Schreibstil und Sprache sind einfach.
Das Thema: Geschlechterselektierung in Indien und Auslandsadoption.
Obwohl ich das Buch gerne gelesen habe und stellenweise auch sehr berührt war, habe ich mehr Kritikpunkte als Positives zu schreiben.
Kavita, eine junge, indische Bäuerin, bringt in der Geburtshütte ihres Dorfes ihr erstes Kind zur Welt. Ein Mädchen. Ihr Mann reißt es ihr enttäuscht und zornig aus den Armen und lässt es von einem Cousin „entsorgen.“ Bei ihrer nächsten Entbindung (wieder ein Mädchen), kämpft Kavita darum, das Kind zunächst zu behalten. Die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse und gesellschaftliche Dogmen zwingen sie dazu, ihr Kind nach wenigen Tagen ins weit entfernte Waisenhaus zu bringen. Wenigstens soll dieses Mädchen leben.
Zur gleichen Zeit erleidet in Amerika die Kinderärztin Somer eine weitere Fehlgeburt. Sie fühlt sich unvollständig und sehnt sich nach Mutterschaft. Ihr Mann, Krishnan, Inder, Neurochirurg, der in Amerika studiert hat, schlägt vor, ein Kind aus Indien zu adoptieren.
Anfangs sträubt sich Somer, freundet sich aber schnell mit dem Gedanken an.
Kavita in Indien bekommt noch ein Kind. Endlich den ersehnten Sohn (Vijay). Nun gilt sie etwas, wird beschenkt und verwöhnt. Aber den Schmerz um ihre zweite Tochter, der sie einen Namen und einen Silberreif mitgegeben hat, kann sie nicht verwinden.
Somer fliegt mit Krishnan in dessen Heimatstadt, um ihre Adoptivtochter abzuholen.
In Indien fühlt sich Somer nicht wohl (Lärm, Gerüche, viel Familie - was hat sie erwartet?), obgleich ihr nichts Böses getan wird.
Soweit klingt das ziemlich spannend und bewegend. Mehr wird auch nicht verraten.
Mir gefiel das Hin- und Hergleiten zwischen den beiden Extremen, nachher hat es mich genervt, weil die jeweiligen Abschnitte arg kurz sind (nur wenige Seiten). Kaum hatte ich mich eingelesen und eingefühlt, musste ich schon die Perspektive wechseln. Richtig darin zu versinken, war nicht möglich. Längere, zusammengefasste Teile hätten dem Buch gut getan.
Die ersten beiden Kapitel fand ich noch interessant. Besonders der Teil, der in Indien spielt, ist lebendig und plastisch geschildert. Die Spannung aufrecht erhielt der Gedanke an eine Begegnung zwischen Asha und ihren leiblichen Eltern.
Dagegen wirken die Abschnitte in Amerika leblos und unmotiviert.
Mit Somer und Krishnan, Ashas Adoptiveltern konnte ich nicht viel anfangen. Die Fähigkeit, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten (beide Ärzte), spreche ich ihnen zu. Dabei wirken sie blass, nicht in der Lage, miteinander zu kommunizieren.
Somers naive, verkrampfte, frustrierte und schweigsame Art kann ich nicht nachvollziehen. Sie fühlt sich ausgestoßen. Wie es dazu kam, bleibt im Dunkeln.
Auch wenn Asha mehr ein Papakind ist, fehlt mir Ashas Motivation, ihre Mutter dermaßen abzulehnen. Somer hat alles getan, war eine gute Mutter, hat ihr berufliches Vorwärtskommen eingebüßt. Ich möchte Somer in ihrer sanften Duldsamkeit am liebsten schütteln. Die Frau kriegt die Zähne nicht auseinander, und kann Mann und Tochter nicht vermitteln, wie sie sich fühlt.
Ist aber auch kein Wunder, in der Geschichte passiert ein großer Zeitsprung. Die Kinder (Asha und Vijay) lernt man erst kennen, als sie bereits Teenager sind. (Naja, Vijay ist eher ein Durchgangscharakter.) Da fehlt dem Leser ein großer Teil der Entwicklungsgeschichte.
In Indien geht mir Ashas (erfolgreiche) Suche nach ihren leiblichen Eltern zu schnell und zu glatt. Etwas, das nahezu unmöglich erscheint, gelingt ihr innerhalb einiger Tage, ohne Hürden und nennenswerte Misserfolge? Gleich die dritte Familie der Treffer (sie hat nur drei in die engere Wahl genommen, wie und warum, erfährt man nicht). Tja, die Zahl drei – wie im Märchen. (Wie viele Millionen Menschen leben in dieser Stadt?)
Als Asha dann erfährt, dass die Familie einen Sohn hat, reagiert sie mit ungläubigem Entsetzen. Da habe ich mich richtig geärgert. So blauäugig und naiv kann sie gar nicht sein. Das ist mir zu unglaubwürdig.
Asha ist angehende Journalistin. Sie hat sich vor etlichen Monaten bei der Times um einen Praktikumsplatz in Indien für ihr Projekt über Kinderarmut beworben. Sie hat eine Mappe mit Hintergrundreportagen, weiß von der mengenmäßigen Geschlechterverschiebung. Sie ist Inderin, ihr Vater ist gebildeter Inder, sie lebt zu diesem Zeitpunkt in Indien bei der großen Familie ihres Vaters. Da ist ihr, mit diesem Hintergrund, nicht bekannt, aus welchen Gründen Kinder (insbesondere Mädchen) im Waisenhaus abgegeben werden? Ein Blick ins Internet hätte auch genügt.
Naja, wer erstmals in Indien mit 20 Jahren erfährt, dass man Körperhaare entfernen lassen kann, was vorher wohl in San Francisco ein Problem war…
Und auch in Indien gibt es unmotivierte, ins Leere laufende Ankündigungen. Bspw. fragt Ashas Adoptivvater, ob sie mit ihrem Großvater (auch Arzt) schon im Krankenhaus war. Später fragt er das noch einmal. Aber es trat nie ein, und ist auch kein Thema für Asha gewesen. (Warum taucht es dann im Buch auf?)
Der Großvater kommt in der Geschichte, bis auf einen winzigen Teil, nur vor, als er tot ist. Und diese Begebenheit bewegt mich nur wenig. Der Mann trat nie wirklich in Erscheinung. Mit Asha hat er kein einziges Wort gesprochen. Mit seinem ältesten Sohn, Ashas Adoptivvater Krishnan, der nach langen Jahren wieder einmal zu Hause ist, übrigens auch nicht. Ich weiß überhaupt nicht, warum der in der Geschichte vorkommt.
Umso plastischer, herzlich und fortschrittlich im Denken ist Dadima. Die hat mir gefallen.
Das Ende hat meine Erwartungen nicht wirklich erfüllt. Zwar versöhnlich, dennoch bleiben Fragen offen.
Insgesamt habe ich das Gefühl, das Buch hätte gut und gerne noch hundert Seiten vertragen, um tiefer eintauchen zu können. Ich hätte mir Charaktere mit Ecken und Kanten gewünscht, die begründet sind.
Und die Moral von der Geschichte: Seht her, einen Jungen zu bekommen, bedeutet nicht automatisch, Glück zu haben. Auch ein Mädchen kann alles erreichen und erfolgreich sein.