Marléne.
Ein Buch, in welchem es auf den ersten Blick weniger um eine Handlung mit vielen Sprüngen geht, und mehr um zwischenmenschliche Beziehungen.
Dan und Richard sind Kriegsveteranen und kehren zusammen zurück in ihren Heimatort, den Ort den sie für den Krieg verließen. Nach ihrem Einsatz in Afghanistan versuchen beide ein normales Leben zu führen. Sie sind traumatisiert, verarbeiten das Gesehene und das Geschehene unterschiedlich. Richard wird laut, unberechenbar, unkontrolliert, sucht das Risiko. Er scheut keine Konflikte und verbüßt aus diese Grund eine dreimonatige Haftstrafe. Dan ist still, lebt zurückgezogen und hat Probleme mit dem schlafen, träumt.
Als dann Marlene, die Schwester von Richards Frau Nath auftaucht, bringt sie das Gleichgewicht auseinander, das fein konstruierte Leben der Figuren.
Marlene zieht Unheil an, warnt sie und meint damit, dass sie Essen anbrennen lässt und Kleiderhaken herunterreißt, Geschirr kaputt macht. Doch sie zerstört mehr als das, verkompliziert vieles.
Als ich den Klappentext las, erwartete ich eine zerstörerische, eigennützige und intrigante Protagonistin, die in das Leben der beiden Männer poltert und es genießt. Stattdessen zeichnet Djian eine beinahe zarte, verletzliche Marléne, die eher in die bisher gefestigten Familienkonstellationen taumelt, hinein stolpert.
Dabei agiert sie selbst wenig, vor allem wird an sie gedacht, über sie gesprochen. Sie polarisiert, scheint alle zu beschäftigen und so miteinander zu verbinden. Nicht ihre handelnde Zeit macht sie zur Protagonistin, eher die Bedeutung die ihr beigemessen wird, der Platz, den die anderen Figuren ihr in ihren Leben einräumen.
Dadurch zeichnet Djian sie so wunderbar lebhaft, immer ein bisschen blass und unnahbar aber dennoch greifbar, als würde man sie kennen. Als Leser betrachtet man Marléne aus so vielen verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven, kann teilweise nicht unterscheiden zwischen Vermutungen, Wahrnehmungen und Vorurteilen über ihre Person.
Es geht um Liebe, um Freundschaft, es geht um Hass und um Besessenheit, sowie um Tod, Täuschung und Verzweiflung.
Und hier lag mein Irrtum. Diese Dinge hat jedoch nicht Marléne mit sich gebracht, als sie sich ins Leben der Figuren drängte. Sie brachte es lediglich zum Vorschein, holte es an die Oberfläche und sorgte dafür, dass das fein konstruierte Gebilde, das die teilweise kaputten Charaktere zusammenhält, einstürzt.
Djians Schreibstil hat etwas schroffes, ist rau und passt somit wunderbar zur düsteren Atmosphäre. Diese zieht sich durch den ganzen Roman, es gibt keine ausgelassenen Dialoge oder fröhliche Momente.
Eine der Pressestimmen verkündet die Atmosphäre des Buches sei wie ein Gemälde von Edward Hopper und genau das beschreibt es. Die Menschen sind unglücklich, die Stadt in der sie leben ist es auch und die gezeichnete Stimmung unterstützt dies wunderbar.
Und die wenigen komischen Momente, tarnt Djian grandios mit einem trockenen Humor, es gibt keine ausgelassenes Lachen, nur ein leises Schmunzeln am Bildrand.
Dieser Roman lebt von seinen Figuren, welche zu entwerfen schon immer Philippe Djians Stärke war. Es geht um Innere Zerrissenheit, um Flucht und das Entdecken von Wahrheiten.
Djian ist ein sprachlicher Künstler, hat ein Gespür für die Vielschichtigkeit der Menschen. Er wechselt zwischen Innen und Außensicht, lässt Dialoge in Beschreibungen übergehen, sodass man aufmerksam bleibt, bleiben muss.
In dem Roman, mit dem grandiosen Cover, spielt der Autor mit der Sprache, schafft diese grandiose Atmosphäre mit wenigen Worten und zieht wunderschöne Vergleiche.