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Peter_Pitsch

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Zeitsprünge und andere Spuren (ISBN: 9783958764279)

Bewertung zu "Zeitsprünge und andere Spuren" von Thorvald Berthelsen

Zeitsprünge und andere Spuren
Peter_Pitschvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Eines Dichters Odyssee durch menschliche Einöden und abwegige Geisteszustände.
Beobachtungen

Schon die bloße Beobachtung und Registrierung eines Objekts oder Zustandes führt zu einer Veränderung in Raum und Zeit. Ein einziger Flügelschlag, dessen Luftwirbelspur, und seine Auswirkung auf das Geschehen an einem anderen Ort. Im übertragenen Sinne: die Kraft eines Gedichts, seine Auswirkung auf die Vorgänge in einem anderen Geist.
Des Dichters Motivation und sein jeweiliges Motiv, das diesem oder jenem Text zugrunde liegt, befinden sich nicht unbedingt im Einklang mit dem Auffassungssystem des Lesers. Der Interpretationsraum dahingegen ist dem Text immanent und folglich ein Resultat des erdichteten Sinnbilds. Thorvald Berthelsens kurze Prosatexte, Gedichte und vor allem seine Haikus sind komprimierte, facettenreiche Gedankengebilde, die unsere Realität durch abstrakte Anschauungsweisen aus den Angeln heben und einen Gegenentwurf zum herkömmlichen Sprachgebrauch (mit seinen Phrasen und Worthülsen) bilden. Dem Sinn im Unsinn auf der Spur – und umgekehrt –, während des Dichters Odyssee durch menschliche Einöden und abwegige Geisteszustände. Von unbegreiflichen Prozessen wie der Zellteilung inmitten absurd anmutender Alltagsszenarien. Über die Krümmung der Zeit oder dem Strang des genetischen Codes als Urgrund allen Bestehens. Bis hin zu Schwarzen Löchern und dem Big Bang, mit dem das Dasein seinen Anfang nahm. Den weiträumigen Ausdrucksweisen zum Trotz, sind weder die große Geste noch ein allumfassender Pathos am Werk, wenn Thorvald Berthelsen in seiner Lyrik auf das Unmögliche verweist. Manchmal das Verbotene, schier Unerträgliche mit intuitivem Gespür für die unsichtbaren Zusammenhänge unseres Erlebens auslotet. All dies geschieht in einer an und für sich unfassbaren Welt. Seine An-Deutungen zeigen immer wieder in eine andere, noch unerforschte, bislang unbenannte Richtung. Fern von dem Befinden, das ein von Pragmatismus und Gewöhnung korrumpierter „Verstand“ als Normalzustand uns weiszumachen gedenkt. Thorvald Berthelsen hat Collagen entworfen – in Text und Bild –, um die Wechselwirkung zwischen Ideengefüge und weltlichem Schein, zwischen dem Unbewussten und der Intention, dem Ursprung und dem Begreifen zu veranschaulichen. Einigen seiner Haikus hat er eine bildliche Entsprechung zur Seite gestellt. Ein Aufgebot fiebriger Visionen, Szenen aus unserer heimischen Begriffswelt im hineinprojizierten Kontrast zum Wirrwarr aus Symbolen und kulturellen Archetypen. Abbildungen von Katastrophen und unbestimmbaren Motiven in optischer und augenscheinlicher Verfremdung. Wie festgefroren in einer Parallelwelt. Sie spiegeln wider, was seine Dichterstimme auf subtilere Art zum Ausdruck bringt: eine fremdartige Imagination. Der Versuch einer Ergründung des Rätselhaften, eines Eintauchens ins bodenlose Sein. Den Blick abwendend von tröstlichen Wiederholungen, die das Alltagsleben offeriert – mit seinen gemächlichen und gesättigten Lebensweisen. Auch deshalb, weil die „Rettungsbojen“ mit nichts als Luft gefüllt sind und ihn – zwangsläufig – zurückholen an die seichte Oberflächlichkeit. Was ihn umtreibt, ist keine Sehnsucht nach Himmel oder Hölle, seine Beweggründe sind anderer Natur. Indem er seine Verwunderung so kompromisslos entblößt, hält Berthelsen sich den Zugriff der Banalität vom Leib. An deren Stelle tritt etwas Wesentliches, etwas, das in seinen Texten als unmittelbare Erfahrung überliefert ist.

