RawQ
- Mitglied seit 01.05.2016
- 3 Freund*innen
- 27 Bücher
- 5 Rezensionen
- 23 Bewertungen (Ø 3,96)
RawQs Bücher
Zur BibliothekRezensionen und Bewertungen
Bewertung zu "Die vielen Leben des Harry August" von Claire North
Bewertung zu "The Left Hand of Darkness" von Ursula K. Le Guin
Der Eröffnungssatz von Amalthea ist einfach und doch spektakulär:
»Der Mond explodierte ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund.«
Dieser sachliche und eher analytische Ton zieht sich durch den ganzen Roman. Mit wissenschaftlicher Präzision entfaltet sich ein Weltuntergangs-Szenario und als letzte Hoffnung bleibt eine Arche oder ein Schwarm von Archen im Orbit.
Es ist kaum möglich, über diesen Roman eine Rezension zu schreiben, ohne nicht zumindest einige milde Spoiler preis zugeben (die, wie ich hoffe, Interesse wecken sollten). Wobei die Zusammenfassung bei Amazon schon viel zu viel verrät (mehr als ich in dieser Rezension) und die Beschreibung auf dem Buchcover sogar nahezu alles spoilert (nicht lesen!).
Da der Roman in einer nicht allzufernen Zukunft spielt (ISS-Raumstation, Internet, Facebook usw.), bleibt die beschriebene Technik glaubwürdig und nahe an der Realität. Sehr detailliert erklärt Neal Stephenson das Navigieren im Orbit und wie Schwerkraft durch Rotation ermöglicht wird. Ich habe diese Beschreibungen sehr genossen, verstärkten sie doch das Gefühl, dass es sich so ereignet haben könnte.
Zudem bleiben die Charaktere lebendig und glaubwürdig, werden nicht von den technischen Beschreibungen erdrückt. Einige kritisierten, dass die Protagonisten angesichts des Endes der Menschheit (zumindest auf der Erde) zu unberührt blieben. Jedoch halte ich es für eine Stärke, denn hier geht es nicht um ein Weltuntergang in Hollywood Manier. Zum einen handelt es sich bei den Protagonisten um Wissenschaftler, Ingenieure, rational und analytisch denkende Menschen, zum anderen gibt es sehr wohl emotionale Szenen. Jedoch ohne Pathos, sondern still, einfach, kraftvoll.
Mir erschien jedoch der Countdown von zwei Jahren, bis zum harten Regen (einem schauer von Mondboliden der die Erde in ein glühendes Etwas verwandelt) zu kurz um eine nennenswerte Arche im Orbit aufbauen zu können, auch wenn die Ressourcen der gesamten Menschheit sich darauf konzentrieren würden.
Ich fragte mich, wie die vielleicht tausend Menschen dort langfristig überleben sollten. Als einzige Technik, die wohl deutlich über dem heute möglichen liegt, eine Arme tausender kleiner Roboter.
Aber anstatt dem Leser Hoffnung zu geben und eine Perspektive aufzuzeigen, erzeugt Neal Stephenson immer größere Bedrohungen, von technischen Versagen der Systeme zu dem Einschlag von Trümmern bis zu politischen Auseinandersetzungen. Eine irrwitzige Dezimierung der letzten Menschen, eine nicht aufzuhaltenden Spirale, der totalen Auslöschung scheint nahe.
Diese Geschichte, welche in den ersten beiden von drei Teilen erzählt wird, ist großartig, intensive und erhält durch die genauen Beschreibungen ein Gewicht von der Masse des Mondes selbst.
Doch dann ist da noch der dritte Teil. Hätte Neal nach immerhin knapp 680 Seiten aufgehört, wären es ohne jede Frage 5 Sterne. Ein in sich stimmiger Roman, der irgendwann eine Fortsetzung erfahren könnte, aber nicht müsste.
Der dritte Teil spielt 5000 Jahre später und fühlt sich wie ein ganz anderes Buch an. Hier erschlagen einen Info Dumps und eine wirkliche Geschichte lässt sich lange nicht ausmachen. Zudem hat mich auch die ganze rassische Terminologie der Urmütter eigentlich genervt. Mir scheint eine genetische Durchmischung nach so langer Zeit und der geringen Ausgangspopulation unvermeidlich.
