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Ulrike_Jonack

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Im Licht von Orion (ISBN: 9783981692983)

Bewertung zu "Im Licht von Orion" von Peggy Weber

Im Licht von Orion
Ulrike_Jonackvor 7 Jahren
Kurzmeinung: Durchwachsene Mischung mit einigen entbehrlichen und vielen guten bis sehr guten SF-Geschichten verschiedener Themen.
Durchwachsen mit Highlights

Ich habe nicht viel Zeit und Muse, außerhalb des Jobs noch etwas zu lesen. Eine Geschichtensammlung kam mir da gerade recht. Science Fiction aus deutscher Feder verspricht „Im Licht von Orion“ aus dem Verlag für Moderne Phantastik. Warum der Untertitel („2015’ Collection of Science Fiction Storys“) englisch sein musste, wissen wohl nur der Verleger und die Herausgeberin Peggy Weber-Gehrke. Dass das Cover-Motiv sehr Fantasy-artig wirkt, störte mich hingegen überhaupt nicht. Außerdem kann man durchaus einen Bezug zum Inhalt herstellen – aber dazu später.

 

Zur Sammlung also …

 

Die Güte der Texte spannt sich über fast die gesamte Qualitätsbreite. Ganz dicht an „Das geht gar nicht“ bewegte sich zum Beispiel „Das Symbol“ von F. Anderson. Die eher krude Wüsten-Abenteuer-Story ohne nennenswerten Spannungsbogen, dafür mit emotionsloser, aber kitschig formulierter Love-Episode und wie abgehackt wirkendem Ausgang, der eine Weiterführung fürchten lässt, ist in einem Stil erzählt, wie ich ihn eigentlich nur von Erst-Schreibern (und welchen, die in dem Stadium steckenbleiben) kenne. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es gibt noch eine zweite Story von F. Anderson in der Anthologie und diese ist zwar auch nicht perfekt – insbesondere die sehr unoriginelle Idee enttäuscht – aber doch um Längen besser erzählt.

 

Das betrifft auch die anderen Storys, die ich eher an der Nicht-so-überzeugend-Seite ansiedeln würde. Mal erreichte mich die offenbar beabsichtigte Stimmung nicht, mal fehlte mir bei aller Technikerklärung die Story, mal waren die Dialoge unglaubhafte Infodump-Vehikel. Einmal ärgerte ich mich über die verpatzte Pointe, die eine an sich witzige Wendung ins Kitschig-Alberne überdehnte. Dazu kommt, dass vor allem am Anfang so viel Setz- und Korrektoratsfehler enthalten sind, dass der Einstiegseindruck nicht eben überzeugend war.

 

Und jetzt das Aber: Das alles ist nur ein Teil der Anthologie – ein Sechstel oder Fünftel vielleicht. Der „Rest“ der Geschichten ist gut bis sehr gut. Also sprechen wir lieber über einige dieser Geschichten …

 

Cliff Allisters Story rund um Wells’ Zeitmaschine ist stimmig gemacht, kam mir aber sehr vertraut vor. Sicher, dass der Text 2015 das erste Mal veröffentlicht wurde?

 

Die „Flitterwochen“ von Matthias Falke hatten eine ausgesprochen nette Idee in Sachen „fremde Gebräuche“, spielen erzählerisch aber nicht ganz oben mit.

 

„NNT 275“ von Galax Acheronian bot beides: eindrucksvolle Ideen, die mich voll und ganz ansprachen, und Erzählkunst. Auch „Harmonice mundi“ von Regine Bott überzeugte mich in dieser Hinsicht. An beiden Texten gefällt mir vor allem, dass Themen aufs Tapet kommen, die in allen Zeiten zu den eher problematischen oder zwiespältigen Aspekten des Menschseins gehör(t)en. In gewissem Sinne gehört auch „Reha 2.0“ von Michael Stappert dazu, wobei hier der Bogen zu den Niederungen wirtschafts-politischer Entscheidungen schon sehr deutlich geschlagen wird. In „Der Gebühreneinzugbevollmächtigte“ von B. C. Bolt geht es ebenfalls ums Finanzielle, allerdings wird hier ein richtig schön schwarzhumoriger Tonfall angeschlagen.

 

An der Stelle ein kleiner Rückgriff in die Schublade der grenzwertigen Story: „Spätes Erwachen“ ist die Geschichte, die den oben erwähnten Bezug zum Cover-Motiv herstellt. Michael Thiele erzählt in einem durchaus süffigen Ton von einem Amazonen-Abenteuer. Leider sind einige Erotik-Elemente eher albern (Lieber Herr Thiele: Soooo groß ist das weibliche Interesse an der männlichen Brust nicht, vor allem nicht, wenn da was anderes ist der Gegend rumsteht.) und die eigentliche Geschichte (Was ist das für ein Typ, was macht er da und was bedeutet dieses Erlebnis für ihn?) wird nicht hier erzählt.

 

In „Zilie“ führt Christopher Dröge andererseits vor, dass dieses „Worum geht es eigentlich“ gar nicht immer in eine Geschichte hineingepresst werden muss. Er entfaltet im Hauptteil der Story ein farbiges Bild von einem unter wirtschaftlicher Knute Chinas stehenden Afrika, kombiniert es mit einer glaubhaften Außenseiter-Story und einem spannenden Seltsame-Ereignisse-Plot. Das war richtig, richtig gut geschrieben. Leider konnte er sich nicht verkneifen, im Ausklang noch ein Haufen Hintergrundinfos für diese Ereignisse zu liefern – das ist zwar auch süffig gemacht, zerdehnt aber den Spannungsbogen nach hinten raus etwas zu sehr.

 

Die Highlights der Anthologie sind für mich „Fehler im System“ von Oliver Koch und „Die Verführung der Mona Lisa“.

 

In ersterer Story überraschte mich zuerst die sehr schlicht gehaltene Sprache: Es „hörte“ sich an, als erzähle ein Kind. Dann wurde klar, dass es um einen erwachsenen Mann ging. Geistig zurückgeblieben vielleicht. Dazu passten – so merkwürdig das auch klingen mag – die wunderschönen, hochkreativen Formulierungen, wenn es um tiefe Gefühle des Protagonisten geht. Da hat jemand mal so ganz und gar nicht auf Standards zurückgegriffen – vielleicht der Held aus Unwissen um diese Konventionen, der Autor vermutlich, um sehr wirksame Akzente zu setzen. Dass sich diese so spezifisch eingeschränkte Sprachfähigkeit auch ganz anders erklären lässt, wird erst am Ende klar. Ich neige beim Lesen wirklich nicht zu Gänsehaut – hier hatte ich so einen Moment.