Cover des Buches Von Eigenheit durchtrieben (ISBN: 9783737544641)

Bewertung zu "Von Eigenheit durchtrieben" von Lorenz Filius

Von Eigenheit durchtrieben
Peter_Pitschvor 7 Jahren
Kurzmeinung: Studien der Selbstaufgabe, das Bedürfnis, sich der Sprache im Sinne von floselhaften Wortketten zu entziehen.
Weitaus mehr als Krämerei


„Untiefen trivialer Gedanken und Anekdoten um Zeit, Bewusstsein und das Leben.“


Es sind Studien der Selbstaufgabe, das Bedürfnis, sich auch der Sprache im Sinne von Wortketten floskelhafter Wiederholungen zu entziehen. Nicht immerfort durch die Maschen altbewährter gedanklicher respektive sprachlicher Strukturen die Außenwelt zu betrachten. Dahingegen zu erfassen, wie sich die Innenwelt darin verschanzt hat. Auf den Grunde gehend, die Suche eines Menschen nach festem Halt, nach einem Begreifen und nach Begriffen, ohne seine Individualität an einbetonierten Standpunkten festzuzurren. Ein zugleich sinnvolles wie sinnloses Unterfangen für jenen Dichter, dem längst alle Wurzeln und Stricke abhanden gekommen sind beim Durchreisen und Durchmessen einer Welt, die ihm eine VIELDEUTIGKEIT wohl aufzeigt, doch darin die Freiheit der Existenz allenfalls im Selbstverlust gestattet. 


„Da stehe ich, entwurzelt schon seit langer Zeit, vor einem Grund und Boden, der mir nichts mehr sagen will. Mein Blick allein, noch kaum gefasst, ersucht die alten Wege und die Winkel durch ein Haus, das die Vergangenheit längst mit sich nahm.“ 

Sinnvoll, irgendwie, weil der Versuch ohnehin zur schieren Notwendigkeit geworden ist. Sinnlos wiederum, weil das vermeintliche Ziel für alle Zeiten unerreichbar bleibt. In diesem Widerspruch will der heimatlose Dichter sich zurechtfinden – zu Recht etwas finden wollen. Was bliebe ihm anderes übrig? Im Bewusstsein, dass Worte nur als Ausgangspunkt freier (?) Assoziationen den Bedürfnissen des „Umherirrenden“ Genüge tun, gerät die angestrebte Schwerelosigkeit (des Denkens) als transzendente Kraft zum Paradox. Das Mittel der Verständigung, die Sprache, gibt ihm nämlich vor, was er Wort für Wort am liebsten zu vermeiden gedenkt. Selbstironisch vermerkt Lorenz Filius deshalb schon im Zusatz des Rückentextes seines Werkes: 
„Durch solche Umstandskrämereien müssen die Gedanken und Geschichten dieses Buches.“

So ist es. In dieser angestrebt schwerelosen Ungebundenheit sich selbst als reflektierendes Wesen am Urgrund des Seins beziehungsweise in den Untiefen geistigen Bestehens festmachen zu wollen, eben diese Möglichkeit weist Filius mit jedem neuen An-Satz wieder von sich. Gerade darin ist seine Einmaligkeit zu FINDEN.
Da stehe ich und denke, denn ich kann nicht anders. Und anders will ich denken, weil ich es kann. 
Von Eigenheit durchtrieben.

