Peter Longerich schätze ich seit langer Zeit als einen der deutschsprachigen Historiker, der sich ausgezeichnet in der Geschichte des Nationalsozialismus auskennt. Nun hat er einen Teilausschnitt aus der Geschichte kurz nach der "Machtübernahme" herausgepickt, den sogenannten "Ruhm-Putsch". Die SA wurde angeblich Hitler, der Reichswehr und der SS zu gefährlich. Leider verschweigt - oder aber schlimmer noch ignoriert - er einen Aspekt; den zentralen inhaltlich-konfliktären Streit zwischen Hitler und Röhm, der nicht wie im Buch behauptet um die Frage einer SA-Armee oder dem Erhalt der Reichswehr ging, sondern eine übergeordnete philosophisch-weltanschauliche Grundlage besaß: Während Hitler nach der vollzogenen NS-Revolution in eine lange Phase der Evolution, die durch den 2. Weltkrieg verhindert wurde, übergehen wollte, bestand der Militär Röhm auf einer permanenten Revolution. Dieser Aspekt ist leider im Buch völlig ausgeblendet.
Zum Inhalt: 1934, ein Jahr nach der »Machtergreifung«, gerät das NS-Regime in eine schwere Krise. Die politischen Erfolge bleiben aus, die erste Euphorie unter den Anhänger:innen ist verflogen. Ernst Röhm baut seine »Sturmabteilung« weiter aus und fordert eine Fortsetzung der »nationalsozialistischen Revolution«, gleichzeitig formieren sich ultrakonservative Kräfte. Im Juni 1934 hält Hitler blutige Abrechnung: Er lässt Röhm und die SA-Spitze kaltblütig liquidieren. Doch die Morde eskalieren. Peter Longerich rekonstruiert die komplexen Hintergründe des sogenannten »Röhm- Putschs« und zeigt zum ersten Mal anhand der umfassenden Auswertung zeitgenössischer »Stimmungsberichte«, wie die Bevölkerung auf das Morden reagierte. Sein Fazit: Die »Nacht der langen Messer« war ein Zentralereignis in der Geschichte des Dritten Reiches, das Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft ebnete.
Longerich nimmt sich, meines Erachtens recht unsystematisch in das Gesamtnarrativ des Buchs eingebettet insbesondere Berichte der Staatspolizei mit wenigen ausgesuchten Schwerpunkten vor. Hier hätte eine Begründung notgetan, wieso ausgerechnet die Berichte dieser Orte ausgewählt wurden methodisch gutgetan. Überhaupt ist m.E. das Gesamtnarrativ des Buchs eine wenig problematisch. So bleibt ein wenig ein ratloser, bereits wissender Leser zurück, der sich fragt, wieso diese Geschichte noch einmal mit etwas anderen Gewichtungen erzählt wird und wieso dabei wesentliche Aspekte nicht ausreichend thematisiert wurden. Insgesamt dennoch recht kurzweilig, informativ und mit schönen Bildern. Den Molden Verlag sollte man sich merken!