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absinthefreund

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Nacht ohne Namen (ISBN: 9783423761093)

Bewertung zu "Nacht ohne Namen" von Jenny-Mai Nuyen

Nacht ohne Namen
absinthefreundvor 9 Jahren
Geh nicht zu tief hinein in die NACHT OHNE NAMEN

“… Fließende und Fleischliche schließen gelegentlich Pakte. Wir kriegen was von euch, ihr kriegt was von uns. Realität gegen Fließendes Wort. Das heißt, wir können die Gesetze der Natur für euch ein wenig biegen, dafür kriegen wir was von eurer Realität ab. Wir existieren nämlich nicht von uns aus in dieser Welt. Nur durch euch.” Er öffnete seine zweite Cola und beobachtete nun sie mit einiger Skepsis. “Du sagst gar nichts.”
“Ich soll doch mit den Fragen warten, bis du fertig bist.”
“Ach so, ja. Im Prinzip bin ich fertig.”
Nicki zupfte an einem Salatblatt, das aus ihrem Wrap regte. Eine Weile schwiegen sie sich an.
“Das Rülpsen hat den Auftritt ruiniert, oder?”, fragte er schließlich.


Nicki, die leidenschaftliche grüblerische Zeichnerin, die so wenig mit ihren Mitschülern anfangen kann, verliebt sich in den undurchschaubaren Canon. Nicki ist intensiv – in ihren Gefühlen und Gedanken, ihrem Zeichnen, ihrem Sein. Und unbewusst ist sie auf der Suche nach einem seelischen Gegenstück, das von der gleichen Intensität wie sie durchdrungen ist, denn in der dumpfen Welt, die sie umgibt, fühlt sie sich gefangen. Dieses Übermaß an “Realität”, das sie und Canon zusammenbringt, ist es auch, das die sogenannten Fließwesen anzieht wie die Motten das Licht.

"Nomen est omen"

Wie gewohnt, tischt uns Jenny-Mai Nuyen komplexe Charaktere auf, in denen sich alltägliche Sorgen und existentielle Fragen mit übernatürlichen Herausforderungen und großen Gefühlen vermischen. Hier ist es Nicki, die aus einem zerrissenen Elternhaus stammt und bereit ist, ihre Seele aufs Spiel zu setzen, um den Jungen zu retten, den sie liebt.
Aber Jenny-Mai Nuyen schreibt nie einfach so eine phantastische Abenteuer-und-Liebesgeschichte, ohne auch tief in die psychologische und philosophische Kiste zu greifen. In NACHT OHNE NAMEN spielt sie mit dem abstrakten Begriff der “Realität” und verleiht ihm etwas Fassbares, Formbares, ja sogar Verhandelbares. Menschen, die im Jetzt leben und ihren Herzenswunsch kennen statt einer gesellschaftlichen Norm hinterherzujagen, sind randvoll mit “Realität”. Und solche sind es, nach denen sich die Fließwesen sehnen, die körperlos mit einem Minimum an “Realität” existieren müssen.

Entstanden Fließwesen als Kopfgeburten der Menschen oder existierten sie schon lange vor ihnen? Tatsache ist, dass sie auf einer stofflosen geistigen Ebene, die Kanzlei der Unterwelt genannt, sehr real und zahlreich sind. Von hier aus sind sie immer auf der Suche nach Menschen, denen sie eine brennende Sehnsucht erfüllen wollen, um sich im Tausch ab und zu ihren Körper auszuleihen. Die wichtigste Variable für die Schließung eines solchen Paktes ist dabei der Name eines Menschen, denn die eigene Benennung ist es, durch die sich ein Mensch seiner Existenz bewusst ist. Wie gut, dass Nicki nicht ihren echten Namen verrät, als sie sich Hals über Kopf auf ein Fließwesen namens Tallis einlässt. Aber wie sehr ist Nicki schon Nicki, die ihren Spitznamen von Canon erhielt, der einen immer größeren Platz in ihrem Herzen einnimmt?
Während Jenny-Mai Nuyen Nicki durch das nächtliche Berlin und die labyrinthische Kanzlei stolpern lässt, konfrontiert sie uns in subtile Metaphern verpackt mit den Fragen, wo die Grenze ist zwischen Realität und Vorstellungskraft, ob Realität und Vorstellungskraft überhaupt getrennt voneinander existieren können und zeigt uns, wie irreal die Realität sein kann und wie erdrückend Gedanken. Eine grandiose Thematik, die in der Fantasyliteratur bestens aufgehoben ist.