Peter Pitsch

Cover des Buches Ronar - Drei Ähren (ISBN: 9783848220236)

Bewertung zu "Ronar - Drei Ähren" von Anke Höhl-Kayser

Ronar - Drei Ähren
Peter_Pitschvor 10 Jahren
Ronar

... und die Frage „Was wäre wenn?“

Gleich seinen Vorgängern präsentiert sich der abschließende Teil der Ronar-Trilogie mit einem Einband voller Symbolkraft. Die Zeichnerin Noëlle-Magali Wörheide hat die mystische Anziehungskraft des Mondes erneut als zentrales Element ihrer Darstellung gewählt. Ein Himmelsobjekt auf schwarz glänzendem Grund. „In der Nacht erscheinen die Wahrheiten aus den Tiefen unserer Gedanken und treten ins Mondlicht", schreibt die Autorin, Schöpferin des jungen Ronar. Ihr Werk trägt die Züge eines Gleichnisses, eine Allegorie auf unsere oftmals allzu gegenwärtige Welt der Täuschungen und Manipulationen. Und auf die Schrecken der Unterdrückung. Gewiss ist: die kleinste Drehung am Rad des Schicksals ZEITIGT unermessliche Folgen. Die Erforschung dessen, welche tiefenpsychologische Auswirkungen sich aus der Frage „Was wäre wenn?" ergeben, sprengt zwangsläufig den Rahmen konventioneller Erzählweise. Etwa ein „Naturgesetz" der Personifizierung zu unterziehen und dieses in Interaktionen und Dialoge mit den Akteuren selbst einzubinden. Die Zeit, einst Verbündete, nun mächtigste aller Widersacherinnen in einem Spiel, dessen Regeln im Dunkeln verbleiben und in welchem alle Figuren letztlich aus dem Urhebergeist des Geschehens ihr Vertrauen schöpfen. Autorin Anke Höhl-Kayser scheint eine Gratwanderung zwischen zielstrebig ausgerichteter Handlung und intuitiv gesetzten Überraschungsmomenten auszuführen. Einen Balanceakt, der wiederum die Komplexität der durch- und ineinander wirkenden Zusammenhänge eines Daseins, eines Menschenlebens aufzeigt, und nicht nur „das Zerrbild einer kurzfristig unterbrochenen Wirklichkeit". Anhand eines verunsicherten, mitunter gar „verhinderten" Helden, der sich ganz plötzlich (und vorübergehend ohne bewusstes Verständnis für seine eigene Bedeutung), nochmals dort wiederfindet, wo die große Saga einst ihren Anfang nahm. Und auch jene sind nicht weit entfernt – in der ein oder anderen Form –, die den Willen der anderen, insbesondere eines magischen Naturells zu brechen suchen: es sind die Tyrannen.
Jähe Zeitsprünge und Täuschungsmanöver führen ebenso wie persönliche Verwicklungen und schicksalhafte Konfrontationen auf Umwegen zu einer wichtigen Erkenntnis. Im Epilog ihrer Trilogie lässt die Autorin Ronar ein lebensbejahendes Resümee ziehen: „Ich bin die Summer der Ereignisse meiner Vergangenheit."
Kann es einen trefflicheren Abschluss als diese Auffassung (von Zeit) geben, die doch jeden von uns früher oder später ereilt beziehungsweise ereilen sollte? Wie tröstlich – und irgendwie auch MAGISCH – mutet es an, dereinst das eigene Selbst wahrnehmen zu können mit den Worten: Ich bin eins mit mir, eins mit allem um mich herum.

Peter Pitsch



Cover des Buches Geisterbilder des Gemüts: Prosaische Abstraktionen und Geschichtchen (ISBN: 9783732212422)

Bewertung zu "Geisterbilder des Gemüts: Prosaische Abstraktionen und Geschichtchen" von Lorenz Filius

Geisterbilder des Gemüts: Prosaische Abstraktionen und Geschichtchen
Peter_Pitschvor 10 Jahren
Von Wahrheit ohne Anspruch