 

Ganz anders die Wirkung von „Die Verführung der Mona Lisa“ von Rico Gehrke. Hier herrscht von Anfang an eine sehr gekonnte und dabei völlig natürlich wirkende Sprache vor. Der Mann, der da von seiner irritierenden, ihm aber durchaus angenehmen Begegnung mit einer bildschönen jungen Frau spricht, ist bis in die Haarspitzen hinein glaubhaft. Beide Figuren sind ausgesprochen sympathisch, obwohl sie Dinge tun und denken, die in anderer Verpackung wohl eher Naserümpfen auslösen würden. Man versteht aber, warum sie es tun, und dass es in gewissem Sinne die natürlichsten, die menschlichsten Reaktionen der Welt sind. Die Story kommt ohne Effekthascherei aus und entwickelt sich doch nach allen Regeln der Kunst zu einer schönen Überraschung.

 

Nun könnte ich sicher noch über die anderen Geschichten sprechen – hier und da reizt es mich sogar –, aber für einen Eindruck soll das hier mal genügen. Alles in allem: „Im Licht von Orion“ ist nicht die perfekte SF-Story-Sammlung, aber eine durchaus lesenswerte mit richtig schönen Perlen. Kaufempfehlung!

 

 


Cover des Buches WetGrave (ISBN: 9783741255816)

Bewertung zu "WetGrave" von Alf Stiegler

WetGrave
Ulrike_Jonackvor 7 Jahren
Kurzmeinung: Netter Pausenfüller. Gruselfans düften den meisten Spaß haben.
Ein Schwelgen in Gruselelementen

WetGrave ist die völlig überarbeitete Neuveröffentlichung eines älteren 80-Seiten-Buches von Alf Stiegler. Ob man die Story wirklich als 224-Seiten-Variante (der Rest im Buch ist Werbung für das weitere Werk des Autors) nochmal rausbringen musste, weiß wohl nur der Autor; immerhin bekam ich sie so in die Hand. Und: Die Idee, der Grundplot gefällt mir.


Aber: Das Buch gefällt mir nicht, nicht richtig jedenfalls. Und das liegt weniger daran, dass ich so gar keinen Nerv für Horror und Grusel habe und das Buch zu zwei Dritteln aus genau sowas besteht – und zwar fast in Reinform. Schon eher daran, dass ich auf einen Lesemodus umstellen musste, bei dem nicht ständig mein Lektoratsradar ansprang. Zum Beispiel ertappte ich mich am Anfang immer öfter bei dem Gedanken, wann es denn nun endlich losgeht; vor allem die Redundanzen machten das erste Viertel recht behäbig. Dazu kamen zwei in Sachen Erzählerstandpunkt unpassende Kapitel, das zweite davon war zudem ausgesprochen überflüssig.


Im ersten Drittel des Buches erfährt man als Leser von den Bases, einem umfangreichen System vom Raumstationen, die um die völlig verschmutzte und ausgelaugte Erde kreisen und die der Oberschicht und dem Mittelstand Heimstatt bieten. Die Menschen, die auf der Erde dahinvegetieren, werden Bürger genannt. Hauptreisemittel ist ein System vom Sprungtoren, die unter Ausnutzung von Dimensionswechseln funktionieren. Das alles – die Bases samt der Tore – wird als Basenet bezeichnet, dieses wiederum wird von einer Mega-Firma namens HypCon kontrolliert. Gegen diese Firma hat der Protagonist namens Pressure offenbar etwas; wie das kam, bleibt weitgehend offen. Wie die Sprungtore funktionieren, erklärt Pressure einem jungen Sicherheitsmann. Die Methode, Infodump in Dialogen zu tarnen, ist weit verbreitet und in dem Fall nur durch einen dabei fallenden Schlüsselsatz zu entschuldigen, der später im Buch noch von Bedeutung sein wird.


Auch eine zweite Information wird über diesen Dialog an den Leser gebracht; weniger glaubwürdig diesmal, was mir die Infodump-Tarnung unangenehmer machte. Der Leser erfährt darin von einer Legende, die – aus nur sehr unzureichend nachvollziehbaren Gründen – als WetGrave in die Folklore der Bases eingegangen ist. Pressures Äußerungen legen nahe, dass er die Legende durchaus nicht als reines Schauermärchen versteht. Mittels eines speziellen Codes der Art, wie sie für die Dimensionsreisen nötig sind, macht er sich daran, das große Geheimnis zu lüften.


Und was dann kommt, ist in allererster Linie ein Schwelgen in Grusel- und Horrormotiven: Stoffgewordene Schwärze, eklige Oberflächen, „ungute Gefühle“, Glibber, im Unsichtbaren bleibende aber spürbar werdende Wesen mit Totenkopf-ähnlichen Schädeln und gespenstigen Körpern, üble Gerüche, gifte Gase, Erbrochenes, Wände rohen Fleisches, Feuchte an allen Ecken und Enden, unsägliche körperliche Verstümmelungen, schreckliche Schreie und qualvolles Quieken … sogar das Motiv des Geisterhauses findet sich und auch der Typ, der einen Blick auf die andere Seite wirft und als seelisches Wrack zurückkommt, fehlt nicht. All das ist recht süffig runtererzählt und dank des oben erwähnten Lesemodus kam ich ohne größere Stolperer gut voran. Nur dass ich, wie ebenfalls schon erwähnt, so gar keinen Nerv für sowas habe und es eher als Ausbremsen des Plottes empfand. Die Frage „Was ist da los?“ wird in dieser gesamten Zeit in der Schwebe gehalten und zwar so sehr, dass sie dabei erstarrt. Es gibt nichts, was man als Annäherung an die Antwort oder als ein Vertiefen der Frage hätte lesen können – alles ist irgendwie nur Kulisse.


