnet Honneth die Spannung zwischen dem Pluralismus einer posttraditionalen Gesellschaft einerseits und dem integrierenden Charakter einer öffentlichen Sittlichkeit. Gerade in der Austragung dieser Spannung und dem Verständnis ihres formalen Rahmen kann der aufklärende Charakter kritischer Theoriebildung liegen - die konkreten Gehalte dieser öffentlichen Sittlichkeit, d.h. einer gemeinsamen Vorstellung eines guten Lebens, sind nicht mehr Gegenstand der Theoriebildung, sondern der konkreten gesellschaftlichen Kämpfe um Anerkennung.
Ein außerordentlich spannendes Buch - mit einem dichten theoretischen Faden. Mit umfangreichem Wissen steuert Honneth direkt auf die theoretischen Kernpunkte verschiedener theoretischer Felder zu und integriert diese theoretisch stimmig. Man hätte sich vielleicht die Auseinandersetzung mit Mead und der Objektbeziehungstheorie ähnlich detailliert gewünscht, wie jene mit dem jungen Hegel. Auch eine weitere Aktualisierung wäre denkbar. Doch für eine theoretische Grundlegung, die dieses Buch leisten will, findet Honneth einen hervorragenden Rahmen mit vielen theoretischen und praktischen Anknüpfungsmöglichkeiten.
Eine lohnende Lektüre für alle, die eine tiefe Auseinandersetzung mit einer neueren Generation kritischer Theorie der Gesellschaft schätzen.
Bewertung zu "Warum Luther die Reformation versemmelt hat" von Friedrich Christian Delius
Bewertung zu "Das Café am Rande der Welt" von John Strelecky
Bewertung zu "The Therapy of Desire" von Martha C. Nussbaum
Bewertung zu "Mit Platon und Marilyn im Zug" von Helge Hesse
„Heloise hatte als Frau keine Wahl. Und doch traf sie eine.“ Es sind Sätze wie diese, mit denen Helge Hesse historische Themen zu Momenten der Entscheidung von Menschen aus Fleisch und Blut werden lässt. Wenn Sie persönlich an Geschichte interessiert sind, an Biographien und daran, was man aus ihnen lernen kann, dann ist dieses Buch für Sie das richtige.
Hesse findet immer einen persönlichen Zugang. Er kann Situationen anschaulich schildern und historische Persönlichkeiten lebendig werden lassen. Nicht nur in seinen facettenreichen Beschreibungen, sondern auch darin, wie er die Figuren agieren lässt. Er hält sich dabei an die historischen Fakten, aber schafft es – wo es die Faktenlage zulässt – packende Erzählungen zu spinnen.
Hesse schreibt eloquent, arrangiert chronologisch, liefert teilweise etwas mehr Daten und Fakten als in Sachbüchern üblich. Aber auffällig ist sein Gespür für emotionale Befindlichkeiten. Ob Ablélard, Wittgenstein oder Marilyn Monroe, man versteht als Leser, worum es ihnen geht, was sie antreibt und mit welchen äußeren und inneren Hindernissen sie kämpfen – alles Elemente guter Erzählungen.
Besonders gelungen ist etwa das Kapitel über die tragische Liebe des Philosophen Abaelard und der jungen Heloise – ein geradezu shakespeareskes Drama im mittelalterlichen Paris.
Ansonsten fließt das Buch dann am natürlichsten und geistreichsten, wenn es um politische oder wirtschaftliche Zusammenhänge geht. An der Bekanntschaft des Renaissance-Philosophen Machiavelli mit dem Fürsten Cesare Borgia oder der eigentümlichen Begegnung Bismarcks mit dem Arbeiterführer Ferdinand Lasalle entfaltet Hesse wie ein Prisma die wechselnden Bedingungen und Interessen der Akteure.
Die gute Balance zwischen Erzählung und Fakten schafft, was gute erzählende Sachbücher ausmacht: Der Leser folgt der inneren Bewegung einer Erzählung und erlebt Fakten als bedeutsam, weil er weiß, was von ihnen abhängt.
Wen der Name Platon zögern lässt, der sei beruhigt. Das erste Kapitel kommt zwar (schon aufgrund der dünnen Faktenlage) etwas gedankenlastig daher. Doch man kann nur hoffen, dass dieses Leser nicht davon abhält, die wirklichen Schätze des Buches zu heben. Das Buch erhebt keinen moralischen Zeigefinger, macht keine komplizierten Theorien mundgerecht und belehrt auch nicht mit allgemeinen Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Das Buch tut etwas viel Wertvolleres.
Es gibt vieles im Leben, das wir nicht durch Regeln oder Traktate lernen, sondern nur durch Erfahrungen im Leben selbst: Menschenkenntnis, Situationsgespür, Taktgefühl etc. Die dafür prägenden Erfahrungen teilen wir seit Menschengedenken durch Erzählungen. Solche Erfahrungen kristallisieren sich hier in Lebensgängen bekannter Persönlichkeiten, durchaus als Beitrag zu einer modernen Mythologie vergleichbar. Indem Hesse die Erfahrungen historischer Persönlichkeiten den Leser miterleben lässt, macht er den menschlichen Erfahrungsgehalt von Geschichte zugänglich. Stärker als jede zusammenfassende „Moral von der Geschicht“ sprechen die Erzählungen selbst.
Klare Leseempfehlung – und man darf auf weitere Bücher des Autors gespannt sein.
Bewertung zu "Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden" von Raymond Carver
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