Bewertung zu "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" von Jonas Jonasson
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, ist ein Roman über einen Hundertjährigen, der aus dem Fenster steigt und verschwindet. An solche Wiederholungen muss sich gewöhnen, wer das Buch von Jonas Jonasson genießen will. Ich sage das mit Hochachtung, denn selten habe ich die Wiederholungen von Worten und Formulierungen so genossen wie bei diesem Buch. An dieser Stelle soll den hervorragenden Inhaltsangaben anderer Rezensenten keine weitere hinzugefügt werden. Daher komme ich gleich zu meinem ...
FAZIT: Die Sprache von Jonas Jonasson wirkt vordergründig naiv. Anderen Autoren würde ich einen solchen Ton nicht durchgehen lassen, weil er mir auf den Wecker fiele. Die Erzählweise von Jonasson dagegen empfinde ich als liebenswert. Sie weckt Sympathie für die Hauptfigur des Allan Karlsson. In seiner notorisch positiven Grundeinstellung kommt uns der Hundertjährige tatsächlich etwas zurückgeblieben vor. Irgendwann staunen wir, wie er gerade damit – und mit seiner Trinkfestigkeit – ein Staatsoberhaupt nach dem anderen um den Finger wickelt. Selbst, wenn das einmal schief geht wie bei Genosse Stalin, und Karlsson in einem Arbeitslager landet, kann er seiner Situation noch etwas Positives abgewinnen. Sind also wir Leser mit all unseren Bedenken und Zweifeln in Wahrheit die Zurückgebliebenen und der hundertjährige Optimist der Lebenskünstler? Diese Frage mag jeder beantworten, wie er will.
Was mich an Johanssons schlichter Erzählweise etwas gestört hat, ist das häufige direkte Ansprechen der Leser mit der Satzendung »..., oder?«. Das würde Sie doch auch nerven, oder? Doch dieser Makel ist eher wie der Schönheitsfleck, der ein Gesicht nur umso attraktiver erscheinen lässt. Ich bekenne offen: Der Hundertjährige hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Wer skurrilen Humor mag, kommt hier auf seine Kosten. Ich denke da nur an den Elefanten Sonja, der einen bewaffneten Gangster unschädlich macht, indem er sich auf ihn draufsetzt. Der Halunke ist nachher so platt, dass er bequem unter den Rücksitz einer Limousine passt. Das ist nicht der einzige absonderliche Todesfall, durch den der Hundertjährige das Interesse von Polizei und Presse auf sich zieht.
Der Roman wechselt zwischen Gegenwartshandlung und Rückblenden. Bei anderen Autoren leidet unter einer solchen Dramaturgie häufig der Zusammenhalt der Geschichte. Nicht so bei Jonasson. Er schafft durch die beiden Erzählstränge erst ein harmonisches Ganzes, das der Figur des Hundertjährigen Leben einhaucht und sie sympathisch erscheinen lässt. Der Lebenskreis des Protagonisten schließt sich im letzten Kapitel – mit dem gleichen Text wie in Kapitel eins.
Die Idee, den Leser 100 Jahre Zeitgeschichte durch die Augen des Protagonisten miterleben zu lassen, kennen wir ja bereits aus meinem Roman Der Kreis der Dämmerung. Jonasson hat diesen Ansatz auf seine eigene, äußerst erfrischende Weise umgesetzt. Sein Roman spornt den Leser an, sich nie das Heft des Handelns aus der Hand schlagen zu lassen. Bis ins hohe Alter ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sollte nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Ich habe lange nicht mehr so viel Spaß mit einem Roman gehabt.