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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Die Mitternachtsbibliothek (ISBN: 9783426282564)

Bewertung zu "Die Mitternachtsbibliothek" von Matt Haig

Die Mitternachtsbibliothek
R-E-Rvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Eine zauberhafte Geschichte, die zum Nachdenken und philosophieren anregt.
"Mitternacht ist ein Ort"

Nora Seed ist Ihres Lebens überdrüssig. Bisher war „jeder Schritt ein Fehler und jede Entscheidung ein Desaster“ und sie hatte sich „tagtäglich weiter von der Person entfernt, die sie einmal hatte werden wollen“. Einsam und verzweifelt beschließt sie zu sterben. Aber auch das geht schief und so landet Nora um Punkt Mitternacht in einer riesigen Bibliothek, wo sie „vor dem Tod bewahrt“ entscheiden muss, wie sie leben will.

Um das herausfinden, muss sie unterschiedliche Leben „anprobieren". Mit jedem Buch, dass sie in der Mitternachtsbibliothek auswählt, taucht sie in ein Leben ein, dass sie hätte führen können. Haig beschreibt das so unterhaltsam und mit so spielerischer Leichtigkeit, dass einem der Tiefgang erst nach und nach bewusst wird.

Nora probiert unzählige Lebensvarianten aus aber letztendlich lassen alle etwas zu wünschen übrig. Dabei bleibt es nicht aus, dass man sich die Fragen denen Nora sich gegenüber sieht, selber stellt: Was bereue ich? An welcher Stelle hätte ich gerne einen anderen Weg eingeschlagen? Und wohin hätte mich dieser geführt?

„Wir vergeuden zu viel Zeit damit, dass wir uns ein anderes Leben wünschen, wo es doch in fast jedem Leben gute und schlechte Zeiten gibt“. Weise Worte, die Haig seiner Heldin am Ende in den Mund legt. Der Roman regt ohnehin zum Nachdenken bzw. zum philosophieren an.

Am Ende dieser zauberhaften Geschichte kam mir der Song „Unwritten“ der englischen Singer Songwriterin Natasha Bedingfield aus dem Jahr 2004 in den Sinn. Darin heißt es: „Live your life with arms wide open. Today is where your book begins. The rest is still unwritten.“ Diese Songzeile beschreibt sehr gut das Ende von Matt Haigs „Mitternachtsbibliothek“ aber mehr noch, wie ich finde, die Quintessenz des Lebens. 

P.S. Den Titel meiner Rezension habe ich mir von Joan Aikens gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1974 "ausgeliehen". Er passt einfach so gut, finde ich.



Cover des Buches Hard Land (ISBN: 9783257071481)

Bewertung zu "Hard Land" von Benedict Wells

Hard Land
R-E-Rvor 3 Jahren
Ein Buch fürs Leben

Einen endlos scheinenden Sommer, Freunde, das Gefühl von Freiheit, schmerzhaften Verlust und die erste große Liebe. All dies vereint Benedict Wells in seinem  Coming-of-Age Roman „Hard Land“. Ein sprachlich so wundervolles Werk, dass ich mit dem Markieren gar nicht mehr fertig wurde. Wells hat die Gabe, Worte völlig neu zu verbinden um etwas auszudrücken, von dem man vorher nicht gewusst hat, dass man es überhaupt formulieren kann. Bilder die, einmal gelesen, für immer bleiben.


Missouri 1985: Der 15jährige Sam ist ein Außenseiter. Dünn, klein, unsicher und schüchtern. Der Vater arbeits- und teilnahmslos, die Mutter freundlich und liebevoll aber durch ihre erneute Krebserkrankung müde und kraftlos. Um Geld zu verdienen aber mehr noch um dem trostlosen Zuhause zu entfliehen, beginnt Sam in einem alten Programmkino zu arbeiten. Die Jungs die dort bereits arbeiten, werden seine Freunde während sich mit Kirstie, der Tochter des Kinobesitzers, eine besondere Beziehung entwickelt.