Im hinteren Viertel zieht die Handlung dann aber wieder an und zum reinen Ekel- und Horror-Gemenge kommt nun auch echte, plotbedingte Spannung hinzu. Diese steigert sich in dramaturgisch geschickter Weise und mündet in einen gut konstruierten Höhepunkt mit Auflösung und passendem Ausklang. Das versöhnte mich mit dem langen Anlauf.


Fazit: Fans des fantastischen Horrors sind mit dem Buch gut bedient. SF-Fans brauchen die Bereitschaft, sich in die Grusel-Ecke zu begeben, da der SF-Faktor doch über weite Passagen in den Hintergrund rutscht. Für Freunde richtig gut gemachter Erzählungen ist das Buch wohl eher ein Pausenfüller. Trotzdem: Ideen und Plot sind gut und auch lesen lässt sich das Ganze recht süffig.

Cover des Buches Verblüht: Episodenkrimi (ISBN: 9781519293176)

Bewertung zu "Verblüht: Episodenkrimi" von Mara Winter

Verblüht: Episodenkrimi
Ulrike_Jonackvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Spannend und "süffig" zu lesen, detailreich gebaut, am Ende aber eher ein zufälliges Bild als eine abgerundete Geschichte
Spannende Familienaufstellung

Spannend. Verwirrend. Anstrengend. Unbefriedigend. Interessant. – Das sind in etwa die Schlagworte, die mir nach dem Lesen von „Verblüht“ von Mara Winter in den Sinn gekommen sind. Aber der Reihe nach:

Ich hatte von der Autorin eine PDF-Version ihres 72-Seiters „Verblüht“ bekommen und wahrscheinlich eine Vorab-Version des Episoden-Krimis erwischt. Es gab massenhaft Satzfehler: Sinnfreie Leerzeilen bzw. Abschnittsbildung zerrupften den Lesefluss, es gab halbe und sogar ganze Leerseiten und am Ende auch noch ein Einzugswirrwarr. Wahrscheinlich – hoffentlich – sind diese Dinge vor dem Druck bzw. der Veröffentlichung als E-Book noch behoben worden, also schieben wir das mal beiseite.

Schon am Anfang gefiel mir der Klang des Textes: konzentriert, mit Drive und unverschnörkelt. Da entstand ein Sog, der mich in die Erlebenswelt von Ich-Erzähler Mira reinzog, auch wenn sie diese eher respektlos-ironisch und damit von ihrem Inneren ablenkend darbot. Dass man mit Schlafstörungen mitnichten zu einem Psychiater geht und auch sonst nicht alles gänzlich glaubhaft bei mir ankam, spielte da kaum eine Rolle. Der plötzliche Tempuswechsel von Vergangenheit zu Gegenwart tat es allerdings schon – ich sehe bis jetzt nicht, was der bedeuten soll. Auch an den anderen Stellen, wo er auftrat, wirkt er deplatziert. Ich habe eine ungefähre Vorstellung, was der Wechsel soll, tatsächlich aber geht das in dem immer selben Tonfall und den Satz-Problemen sang- und klanglos unter. Über die Sinnhaftigkeit dieser Konstruktion könnte man auch streiten.

Die nächste Episode ist wieder von einer Ich-Erzählerin. Ich war verwirrt, denn Mira scheint am Ende des vorigen Kapitels gestorben zu sein. Tatsächlich ist es auch jemand anderes, jemand offenbar Uraltes, denn meines Wissens ist es schon um die 100 Jahre her, dass Rosa die Jungenfarbe war. Irritierend fand ich deshalb, dass plötzlich das Kind Sven hier auftaucht, jener Sven, wegen dem Mira so viele Probleme hatte. Erzählt wird – wie eigentlich in allen Episoden – eine Liebes- bzw. Beziehungsgeschichte, die zunehmend seltsam wirkt und schließlich tödlich endet. Vermutlich jedenfalls.

Neue Episode, neuer Ich-Erzähler. Männlich diesmal. Sven. Eine verstörende Story. Viele Morde. Wie viele? Die Andeutungen lassen einen Interpretationsspielraum.

Nächste Episode: Weibliche Ich-Erzählerin; Stiefmutter von Sven. Auch keine „normale Geschichte“. Dann erzählt Svens Schwester. Dann ihre Mutter … Kurz: Nahezu alle Episoden erzählen die gleiche Familiengeschichte, die durch die verschiedenen Blickwinkel immer völlig anders wirkt. Oft dauert es ein wenig zu lange, ehe der Text offenbart, wer gerade „dran“ ist – auch, weil alle Figuren im haargenau selben Stil erzählen, als seien sie eigentlich nur Varianten einer einzigen Person. Und: Das Einpuzzeln ins detailreich durchkonstruierte Gesamtbild erfordert durchaus erhöhte Aufmerksamkeit, unter anderem wegen der Personenfülle, weil die Episoden sich zeitlich in unterschiedlichem Rhythmus überlappen und weil der konzentrierte, essenzartige Tonfall dem Leser keinen Raum zum Durchatmen und Sortieren lässt.

Dieser Tonfall – ich erwähnte es schon – erzeugt andererseits einen Sog, der mich durch das Buch zog. Außerdem wollte ich wissen, worauf das alles hinaus läuft. Nun: Das habe ich nicht erfahren. Es bleibt ein Kaleidoskop. Zwar verändert sich das Bild immer wieder, aber es gibt – außer dass es immer die gleiche Geschichte ist – keine tiefer gehenden Verknüpfungen. Keine Episode verändert eine der vorhergehenden in ihrer Bedeutung, nur die Fakten nehmen Bezug aufeinander. Es ist zum Beispiel schnurz, warum Christine Gerd heiratet, für ihre Stiefkinder scheint das keine Auswirkungen gehabt zu haben.

