Wir waren in einer Jugendclique, mein ein Jahr älterer Freund, Nachbar und Bandkollege Bernd und ich. In dieser Jugendclique gab es ein geflügeltes Wort: „Einen Stunt machen“, ein Synonym für gemeinsame witzige Aktionen. Sei es eine spontane Fahrt ins eine Stunde entfernte Köln, mit dem Zweck, die dortigen Altstadtkneipen unsicher zu machen, sei es, ebenso spontan einen Kasten Bier in den Kofferraum des alten Opel Kadett eines unserer Freunde zu laden, und mit „Exile on Main Street“ von den Stones am Ufer des Biggesees „abzuhängen“. Also das, was meine irischen Freunde „having a craig“ nennen würden.
Im zweiten Buch von Bernds Trilogie fliegt Jannifer (Guinevere?) nach Australien, um... nein, „Spoiler“ werde ich tunlichst unterlassen. Jedenfalls nennt Jannifer (oder der Erzähler) diesen Kurztrip „Jannifers Australienstunt“. Ein versteckter Hinweis für Bernds Freunde, die diese Romanreihe lesen. Ein versteckter Hinweis für die Freunde? Bernd, soll ich dich in Zukunft „Arthur“ nennen?
Ein „Stunt“ war es, die drei Bücher zu lesen. Wähnt man sich am Anfang noch in einem realistischen Abenteuerroman, einer „Queste“, so verschwimmen sehr bald Realität und Phantasie. Eine Clique aus Studententagen wird damit konfrontiert, dass einer der Ihren, der „Primus inter Pares“ mit Namen „Arthur“ entführt wurde. Die Freunde erhalten die Aufgabe, in verschiedenen Teilen der Welt nach Hinweisen auf das Verbleiben Arthurs zu forschen, nebst den hierzu nötigen Geldmitteln. Und bereits kurz nach dem Aufbruch der Freunde beginnen die Grenzen zwischen den Genres zu verschwimmen.
Bernd, der viele Jahre in Kanada und den USA gelebt hat, verwendet die Stilmittel des „Roadmovies“, um den Leser sehr plastisch und realistisch an Orte mitzunehmen, den „Genius Loci“ hier zu spüren. Und seien es die Motels einer US weiten Kette, den langen Highway von Los Angeles nach New Orleans, oder die Einsamkeit Norwegens. Und plötzlich geschehen Dinge, die mit dem Verstand nicht fassbar sind. Mehr als eine (kurzfristige) Zeitreise erwischt einen der Freunde, eine Versetzung in ein mystisches Land, Wesen, menschliche und nichtmenschliche, von denen man rational betrachtet, annehmen muss, dass sie nicht existieren können. Wirklich?
Und plötzlich ändert sich das Erzähltempo. Wie in einem Hitchcockfilm hat man das Gefühl, die Schnittfolge bekommt Rasanz, und Szenen von atemberaubender Aktion, aber auch Brutalität reissen den Leser aus den Szenarien, die zuvor sicher schienen. Und dann wieder: Momente von tiefem Gefühl.
Was hat mich am meisten gepackt? Da sind es zum einen die Schilderungen der Orte. Nicht nur der reinen Geographie, sondern ebenso der Lebensumstände. Des Rassismus, der Ausgrenzung. Ebenso fesselt Bernd den Leser mit Erzählungen von Kenntnissen, z.B. der Fliegerei. Der Autor Bernd hat in seiner Zeit in Kanada das Fliegen erlernt. Der Leser wird hier unglaublich detailgetreu an diese Kunst herangebracht.
Zum anderen sind es aber auch die Figuren. Und hier nicht nur die Menschen, sondern auch Tiere verschiedener Arten. Die agierenden Tiere sind ohne jede Ausnahme sympathisch, ihre Handlungen stets „rein“. Die menschlichen Akteure haben Schwächen. Und dies nicht zu knapp.
Die Freunde Arthurs mag man, und dies von Anfang an. Man leidet mit ihnen ebenso sehr, wie man sich mit ihnen freut. Und dann gibt es Momente, wo man am liebsten in das Buch hineinkriechen möchte, man möchte sie am Kragen packen, ihnen eine runter knallen, sie anbrüllen: „Du IDIOT“. Und dann ist da ein kleines Menschlein namens Solskinn, dass den Schreiber dieser Zeilen so richtig anrührte. Ich sollte erwähnen, dass zahlreiche der Figuren in Bernds Saga, nicht nur Jannifer, ihre Entsprechung in der Artussage haben.
Nicht zu knapp kommen Andeutungen, Witze versteckte Hinweise. Edgar Alan Poe versteckt sich speziell im zweiten Band an jeder Ecke. Und sei es nur ein Glas Amontillado, genossen von zwei Freunden, oder der Tatsache, dass ein Fass im Malstroem langsamer sinkt als... (Ich hatte übrigens keine Ahnung, dass Poe diese Idee geklaut hatte). Der Spitzname eines legendären, nordischen Autos, bekommt auf einmal eine ganz konkrete Bedeutung. (Nein, kein „Spoiler“). Bei der Kapitelüberschrift „“Königsberger Schlittenfahrt“ musste ich ob der Ähnlichkeit zur „Petersburger Schlittenfahrt“ doch sehr grinsen. (Auch wenn es sich hinterher als tatsächlich einfach nur um eine Schlittenfahrt heraus stellt)
Ach ja, und dann ist da ja auch noch die Musik. Habe ich erwähnt, dass Bernd und ich vor vielen Monden zusammen in einer Band gerockt haben? Ein Teil der Geschichte spielt sich im Rockmilieu ab. Ein Mitglied aus Arthurs Freundeskreis pendelt zwischen der Kunstgeschichte und dem Leben als Rockstar, eine Rolle, die sich erst aufgrund der Umstände der Suche nach Arthur ergeben hat.
Songtitel aus den besten Alben aller Zeiten spielen immer wieder eine Rolle, (der "selten gespielte Songtitel" der Stones ist übrigens „The Girl With Far Away Eyes“ vom „Some Girls“ Album. Nein, auch jetzt gibt es keinen Spoiler). Und schon wieder eine kleine Querverbindung zu Edgar Alan Poe: Ich stimme Bernds Ansicht über ein gewisses Alan Parsons Project Album mehr als zu.
Bernd ist ein Geschichtenerzähler, ein „Raconteur“. Seine Bilder sind nicht von ungefähr filmischer Natur. In seinem bürgerlichen Leben leitet er das deutsche Filmmuseum in Düsseldorf. Vieles in seiner Trilogie bezieht sich auf Orte und Erlebnisse seines eigenen Lebens. Er verliess das allzu enge Sauerland, um in Münster zu studieren. Also dort, wo die erzählerische Achterbahn der drei Romane beginnt. Später wohnt und arbeitet er in Toronto und in Los Angeles, bevor es ihn zurück nach Deutschland, an den Rhein, zog.
Vielen Dank, alter Freund, für die phantastischen Momente beim Lesen