Es ist berührend zu lesen, wie aus dem unscheinbaren Jungen ein selbstsicherer junger Mann wird. Seine Wandlung geht einher mit dem Umgang der Freunde, hat aber auch mit den Filmen zu tun, die er sieht. Die Rolle von Marty McFly alias Michael J. Fox lässt Sam mehr aus sich herausgehen, ihn mutiger und cooler werden. Schließlich ist der Held von „Zurück in die Zukunft“ ebenso klein, rothaarig und sommersprossig wie er selbst. Eine Stelle im Buch, die mir besonders gefallen hat.


Es ist gibt in diesem Roman aber noch viele andere Stellen, die mich nachhaltig beeindruckten. Wie die „Wellen“ oder den „Sprung von der Klippe“. Dabei hat mich erstaunt wie Wells, selber erst Mitte der 1980er Jahre geboren, das Gefühl dieser Zeit wiederaufleben lässt. Musik, Mode, Medien, Verhalten, Vokabular. Wells knüpft daraus einen authentischen Teppich, der in mein Zimmer von 1985 gepasst hätte, während ich (wie Sam) darin saß um eine Kassette aufzunehmen.


„Mit manchen Leuten ist man klein und langweilig, und mit anderen spannend und aufregend. Der eine blüht in einer Disco auf und die nächste bei einem Essen mit Freunden. Es kommt darauf an, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben und an Orte zu gehen, an denen man sich wohl fühlt.“ Diesen Satz würde ich gern ergänzen: Es kommt auch darauf an, die richtigen Bücher zu lesen. Mit manchen Büchern wird man sich ein Leben lang wohlfühlen. „Hard Land“ ist so ein Buch.


Cover des Buches Kostbare Tage (ISBN: 9783257071252)

Bewertung zu "Kostbare Tage" von Kent Haruf

Kostbare Tage
R-E-Rvor 4 Jahren
Kurzmeinung: „Kostbare Tage“ sind eine Rückschau und ein Abschied, Leben und Sterben. Einfach und eindrucksvoll zu Papier gebracht.
Sterbebegleitung

Dad Lewis bleibt nicht mehr viel Zeit. Er hat Krebs in fortgeschrittenem Stadium und die Ärzte geben ihm nur noch einige Wochen. Es sind diese Wochen die Kent Haruf in seinem Roman „Kostbare Tage“ beschreibt. Es ist eine Rückschau und ein Abschied, Leben und Sterben. Einfach und eindrucksvoll zu Papier gebracht.


Es sind viele kleine Geschichten, die sich hier treffen. Menschen die sich begegnen, ein Stück des Wegs gemeinsam gehen, sich trennen oder bleiben. Mal tragisch, mal komisch, immer menschlich. Die liebevolle Ehe von Mary und Dad. Das zerrüttete Verhältnis zwischen Dad und seinem Sohn Frank. Die Fürsorge der Tochter Lorraine. Die Nachbarin Berta mit ihrer Enkelin Alice, deren Mutter schon so früh gestorben ist. Die alte Willa Johnston und ihre Tochter Alene, zwei vermeintlich einsame alte Frauen, mit großer Güte und messerscharfem Verstand. Der missverstandene Pfarrer Lyle und sein unglücklicher Sohn John.


Das Schicksal der Figuren berührt und geht ans Herz. Einmal mehr schafft es Kent Haruf, das Große im Kleinen zu sehen und zu beschreiben. 

Cover des Buches Das wirkliche Leben (ISBN: 9783423282130)

Bewertung zu "Das wirkliche Leben" von Adeline Dieudonné

Das wirkliche Leben
R-E-Rvor 4 Jahren
Die Kraft der Liebe

„Wer kann schon bestimmen, wie viel er liebt? Wenn man es bestimmen kann, ist es keine Liebe“. So beginnt der Roman „Die einzige Geschichte“ von Julian Barnes. Die zehnjährige weibliche Heldin aus Adeline Dieudonnés Roman liebt ihren kleinen Bruder. Und diese Liebe, ist das bestimmbare Gefühl, dass sie antreibt, ihn zu retten.


