Stephan58

Welchen Preis bist du bereit für die Verwirklichung deiner Träume zu zahlen?

Suter entwickelt eine fesselnde Story über einen Video-Journalisten, der eigentlich ein Filmemacher sein will, für das tägliche Überleben Life-Style-Stories dreht und sich plötzlich in den Ermittlungen zu einem kaum glaublichen Finanzskandal wiederfindet. Als ihm unverhofft die Verwirklichung seine Filmprojekts Montecristo ermöglicht wird, stellt sich die Frage, ob er bereit ist, dafür die anderen, politisch brisanten Recherchen fallen zu lassen. Psychologisch ein hochinteressanter Stoff. Nur das Ende, das für mich der Realisation einer Verschwörungstheorie nahekam, konnte mich nicht überzeugen.

Ein befremdlicher wie faszinierender Roman aus Südkorea mit schrägen Wendungen. Mich hat der Roman zunächst gefesselt, ich wollte mehr erfahren über die sich radikal verändernde bis dato normale Ehe, bis die Ehefrau Yeong-Hye sich von einem Tag auf den anderen zu einer dogmatischen Vegetarierin wandelt du damit nicht nur die Beziehung zu ihrem Ehemann auf den Kopf stellt, sondern dessen berufliches Weiterkommen gefährdet und die gesamte Familie gegen sich aufbringt.

In der Problematisierung ihres Verhältnisses zu den Eltern, ihrer Schwester und ihrem Schwager erfährt man viel über die südkoreanische Gesellschaft und deren traditionelle gesellschaftliche Wertvorstellungen. Die werden zutiefst erschüttert und durcheinander gewirbelt. Im letzten Drittel glitt mir der Roman in seiner Radikalität zu sehr in den Bereich der pornografischen Darstellung ab, was mir zu auf die Gesamt-Story aufgesetzt erschien.

Insgesamt, auch wieder mit der Schlusssequenz, ein innovatives, lesenswertes Buch!

Oft lesen wir von schweren Schicksalen, überlesen sie, weil es zu viele sind. Aber was ist, wenn wir persönlich betroffen sind?  Die Einzelschicksale sind es, die uns berühren, uns anrühren und etwas in uns bewegen. Carrére berichtet davon, vom tödlichen Tsunami auf Sri Lanka, vom Tod einer jungen Frau und am Ende vom Krebs und der Angst davor, daran zu erkranken. Carrére versteht es, wenn auch manchmal in etwas langatmigen Ausführungen, uns diese Schicksale näher zu bringen, uns zwei Begegnungen mit dem Tod nahe zu bringen und am Ende bleibt man als Leser nachdenklich zurück.

Eintauchen in den kleinen Kosmos einer kurdischen Familie aus dem Irak, eine Hochhauswohnung irgendwo in Deutschland. Ist die Familie wirklich hier angekommen? Taha beschreibt die kulturelle Irritation und das Fremdsein, Fremdbleiben, und dabei nimmt jede Figur des Romans einen eigenen Weg, die depressiver Mutter, der Vater, der fremdgeht, die Tante, die auf dem Sofa sitzt und die Familie überwachend zusammenzuhalten scheint, Sanaa, die ihre eigene Identität in dem neuen Land sucht und dazu einen Freund und einen Liebhaber braucht, ebenfalls Fremde in diesem Land. Krabbenwanderung, die Metapher entspringt der Geschichte des Exodus des Krabbenvolks, die eine kleine Krabbe einsam zurücklassen, die  nun allein am Strand herumirrt und… kneift.

Nach den ersten Seiten dachte ich noch, okay, eine jugendliche Sprache, aufbegehrend gegen das brav christliche Leben in Südnorwegen, feministisch verbunden mit radikaler Metal-Rebellion, aber dann war es doch nur heiße Luft, leider. Die Sprache oft zu umständlich, die Rebellion ein Sturm im Wasserglas, und die andauernden Wiederholungen der wie unterdrückt rausgepressten statt offen rausgeschleuderten Hasstiraden…, schade. Die Verbindung eines radikalen spätpubertierenden Feminismus mit den Anfängen der Metal-Rebellion hätte mehr Potential gehabt. Vielleicht beim nächsten Roman?

Japan 1946. Der Krieg ist gerade ein Jahr zu Ende und hat in der japanischen Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Der Privatermittler Kosuke Kindaichi reist auf die abgelegene Insel Gokumon, um einer der wichtigsten Familien mitzuteilen, dass einer ihrer Söhne auf einem Truppentransporter gestorben ist. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit. Der Sterbende hat auch eine mysteriöse Warnung ausgesprochen, dass seine drei Schwestern in Lebensgefahr schweben. Der Insel selbst hängt ein düsterer Ruf an. Die Honorationen der Stadt empfangen Kindaichi, aber dann nimmt das Unglück seinen Lauf.