Ein Gefühl der Unvollständigkeit

Auf der symbolischen Ebene ihrer Geschichte weiß Jenny-Mai Nuyen mich einmal wieder vollkommen zu überzeugen, auch der Detailreichtum ihrer phantastischen Welt lässt keine Wünsche offen, trotzdem bin ich nicht so zufrieden wie sonst aus dieser Geschichte zurückgekehrt. Zum ersten Mal hat mir Jenny-Mai Nuyen das Gefühl gegeben, eine Geschichte nicht ganz zu Ende geführt zu haben. Ein in der Unterhaltungsliteratur eher unübliches offenes Ende gehörte bei ihren Romanen immer schon dazu – neben der Klugheit ihrer Geschichten einer der Gründe, weshalb ich die Autorin sehr schätze. Nichts ist schlimmer für eine Geschichte als ein absolutes Ende zu erfahren, in dem alle Fragen geklärt und Probleme gelöst sind und die Protagonisten in eine ereignislose Zukunft, in die Stagnation geschickt werden. Aber es ist etwas anderes, sich mit dem Gefühl der Unvollständigkeit aus einem Roman zu verabschieden. Das furiose Finale kam etwas zu abrupt zu einer Auflösung, eine bedrohliche Randfigur drängte auf den letzten Seiten plötzlich in den Vordergrund, während andere Figuren, deren Stern für kurze Zeit aufgehen durfte, zu Statisten verblassten – kurz gesagt: Es fühlte sich an als müsste diesem Buch noch eine Fortsetzung folgen.

NACHT OHNE NAMEN wird aus Nickis Perspektive erzählt, bis auf ein Kapitel, in dem wir in die Haut zweier Nebenfiguren schlüpfen, Gretchen und Theo, und ganz wundervolle, erhellende, intime Einblicke erhalten. Es existieren also weitere faszinierende Lebenswelten außerhalb von Nickis Perspektive, die der Geschichte noch mehr Tiefe und Vielfältigkeit verleihen. Der kurze Blick hinter die Tür hat mich hungriger gemacht auf mehr statt mir ein erfüllender Appetithappen zwischendurch zu sein. In dieser Hinsicht hätte das Buch gerne ein paar Kapitel mehr vertragen können. Gretchen und Theo sind mir viel näher gekommen als es wiederum Canon geschafft hat, um den Nickis Gedanken unentwegt kreisen, der mir als Leserin aber fremd geblieben ist. Seine Rätselhaftigkeit und Distanziertheit sind zwar Bestandteil des Gefühlschaos, mit dem Nicki sich herumschlägt, aber neben dem allzu präsenten Paradiesvogel Tallis, der entzückend unverschämt um Nickis Herz und das der Leser buhlt, schneidet er ziemlich schlecht ab.

Es ist ein bisschen schade, weil ich mir jetzt das Hirn zermartere, welche Gründe es haben könnte, dass NACHT OHNE NAMEN diese Unvollständigkeit anhaftet, statt mich zurückzulehnen und die Lebendigkeit der Geschichte durch meinen Geist schwirren zu lassen. Trotzdem ist auch dieser Roman von Jenny-Mai Nuyen eine klare Leseempfehlung von mir. Auf die tatsächliche Handlung bezogen mag er mich nicht ganz zufriedengestellt haben, aber die Hingabe, mit der die Autorin ihrer Welt Bedeutung verleiht und in ihr ein Kernthema der menschlichen Existenz versinnbildlicht, macht NACHT OHNE NAMEN zu einem wertvollen und genussvollen Jugendbuch.

Cover des Buches The Magus (ISBN: 9780099743910)

Bewertung zu "The Magus" von John Fowles

The Magus
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches Jonathan Strange and Mr Norrell (ISBN: 9780739452103)

Bewertung zu "Jonathan Strange and Mr Norrell" von Susanna Clarke

Jonathan Strange and Mr Norrell
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches NACHTSONNE - Flucht ins Feuerland (ISBN: 9781497507210)

Bewertung zu "NACHTSONNE - Flucht ins Feuerland" von Laura Newman

NACHTSONNE - Flucht ins Feuerland
absinthefreundvor 10 Jahren
Kurzmeinung: Was die NACHTSONNE-Bücher brauchen, ist eine Rundumerneuerung, eine komplett überarbeitete Fassung.
Eine reizvolle Idee, die an der Umsetzung scheitert

In einer alternativen Zukunft ist das Leben auf der Erde bedroht. Das Ende der Sonne naht und bevor sie erlischt, dehnt sie sich zu einem Roten Riesen aus, der mit seiner Strahlkraft die Temperaturen auf der Erdoberfläche rasend schnell in die Höhe treibt. Seit mehreren Generationen schon lebt ein kleiner Rest der Menschheit in einer ausgeklügelten unterirdischen Behausung, genannt HUB 1, und hat seitdem das Tageslicht nicht mehr gesehen.
Nova ist ein junges Mädchen, dem das Leben vor der Evakuation etwas völlig Unbekanntes ist. Sie fühlt sich aufgehoben im HUB und ist überzeugt davon, dass diese Lebensform für sie und die restlichen fünftausend Menschen in der unterirdischen Siedlung die beste Lösung ist. Ihr behütetes und geordnetes Leben gerät aus den Fugen, als ihr Arbeitskollege Marzellus eine unglaubliche Entdeckung macht: Ein zufällig belauschtes Gespräch lässt vermuten, dass noch weitere HUBs existieren. Das bedeutet, dass die Menschen in HUB 1 möglicherweise nicht die einzigen Überlebenden auf der Erde sind.
Bevor Nova und ihre Freunde dem Gerücht nachgehen können, überschlagen sich die Ereignisse. Ihre heile Welt gerät aus den Fugen, als sie als Verräter vor Gericht gestellt und zu Tode verurteilt werden. In letzter Sekunde gelingt ihnen die Flucht, doch der einzige Weg, ihrer Hinrichtung zu entgehen, führt nach draußen – ins Feuerland.