Ich habe „Das wirkliche Leben“ in dreieinhalb Stunden gelesen, unfähig das Buch aus der Hand zu legen. Eine unauffällige Reihenhaussiedlung irgendwo am Waldrand in der französischen Provinz. Eine Familie die nur nach außen hin normal scheint. Im Innern des Hauses bereitet die „Amöbe“ Mutter farb- und geschmacklose Gerichte zu, während der Whisky trinkende Vater auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzt. Die Mutter ist vor allem darum bemüht nicht aufzufallen um dem Vater keine Angriffsfläche zu bieten. Dessen Gewaltausbrüche einzig von seiner Jagdleidenschaft reguliert werden, weshalb es im Haus „das Zimmer“ gibt. Ein Raum der nur den erlegten Trophäen gewidmet ist. Ausgestopfte Beweise seiner Siege über wehrlose Beute.


Als die Kinder Zeuge einer Tragödie werden, ist niemand da um sie aufzufangen. „Ich wünschte mir nichts mehr, als dass ein Erwachsener, irgendeiner, mich an der Hand nahm und zu Bett brachte. Und für mich die Dinge wieder zurechtrückte. Mir erklärte, dass es selbst nach so einem Tag ein Morgen gab, und dann ein Übermorgen. Und dass mein Leben irgendwann in die gewohnten Bahnen zurückkehren und all das Blut und die Angst und der Schrecken in Vergessenheit geraten würden. Aber niemand kam.“ Und so beschließt das Mädchen „nicht tatenlos zuzuschauen, wie das Geschmeiß weiter das Gehirn“ des kleinen Bruders zerfrisst.


Selten hat mich ein Roman so hin- und hergerissen. Rohe Sätze wechseln sich ab mit Worten voll poetischer Schönheit. Die Sprache ist kraftvoll, eindringlich und in ihrer unmittelbaren Wucht manchmal unerträglich und dabei oft schier unerträglich schön. Die Ich-Erzählerin schildert, was sie sieht, was sie erlebt, was sie fühlt und denkt, mit den Worten einer reinen Seele, die „das wirkliche Leben“ hinter der sie umgebenden Zerstörungswut ahnt. „Es gibt Dinge, die man einfach nicht akzeptieren kann. Weil man sonst daran krepiert. Und ich wollte nicht sterben. Denn ich bekam gerade erst eine Ahnung davon, wie schön das Leben sein könnte.“.


Die Autorin braucht nicht viele Worte um Angst auszulösen, Gewalt zu beschreiben, Wut eskalieren zu lassen,  Hilflosigkeit auszudrücken oder den Adrenalinspiegel nach oben schnellen zu lassen. Ebenso sicher findet sie aber auch die richtigen Worte um die allumfassende, heilende Kraft der Liebe zu feiern. Mir fiel dabei die Stelle aus dem Korintherbrief ein: „.... und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Der Beweis wäre mit diesem Roman erbracht. In einer Tiefe, die trotz der Kürze des Romans Spuren hinterlässt.

Cover des Buches Das Dorf der toten Seelen (ISBN: 9783959674232)

Bewertung zu "Das Dorf der toten Seelen" von Camilla Sten

Das Dorf der toten Seelen
R-E-Rvor 4 Jahren
Solides Debut mit Luft nach oben

Ein Dokumentarfilmteam macht sich auf in einen entlegenen Winkel Schwedens. Das Dorf Silvertjärn in den abgelegenen Wäldern Norrlands hatte vor über 60 Jahren für Schlagzeilen gesorgt. An einem heißen Augusttag 1959 verschwanden alle Einwohner der Bergarbeitersiedlung spurlos. Die Polizei fand damals nur  den toten und geschundenen Leib einer Frau auf dem Marktplatz und einen schreienden Säugling im Krankenzimmer der Schule. Die Filmhochschulabsolventin Alice möchte nun den vergessenen Mythos wieder zum Leben erwecken und das Rätsel um die verschwundenen Bewohner vielleicht sogar lösen. Aber kaum angekommen, scheinen sich die Geister des unbewohnten Dorfes gegen die Ankömmlinge zu verschwören. Oder sind es gar keine Geister, die auf unheimliche Weise die Arbeit des Filmteams sabotieren?