"Ist da wer, der sich in meiner Eigenheit versteckt?"
Den Inhalt eines Buches umfassend zu beschreiben, einer Sammlung kurzer Texte, die nicht erschaffen sind im Kokettieren mit dieser oder jener Stilart (weithin Beachtung anzupeilen), indes aber um die Unmöglichkeit des außerpersönlichen Empfindens gedanklich darzustellen, erweist sich als ein Paradox. Gleich der Distanz zwischen jeder einzelnen Textidee und ihrer Unabhängigkeit anstrebenden Ausrichtung im metaphysischem Raum. "Was braucht es mehr, um dies zu finden, als ein wenig Zeitverlust?"
In diesen Zeilen meiner Rezension findet weniger die Verwirrung ihren Wiederklang, welche die Geisterbilder des Gemüts von der Eingängigkeit entbindet (denn wenn auch nicht geläufig, so ergeben die Abstraktionen bei aller Abweichung von üblichen Gedankenschleifen Berührungspunkte für selbige Intuition), sondern die Surrealität des Erlebens alltäglicher Gleichförmigkeit ohne Abschweifung ins bodenlose Sein. Beinahe ein Frevel des Autors am eigenen komplexen Werk, seine Prosa-Miniaturen als "Geschichtchen" zu (unter)titulieren. Jeder Gedanke, der sich dahingegen löst aus der Bereitschaft im Hort der Beschaulichkeit zu verharren, trägt einen begreifbaren (!) Teil des Mysteriums bei; in der Dreidimensionalität ist der Mensch seinen Beschränkungen erlegen, was außerhalb vorhanden sein mag, wollen die "Geisterbilder" immer wieder an sich selbst entschlüsseln - wahrlich ein genialer Wurf der Vergeblichkeit!
"Einzig Blicke aus der jugendlichen Blüte fragen wortlos nach der Zukunft und versichern mir die Antwort - die ich ehrlich nicht als Trost erkenne - als Erlösung aus dem Kerker meines Seins."
Kein Guru/Geburtshelfer ist vonnöten für diejenigen, die Lorenz Filius' Texte auf sich wirken lassen und solche Metamorphosen einbeziehen, weil das Weiterdenken dort anberaumt wird, wo sonst die leeren Phrasen mit der Unbedenklichkeit vergehen. Ruhen wir noch im Verdrängen unserer letzten Schmach, oder sind wir hellauf wach beim Nachrufen einer altbekannten Tat. Eigentlich ist es die Begegnung mit sich selbst, die Filius dem Leser anzuvertrauen weiß. "Kennen wir uns denn so sehr?"
Ich denke: Nein.

Peter Pitsch

Cover des Buches Ein Hauch von Rost: Verssuchungen (ISBN: B00BXRT6MW)

Bewertung zu "Ein Hauch von Rost: Verssuchungen" von Michael Heinisch

Ein Hauch von Rost: Verssuchungen
Peter_Pitschvor 11 Jahren
Und singen mit nem Tintenfisch

Und singen mit nem Tintenfisch ...
Die Wirkung von Michael Heinisch' Lyrik betreffend, befand ich mich geraume Zeit in einer Art Ungewissheit, wie ich diese relativ zerrissenen Sprachgebilde alles in allem finden und bewerten sollte. Wohl wissend, dass seine teils surrealen Gedankenbilder emotionale Bereiche in mir berühren, ja eine weitaus größere Einschlagskraft bezeugen, als jedwede Alltagsliteratur oder brave Gereimtheiten von der Stange dies vermögen. Jedenfalls eröffnen des Dichters Gedankensprünge oftmals zu große Lücken, als dass der bloße Seilakt eines interagierenden Seelenzustands ohne zu straucheln darüber hinweg balancieren könnte. Doch all die aus dem dunklen Untergrund, seinem Unterbewusstsein jäh heraufblitzenden Leuchtfeuer aus poetischer Gewagtheit zeigen nichtsdestotrotz neue Wege auf ... und verhindern immer wieder den drohenden Sturz in eine sinnfreie Leere. Dass unterwegs "der Löwenzahn den Dichter gar entdeckt und obendrein noch gelassen seine Blätter streckt, na gut", hat mich letztendlich für die lyrischen Wackeleien eingenommen, um nicht zu sagen in leise Begeisterung versetzt. Ein Blick auf das stimmungsvolle Cover seines Werkes mit dem Titel "Ein Hauch von Rost: Verssuchungen" tut sein übriges. Wann auch immer, wo auch immer diese uns seit Unzeiten (!) vorgezeichnete Welt ins Wackeln gerät – und sei es dank verwirrender, beunruhigender oder den Sinn umkehrender Zeilen – dem lethargischen Kopfkarussell auf die Sprünge helfend, dann wird das unvermeidliche Stolpern über das Drehmoment hinaus, trotz und wegen der Richtungswechsel, allemal zu einem Vorwärtskommen gereichen.
"... ungestüm und mit viel Verve / Funken springen ohne Schärfe / Heisenberg hat ihn geheilt / Tohus, Wohus wiegen Lieder / Körper, Seele werden eins / Quarks und Quanten werden Brüder / Schwingung ist der Grund des Seins ..."

