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Ruprecht_Günther

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Cover des Buches Das achte Leben (Für Brilka) (ISBN: 9783548289274)

Bewertung zu "Das achte Leben (Für Brilka)" von Nino Haratischwili

Das achte Leben (Für Brilka)
Ruprecht_Günthervor 5 Jahren
Kurzmeinung: Ein Buch, das man eigentlich zweimal lesen sollte
Der sich schließende Kreis

Diese georgische Familiensaga sollte man eigentlich - wenn sie nicht so umfangreich wäre - zweimal lesen: Beim ersten Mal langsam sich voran tastend, immer wieder zweifelnd, ob man nicht doch damit aufhören soll - und beim zweiten Mal fasziniert ob dieses ineinander verschlungenen, raffiniert gewobenen Kunstwerks. Denn das entscheidende an diesem Buch ist der Schluss, genauer gesagt, der Teil, von dem an die Erzählerin des Roman-Monuments das Licht der Welt erbilckt und endlich nicht nur hin und wieder, sondern durchgängig in Ich-Form schreiben darf. In diesem Augenblick scheint der Roman, der sich lange Seiten recht träge dahinschleppt, zum Leben zu erwachen und zu expoldieren, um in der Begegnung mit der unglaublichen Nichte Nizas, der 12-jährigen Brilka zu einem furiosen Schluss zu kommen, der den Kreis zum Anfang schließt und die ganze, lange Geschichte erst richtig erklärbar macht.

Aber von vorn: Gleich am Anfang stellt Niza, die 1973 in der Nähe von Tiflis geboren wird, klar dass sie dieses Buch für ihre junge Nichte schreibt, die von einer Balletttour nach Amsterdam ausgebüchst ist und nach Wien möchte. In wenigen Fragmenten nimmt sie damit Teile des Schlusses vorweg. Und erst am Ende begreift man, warum ihr das Kind so wichtig ist und warum sie sich an das mühsame Unterfangen macht, die Geschichte ihrer Familie aufzuschreiben. 
Wir erleben eine Saga über sechs Generationen hinweg, die mit der Geschichte einer zweiten Familie eng verwoben ist. Was zunächst eher konservativ, ohne große Höhen und Tiefen beginnt, wird im Lauf der Handlung immer mehr zu einem Parcours von schicksalhaften Begegnungen, Verwicklungen und Zwängen, die auf verschlungenen, anscheinend unvermeidbaren Wegen in Streit, persönliche Katastrophen und Entfremdung führen. Diese Saga ist engebettet in die Geschichte Georgiens und Russlands, um nicht zu sagen der ganzen Welt, wird von ihr reflektiert und spiegelt sie selbst wider. 
Die Erzählerin kennt diese Geschichte in weiten Teilen nur vom Hörensagen und wählt sowohl das Stilmittel des Allwissenden Erzählers wie auch das des personalen Schreibstils. Dies macht meines Erachtens eine Schwäche des Buches aus. In weiten Teilen recht langatmig, läßt es uns mal alles wissen (Stilmittel 1), mal in die persönliche Sicht der Protagonisten schlüpfen (Stilmittel 2), wobei es dabei aber von Person zu Person springt und nicht stringent bei einem Protagonisten bleibt.
Am vorläufigen Ende dieser Familiensaga steht Niza. Sie ist hochintelligent, eckt überall an und verfügt doch über eine Kraft, die sich aus der "närrischen" Liebe ihrer Urgroßmutter Stasia und ihrer hauseigenen Unbeugsamkeit speist. Sie selbst und die ganze verbliebene Familie erleiden einen Schock, als ihre  von allen geliebte Halbschwester D aria, Mutter der kleinen Brilka, stirbt. Dieses Ereignis läßt das eh schon brüchige Gefüge der Familie zusammenbrechen. Die bisher so gradlinige Niza steuert halb bewusst auf ihr eigenes Fanal zu, wird vergewaltigt und flieht nach Berlin. Sie bricht alle Kontakte zur Familie ab und übt sich erfolgreich in der Kunst des Nicht-Hinschauens und Verdrängens.
Bis - und nun schließt sich der Kreis - ihre unbekannte Nichte Brilka auftaucht und die harte Schale ihrer Verdrängung sprengt. Das Mädchen wählt ihre Nahrung nach essbaren und nicht essbaren Farben aus, ist widerborstig, zäh, unleidig, eine begnadete Tänzerin, eine so unausgegorene, absturse Mischung aus Wehmut, Zorn, Zärtlichkeit und Verzweiflung, dass es  dem Leser (jedenfalls mir) die Tränen in die Augen treibt. Brilka ist, ohne es zu wissen und zu wollen, der Schlüssel, um diese Geschichte des Nicht-Hinschauens und der Verdrängung, die nicht erst mit ihrer Tante Niza begonnen hat, zu heilen.
Niza wacht aus ihrem Dornrößchenschlaf auf und macht sich auf die lange und schmerzvolle Suche nach ihrer und Brilkas Vergangenheit.
... Wie gesagt, es gibt Bücher, die sollte man zweimal lesen ...

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