Ich habe „Das Dorf der toten Seelen“ mehr aus Neugier auf die Autorin denn aus Neugier auf die Geschichte gelesen. Die Krimis von Viveca Sten lese ich immer wieder mit großem Vergnügen. Ebenso wie ich die aus den Romanen adaptierte Fernsehserie sehr gerne sehe. Wenn nun die Tochter ebenso großes Schreibtalent hat wie die Mutter, dachte ich mir, dann kann das kein schlechtes Buch sein. Und das war es auch nicht. Das Debut von Camilla Sten ist gut geschrieben und spannend. Der Thriller beschert einem keine schaudernden Alpträume, hat aber durchaus Gruselpotential.


Camilla Sten erzählt aus drei Ich-Perspektiven in unterschiedlichen Zeitebenen. Alice, die Filmemacherin, steht für das Heute. Elsa, eine Bewohnerin des Dorfes, für das Damals. Und die Briefe der jungen Aina an ihre Schwester in Stockholm, bieten eine weitere Sicht auf die Geschehnisse im Jahr 1959. Zusammengenommen liest sich das flüssig und kurzweilig. Die Figuren bleiben leider ein bisschen oberflächlich, was an der Kürze des Romans liegt. Er ist eher auf Tempo ausgelegt, nicht auf Tiefe.


Insgesamt habe ich „Das Dorf der toten Seelen“ aber in einem Rutsch gelesen und mich dabei gut unterhalten gefühlt. Das Sprichwort „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ passt hier jedenfalls. Camilla Sten hat das Schreib-Gen ihrer Mutter augenscheinlich geerbt und man kann sicher noch viele gute Bücher von ihr erwarten.

Cover des Buches R.I.P. (ISBN: 9783442756650)

Bewertung zu "R.I.P." von Yrsa Sigurdardottir

R.I.P.
R-E-Rvor 4 Jahren
Schlimm und vertrackt

„Wir sehen uns“ war die letzte Nachricht die Stella über Snapchat erhalten hat. Mit einem Foto von ihr selbst hinter der Erfrischungstheke des Kinos. Den Absender kennt sie nicht. Trotzdem spürt sie neben dem Unmut über den lächerlichen Snap auch Unbehagen. Wer fotografiert sie unerlaubterweise bei ihrem Job? Wenig später ist das Kino menschenleer bis auf Stella, die sich bereit erklärt hat, das Aufräumen allein zu übernehmen. Ein fataler Fehler, denn so hat ihr Mörder leichtes Spiel.


Wer die Krimis von Yrsa Sigurdadottir kennt, weiß, dass diese nichts für schwache Nerven sind. Auch im dritten Fall für Kommissar Huldar und Psychologin Freya geht es von Beginn an brutal zur Sache. Der Mord an der 16jährigen Schülerin wird in seiner ganzen Unmenschlichkeit geschildert. Es ist gut, dass man dazu keine Bilder hat. Anders als das Team um Huldar, dass sich den Mord per Snapchat-Video ansehen muss.


Auf ähnliche Weise wird dann noch ein weiterer Jugendlicher ermordet. Wie schon bei Stella stehen die Ermittler vor einem Rätsel. Es scheint keinen Zusammenhang zwischen den beiden Schülern zu geben. Ebenso dunkel bleibt das Motiv. Was könnten die beiden Teenager getan haben, um einen solchen Hass auf sich zu ziehen? Freya kommt schon früh ein Verdacht. Könnte es sich um einen Racheakt wegen Mobbing handeln?