Peter Pitsch

Cover des Buches Lyrische Schattenmomente (ISBN: B00BDAZTKW)

Bewertung zu "Lyrische Schattenmomente" von Lorenz Filius

Lyrische Schattenmomente
Peter_Pitschvor 11 Jahren
Offline-Momente

Es lag geraume Zeit zurück, seit ich zuletzt der Dichterstimme eines Lorenz Filius mit unverzichtbarer Aufmerksamkeit begegnet war. Denn der Ton, der seinen Versen innewohnt, hält den im großen Ereignisangebot umherflatternden Gemütern nicht stand, und klingt dennoch umso deutlicher für jene, die anstatt des elektronischen Tumults seine philosophischen Schwingungen erfassen möchten.
Ein lyrisches Schattenspiel wie dieses – des Poeten Einverständnis mit der Welt im Geäst dichter Erkenntnisse – findet sein Bestehen einzig vor dem Hintergrund des Lichts, die gegenseitige Abhängigkeit bezeugend und zugleich von der Sättigung des Scheins und dessen Einbildungen sich lösend. Da „greifen Spinnenlichter in die Nacht, dem Wunder scheinbar auf der Spur", doch stoßen lediglich auf die Maskenhaftigkeit des Menschen, um letztlich wieder zu vergehen. So vermag der Dichter bereits zum Geleit, in seinem kurzen Vorwort, festzuhalten, dass „schließlich all die Dinge, die wir ahnen oder leben, tief im Schatten unseres Selbst liegen – in einer Zuflucht, der wir Licht erlauben oder nicht."
Oft beschattet, oft schattiert, im Schatten selbst gelegen, Lorenz Filius entzündet die innere Sicht immer wieder ohne sich an Offensichtlichkeiten zu verfangen; er illuminiert eine Verschwiegenheit unter den Oberflächen, um neue Kontraste zu werfen und sie damit überraschend sichtbar und erfahrbarer zu gestalten. Ich selbst bin still geworden, ruhig und fokussiert, derweil ich die Gedichte in ihrer melodiös gereimten Weise vernahm und die Außenwelt sich über meinen Kern stülpte, der sich dann doch als Umkreis gedanklicher Expansion erwies. Die Kreativität und der unermüdliche Schaffensdrang des Dichters schlagen in einer fantastischen Fülle an Gedichten (wortwörtlich) zu Buche, Gedichte, deren schiere Vielzahl kaum Platz für umfangreiche Begleitbilder bietet: Dann und wann hat Lorenz Filius seinen poetischen Miniaturen jeweils eine kleine Fotografie als optisches Pläsier hinzugefügt; einige Bilder dieser Art – „Sommerflaute" etwa, oder „Regenbogenabend" – hätten durchaus ein wenig mehr Raum innerhalb des Werkes einnehmen dürfen. Allzu lange aber hält sich der Betrachter keineswegs auf, ehe er sich erneut den lyrischen Schattierungen anvertraut. Die an verborgenen Orten bestehen, die tatsächlich immer schon vorhanden waren, aber im Gegenlicht der Silhouetten eine zugrundeliegende Bedeutung erfahren. Solche Schattenmomente, berichtet der Poet, werden „nicht vom wahrheitsdominanten Leuchten überstrahlt".