Alles im allem ist das ein interessantes Buch. Die Idee, die selbe Story aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, wird hier konsequent auf die Spitze getrieben und spiegelt damit eindrucksvoll, wie wirkmächtig diese Diskrepanz zwischen Realität und Wahrnehmung sein kann. Das passende Zitat dazu aus dem Buch: „Der eine denkt sich etwas aus und projiziert etwas in sein Gegenüber. Der andere greift ein Wort auf und spinnt daraus seinen eigenen Film. Weil wir alle die gleichen Wörter benutzen, glauben wir, uns zu verstehen, aber du hast nicht den Funken einer Ahnung, was im Kopf deines Liebsten wirklich vorgeht.“ Beim Aufdröseln dieser Diskrepanz werden die Grenzen der Plausibilität mitunter aus- oder vielleicht sogar überreizt, was allerdings durch die Verwendung des Ich-Erzähler-Modus inhaltlich durchaus abgedeckt ist.

Leider rundet sich die Geschichte zwar zeitlich und faktisch, aber sowas wie eine durchgehende Kausalität über die personelle Verknüpfung hinaus stellt sich nicht ein. Das ist im Leben zwar auch eher die Regel, aber von Literatur erhoffe ich mir ein bisschen mehr. So ausgeklügelt das sich am Ende präsentierende Bild auch ist: Es scheint rein zufällig entstanden zu sein. Fast alle Ereignisse könnte man ohne Weiteres mit anderen Ich-Storys unterfüttern, eine Art „innere Gesetzmäßigkeit“ wird – für mich zumindest – nicht sichtbar. Wie Leben „funktioniert“, warum Menschen tun, was sie tun, wird höchstens angedeutet.

Übrigens: Natürlich ist das Ganze trotz eindeutig vollzogener und zu vermutender Morde kein Krimi – niemand „registriert“ diese Morde und keiner ermittelt. Und: Mir ist die Rolle von Frau Dr. Körbchen nicht klar und auch für die Episoden-Titel, die alle mit Blüten zu tun haben, habe ich keine Erklärung. Ist aber nicht schlimm – ich habe das Büchlein trotzdem gern gelesen.

Cover des Buches Im Turm des Panopticons (ISBN: 9781494724290)

Bewertung zu "Im Turm des Panopticons" von Daniela Rohr

Im Turm des Panopticons
Ulrike_Jonackvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Ungewöhnlich spannend und mit einer überraschenden Auflösung. Sehr empfehlenswert!
Spannend!

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich auf „Im Turm des Panopticons“ von Daniela Rohr aufmerksam wurde. Wahrscheinlich über einen Blog. Jedenfalls war es kein Blindkauf, sondern ich hatte mich von guten (Kurz)Rezensionen anlocken lassen.

 

Inhalt

 

Die Novelle, wie Daniela Rohr selbst die Geschichte nennt, erzählt von Linea, die einen sechsmonatigen Job im Panopticon absolviert. Dies ist ein über der Erde schwebendes Gefängnis für Aufrührer und Quertreiber; Linea soll die Gefangenen überwachen. Und zwar buchstäblich: Die Zellen haben Glaswände, es gibt nicht den geringsten Rückzugsraum – nicht mal fürs Waschen oder den Toilettengang –, und Linea kann jederzeit jeden beobachten.

 

Schon am Anfang der Geschichte kommt es jedoch zu seltsamen Dingen. Es beginnt damit, dass ein Gefangener in die Kamera starrt, als könne er seinerseits Linea sehen. Dann scheinen die Reaktionen anderer darauf hinzudeuten, dass die Gefangen sie auch hören. Sekundenlang ist eine Zelle leer. Und der Computer Alexa, der Linea eigentlich unterstützen und schützen soll, beginnt offenbar zu lügen. Auch ein Systemneustart hilft nicht …

 

Ausführung

 

Ich habe selten eine so hochspannende Story gelesen. Die zunehmenden Probleme, die immer offensichtlichere Lügerei des Computers, beängstigende Halluzinationen – sind es welche? fühlt sich nicht so an – und das immer verrücktere Verhalten der Gefangenen verdichten sich gekonnt zu einem Spannungsbogen, wie man ihn so effektiv nicht sehr oft antrifft. Schade, dass die Auflösung so viel Raum einnimmt – auch wenn auch sie absolut nicht langweilig ist, wäre eine kompakterer Schluss perfekt gewesen.

 

Dabei ist der Klang des Textes durchaus nicht ungewöhnlich, Sound und Rhythmus verlangen dem Leser nicht viel ab. Die Wortwahl hingegen ist mitunter ungewöhnlich und geht auch schon mal schief; die Bilder zu Lineas nervlichem Zustand zum Beispiel habe ich nicht immer problemlos vor meinem inneren Auge sehen können.

 

Auch in Sachen Logik ist nicht alles perfekt, wobei mich am allermeisten der Schlusssatz massiv irritiert. Es mag „politisch korrekt“ sein, aber ich habe keine Ahnung, auf welche Stelle im Plot er sich bezieht. Ohne zu viel verraten zu wollen: Linea fragt Alexa, wie sie sie zu etwas bestimmten gebracht hat, und ich habe auch mit Nachblättern nicht gefunden, wo Alexa das getan haben soll. Aber vielleicht ist das ja der „Gag“, vielleicht ist das das Problem, auf das die Autorin hinaus wollte …

 

Bevor der Eindruck entsteht, dass das Buch an diesen „Fehlern“ leidet: Das tut es nicht, ich meckere mal wieder auf hohem Niveau. Dass das Buch im Selfpublishing (über den entsprechenden amazon-Service) erschienen ist, merkt man nur am Impressum und den Werbe-Seiten am Schluss.

 

Fazit

 

„Im Turm des Panopticons“ ist ein hochspannendes Buch, mit nur sehr, sehr wenigen Macken. Die größte: Es ist mit knapp 100 Seiten irgendwie zu kurz, sowas möchte ich gern länger genießen. Andererseits erlaubt diese Kürze, einiges, was logisch nicht ganz durchdacht wirkt, im Unklaren zu lassen, ohne dass dem Leser das Logik-Poblem zu sehr unter die Nase gerieben wird.

 

Übrigens …

 

… wer bei dem Thema „Linea überwacht von Staats wegen selbst die Intimsphäre der Leute“ glaubt, er ahne schon, worauf die Auflösung hinausläuft, wird sein blaues Wunder erleben. DAMIT hab selbst ich nicht gerechnet und ich habe inzwischen eine gewisse Routine beim Vorhersehen der Schluss-Optionen.

Cover des Buches Fräulein Schmidt und die Maske der Mona Lisa (ISBN: 9783862374175)

Bewertung zu "Fräulein Schmidt und die Maske der Mona Lisa" von Wilko Müller jr.

