Die Autoren: Ben Haggarty ist ein professioneller Live-Geschichtenerzähler, der sich u.a. gut mit osteuropäischen Märchen und irischen Epen auskennt. Diese Einflüsse treten in „Mezolith“ deutlich zutage. Zeichner Adam Brockbank hat sich durch seine Storybords für Filme wie „X-Men“, „Sleepy Hollow“ und „Harry Potter“ einen Namen gemacht.
Das Thema: „Mezolith“ ist eine Coming-of-Age-Geschichte, die in der Steinzeit (ca. 12.000 – 6.000 v. Chr.) auf britischem Boden angesiedelt ist.
Personen und Handlung: Der Held der Geschichte ist Poika, ein „Teenager“ vom Stamm der Kansa. Seine Abenteuerlust und sein jugendlicher Leichtsinn führen gleich am Anfang zu einem Unfall, bei dem Poika verletzt wird und von nun an hinkt. Mit diesem Handicap hat er es nicht leicht, ein Leben als Jäger zu führen wie die anderen Männer. Es tut jedoch seinem Ideenreichtum, um trotzdem ein nützliches Mitglied der Gemeinschaft zu werden, keinen Abbruch. In mehreren aufeinanderfolgenden Episoden wird vom Leben der steinzeitlichen Jäger und Sammler, Höhlenmaler und Geschichtenerzähler berichtet. Von ihrem Jahreslauf, dem Wechsel zwischen Winter- und Fluss-Lager, der Jagd, ihren Festen, ihrer Spiritualität, ihren Initiationsriten und ihren Gesetzen. Und auch von ihren Feinden, dem Eulen-Volk. Die Handlung wird immer wieder von Träumen und mündlich überlieferten Legenden durchzogen, denn das, was sich nur in der Vorstellung abspielt, ist für die Menschen nicht weniger real als ihr tägliches Leben.
Als Nebenfiguren treten Poikas Vater Isa, seine beiden Brüder Toka und Eka, weise Frauen und Männer der Kansa sowie Turha, der böse Anführer vom Eulenstamm, auf. Ich nenne ihre Namen deshalb, weil ich es anfangs sehr schwierig fand zu identifizieren, wer wer ist. Als kleine Hilfe kann ich empfehlen, auf Frisuren und Schmuck zu achten, an denen man die Figuren in den Zeichnungen wiedererkennt.
Motive: Vor allem in den Erzählungen, die die Handlung unterbrechen, findet man uralte Motive wieder, wie sie heute noch in Märchen und Mythologie, aber auch in neueren Stoffen weiterleben : König Drosselbart, Schneewittchen, Frau Holle, The Children of Lír (irische Mythologie), Wassilissa die Weise, die Selkie-Frau, Wilhelm Tell, Gollums Sturz ins Feuer des Orodruin, und sicher wären noch mehr zu finden.
Grafik: Ich finde die Zeichnungen sehr ästhetisch. Detailreich, überwiegend in dunklen Sepiatönen gehalten, mit wunderschönen Landschaften, ausdrucksstarken Gesichtern und furchteinflößenden Monstern. Die Autoren haben, wie sie selbst im Nachwort sagen, „unfassbar viel Recherche“ betrieben und erheben Anspruch auf hohe Authentizität der historischen Darstellung.
Was mir gefallen hat: Wie sich die Geschichte des Spiegelsteins als roter Faden durch die Episoden zieht (obwohl mir das erst am Ende aufgefallen ist). Wie die Prinzipien des Kansa-Volkes – Gier macht böse. Wir töten keine Menschen. Wir töten kein Muttertier. Es gibt ein Gleichgewicht (= Gerechtigkeit) in der Welt. - auf die Probe gestellt werden und sich als richtig erweisen. Die Landkarte, auf der die Südostküste Englands noch mit dem Kontinent verbunden ist. Wie subtil der Alterungsprozess von Poikas Vater aus den Zeichnungen abzulesen ist. Dass er Linkshänder ist, fiel mir erst auf, nachdem Turha eine entsprechende Bemerkung gemacht hat, aber wenn man dann darauf achtet, sieht man, wie er den Bogen hält. Solche Details sind Klasse. Die Steinzeitmenschen sind mit brauner Hautfarbe und dunklen Haaren dargestellt, sie sind also noch keine weißen Europäer. Es kommen alle Gefühle und Triebkräfte vor, die den Menschen seit Urzeiten zum Handeln bewegen: die Grundbedürfnisse wie essen, wohnen und sich kleiden, Liebe, Freundschaft, Eifersucht, Gier, Hass, Eitelkeit, und mir gefiel auch die Szene, in der ein guter Tropfen zu Mut und Rachegelüsten und am nächsten Morgen zu einem Kater führt. Auch das Leben mit Handicap wird an drei Beispielen illustriert.
Was mir nicht so gefallen hat: Es ist nicht immer klar, wo die Grenze zwischen Realität und Traumsequenz verläuft. Es gibt viele Geschichten in der Geschichte. Für mich waren es definitiv zu viele Monster. Warum manche Wörter fettgedruckt sind, hat sich mir nicht immer erschlossen. Vor allem aber fand ich die Übersetzung ins Deutsche nicht so gelungen. Von einem Säugling heißt es, er sei „gemächlich“. Wörter wie Babys, Farce, Partner, Kind und Kegel, Hexe, Papi sind anachronistisch. Ausdrücke wie „die Jungs“ im Erzähltext oder der Gebrauch des modernen „eh“ statt „sowieso“ oder „nicht wahr“, und ein Satz wie „Beruhigen Sie sich, gute Frau!“, an eine Bärin gerichtet, obwohl es sonst keine Höflichkeitsform gibt, waren mir ein bisschen zu flapsig für die ansonsten um einen archaischen Ton bemühte Sprache.
Fazit: Ein sehr lesens- und sehenswertes, lehrreiches und originelles Werk in zwei Teilen, das eine Weile im Gedächtnis nachhallt. Die Bücher sind aufwändig gestaltet, ordentlich schwer, mit Matt- und Glanzeffekten auf dem Cover und matt glänzenden Seiten. Wirklich richtig schöne Bücher. Ich empfehle sie allen an der Frühgeschichte interessierten Lesern wärmstens.