Peter Pitsch

Cover des Buches Gut gelaufen, Thisbe!: Ida Obersteyns Tagebuch 2011 (ISBN: 9783844847208)

Bewertung zu "Gut gelaufen, Thisbe!: Ida Obersteyns Tagebuch 2011" von Monika Kubach

Gut gelaufen, Thisbe!: Ida Obersteyns Tagebuch 2011
Peter_Pitschvor 11 Jahren
Rezension zu "Gut gelaufen, Thisbe!: Ida Obersteyns Tagebuch 2011" von Monika Kubach

Das Tagebuch des „Grauens“!
Ei der Daus, Dus un Düwel, das Grauen auf Erden hat sich manifestiert. In Gestalt der Ida Obersteyn, Berichterstatterin dieser in Tagebuchform konzipierten Satire, versteht die Autorin Monika Kubach bis ins kleinste unerträgliche Detail die Essenz prolliger Gesinnung aufzuzeigen. Zitat: „Ich persönlich finde ja, dass Taschenbücher im Regal nicht viel hermachen, und man braucht auch so viele von ihnen, bis es voll ist.“
Dementsprechend war meine Gegenreaktion gewissermaßen vorprogrammiert. Sowie ich die ersten Auszüge aus Obersteyns „geistloser Haltung“ (das Pendant zu „Geisteshaltung“) ins Auge gefasst hatte, rebellierte mein Intellekt gegen ihren horizontlosen Weltentwurf und ich musste zu Lasten der Prinzipien einen inneren Kampf ausfechten. Danach erst sah ich mich befähigt, dieses an und für sich gelungene (!) geistige Armutszeugnis erneut zur Hand zu nehmen und mit der Lektüre fortzufahren. Denn eine Satire nach solch einem Konzept – so extrem nah an der Wirklichkeit – erweist sich auf längere Sicht als äußerst schwer verdaulich, und einzig der Unterstrom der Ironie, den die Autorin sämtlichen Eintragungen zugrunde legt, vermag die Klumpen aus geballter Ignoranz und das darin enthaltene „Unwesen“ zu zersetzen. Indem Monika Kubach die in Obersteyns Oberstübchen – und parallel dazu in vielen deutschen Wohnstuben – Verblödung als Reigen überaus banaler Alltagssituationen festhält, möchte sie den Konsumenten von Fertigpizza, RTL2 und Doppelkorn keineswegs einen Spiegel vorhalten oder ihnen gar ein Denkmal setzen. Weit gefehlt. Zu einer ernstzunehmenden Reflexion ob der eigenen Beschränktheit wären per se die wenigsten imstande, vielmehr führt Kubach via Ida Obersteyn Buch über Zustände und Missstände an den Gemeinplätzen der sozialen Unterschicht. Sie dringt mit ironischer, doppeldeutiger Belichtung treffsicher in die Dunkelkammern der Republik, und was dabei portionsweise zutage gefördert wird, bereitet gleichermaßen eine Menge Spaß und ein Übermaß an Abscheu. Denn das Niveau der Texte ist umso niedriger, je abrupter das Grauen der darin innewohnenden Wahrheit dem Leser hochkommt. Somit muss ich augenzwinkernd eine abschließende Warnung meiner Kritik hintanstellen: Lesen auf eigene Gefahr – der Intellekt haftet für seine Aussetzer!

Peter Pitsch

Cover des Buches Hexenänneken (ISBN: 9783844806922)

Bewertung zu "Hexenänneken" von Thomas Becks

Hexenänneken
Peter_Pitschvor 11 Jahren
Rezension zu "Hexenänneken" von Thomas Becks