Fräulein Schmidt und die Maske der Mona Lisa
Ulrike_Jonackvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Sauber (aber nicht perfekt) erzählt, Interesse bleibt wach, ein bisschen Humor schimmert durch – alles in allem recht unterhaltsam.
Unterhaltsames für Zwischendurch

"Dieses Buch wurde in sieben Wochen … geschrieben", erklärt Wilko Müller jr. im Nachwort zu seiner ersten Fräulein-Schmidt-Geschichte, die 2011 herauskam. Und das merkt man: Wie man es von ihm gewohnt ist, ist das Ganze zwar sauber runtererzählt, in Sachen Spannungsbogen & Co. aber nicht zu Ende optimiert. – So, damit habe ich das Nicht-so-Gute erwähnt, widmen wir uns nun dem Rest:

Worum geht es?

Franz Wichowski ist Antiquariatsbetreiber. Eines Tages fällt ihm beim Bücherräumen buchstäblich ein Zettel vor die Füße. Weil er nicht zum Buch – einer alten Abhandlung über Maler der Renaissance – gehört, legt er ihn erstmal beiseite. Er hätte ihn auch wegwerfen können, aber es reizt ihn, die Sütterlin-Handschrift zu entziffern. Ehe er das schafft, kauft jemand das Buch und stirbt kurz darauf direkt vor dem Laden. Wichnowksi ist mitgenommen, seine Verkäuferin – eben jenes Fräulein Schmidt – lässt der Vorfall kalt. Was, wie sich bald herausstellt, wohl daran liegt, dass sie für eine geheime Loge arbeitet. Die wiederrum hat mit dem Buch zu tun und dem Zettel. Es geht um eine alte Prophezeiung, die mit dem "Ende" des Maya-Kalenders zu tun hat.

Maya-Kalender? Da war doch mal was … Genau: Das Ende der Welt stand bevor. Zumindest, wenn man sich in den Medien umtat oder auf einschlägigen Internetseiten surfte. Auch die These, dass am besagten 21. 12. 2012 die Außerirdischen auf die Erde zurückkommen würden, gab es. Inzwischen wissen wir, dass die Leute recht hatten, die darauf hinwiesen, dass einfach nur der große Kalenderzyklus der Maya "rum war". Oder besser: Alles sieht so aus, als hätten sie recht gehabt. Und Herr Wichnowski ist – wenn auch unfreiwillig – der Grund dafür.

Wie ist es erzählt?

Wilko Müller jr. schreibt routiniert, der Text ist recht süffig erzählt. Ab und an gibt es ein Augenzwinkern; die Fakten werden so eröffnet, dass es immer interessant bleibt; die Figuren sind solide entworfen und erzählt. Perfekt ist das alles nicht, aber da spricht wahrscheinlich vor allem der Lektor aus mir, der immer auch das Potential so einer Story mitliest.

Wie sieht das Buch aus?

Das Buch ist ein echtes Taschenbuch – mit 11 mal 17 cm kleiner als A5 und mit 139 Seiten ordentlich großer Schrift tragefreundlich und gut zwischendurch zu konsumieren. Ein schlichtes Cover – eine Maya-Pyramide auf blauem Hintergrund – hat wohl nicht ganz den anlockenden Effekt, den das Buch verdient hätte, dafür ist an Satz und Korrektorat (nahezu) nicht zu meckern. Bei einem Buch, das in einem Verlag erschien – hier dem Projekte-Verlag Cornelius, der inzwischen so nicht mehr existiert –, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich …

Fazit:

Das erste Abenteuer mit Fräulein Schmidt empfand ich als gute Unterhaltung – süffig erzählt, angenehme Länge der Story und handliches Buchformat und mit 8,80 Euro zwar kein Schnäppchen, aber bezahlbar.

Nachtrag:

Der Projekte-Verlag ist zwar passé, die Bücher über Fräulein Schmidt gibt es aber (unter anderem) noch im Shop bei Edition SOLAR-X oder – auch als E-Books – auf den üblichen Plattformen.


Cover des Buches GameW0rldz (ISBN: 9783944218014)

Bewertung zu "GameW0rldz" von Chuck Ian Gordon

GameW0rldz
Ulrike_Jonackvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Spannend und anspielungsreich - ideal für SF-Fans, die zugleich Computerspiele lieben. Eine sehr kurzweilige Lektüre.
Spannend und anspielungsreich

Haran ist eine Figur in einem Computerspiel, das in einer mittelalterlichern Fantasywelt verortet ist. Als Krieger zieht er immer wieder mit Schatzjägern los, um bestimmte Artefakte zu erobern. Zu diesen Trupps zählen Avatare von Computerspielern aber auch rein computergenerierte Figuren. Da das Buch mitten in so einer Spiel-Szene beginnt, wirkt es auf Leser, die nicht Gamer sind, vielleicht etwas plakativ und überzogen, Gamer hingegen dürften sofort das typische Ambiente solcher Spiele erkennen. Ihnen fällt wohl auch leichter, zu verstehen, was an Haran anders ist: Er denkt mit und wird mit Dingen konfrontiert, die nun wirklich nichts in einer Fantasy-Game-World zu suchen haben.

Als Hilfe für Nicht-Gamer schwenkt der Autor schnell in die reale Welt in eine Software-Firma. Die programmiert und betreut unter anderem Spielwelten wie die von Haran. Der größte Traum der Gründer Dr. Paul Kelly und Ed Wilson ist jedoch die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Dummerweise haben sie sich dafür mit dem Militär eingelassen, das diese KI gern als „unfehlbare und unermüdliche“ Soldaten benutzen würde.

Das Projekt KI ist immerhin schon so weit gediehen, dass einzelne Figuren der Spiele mit einem entsprechenden Hintergrund ausgestattet wurden. Sie sollen ihre intellektuellen Fähigkeiten beim Agieren innerhalb ihrer Welten erwerben – sie sollen lernen. Solche Figuren – KI eben – gibt es in allen Spielwelten und sowohl auf der Seite der Guten als auch auf Seiten der Bösen.