Gegen Ende des dritten Teils treten die Beschreibungen jedoch in den Hintergrund und die Spannung kehrt zurück. Das Scharmützel am Ende ist von der Erzählperspektive (jemand der nicht im eigentlichen Geschehen steckt, sondern drum herum läuft) brillant inszeniert.
Dieser letzte Teil, des letzten Teils rettet für mich dann doch noch den Roman im ganzen, auch wenn der Anfang des dritten Teils schwere Kost war. Amalthea ist in jedem Fall eine Geschichte, die lange nachklingt.
Ich muss gestehen, dass ich, nachdem ich das großartige »Das Schiff« von Brandhorst gelesen habe, von Ikarus doch etwas enttäuscht bin.
Auch in diesem Roman entführt er den Leser in eine komplexe dichte Welt. Allerdings gelingt es ihm nicht diese kohärent und glaubwürdig zu halten. Zu viele Fraktionen, zu viele Spezies, Namen und Stimmen in Köpfen lassen Risse entstehen, über die der Plot im zickzack springt und sich mir oft nicht mehr logisch erschließt.
Bei der Suche nach einem Mörder, würde ich dem folgen von Spuren und Indizien erwarten, die langsam und mit Wendungen zu dem Täter führen, aber hier folgt der Hauptcharakter irgendwelchen Stimmen und Adressen, die aus dem nichts kommen, dies kulminiert zwar zu in sich spannende Szenen, führt aber im Gesamtplot zu nichts.
So einige Dinge wirken arg konstruiert, wenn z.B. der Protagonist immer wieder Schwächeanfälle bekommt (Teil des Plots) und in der nächsten Szene plötzlich sich wieder zusammenreißt und die unmöglichsten Anstrengungen meistert. Dennoch sind die Szenen für sich exzellent geschrieben und ihre Spannung entschädigt für einiges.
Ein interessantes Universum (das ein wenig an Hyperion erinnert), indem vielleicht eine Serie besser gewesen wäre als ein Roman, der leider etwas über das Ziel hinausschießt.
Brandhorst erschafft in diesem Roman, mit dem so unspektakulären Titel, eine dichte, faszinierende Welt. Allerdings musste ich mich, angesichts der vielen Begriffe, erst etwas orientieren. Mit einer gewissen Zuversicht wirft Brandhorst diese Begriffe dem Leser entgegen, sicher mit der Absicht, dass sie Fragen aufwerfen, die einen noch tiefer in die Geschichte ziehen.
Und der Plan geht auf. Seine Sprache vermeidet geschickt verbrauchte SciFi Wörter und öffnet neue Horizonte. Es ist ein Genuss, wie Brandhorst hier die deutschen Sprache einsetzt: Aktuatorweiche, Brüter, Edukatoren, Konnektoren, Weltenbrand.
Der Weltenbrand markiert eine Katastrophe die vor eine Millionen Jahren alle Zivilisationen in unserer Galaxie auslöschte. Hier bedient sich Brandhorst der gleichen Idee wie in Mass Effect (VG) und obwohl es sogar weitere Überschneidungen gibt, handelt es sich doch um eine ganz andere Geschichte. Sie ist tiefsinnig, ja, literarisch und eine bohrende Spannung lässt die letzte Seite viel zu schnell zum Vorschein kommen – voll Wehmut blieben meine Tage nach dem Beenden.
Dennoch würde ich vor allem gegen Ende die zunehmenden Logikfehler (oder Verwirrungen?) kritisieren – Plotholes, die ich auch nach eingehender Überlegung nicht aufzulösen vermochte. Jedoch ist die Bugwelle der Geschichte so gewaltig, dass diese darin schlicht untergehen und für mich letztlich zu keiner Abwertung führen.
Andreas Brandhorst, deutsche SciFi vom feinsten.
Über mich
- männlich
- 11.08.1969
- http://die-unbeschriebene-welt.de/