Fast am Ende des Buches lässt Sigurdadottir ihre Figur Freya folgendes denken: „Dieser ganze Fall war so schlimm und vertrackt.“ Ich musste gedanklich zustimmen. Das Freya mit ihrem Verdacht Recht hat, ist sehr schnell klar. Trotzdem geht Erla, die neue Ermittlungsleiterin, abwegigen Spuren nach. Sie ist eifersüchtig, weil Huldar trotz des One-Night-Stands mit ihr, mehr Interesse an Freya hat. Neid und Missgunst beeinflussen ihre Entscheidungen. Aus diesem Grund lässt sie Huldar und seinen Kollegen Gudlaugur zunächst auch nicht an den Ermittlungen teilhaben. So stoßen die beiden eher zufällig auf Hinweise, die den Fall entscheidend voran bringen. Ich habe mir beim Lesen mehr als einmal gedacht, dass hier viel dichterische Freiheit am Werk ist um ein so unprofessionelles Vorgehen zu rechtfertigen.  


Insgesamt liest sich aber auch dieser dritte Fall des Duos Huldar/Freya sehr gut. Sigurdadottir schreibt flüssig und gut lesbar. Der Plot ist spannend, wenn er auch, wie ich fand, der Problematik des Mobbing nicht ganz gerecht wird. Zu viele persönliche Befindlichkeiten der Ermittler stehen zu wenigen tiefen Einblicken in die Psyche der Opfer gegenüber. Am Ende bleibt vieles klärungsbedürftig. Der nächste Band der Reihe liegt schon vor und daher ist das offene Ende durchaus verständlich. Mich hat der Ausgang dennoch enttäuscht. Weil ich aber wissen will, wie es mit Huldar und Freya weitergeht, werde ich den vierten Band natürlich lesen. 

Cover des Buches Die Gerechte (ISBN: 9783734106804)

Bewertung zu "Die Gerechte" von Peter Swanson

Die Gerechte
R-E-Rvor 4 Jahren
Columbo Effekt

„The kind worth killing“ heißt der Roman im Original. Und passend dazu findet die Hauptfigur Lilly Kintner dass Menschen sich durch ihr Verhalten das Recht auf Leben verwirken können. Und es somit gerechtfertigt ist, diese aus dem Weg zu räumen. Bestenfalls so, dass dies ohne Folgen für einen selbst bleibt. Als sie in der Flughafenbar in Heathrow Ted Severson kennenlernt, hat sie daher auch keine Skrupel ihm zu einem Mord zu raten. Der unglückliche Start-up Millionär wird von seiner Frau Miranda betrogen. Er leidet unter diesem Verrat und möchte sie dafür bestrafen. Lilly bestärkt ihn in seinem Vorhaben und bietet ihm Unterstützung an. Zusammen hecken die beiden einen Plan aus. Aber dann kommt alles ganz anders als gedacht.  


In Peter Swansons „Die Gerechte“ gibt es so manche überraschende Wendung. Erzählt wird aus Sicht von vier Personen. Lilly, Ted, Miranda und Kommissar Kimbell. Es ist kein „blutiger“ Thriller, auch wenn es einige Tote zu beklagen gibt. Die Morde sind hier Mittel zum Zweck „Gerechtigkeit“ herzustellen. Zumindest aus Lillys Sicht. Daher wohl auch die Wahl des deutschen Titels.


Spannung bezieht der Roman aus dem „Columbo“ Effekt. Man weiß, wer der Mörder ist und fragt sich nun, ob er (oder sie) geschnappt wird. Und falls ja, wie? Und auch das Tempo des Erzählens erinnert an die Kult Krimi Serie aus den USA. Swanson schreibt gemächlich. Er nimmt sich Zeit bzw. gibt seinen Figuren Raum. Sei es in Bezug auf Natur- und Landschaftsbeschreibungen, um Details hervorzuheben, Stimmungen ausführlich darzulegen oder auch einfach nur um eine Situation facettenreich „auszumalen“. Das mutet beim Lesen fast ein wenig altmodisch an aber mir hat es gut gefallen.

