Bewertung zu "Der große Gatsby: Roman Neu übersetzt von Lutz-W. Wolff" von F. Scott Fitzgerald
An deutschen Übersetzungen des Klassikers von F. Scott Fitzgerald wird oft bemängelt, dass sie nicht in der Lage seien, die sprachliche Schönheit des Originals treffend zu transportieren. Nach der Lektüre der recht neuen Übersetzung von Lutz-W. Wolff wage ich, derartigen Behauptungen zu widersprechen (was ich mir selbstredend nur herausnehme, weil ich auch die amerikanische Vorlage gelesen habe). Dem Übersetzer ist es, meiner Ansicht nach, ausgesprochen gut gelungen, das ekstatische Vibrieren von nächtlichen Partyszenen und die swingende Leichtigkeit der unverschämt reichen Menschen in ausgewählten Worten einzufangen. Er hat sowohl die Dialoge als auch die Personenbeschreibungen so sensibel übersetzt, dass sie ihre eigentümliche Aussage, ihren besonderen Nachgeschmack, nicht einbüßen.
Der Roman hat mich melancholisch und gerührt hinterlassen, er hat mich weiterhin dazu bewegt, mir noch am selben Abend die Verfilmung aus dem Jahr 2013 anzusehen, weil ich nicht mehr "auftauchen" wollte aus dieser eigenen Welt, die der Autor innerhalb der erzählten Geschichte aufspannt. Nun, ein paar Tage nach dem sich zwangsweise einstellenden "Auftauchen" versuche ich, zu verbalisieren, was mir an "Der große Gatsby" so gut gefällt und warum dieser Roman zu Recht als ein Meisterwerk der amerikanischen Literatur gilt.
Die Geschichte des ominösen und sehr reichen Jay Gatsby spielt im New York der frühen 20er Jahre und beschreibt auf eindrückliche Weise das pulsierende Lebensgefühl, das der wirtschaftliche Aufschwungs mit sich brachte. Neben der reichen Gesellschaft, die lärmend den Überfluss zelebriert, wird im Roman auch das so genannte "Tal der Asche" thematisiert, in welchem die Arbeiterschicht ihr farbloses Dasein fristet und den Reichen nur müde hinterschauen kann, wenn diese mit ihren knallbunten Autos durch das Tal hindurchbrausen. Diese Gegenüberstellung von maßlosem Luxus und Mangel finde ich sehr vielsagend und überdies hält sie eine Zeitlosigkeit inne, die vielleicht nicht sofort ins Auge fällt. Doch auch auf unsere heutige Gesellschaftsstruktur übertragen funktioniert die Analogie erschreckend gut.
Die sprachlichen Beschreibungen, die F. Scott Fitzgerald heranzieht, um Sachverhalte, Personen oder Situationen zu beschreiben, sind oft mit unerwarteten Adjektiven gespickt ("gelbe Cocktailmusik", "eierschalengelber Rolls-Royce") und bestechen durch eine Leichtigkeit, die schriftstellerischer Artistik entspringt.
Spannend finde ich auch den geschickt eingesetzten Ich-Erzähler, Nick Carraway, der anfangs eher von außen schildert, was geschieht, bis er im Laufe der sich zuspitzenden Ereignisse immer mehr selbst in die Handlung verstrickt wird und sich schließlich emotional unwiderruflich in ihr verheddert.
Nicht zuletzt hat mich Daisy als Schlüsselfigur im Roman fasziniert. Dass diese Faszination nicht nur positiver Art ist, liegt vermutlich auf der Hand. Anfangs neigt man als Leser vielleicht dazu, mit ihr zu sympathisieren, da sie die zerbrechliche Geliebte Gatsbys zu sein scheint, die sich in den Fängen eines Ehemannes befindet, den sie aus der Not heraus heiratete. Doch Stück für Stück offenbart sich hinter dieser Fassade der Abgrund einer ignoranten und skrupellosen Person, die zwar Chaos in den Leben anderer Menschen anrichtet, jedoch nicht zur Verantwortung gezogen werden möchte, wenn die Ereignisse aus den Fugen geraten. Dass sie bei Gatsbys Beerdigung nicht auftaucht und zulässt, dass Gatsby ihre Schuld auf sich nimmt, sind nur zwei Beispiele, die dies illustrieren.
Gatsby selbst, der einem als Leser bis zum Ende des Buches ungewöhnlich wenig greifbar bleibt, hat mich letztlich, neben dem Ich-Erzähler der Geschichte, am nachhaltigsten eingenommen.
Als Figur, die die Hoffnung nicht aufgibt und seine eigenen Interessen hinten anstellt, um vergeblich zu versuchen, die Vergangenheit zu wiederholen, hat er mich tief bestürzt.
Fazit:
Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich vermutlich am Ende in das Buch eingestiegen, um Gatsbys Beerdigung beizuwohnen.
Wer diesen Klassiker bisher nicht gelesen hat, sollte es dringend nachholen.