In Anbetracht des persönlichen Engagements zur Rehabilitierung ihrer Person ist es nicht verwunderlich, dass Thomas Becks der Protagonistin seines biografischen Romans, Anna Spiekermann, eine Widmung vorangestellt hat. Das letzte Opfer der Inquisition im Ruhrgebiet wurde 1706 auf dem Scheiterhaufen hingerichtet und solchermaßen, nach damaliger Auffassung, für alle Zeiten zum Schweigen gebracht. Doch jedes Los hinterlässt Spuren, jedes Dasein sendet spezifische Energien durch den Äther, die zu empfangen intuitiven Menschen zu eigen ist. Es sind Eingebungen, die gleich den Botschaften in einer Flaschenpost eine Reise auf dem Ozean der Zeit zurücklegt haben. Dementsprechend bietet Thomas Becks Roman Einblicke in eine längst vergangene Epoche wie durch transparentes Glas, welches aufgrund seiner individuellen Erzählweise dennoch schillernd getönt ist.
Unverkennbar ging seinem literarischen Projekt eine intensive Recherche voraus. Wer aber Nachforschungen und Beobachtungen vornimmt und, daraus Erkenntnisse ableitend, zu einer (Lebens-)Geschichte formt, erfährt nicht allein auf emotionaler Ebene eine Verbindung zum Bezugsobjekt, sondern auch auf metaphysischer. Rückwirkend. Anna Spiekermann, die einst als „Hexenänneken“ verschrien war, hat Jahrhunderte nach ihrem gewaltsamen Tod jene Stimme zurückerhalten, die Ignoranz, Zweitracht, Aberglaube einst jäh verstummen ließen. Zu Anfang des dritten Jahrtausends gibt der Autor einer Frau die Sprache zurück, deren Leben und Leiden zweifelsohne auch in unserer Gegenwart ihresgleichen kennt. „Diese Zeiten“ sind – entgegen der Meinung des oberflächlichen Gesellen – keineswegs vorbei, allemal nicht außerhalb unserer geografisch betrachtet winzigen Oase. Eine Art Hexenkult hat nach wie vor in vielen Ländern, sowohl nah als auch fern, Bestand, und angesichts der Folgen notorischer Diskriminierung, Unterdrückung, Ausbeutung, Bestrafung der Frau bedarf es keiner dicken Brille um den herrschenden Wahnsinn aufzudecken. Weltweit werden Schätzungen zufolge 7 von 10 Frauen im Laufe ihres Lebens körperlich bzw. sexuell misshandelt ...
Das Resultat des Einvernehmens – so möchte ich es nennen – zwischen Thomas Becks und Anna Spiekermann, die Botschaft des Buches „Hexenänneken“, ist heutzutage genauso aktuell wie vor Jahrhunderten. Der Autor liefert den Beweis, dass eine Verständigung zugunsten der Humanität und der Nächstenliebe, frei von Frömmelei, auch über große Distanzen, selbst über „Ewigkeiten“ hinaus, möglich und sogar vonnöten ist. Er hat Annas Geschichte einfühlsam, imaginativ und vor allem zutiefst menschlich mit Leben gefüllt, hat tief in sich hineingehorcht und Worte geformt, die im Jahre 1706 von einer Hoffnung davongetragen wurden.

Peter Pitsch

Cover des Buches ZERFALL (ISBN: B00ABNVZXM)

Bewertung zu "ZERFALL" von J. Mertens

ZERFALL
Peter_Pitschvor 11 Jahren
Rezension zu "ZERFALL" von J. Mertens

Im Eigenverlag „Mobilus Moonworks“ veröffentlichte der Autor J. Mertens jüngst sein Aufsehen erregendes lyrisches Werk, das gemäß des Untertitels im Grenzbereich zwischen „Mythos, Wahn und Grabeskälte“ angesiedelt sein will. Und doch bedarf es lediglich des Einverleibens weniger Gedichte aus dieser rabenschwarzen Feder, ja einiger Verse bloß, um in Gedanken die Totenköpfe auf dem Buchdeckel mit Fleisch zu bespannen und eine Erkenntnis das Innerste der menschlichen Psyche beleuchten zu lassen. Die Verdammten sind wir, die Kinder der Moderne, auf Rationalität und Eigennutz getrimmt, dennoch zu jeder Zeit nichts weiter als ein austauschbarer Bestandteil der Maschinerie, die eine kapitalorientierte Gesellschaft in Bewegung hält. Wir hängen der Illusion nach, Tag für Tag eigenständige Handlungen zu vollziehen und mithilfe blinkender Gerätschaften einen persönlichen Daseinssinn zu manifestieren, obwohl die Kernschmelze im Maschinenraum unseren geistigen Zerfall längst vollzogen hat. Übrig bleibt die Karikatur, die automatisierte Denkstruktur, die leere Hülse, das Pseudo-Ego welches sich selbst aufrecht erhalten und zugleich verzehren muss. Im Zuge der Verformung werden die „Abfallstoffe“ aus Gefühlen und Emotionen zwangsläufig herausgefiltert und zu Lasten der Humanität entsorgt.
Gewiss, J. Mertens hat die Hölle ins Diesseits geholt, hat das Inferno der Welt nahtlos übergestülpt und mit seiner allegorischen Lyrik den Trugschluss entlarvt, wir hätten dem herrschenden Zerfall der Werte und des menschlichen Geistes Nennenswertes entgegenzusetzen. Seine zu Tinte erstarrten (Protest-)Schreie sind aufs Papier gebannt mit einer Art unterschwelliger nostalgischer Sehnsucht, als könne er aus der Vergangenheit und den Werken der klassischen Literatur eine Hoffnung schöpfen, die ihm heutzutage verwehrt ist angesichts voranschreitender Entmenschlichung. Mertens modifiziert die Sprache zu einem hitzebeständigen Datenträger, zu einem Hybrid aus Dichtung und Dämonie, der inmitten züngelnder Flammen nicht nur weiterexistiert, sondern vielmehr von der Verzehrung (!) selbst gespeist wird.