Der Roman erschien schon in den 80er Jahren und erscheint im Stil von Agatha Christie. Jetzt, 40 Jahre nach der Erstausgabe muss man Abstriche an einigen Formulierungen und Sichtweisen machen, erhält aber, wenn man sich auf die Story einlässt, einen tiefen Einblick in die japanische Gesellschaft und die frühen Nachkriegsjahre.

Mir hat das Buch sehr gefallen.

Arno Geiger erzählt die Geschichte seiner Jugend als unbekannter und wenig erfolgreicher Autor, von Selbstzweifeln und gleichzeitiger Unbekümmertheit. Die Papiercontainer der Stadt bieten ihm die Grundlage der Existenz, indem er das Weggeworfene, Entsorgte anderer Leben auf Flohmärkten verkauft und, zunächst unbewusst, für seine späteren Erfolge sammelt und bewahrt.

„Ich dachte, warum nur in einen Papiercontainer schauen, wenn es in der Stadt Abertausende gibt. So kam es, dass ich vom guten Weg abwich und aufs Geratewohl losmarschierte auf ein Terrain, das gekennzeichnet ist von Schmutz und fehlender Schicklichkeit. Ich geriet in etwas hinein, dass sich zunächst als Irrsinn erwies und später als eine gute Sache.“

Gerne folgen wir dieser Geschichte, die mit den ersten Erfolgen  als Autor nicht endet.

Ein wunderbares Buch!

Rudolf Nurejew (1938-1993). MC Cann erzählt das Leben des Tatarischen Ausnahmetänzers aus Ufa in der Sowjetunion, der sich 1961 in den Westen absetzt, und von seinen Freundinnen und Freunden, Förderern und Neidern, seiner Familie in Ufa und Leningrad, die er erst nach 36 Jahren 1987 wiedersehen wird, vor allem aber neben all den Extravaganzen und körperlichen Strapazen Nurejews, von seinem Tanz.

Glorifiziert wie eskapistisch, beseelt wie tragisch entwurzelt und immer wieder einsam. McCann schildert alle Facetten eines außergewöhnlichen Lebens. Dabei vergisst er nicht den Fokus auf diejenigen zu richten, die zurückblieben in Ufa, in Leningrad, und ihren Alltag unter ganz anderen Bedingungen meisterten. Absolut lesenswert!

Martin Suter besticht durch seine Erzählkunst, auch wieder in diesem Roman, der sich um die verlorene Liebe des gealterten ehemaligen Nationalrats Dr. Stotz in Zürich dreht. Tom Elmer, der junge Anwalt, soll dessen Nachlass ordnen, verpflichtet sich auf ein Jahr in die Villa des vormals einflussreichen und wohlhabenden Strippenziehers einzuziehen. Überall in dem mondänen Anwesen hängen Bilder einer jungen Frau, die ihren Verlobten vor vierzig Jahren verlassen hat, spurlos, und der nun am Ende seines Lebens die Suche nach ihr noch zu Ende bringen und endlich Gewissheit haben will.

Martin Suter erzählt diese Geschichte mit all ihre n Nebenschauplätzen und den Verzweigungen in die Vergangenheit des alten Mannes, verliert dabei nie den Spannungsbogen und überrascht mit einem unerwarteten Ende! Lesenswert.

Karsten Dusse hat mit „Achtsam morden“ einen herrlich unkonventionellen, mit schwarzem Humor gespickten Kriminalroman geschrieben. Wer hätte schon gedacht, wohin einen ein von der frustrierten Ehegattin verordneter Achtsamkeitskurs bringen kann. Der Protagonist, Rechtsanwalt Björn Diemel und Strafverteidiger eines brutalen Großkriminellen wider Willen, ist der gedemütigte und belächelte Underdog einer honorigen Anwaltskanzlei, in der ja einer auch die Dreckarbeit machen muss, denn die Strafverfahren bringen seinen Chefs gutes Geld ein und Diemel ein eigenes Büro, Dienstwagen und ein sattes Monatsgehalt. Nur dass er dafür kein Privatleben mehr hat.

Aber der coole Achtsamkeitslehrer bringt ihm Lektion für Lektion bei, sich aus den selbst geknüpften Fesseln und Verstrickungen zu lösen, nur völlig anders wie gedacht. Dass dabei auch so manche der bekannten Achtsamkeitsregeln in der von Diemel angewandten Praxis konterkariert werden, macht den großen Reiz des Romans aus. Ich habe mich herzlich amüsiert.