Bewertung zu "Shattered Crescent: Die Risse seiner Seele" von Svea Lundberg
Thiago und Cielo sind Zwillingsbrüder. Geboren in Peru wurden sie von Marita und ihrem Mann adoptiert und sind auf einem Gnadenhof bei Barnitz aufgewachsen. Während sie sich äußerlich gleichen wie ein Ei dem anderen, sind sie charakterlich recht unterschiedlich. Thiago ist eher besonnen und ruhig, Cielo hingegen ungestüm und idealistisch. Als ein ausgemustertes Rennpferd mit offensichtlichem seelischen Trauma auf dem Hof landet, ist Cielo entschlossen, sich in die Rennsportszene einzuschmuggeln, um für die Tierschutzorganisation, in der er sich engagiert, Beweismaterial zu sammeln. Er will aufzeigen, wie rücksichtslos die Tiere ausgebeutet werden. Dass er sich dabei an der Grenze zur Illegalität bewegt, ist ihm egal. Aber dann bricht er sich den Arm und bittet Thiago, für ihn einzuspringen. Doch in dem Rennstall von Andreas Sickler findet Thiago nicht gerade das, was Cielo sich erhofft hat. Außerdem ist da noch Sam, der für seine Karriere als Jockey an die eigenen Grenzen geht, die Pferde und ihr Wohl hingegen nie aus den Augen verliert. Wie passt das alles zusammen? Und ist Thiago trotz der Gefühle, die er für Sam entwickelt, noch objektiv genug? Als sich die Ereignisse dann überschlagen, sieht sich Thiago plötzlich vor ganz andere Probleme gestellt und muss erkennen, dass weder in der Rennsportszene noch in Sams Leben die Dinge immer so sind, wie sie scheinen.
Ja, ich bin Pferdefan und ja, auch ich sehe die Pferdesportszene teilweise sehr kritisch. Aber das beschränkt sich nicht auf den Rennsport allein und kann vor allem nicht pauschalisiert werden. Überall gibt es schwarze Schafe und solche, die es tatsächlich mit viel Herzblut und aus Liebe zu den Tieren betreiben. Natürlich geht es dabei auch um Gewinn, aber das geht es letztlich in jedem Job. Von daher fand ich es sehr erfrischend und herausragend, dass Svea Lundberg hier kein Urteil fällt und einseitig bewertet. Ihr Blick in die Rennsportszene ist sehr objektiv, gibt sowohl den Kritikern wie den Befürwortern eine Stimme und lässt genügend Raum, sich eine eigene Meinung zu bilden. Gerade die Sichtweise von Sam und Andreas zeigen hier sehr deutlich, dass man nicht vorschnell urteilen darf. Dennoch wird nichts beschönigt und auch die Tierschützer erhalten durch Cielo eine Stimme. Thiago steht – genau wie der Leser – letztlich irgendwo dazwischen und ist angehalten, sich ein eigenes Bild zu machen, was für mein Empfinden sowohl ihm als auch dem Leser recht gut gelingt.
Es kommt in vielfacher Hinsicht während der Story immer wieder zu Konflikten. Solche, die von den Protas mit sich selbst ausgefochten werden, aber auch welche, die sie untereinander oder gegeneinander austragen. Das hält die Story immer in Bewegung und zeigt von jedem Haupt- aber auch von den meisten Nebencharakteren ein sehr vielschichtiges Bild. Man taucht tief in die Charaktere hinein, lernt ihre Träume kennen, aber auch wie hart und schwierig es ist, die zu erreichen. Man fühlt ihre Verzweiflung, wenn es schlecht läuft und ihre Freude bei einem Triumph. Zusammen mit Thiago tastet man sich behutsam an Sams verletzte Seele heran, findet Parallelen zwischen ihm und Shattered Crescent und erkennt, dass beide letztlich nur seelisch genesen können, wenn sie selbst den Willen dazu entwickeln – und dabei jemanden an der Seite haben, der ihnen Halt gibt. Thiago steht praktisch immer zwischen den Stühlen, was ihm zu schaffen macht. Auch das konnte ich sehr gut nachvollziehen. Sam ist sehr impulsiv, manchmal verbissen. Man kann anhand der Andeutungen zu seiner Vergangenheit nur ahnen, woran das liegt und welch alten Konflikt er mich sich austrägt. Sein Stolz steht ihm manchmal im Weg, aber seine Gefühle kann er dennoch nicht verleugnen. Zitat: „Can’t get over you, Bastard.“ Tatsächlich hat sich für mich in diesem Satz weit mehr gezeigt als das Offensichtliche. Es symbolisiert für mich Sams Naturell. Dass das, was er will und das, was er braucht einander manchmal im Weg stehen und er auch dort noch kämpft, wo er es eigentlich gar nicht müsste. Tief im Inneren weiß er aber, was gut für ihn ist. Genau das zeigt sich dann auch zum Ende des Romans.
Abschließend muss ich sagen, dass es eigentlich keine Figur in der Story gibt, die ich gar nicht mochte. Gerade durch ihre Schwächen waren sie alle sehr authentisch und glaubhaft.
Die Erotik ist hier wieder recht dezent, was sie passend zur Story macht. Hier stehen seelische Kämpfe im Vordergrund, da wäre es unpassend gewesen, mehr Gewicht auf die Sexszenen zu legen. Dennoch gibt es viele prickelnde Momente. Ich denke, sowohl für Einsteiger als auch für Fans des Genre ist der Roman dahingehend passend. Ich mag das bei Sveas Romanen immer sehr, dass die Beziehungen und die Intimität zwischen den Protas der jeweiligen Story entsprechend dosiert sind. Es gibt bei ihr da einfach kein Schema F, wie bei manchen anderen Autoren/innen des Genres.
Fast schon überflüssig, zu erwähnen, dass der Roman praktisch fehlerfrei ist. Aber auch das ist immer wieder ein Bonus für den Lesegenuss bei Sveas Titeln. Das Cover gefällt mir sehr gut und spiegelt für mein Empfinden auch die Gewichtung des Romans gut wider.
Mein Fazit: Ein packender, spannender und vielschichtiger Roman über den Pferderennsport und verletzte Seelen. Keine Schwarz-Weiß-Malerei und mit viel Feingefühl erschaffen. Daher eine klare Leseempfehlung nicht nur für Pferdefans und auch durchaus für Einsteiger ins Gay-Genre.