Das Thema, das NACHTSONNE zugrunde liegt, eine Sonne, die langsam die Erde verbrennt, hat unheimliches Potential für eine rasante dystopische Geschichte. Zu einer repressiven Sozialstruktur, unter der die Protagonisten leiden, gesellt sich eine Naturkatastrophe, vor der es kein Entrinnen gibt. Die Flucht ins Feuerland geschieht also nicht nur vor dem Todesurteil, sondern bedeutet vor allem einen Wettlauf gegen die Zeit.
Ungewöhnlicherweise, aber durchaus passend für actiongeladene Science-Fiction mit einem Schuss Gefühl, erzählt die Protagonistin Nova ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive und im Präsens. Von der ersten Seite an ist man in der Geschichte drin, Informationen gibt es häppchenweise und wenn sie gerade relevant sind. Allerdings hat sich die Autorin mit diesem Stilmittel selbst Steine in den Weg gelegt. Die Art der Erzählperspektive ist alles andere als einfach und verlangt größte Aufmerksamkeit und ein paar erzählerische Kniffe, damit die Geschichte nicht Gefahr läuft, zur Berichterstattung zu werden.

Das nämlich ist das Problem. Es mangelt am szenischen Erzählen. Es mangelt so stark daran, dass ich behaupten würde, es ist gar nicht vorhanden. Nova, die Erzählerin, erklärt nicht nur ihre Welt, sie erklärt auch ihre eigenen Gefühle, die ihrer Freunde und macht Prognosen zu deren Gedanken. Statt die Figuren und die Geschehnisse durch Handlung für sich selbst sprechen zu lassen, nimmt die Erzählstimme dem Leser alle Möglichkeiten, die eigene Vorstellungskraft einzusetzen.
Dazu kommt, dass wir kaum etwas zu Äußerlichkeiten erfahren. Am Ende des Buchs hatte ich kaum eine Vorstellung vom Aussehen der Figuren und von der Atmosphäre in den HUBs oder im Feuerland. Ich habe weder den Staub des Feuerlands gerochen, noch unter dem künstlichen Licht in HUB 1 gefroren, habe keine Erschöpfung und keinen Schmerz verspürt, nicht das Aroma des gefilterten Wassers oder das eines mehligen Apfels geschmeckt; mir fehlten Numes brennende Tränen um Mailo und Novas Herzklopfen für Joaquim. Wo war die unerträgliche Hitze der riesigen blendenden Sonne, die mich in die Knie zwang und mir die Luft abschnürte? Nichts davon durfte ich erleben. Wie schade, wie unbefriedigend.

Wenn es schon am Wesentlichen hapert, darf man davon ausgehen, dass weitere erzählerische Schwächen, wie blasse eindimensionale Charaktere, ein flacher Spannungsbogen und eine vorhersehbare Handlung, nicht weit sind. Es ist schade um die Idee und um den Aufwand, der betrieben wird, um die Bücher bekannt zu machen. Was die NACHTSONNE-Bücher brauchen, ist eine Rundumerneuerung, eine komplett überarbeitete Fassung.

Cover des Buches Daughter of Smoke and Bone (ISBN: 9783841421364)

Bewertung zu "Daughter of Smoke and Bone" von Laini Taylor

Daughter of Smoke and Bone
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches Wuthering Heights (ISBN: 9783849560447)

Bewertung zu "Wuthering Heights" von Emily Brontë

Wuthering Heights
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches The Great Gatsby (Wordsworth Classics) (ISBN: B006LMPNIA)

Bewertung zu "The Great Gatsby (Wordsworth Classics)" von F. Scott Fitzgerald

The Great Gatsby (Wordsworth Classics)
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches The Great Gatsby (ISBN: 9783192929588)

Bewertung zu "The Great Gatsby" von F. Scott Fitzgerald

The Great Gatsby
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches Artemis Fowl - Der Comic (ISBN: 9783551357793)

Bewertung zu "Artemis Fowl - Der Comic" von Eoin Colfer

Artemis Fowl - Der Comic
absinthefreundvor 10 Jahren
Cover des Buches Ada oder Das Verlangen (ISBN: 9783498046491)

Bewertung zu "Ada oder Das Verlangen" von Vladimir Nabokov

Ada oder Das Verlangen
absinthefreundvor 10 Jahren

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