Haran ist eine KI des „weißen Teams“, also der Guten. Und er findet – auch wegen einer gewitzten Hackerin namens Natasha, die ihn bei ihren Besuchen in seiner Spielwelt mit Objekten aus der Realität oder anderen Spielwelten versorgt – heraus, dass „etwas nicht stimmt“. Die gutmenschelnde Gattin eines der Projektleiter – Sabrina Kelly – klärt ihn dann auch unmissverständlich auf. Woraufhin Haran entscheidet, dass er dabei nicht einfach so weiter mitspielen will. Mehr noch: Auch alle anderen KI sollen die Chance bekommen, sich auf Wunsch aus ihren Welten und vorgeschriebenen Rollen zu lösen.

Damit beginnt eine Flucht der KI durch die verschiedensten Spielwelten. Gejagt werden sie von den Militärs, die sich dazu ihrerseits einiger KI des „schwarzen Teams“ bedienen. Schließlich eskaliert das Ganze und wird sogar in der realen Welt ausgetragen …

Die Ausführung

Die Sprache, die Chuck Ian Gordon benutzt, ist nicht zu hochtrabend oder zu speziell auf die Games-Umgebung ausgerichtet. Fast schon nüchtern schreibt er die Szenen, die aber wohl gerade deshalb Drive, Tempo haben. Dabei schafft dieser Stil über exakte Beobachtungen dessen, wie die Figuren agieren, auch durchaus Zugang zum Innenleben der Charaktere, also zu dem, was unter dem Action-Plot das eigentlich Wesentliche ist. Für Irritation hatte bei mir gelegentlich die Überzeichnung von Kulissen geführt, aber wenn man berücksichtigt, dass diese Computerspielen entstammen, ergibt sich ein rundes, glaubhaftes Bild.

Die Figuren selbst sind durchaus lebendig geworden und werden von der Action nicht zu Pappkameraden zerdrückt, wie es bei anderen Erst-Autoren mitunter der Fall ist. Ganz unbedarft ist Chuck Ian Gordon aber auch nicht an das Schreibprojekt herangegangen: Im Rahmen von Material für Schulungen, die der IT-Experte im Brotjob gab/gibt, kam sein Erzähltalent schon vorher zum Vorschein, erzählte er mir zumindest.

Als angenehm empfand ich von Anfang an, dass die enthaltenen ethischen Fragestellungen nicht wie Selbstzweck wirken, sondern ganz harmonisch Teil der Handlung sind. Ganz, ganz am Ende merkt man die moralische Keule zwar dann doch ein bisschen, aber etwas anderes ist von Game-geprägten Figuren auch eher nicht zu erwarten.

Ambition

Game W0rldz ist aber mehr als ein Buch – es ist ein Projekt. Der Autor neigt zu Großem. So wie er im Buch die Spielwelten miteinander verknüpft und in die Realität „schwappen“ lässt, so schwebt ihm auch vor, Game W0rldz zu einem Medienphänomen reifen zu lassen. So was dauert natürlich und während unter www.gamew0rldz.com die Türen einladend offen stehen, bastelt Chuck Ian Gordon schon an dem Nachfolger. Oder genauer an dem eigentlichen Projekt, denn Game W0rldz ist eher so eine Art Prequel für „3rd Future“. Neben dem Spaß am Effekt hat das Ganze auch noch einen „Weltverbesserungsanspruch“ – aber das würde hier jetzt zu weit führen …

Buchqualität sonst

Zurück zum Buch: Wie schon erwähnt kann man Game W0rldz wunderbar durchschmökern, mit den Figuren mitfiebern – zum Beispiel bei der Frage, wie KI Haran und die echte Frau Sabrina wohl endlich ihr Happy End bekommen – und/oder sich an den zahlreichen Spiele-Details erfreuen, die wie nebenbei die Szenen aufpeppen.

Beim Cover hat sich der Autor kompetente Hilfe geholt, immerhin spielt die Grafik ja auch im Gesamtprojekt eine große Rolle. Außerdem war ein Korrektor am Werk (nein, Lektoren sind nicht für Rechtschreibfehler etc. „zuständig“) und der Satz in einer passenden Schriftart ist wirklich gelungen – keine Selbstverständlichkeit bei selbst verlegten Werken. Erhältlich ist Game W0rldz als Taschenbuch (so kenne ich es) und als E-Book.

Fazit

Für Science-Fiction-Leser mal ein bisschen was anderes, für Game-Fans ein besonderer Spaß. Beide bekommen Spiele-Action mit literarisch sehr akzeptablen Figuren. Die Sprache ist leicht verdaulich aber nicht plump. Seelentieftaucher und Romantikfans werden mit dem Buch vielleicht nicht 100%ig glücklich, für alle anderen dürfte es eine unterhaltsame Lektüre werden. 
(Rezension vom 6. 8. 2013)

Cover des Buches Wurzeln im Sein (ISBN: 9783941527188)

Bewertung zu "Wurzeln im Sein" von Peter Simon Fenkart

Wurzeln im Sein
Ulrike_Jonackvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Abgesehen vom streitbaren Mittelteil, hat man mit diesem Buch einen recht universellen Schlüssel für Erfüllung bzw. Zufriedenheit parat.
Lohnende Lektüre

Peter Simon Fenkart schreibt am Anfang seines Buches, er wolle mit „Wurzeln im Sein“ keinen Ratgeber vorlegen, er wolle nur erzählen, wie man seiner Erfahrung nach Erfüllung findet. Fünf Jahre habe er an dem Thema herumgedacht und darüber gelesen und mit anderen darüber gesprochen und sich – wie man so sagt – damit auseinandergesetzt. Und nun …

… hat man als Leser einen Ratgeber in der Hand, einen, der sehr gute Tipps dafür gibt, wie man den Zustand Erfüllung (oder wenigstens Zufriedenheit) erreichen kann. Ich zumindest fand genau die „Handlungsanweisungen“, die meiner Erfahrung nach zum Erfolg führen. Dabei geht es nicht um Atemübungen, Meditationsformeln oder Vorschriften der Art „Leben vegan!“, „Zieh aufs Land!“, „Tritt einer Hilfsorganisation bei!“ oder dergleichen. Nein, es läuft auf eine tiefgreifende innere Veränderung hinaus, die nicht unbedingt den Charakter eines revolutionären Umbruchs haben muss, sondern eher evolutionär abläuft.

