Bewertung zu "Talar und Hakenkreuz" von Michael Grüttner
Michael Grüttner hat im C. H. Beck Verlag seine Monografie "Talar und Hakenkreuz" veröffentlicht. Damit hat er einen bisher weitgehend blinden Flecken der Grundlagenforschung über das 3. Reich zumindest erschlossen. Das Werk ist besonders verdienstvoll, da es hilft, die heutige und damalige Wissenschaftspolitik zweier diametral ausgerichteter Systeme miteinander zu vergleichen. Dass Grüttner als Erster damit quasi wissenschaftliches Neuland betritt, kann ihm gar nicht hoch genug angerechnet werden. Zugleich lässt es dadurch auch manche etwas zu systematisch-klassifizierende und zu summarisch verfahrende Passagen in dem Werk als eher banale Nichtigkeiten erscheinen.
Zum Inhalt: Lange Zeit haben sich die deutschen Universitäten vor allem als Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft gesehen. Erst allmählich und widerstrebend setzte sich die Einsicht durch, dass das nicht die ganze Geschichte ist. Inzwischen sind zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Universitäten, Disziplinen, Wissenschaftlern erschienen. Michael Grüttner legt mit diesem Buch auf der Grundlage jahrelanger Quellenforschung erstmals eine Gesamtdarstellung zu den Universitäten im Dritten Reich vor. Die 23 Universitäten, die am Ende der Weimarer Republik in Deutschland existierten, waren seit 1933 massiven «Säuberungen» ausgesetzt, die sich vor allem gegen Studierende und Wissenschaftler jüdischer Herkunft richteten. Dieser «Machtergreifung» von oben entsprach eine «Machtergreifung» von unten: Viele Professoren traten in die Partei ein, manche versuchten wie Carl Schmitt und Martin Heidegger, sich als Vordenker des NS-Regimes in Stellung zu bringen. Michael Grüttner schildert eindringlich die erstaunlich geräuschlose Machtübernahme der Nationalsozialisten, analysiert die Hochschulpolitik des Regimes, die sich ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Fächer auswirkte, und erklärt, warum die Wissenschaften im Dienst des Nationalsozialismus nicht nur unfreier wurden, sondern mitunter sogar größere Handlungsspielräume besaßen als je zuvor. Ein Epilog zur Nachgeschichte rundet diese souveräne, längst überfällige Gesamtgeschichte ab.
Insgesamt ist dem Autor mit "Talar und Hakenkreuz" ein gutes Grundlagenwerk gelungen. Zugleich zeigt sich, wie viel Forschungspotenzial auf diesem Gebiet noch für nachfolgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht. In manchen Passagen verfährt der Autor meines Erachtens etwas zu summarisch und bedient auch manches Klischee der NS-Forschung, das für den Inhalt eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Dies ist an sich überflüssig, da Grüttners kritisch-distanzierte Position zur NS-Forschungspolitik beinahe in jeder Zeile mitzulesen ist. Fazit: Ein gelungenes Grundlagenwerk, das in jede Bibliothek derjenigen gehört, die sich gerne mit Spezialgebieten der neueren Forschung über den Nationalsozialismus beschäftigen.