Der Bronstein ist wieder da, und das freut mich. Vor vier Jahren hieß es „Goodbye“, als der pensionierte Oberst noch einmal im Jahr 1955, dem Jahr des Staatsvertrages von Österreich, ermitteln durfte. Und ich verspürte Wehmut, war mir doch dieser spezielle Ermittler ans Herz gewachsen – genauso wie die restlichen sechs Romane es taten, die Andreas Pittler rund um ihn gebaut hatte. Denn sie arbeiteten mit viel historischen Details, spannend und launig einen Teil der österreichischen Geschichte auf, der vielen Menschen nicht sehr vertraut ist, die Zeit der ersten Republik und des Ständestaats über den Anschluss an das Deutsche Reich 1938 bis in die frühe Nachkriegszeit.
Nun präsentiert uns Pittler einen „vergessenen Fall“ von David Bronstein – man neigt dazu, das Vergessen als Verdrängung des Oberst zu interpretieren, wenn man im Epilog den endgültigen Ausgang des Falles sowie die letzten Zeilen liest: „Und der darauf saß, das war der Tod. Und die Hölle folgte ihm nach.“ Es sei nicht mehr verraten, als dass einem plötzlich viele Sätze und Nachrichten, die aktuell aus den Medien tröpfeln, wie ein Echo aus dieser scheinbar längst vergangenen Zeit vorkommen.
Wir schreiben das Jahr 1936, als in Deutschland Hitler sein Image in der Welt mit der bombastischen Inszenierung der Olympischen Spiele zu verbessern sucht. In Österreich sind die Nazis noch illegal, sie stehen genauso wie Kommunisten und Sozialisten unter der Beobachtung des autoritären Ständestaats. Einer von diesen, Hans Binder, der bereits für seine sozialistische Gesinnung im Gefängnis war, liegt erschossen in seiner Wohnung. Keiner hat etwas bemerkt, gehört oder gesehen, es gibt keine Einbruchsspuren, ja, Binder muss seinen Mörder sogar gut gekannt haben, denn hätte er um 5 Uhr früh einen Wildfremden eingelassen? Und was war im geheimen Versteck unter dem Bretterboden? Die erste Verdacht gegen einen Nazi hält nicht, die Ermittlungen stocken, und Bronstein wird noch dazu als „Publikum“ zum Prozess gegen illegale Sozialisten, darunter Österreichs späterer Bundeskanzler Bruno Kreisky, abkommandiert – mit der Weisung, den Fall des Mordes „an dem roten Häfn-Bruder“ einzustellen. Die politische Seite der Gerichtsverhandlung bringt ihn zunehmend in Rage, bis er sich daneben benimmt und ruhig gestellt wird, sprich, in seinem Büro nur noch Kaffee trinken darf. Und sein Partner Cerny wird zu einer Fortbildung in Salzburg verbannt. Doch genau dieser Knüppel zwischen ihre Beine bringt die beiden auf eine neue, heiße Spur …
Wer statt sich selbst überholender Action lieber detailreiche Ermittlungsarbeit mag, ist bei diesem Roman genau richtig. Als Draufgabe gibt es viele spannende historische Details, die die damalige Zeit wunderbar auferstehen lassen, und einen Ermittler, der einem in seiner Unvollkommenheit (isst zu gerne, trinkt zu gerne, schafft kaum eine Treppe, bejammert sein Leben ohne Frau und Kind, macht sich gegenüber hübschen Frauen lächerlich, hadert mit der Sinnlosigkeit des Staates Österreichs und seines eigenen Lebens) und mit seinem Herz am richtigen Fleck zu einem lieben Freund wird. Hoffentlich hat David Bronstein noch einen Fall vergessen! Oder vielleicht auch zwei?