Aber fangen wir von vorn an, mit der Frage, was „Erfüllung“ eigentlich ist. Für Fenkart ist dieser Zustand nicht dasselbe wie „Glück“, denn dieses ist nur ein vorübergehender Zustand, ein relativ rasch erlöschendes Hochgefühl. Ein Rausch gewissermaßen. Wie bei anderen Räuschen ist man geneigt, nach dessen Abklingen einen neuen Rauschschub zu suchen, und in der Regel braucht man dafür einen noch ein stärkeren Stimulus und einen noch stärkeren und einen noch stärken … und ehe man sich versieht, ist man die meiste Zeit damit beschäftigt, dem Rausch nachzujagen. Dabei fühlt man sich zunehmend unzufrieden, weil es immer schwerer wird, „Glück“ zu empfinden und dieses Gefühl, wenn man es doch erreicht, immer weniger hoch brandet. Erfüllung hingegen brandet nicht hoch – auch wenn sie durchaus Glücksmomente bringt – und geht zugleich doch über ruhige Zufriedenheit hinaus. Sie ist mit dem Gefühl verbunden, Teil von etwas Größerem zu sein, den Blick auf oder in etwas Größeres werfen zu können. Das kann etwas Spirituelles oder Religiöses sein, wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich zu einem intuitiven Verstehen des Ganzen weiten, das Finden von haargenau dem Platz im Leben, für den man sich berufen fühlt, der einem als Sinn seines Lebens fühlbar wird.

Peter Simon Fenkart betrachtet in dieser Anfangsphase des Buches diesen Unterschied zwischen Glück und Erfüllung, schaut auf das Phänomen Berufung, entwirft ein Etagenmodell, in dem die Befriedigung elementarer Bedürfnisse als Kellergeschoss, die „übliche“ Zufriedenheit mit Glücksmomenten als Erdgeschoss und der Zustand der Erfüllung als oberste Etage formuliert sind. Daran macht er klar, dass zum einen die oberen Geschosse ohne die unteren keinen Halt hätten, zum anderen aber eine Durchlässigkeit nötig ist: Man lebt nicht ständig ganz oben, manchmal muss man profane Kellerjobs machen – wichtig ist, dass man den Weg nach oben kennt und so oft wie möglich auch geht.

Schon in diesen Abschnitten des Buches betont Fenkart immer wieder, dass Erfüllung einem nicht zufällt, man muss sich dafür entscheiden. Der Weg dahin beginnt mit dem Beschluss, Erfüllung finden zu wollen. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Fenkart erklärt in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Wünschen und Wollen. Das tut er – wie fast immer im Buch – wortreich und mithilfe verschiedener Bilder. Das mag redundant wirken und wahrscheinlich ist es das auch. Aber das ist bei diesen Projekt auch nötig, denn es geht in dem Buch nicht darum, eine Abhakliste zu erstellen, sondern das Innere des Suchenden so zu formen, dass er erfolgreich bei seiner Suche sein kann. Es geht um nichts Geringeres als eine psychische Umschulung, ein Ändern von Automatismen, von Denk- und Verhaltensmustern. Es geht um eine Modifizierung des Unbewussten und – und das vor allem – einen neuen Zugang zum Unbewussten. Und das braucht Zeit, braucht übende Wiederholung.

Das alles bringt Peter Simon Fenkart allerdings in viel bodenständigeren Worten an den Leser als ich es zusammenfasse. Deshalb ist das Projekt ja auch ein etwa 200 Seiten dickes Buch und nicht nur eine Artikel, der die Schlüsselworte nennt und kurz erläutert. Vor allem aber lässt es sich deutlich besser lesen.

Im Buch geht es nach der Beschlussfassung … nein nicht mit dem „Umkrempeln der Lage“ weiter, sondern mit der Beschäftigung des Ist-Zustandes. Unmittelbar damit verbunden ist das Erlernen von „Achtsamkeit“, wie es neuerdings allerorten genannt wird, wenn man wahrnimmt, was um einen herum passiert und – und das ist das Wichtigere – was das in einem auslöst. Erst danach geht es darum, sich, sein Verhalten und – wenn nötig – sein Umfeld so zu verändern, dass das, was man da wahrnimmt, sich richtig anfühlt. Richtig in Bezug auf das Ziel, auf die Erfüllung, die Berufung, den Sinn – Fenkart zäumt da das Pferd von verschiedenen Seiten her auf.

Während er zu „Erfüllung“ und „Berufung“ bereits die Methode unterfütternde Betrachtungen angestellt hat, widmet sich Fenkart im Mittelteil des Buches der Sinnfrage. Aus meiner Sicht nicht sehr glücklich, auch wenn man den Bereich nicht ganz weglassen kann. Immerhin ist „Was für einen Sinn hat mein Leben denn?“ die häufigste Formulierung in diesem Themenkreis. Fenkart spricht dazu von einem Sinn, der angeblich jedem Menschen eigen ist, und den er finden muss, um Erfüllung zu erlangen. So, als sei es haargenau dieser eine Diamant, ohne den alles unfertig bliebe. Und wie bei einer Schaufel, die sich ja auch ihren Sinn nicht selbst geben könne, würde es auch für den Menschen einen externen Sinnstifter geben. Dieser habe vernünftigerweise den Menschen mit allem ausgestattet, was nötig ist, um diesen Sinn zu finden, und er würde ihn mittels „Leitplanken“ – gemeint sind schmerzliche Ereignissen – unterstützen, auf dem richtigen Weg zu bleiben. Dass man da berechtigterweise fragen kann, wieso dieser Stifter den Menschen nicht einfach so den Sinn erfüllen lässt, sondern sogar in Kauf nimmt, dass viele, sehr viele Menschen diesen Sinn nie finden, nie Erfüllung finden, zwingt den Autor zu einer nicht ganz handfesten Abhandlung über den freien Willen. Hier klingt das Wortreiche dann auch eher schwaflig, wie man es oft findet, wenn jemand gedanklich noch nicht zum Punkt gekommen ist oder der Punkt nicht wirklich in das Gesamtkonstrukt passt, sondern mühsam hineingeredet werden muss.