Cover des Buches Nur eine Ohrfeige (ISBN: 9783453437272)

Bewertung zu "Nur eine Ohrfeige" von Christos Tsiolkas

Nur eine Ohrfeige
R-E-Rvor 4 Jahren
Ursache und Wirkung

Hector und seine Frau Aisha geben eine Gartenparty. Aisha will sich damit für andere Einladungen revanchieren. Und so sind eine Menge Gäste geladen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Kollegen aus dem Büro von Hector, Mitarbeiter aus Aishas Tierarztpraxis. Freunde, Verwandte und Bekannte. Eine bunt zusammen gewürfelte Schar, die sich zunächst gut zu amüsieren scheint. Bis eines der Kinder für Unruhe und Unmut sorgt. Wieder einmal ist es Hugo, der dreijährige Sohn von Rosie und Gerry. Beide sind erst spät Eltern geworden und scheinen mit der Erziehung heillos überfordert.


Denn Hugo ist nur äußerlich ein kleiner, blonder Engel. Hector hat schon erlebt, wie der Kleine seine Frau getreten hat, als er nicht seinen Willen bekam. Und auch bei der Grillparty zeigt sich der Junge als verwöhntes, trotziges und widerspenstiges Kind, dass die Nerven der Erwachsenen strapaziert und mit dem keines der anderen Kinder spielen will. Tsiolkas hat ein Händchen dafür, das Aufheizen der Gefühle zu beschreiben. Wie bei einem drohenden Gewitter lässt er die Stimmung brodeln, bis die Ohrfeige als Blitz einschlägt.  


„Das größte und folgenschwerste Problem des menschlichen Wissens liegt wohl dort, wo es um seine Anwendung auf die Erziehung der Kinder geht“ formulierte einst der Philosoph Michel de Montaigne. Ursache und Wirkung eines solchen Problems beschreibt Christos Tsiolkas in seinem Roman „Nur eine Ohrfeige“.


Die Geschichte wird aus der Sicht von acht Personen erzählt: Hector, Anouk (Freundin von Aisha), Harry (Cousin von Hector), Connie (Aushilfe in Aishas Praxis), Rosie (Freundin von Aisha), Manolis (Hectors Vater), Aisha und Richie (Kumpel von Connie). Tsiolkas erzählt in eleganter Prosa. Er nimmt sich Zeit für seine Figuren. Beleuchtet ihr Seelenleben, lässt den Leser eintauchen in ihre Gedankenwelt, ihren Alltag, ihre Höhen und Tiefen, ihre Siege und Niederlagen.


Nach der Ohrfeige ist nichts mehr wie vorher. Die Party-Gesellschaft löst sich auf, im eigentlichen und im übertragenen Sinne. Denn jeder geht nach Hause und nimmt dabei seine ganz eigene Sicht auf die Dinge mit. Eine Sicht, die das Verhalten aller alsbald bestimmt. Rosie entscheidet sich Harry anzuzeigen. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung. Aisha und Hector müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen. Der Druck der Familie ist groß. Der Druck der Freunde ebenso.


Tsiolkas detailgetreue Milieuschilderung (Australien; Mittelschicht) sind interessant und aufschlussreich. Die Psychogramme der Figuren dagegen haben mich nicht durchweg überzeugt. Besonders Aisha fand ich problematisch. Hier passten für mein Empfinden Anfang und Ende nicht zusammen. Ohnehin hatte ich den Eindruck dass der starke Beginn des Romans zum Ende hin ein wenig nachlässt. Als wenn dem Autor auf halber Strecke die Puste ausgegangen wäre.


