ThomasDellenbusch
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Rezensionen und Bewertungen
Bewertung zu "Der Herzschlag Connemaras" von Pia Recht
Bewertung zu "Der Herzschlag Connemaras" von Pia Recht
Zum Inhalt:
Charlie (Charlotte) ist allein. Verwitwet und das mit Mitte dreißig. Ihr verstorbener Ehemann Ben war nicht einfach nur ihr Ehemann. Er war ihr Seelenpartner, das Wesen, mit dem sie sich bereits im Himmel verabredet hatte, der Mann, der nur für sie geboren wurde und sie für ihn. Das Buch kennt nur zwei Kapitelüberschriften: „Erinnerung“ und „Gegenwart“. Diese Kapitel wechseln sich ab. In der Gegenwart erleben wir Charlie als trauernde Frau mit all ihren Gedanken und Gefühlen, in denen sie versinkt und vollends darin zu ertrinken droht. Sie kapselt sich ein und hadert immerzu mit ihrem Schicksal und vor allem der Frage, wie sie jemals wieder irgendein Leben wird führen können, das diese Bezeichnung auch nur ansatzweise verdient.
In den Erinnerungen lernen wir die Geschichte dieses Paares kennen, wie sich die beiden trafen und sich ineinander verliebten und später heirateten. Geschildert wird ein Traumpaar, ja. Aber das ist wichtig, damit der Leser Charlies Trauer selbst dann nachvollziehen kann, wenn er selbst solche Gefühle noch nicht hat ertragen müssen.
Bemerkenswert ist noch, wie ausgefeilt es die Autorin verstanden hat, kapitelübergreifende Parallelen einzuflechten. Es fiel mir mehr und mehr auf und nötigte mir großen Respekt allein vor der konzeptionellen Leistung ab. Als Charlie sich in Gegenwarts-Episode XY übergibt, wusste ich schon, dass sie es in der nun anschließenden Erinnerungs-Episode auch tun wird. Ich liebe solche konzeptionell intelligenten Besonderheiten.
Meine Meinung:
Ich darf wohl behaupten, dass die Zahl der von mir in meinem Leben gelesenen Bücher knapp vierstellig ist. Die meisten waren gut. Einige wenige davon bleiben mir seit ewig und für immer präsent. Unvergessliche Werke für mich. Dazu gehören Klassiker wie Die Leiden des jungen Werther, Der Steppenwolf oder Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, aber auch moderne Literatur wie Nebel von Avalon, Nachtzug nach Lissabon oder Gut gegen Nordwind.
Seit ein paar Tagen gehört auch For Good von Ava Reed in dieses ausgesuchte Regalfach der Unvergesslichkeit.
Ich bin sicher weit davon entfernt, Ava Reed mit Hermann Hesse, Pascal Mercier oder gar Goethe zu vergleichen, obwohl ihr Schreibstil hervorragend ist. Es liegt am Inhalt dieses Buches und die Art, wie er ausgedrückt wird. Vielleicht trägt auch der Umstand zu meiner Begeisterung bei, dass ich in derselben Situation wie Charlie steckte. Viel länger als sie, aber ebenso tief, gründlich und hoffnungslos. So wurde ich beim Lesen in diese Zeit und in diesen Seelenzustand zurück geschleudert. Ich musste das Buch mehrmals beiseite legen, weil ich durch einen salzigen Schleier hindurch nichts mehr lesen konnte und das Gift der eigenen Erinnerung mich schüttelte.
Und genau das ist der Grund für mein ebenso begeistertes wie baffes Erstaunen. Ich glaube, die Autorin ist gerade einmal Anfang 20. Wie geht so etwas? Sie hat die Gefühle und Gedanken Charlies über alle Kapitel variiert und ist trotzdem stets bei der tatsächlichen Realität dieser Gefühle geblieben. Es gibt keinen einzigen Gedanken, kein einziges Gefühl Charlies, die ich nicht aus eigener Erfahrung genau so bestätigen kann, wie Ava Reed sie aufgeschrieben hat. Dabei hat sie es verstanden, sie exakt so zu beschreiben, wie sie sich anfühlen.
Ava Reed hat nicht nur Emotionen verpackt, sie hat mit Worten dreidimensional greifbare Gefühle erzeugt. Dass man mit Anfang 20 nachfühlbar beschreiben kann, wie es ist, verliebt zu sein – ja, das ist anzunehmen. Aber wie kann sie in diesem Alter die vermutlich schwierigsten und schlimmsten Gefühle unseres Daseins exakt so in allen Einzelheiten zeichnen, als hätte sie sie selbst erlebt? Ich unterstelle (und hoffe) jedenfalls, dass sie sie noch nicht hat durchmachen müssen.
Und so bleibt diesbezüglich nur ein Fazit:
Ava Reeds Fähigkeit, eine überdurchschnittliche Empathie mit der ebenso überdurchschnittlichen Kunstfertigkeit zu verbinden, das empathisch Nachgefühlte mit Worten lebendig zu machen, hat ein Niveau, das nur die ganz Großen unserer Zunft erkennen lassen. Deswegen steht dieses Buch in meinem eingangs erwähnten Regalfach der Unvergesslichkeit – neben Hesse, Goethe, Kundera oder Mercier.
Ava Reed bezeichnet sich im Nachtrag des Buches selbst als Sensibelchen. Eine bescheidene Untertreibung.
Mit all dem geht es der Autorin um etwas. Um das Aufstehen. Um die Kraft, aus dieser Trauer herauszufinden. Auch aus der Trauer um das verlorene eigene Leben, das sich in der eigenen Vorschau in einem Ozean der absoluten Sinn- und Bedeutungslosigkeit verliert. Wer diesen nahezu völlig seelenlosen Seinszustand nicht selbst erfahren hat, dem wird Charlies Ertrinken darin vermutlich sehr lang vorkommen.
Tatsächlich ist aber ausgerechnet das der unrealistische Teil des Buches: Charlie hat nur läppische drei Monate dafür gebraucht, wieder aufzustehen.
Gäbe es 6 Sterne in den gängigen Bewertungsskalen, ich würde For Good sechs Sterne geben. Ein Ausnahme-Werk!
Bewertung zu "Das Leben der Fussgänger" von Sebastian Haffner
Bewertung zu "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe
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