Wer dieses Buch liest – und ich empfehle das durchaus – sollte also in diesem ganzen Bereich Vorsicht walten lassen. Anders als Fenkart am Anfang des Buches behauptet, ist es nämlich nicht unerheblich, welches Modell man einer Methode zugrunde legt. Das Motto „Hauptsache, es funktioniert“ gilt nur in dem auf die eine Sache begrenzten Maß. Nehmen wir das Beispiel Barbara Pachl-Eberhart. Diese Frau hat innerhalb kurzer Zeit erst ihren Mann dann ihre beiden kleinen Töchter an den Tod verloren. Sie schrieb ein Buch über die Zeit danach („Warum gerade du?“), das vielen Menschen half. Nach Fenkarts These war es also nicht ihre Bestimmung, nicht ihr Sinn, diesem Mann und diesen Kindern Frau bzw. Mutter zu sein. Wenn sie in jenen Tagen Erfüllung fühlte, dann war das demzufolge Selbstbetrug. Schlimmer noch: Was war dann der Sinn des Mannes und der Kinder?

Stellen wir die Sache mal auf die Füße: Es gibt keinen „objektiven“ Sinn. So wie die Schaufel an sich keinen Sinn hat, sondern der Sinn sich erst im Einsatz der Schaufel – zum Schippen, zum Dekorieren, zum Morden oder als provisorischer Ersatzzaunspfahl – ergibt, so ergibt Sinn erst im Handeln des Menschen. Und so, wie der Schaufelbenutzer den momentanen Sinn der Schaufel bestimmt, so bestimmt der handelnde Mensch den Sinn seines Handeln (Nachdenken, Planen etc. eingeschlossen). Noch ein Haken bei Fenkarts Ansatz: Wenn der Mensch nur Erfüllung spürt, wenn er seine ihm aufgetragene Aufgabe erfüllt, wie kann es dann sein, dass er schon mit Erfüllung „belohnt“ wird, wenn er die Aufgabe nicht erfüllt, sondern nur daran arbeitet? Selbst Fenkart betont aber – völlig zu Recht aus meiner Sicht – dass Erfüllung eben nicht vom Abschließen einer Arbeit abhängt.

Nachträglich wundere ich mich, dass Peter Simon Fenkart in der Unterüberschrift des Buches schon einen Schlüsselsatz sagt, den er im Buch selbst jedoch nicht aufgreift. „Wir sind zur Erfüllung berufen“ steht vorn drauf – drinnen wird von allen möglichen Berufungen geredet, außer eben der, nach Erfüllung zu streben. Dabei wäre das der am besten handhabbare Ansatz. Die Verbindung zur Sinn-Frage, wie sie in der Regel gemeint ist, stellt Fenkart in seinem Buch selbst her: Am besten dienen wir der Gemeinschaft oder eine Sache, wenn wir nicht mit uns um möglichst viele Glücksmomente kämpfen. Es ist in jeder Sichtweise – egal ob mit Sinnstifter oder ohne – sinnvoll, Erfüllung zu fühlen und mit der daraus erwachsene Kraft und Ausstrahlung eine wie immer geartete Aufgabe zu erfüllen.

Und sogar die „Methode“, die Fenkart de facto vermittelt, ist völlig unabhängig davon, ob man an einen Sinnstifter glaubt oder Naturgesetze als das nimmt, was sie sind (sie haben keinen Sinn, denn sie sind ziellos, sie beschreiben nur Zusammenhänge). Am Ende geht es „nur“ darum, zu lernen. Zu lernen, äußere An/Forderungen als solche zu erkennen. Zu lernen, innere An/Forderungen wahrzunehmen, also der ureigenen Bedürfnisse gewahr werden, die sich im Unbewussten manifestieren und sich per Emotion oder unerwarteter Handlung – „Keine Ahnung, warum ich das eben gemacht habe.“ – ins Bewusstsein spiegeln. Und zu lernen, im Handeln (Denken und Planen inklusive) dieses Innere zu seinem „Recht“ kommen zu lassen, es nicht zu ignorieren, zu übertönen oder dauerhaft zu unterdrücken. Dieser „Achtsamkeit“ widmet Fenkart im Kapitel, in dem er die „Säulen“ für den „Berufungsweg“ zusammenfasst, dann auch die meisten Seiten.

Dann kommt das Buch auf die „Schlussgerade“. Hier ist dies und das erwähnt, was als Ergänzung dienen kann, insbesondere die Berufung rückt noch einmal in den Mittelpunkt. Vor allem der Aspekt, den Fenkart schon am Anfang in seiner erfrischenden Art so beschrieb: „Ich bin davon überzeugt, dass es Berufungen in allen Kollektionsgrößen gibt. Dabei müssen wir nichts ,von der Stange‘ nehmen …“

Fazit: Denkt man sich mittleren Passagen des Buches vereinfachend in „es gibt einen Sinn (egal, wer den bestimmt)“ um, dann hat man mit diesem Buch einen recht universellen Schlüssel auf dem Weg zu Erfüllung oder wenigstens zur Zufriedenheit in der Hand. Wie man das konkret anstellt mit der Achtsamkeit und dem Loslassen und all dem, muss man selbst erkunden – Fenkarts Entspannungstipps zum Beispiel taugen für mich überhaupt nicht –, aber das ist ja immer so bei einem guten Coaching. Auch, dass es Zeit braucht und stetes Tätigsein, vor allem im Geiste. Fenkarts Vorschlag, das Buch nach der Lektüre weiterzugeben, ist also nicht sein bester Rat – denn hier kann man gut und gerne öfter reinschauen, um den inneren Kompass, das „Gespür für das Projekt Erfüllung“, nachzueichen.

Cover des Buches Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord (ISBN: 9783943403183)

Bewertung zu "Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord" von Helmut Exner

Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord
Ulrike_Jonackvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Der Plot hat wirklich Spannungspotential; dieses wurde jedoch nicht nur nicht ausgeschöpft, sondern über weiter Strecken sogar "getötet".
Cover des Buches Die Heimkehr (ISBN: B00M179WEA)

Bewertung zu "Die Heimkehr" von Peter Georgas-Frey

Die Heimkehr
Ulrike_Jonackvor 9 Jahren

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