Anfangs sind die Kapitel stimmig und tragen (trotz manchem Nebenschauplatz) zur Entwicklung des Romans bei. Am Ende wird es dann aber unübersichtlich. Tsiolkas verliert sich in seinen Handlungsfäden. Geht oft viel zu sehr ins Detail. Das liest sich zum Beispiel bei Manolis Erinnerungen an seinen Start in Australien als griechischer Immigrant sehr interessant. Während es bei Richies Bahnen durch die örtliche Schwimmhalle etwas langatmig um nicht zu sagen langweilig wird.


Insgesamt gesehen lohnt sich der Roman aber. Besonders, wenn man sich einmal selber mit dem Kernproblem auseinandersetzt: der Ohrfeige.


 

Cover des Buches Bis ihr sie findet (ISBN: 9783455006209)

Bewertung zu "Bis ihr sie findet" von Gytha Lodge

Bis ihr sie findet
R-E-Rvor 4 Jahren
Spannendes Potential

Ein "Cold Case" ruft Chiefinspektor Jonah Sheens ausgerechnet an seinem freien Tag zur Arbeit zurück. Ein kleines Mädchen entdeckt beim Versteck spielen in einer Höhle alte Knochen. Die Untersuchungen ergeben, dass es sich um ein pubertierendes Mädchen im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung handelt. Der Kommissar weiß sofort: »Es ist dreißig Jahre her. Und es ist Aurora Jackson.«


Gytha Lodge katapultiert den Leser mitten ins Geschehen. „Bis ihr Sie findet“ ist ein klassischer „Wer hat es getan“ Krimi. Sieben Jugendliche fahren an einem heißen Sommerwochenende zu einem nahegelegenen See um zu Zelten. Am nächsten Morgen ist das jüngste Mitglied der Truppe verschwunden. 30 Jahre lang fehlt jede Spur. Bis die Knochen in einer Höhle nahe des Zeltplatzes gefunden werden. Zusammen mit mehreren Kilogramm Drogen. Den noch verbliebenen Spuren nach ist das Mädchen ermordet worden. War es einer der sechs Freunde?


Nach und nach stellt die Autorin diese sechs Figuren vor. Auroras Schwester Topaz, ihren Mann Connor, David, Brett, Jojo und Coralie. Für Sheens und sein Team gilt es nun herauszufinden wer vor dreißig Jahren gelogen hat und warum. Lodge arbeitet mit unterschiedlichen Zeitebenen. Die aktuellen Ermittlungen werden von Retrospektiven ergänzt, die das Geschehen in der Julinacht des Jahres 1983 aus Sicht von Aurora schildern. So ergibt sich für den Leser ein umfassenderes Bild, als es die Ermittler haben. Die Lösung war für mich dann aber doch etwas überraschend.


Insgesamt hat mir der Krimi jedoch gut gefallen und ich könnte mir gut vorstellen, diese Reihe weiterzulesen. Denn nicht nur der Fall sondern auch das Team bot jede Menge interessanter Hintergründe: DC Juliette Harris hat z.B. einen stalkenden Ex-Freund. Sheens hatte eine schwierige Kindheit mit einem gewalttätigen Vater und muss sich um seine hilflose Mutter kümmern. Genügend Stoff also, den die Autorin weiter ausbauen kann. 

Cover des Buches Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffel (ISBN: 9783959672580)

Bewertung zu "Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffel" von Seni Glaister

Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffel
R-E-Rvor 4 Jahren
Tiefe Weisheit

Wer die Anleitung für den Mix des perfekten Gin-Tonic sucht, wird in diesem Buch fündig. Wer knuspriges Shortbread backen möchte, bekommt hier die Anleitung. Wer Mahlzeiten stilvoll und vollendet zelebrieren will, kann hier nachlesen. Und wer in Kartoffeln immer schon mehr als nur eine Sättigungsbeilage gesehen hat, wird hier Bestätigung finden. Mr. Doubler ist ein Held, der einem nicht sofort ans Herz wächst. Zu lange einsam, traurig und zurückgezogen war er, als dass sich sein freundliches Wesen sofort offenbart Die Umstände zwingen ihn jedoch neu zu beginnen (im Original heißt das Buch daher auch treffender „Mr. Doubler begins again“). Und diesen neuen Weg zu begleiten lohnt sich. Nicht nur kulinarisch.