© Peter Pitsch

Cover des Buches Pauline & Hannah (ISBN: 9783942200431)

Bewertung zu "Pauline & Hannah" von Inge Goebel

Pauline & Hannah
Peter_Pitschvor 11 Jahren
Rezension zu "Pauline & Hannah" von Inge Goebel

Die Magie ist da.
Ein Werk wie dieses liefert ein sichtbares Indiz dafür, weshalb der Verlag die Herausgabe unverwechselbarer Bücher zu seiner Philosophie erklärt hat. Zu der zugrunde liegenden Idee des Kinderbuchs „Pauline und Hannah“, ersonnen von der Autorin Inge Goebel, trägt die Zeichnerin Luise Voigt eine meisterlich erschaffene visuelle Bilderwelt bei. So sparsam – und doch trefflich – der Text an Worten anmutet, so diametral entgegengesetzt überfluten die Darstellungen der zwei „Schnecken-Geschwister“ unsere Sinne. Seite für Seite tut sich ein grün umrankter Mikrokosmos auf. Inge Goebels wenige Sätze stimulieren die Fantasie der (Vor-)Leser und ihrer kleinen Zuhörer gleichermaßen, alldieweil die Zeichnerin aus dem Vollen ihrer bildlichen Ausdruckskraft schöpft und mit verspielten Einfällen zusätzliche Akzente setzt. Für Erwachsene hält dieses Gemeinschaftswerk eine kunterbunte Rückreise in die Zeiten glückseliger Kindheit bereit; unsere Kleinsten wiederum, die noch mittendrin in dieser magischen Sphäre leben, gewinnen aus dem Bilderbuch „Pauline und Hannah“ sprichwörtlich jenen Stoff aus dem die Träume sind ...

Peter Pitsch

Über mich

Peter Pitsch wurde in Herford geboren. Er lebte unter anderem in Berlin, Amsterdam und Rom. Während seines langjährigen Aufenthalts in Italien sammelte er Erfahrungen als Schauspieler, war an 12 Filmprojekten beteiligt und und verkörperte „Den Tod“ in einem Theaterstück. Danach schlug er die Laufbahn eines Schriftstellers und Künstlers ein. Er reiste nach Dänemark und wohnte einige Jahre im Kopenhagener Künstlerviertel Vesterbro. Anfang der Neunziger veröffentlichte er sein erstes Buch, diverse Publikationen folgten. 2000 zog er nach Nykøbing auf der Insel Falster. Peter ist Mitglied in der dänischen Schriftstellervereinigung "StORDstrømmen". Seit 2011 gibt der Brighton Verlag seine Werke heraus. Neben dem literarischen Schreiben widmet er sich der bildenden Kunst. Peter betreibt eine Kunstgalerie in Nykøbings Latiner-Viertel.

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Krimis und Thriller, Fantasy, Kinderbücher, Literatur, Unterhaltung

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