Mr. Doubler und seine Putzfrau Mrs. Millwood sind ein eingespieltes Team. Die ebenso resolute wie warmherzige Haushaltshilfe ist seit Jahren die einzige Ansprechpartnerin des alleine lebenden Landwirtes. Sie versorgt nicht nur seinen Haushalt, sondern liefert ihm auch Stoff zum Nachdenken. Während der Mittagspausen die sie in den letzten 15 Jahren gemeinsam verbracht haben, ist so etwas wie Freundschaft entstanden. Die beiden haben so manches Thema im wahrsten Sinne des Wortes beackert und sich  dabei wortreiche Debatten geliefert. Die Wahl des perfekten Apfels betreffend zum Beispiel (Granny Smith Liebhaber seien hier schon einmal vorgewarnt).


Nun hat der Krebs Mrs. Millwood jedoch erneut eingeholt und sie muss sich einer Chemotherapie im Krankenhaus unterziehen. Die täglichen Mittagessen werden durch Telefonate ersetzt, die der Höhepunkt des Tages für den einsamen Mann sind. Er fiebert den fernmündlichen Gesprächen mit seiner „Freundin“ entgegen und ist fest entschlossen ihr zu helfen. Mrs. Millwood bittet ihn daraufhin eine ihrer ehrenamtlichen Aufgaben zu übernehmen. Er soll im örtlichen Tierasyl als Hilfe einspringen. Mr. Doubler willigt ein. Und obschon sein erster Einsatz fast in einer (skurrilen) Katastrophe endet, lässt er sich nicht entmutigen.


Seni Glaisters Erzähltempo ist gemächlich. Und so dauert es eine Weile bis man sich ins Herz des Buches gelesen hat. Aber hier ist der Weg das Ziel. Dass aus einem „Grantler“ am Ende ein Menschenfreund und Helfer wird, ist keine neue Idee. Der Bestseller „Ein Mann namens Ove“ von Fredrik Backman aus dem Jahr 2016 ist ein anderes gutes Beispiel. Mr. Doubler ist ein englischer Ove. Nicht ganz so ruppig. Und nicht selbstmordgefährdet. Aber ebenso liebenswert und ebenso praktisch und handwerklich geschickt. Und ganz nebenbei auch ein guter Koch und exzellenter Hobby-Bäcker. Eigenschaften die seine wachsende Beliebtheit bei den neuen Bekannten noch verstärken. Und die mich als Leser begeisterten. Ich habe noch während der Lektüre selber angefangen zu backen.


Wohltuend ist auch die Lebensklugheit die hier auf jeder Seite aufscheint. Diese spiegelt sich nicht nur in der Liebe zur Natur und zu den Tieren, die im Asyl versorgt werden müssen. Mr. Doubler nimmt sich Zeit für die Menschen denen er begegnet. Er hilft auf unkonventionelle Art und erzielt damit unerwartete Erfolge. Auch sein eigenes Familienleben bringt er in Ordnung, indem er sich der Vergangenheit und seinen eigenen Fehlern stellt. Dabei erkennt er, dass er zwar manches falsch gemacht hat aber nicht für alles verantwortlich ist, das z.B. im Leben seiner Kinder schief lief.


Am Ende legt man „Mr. Doubler und die Kunst der Kartoffeln“ mit einem Wohlgefühl aus der Hand. Angefüllt mit inspirierenden Gedanken die sich um ein wahrhaft erfülltes Leben, Hilfsbereitschaft, Freundschaft und Liebe drehen. Und nicht zuletzt um gutes Essen.

  

 

Über mich

  • 23.02.2014

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Literatur, Unterhaltung

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