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Cover des Buches Frau Schnieder kehrt heim (ISBN: 9783981689716)

Bewertung zu "Frau Schnieder kehrt heim" von Johanna Wohlgemuth

Frau Schnieder kehrt heim
bibliotaphvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Eine Frau versucht sich im Berlin der 20er Jahre zurecht zu finden.
Frau Schnieder

„Zumindest kommt ihr plötzlich alles realer vor, die Gespräche, die Menschen. Das Leben der letzten Jahre scheint dagegen nur eine billige Kopie gewesen zu sein. Vielleicht war es eigentlich gar kein Leben?“ Berlin in den dreißiger Jahren. Maren Schnieder wird nach langer Zeit aus der Psychiatrie entlassen und muss sich jetzt wieder allein im Leben zurecht finden. Der Arzt der Psychiatrie hat ihr eine Wohnung besorgt, doch zu Beginn fühlt sich Frau Schnieder verloren, denn die Welt außerhalb der Klinik ist ihr fremd geworden. Ihren Mann und ihren Sohn hat sie auf unterschiedliche Weise im ersten Weltkrieg verloren, aufgrund dieser Umstände ist sie letztendlich auch in die Klinik eingewiesen worden. Das Leben, das sie jetzt führen muss, ängstigt sie. Dennoch begegnet Frau Schnieder unfreundlichen Menschen wie ihrer Vermieterin und ihrer Arbeitgeberin freundlich und höflich. Durch diese Freundlichkeit und Großzügigkeit findet sie auch bald einen Freund in dem Obdachlosen Herbert Mörnikke. Bei ihrem ersten Treffen bettelt er sie um Geld an – da sie keines hat, lädt sie ihn in ihre Wohnung ein und teilt mit ihm ihr karges Mahl. Aus dieser Zufallsbegegnung entwickelt sich rasch eine freundschaftliche Beziehung, da sich Frau Schnieder im grauen und hektischen Berlin, das so anders ist als ihr geregelter Alltag in der Klinik, einsam fühlt. Auch Herbert Mörnikke ist froh, jemanden gefunden zu haben, der ihn, den Veteran, der jetzt auf der Straße lebt, als vollwertigen Menschen betrachtet. Ihr Psychiater hat ihr nicht nur eine günstige Wohnung, sondern auch eine Arbeit in einem Laden besorgt und so freundet Frau Schnieder sich rasch mit ihrer Kollegin an. Sie beginnt, das Leben außerhalb der Klinikmauern zu genießen, doch kann sie mit ihrer Vergangenheit abschließen? Johanna Wohlgemuth hat in ihrem 123 Seiten langen Roman die Atmosphäre in Berlin zwischen den Kriegen eingefangen. Sehr gut hat mir gefallen, dass herausgestellt wurde, dass nicht nur die Männer, die in den Krieg gezogen sind, gelitten haben, sondern dass sich auch die Leben der Frauen dadurch verändert haben. „ ‚Ja, man hat ein Leben. Von Anfang an hat man eins. Die ganze Zeit, Nur wollen tut man es nich. Warum sollte man auch? Tut sowieso nur weh. Das Leben, das gibt einem nichts und nimmt einem alles.‘ “ Wohlgemuth beschreibt nicht nur das etwas „spezielle“ Schicksal ihrer Hauptfigur Frau Schnieder, sondern beleuchtet auch die Leben ihrer Nebenfiguren, wie z.B. das des Obdachlosen Herbert Mörnikke, der traumarisiert aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt ist und alles, was er hatte, verloren hat. Auch werden die Lebensumstände von Frau Schnieders Kollegin gezeigt, die die Lebenswirklichkeit vieler dieser Zeit beleuchtet. Dennoch wirkt die Geschichte zu keinem Zeitpunkt überladen, da lediglich Ausschnitte aus den Leben dieser Personen beschrieben werden. Das hat auch den Effekt, dass die Nebencharaktere nicht blass und inhaltsleer bleiben, obwohl der Fokus klar auf Frau Schnieder liegt. Der Charakter Frau Schnieders wirkt auf den ersten Blick sehr naiv, ihre Sichtweisen auf die Güte ihrer Mitmenschen fast kindlich, doch durchläuft sie im Voranschreiten der Geschichte eine nachvollziehbare und logisch wirkende Wandlung. Die Gefühlskälte einiger Leute, denen sie begegnet, erschüttert ihr Menschenbild, doch sie ist letztendlich in der Lage, deren Verhalten sowie ihr eigenes zu reflektieren und einzuordnen. Wegen der gut ausgearbeiteten Charaktere und der treffenden Atmosphäre hat mich dieser kurze Roman in seinen Bann gezogen und hat auch, nachdem ich ihn beendet hatte, noch einige Zeit nachgehallt und das nicht nur wegen dem – für mich sehr überraschenden – Ende. Ich hoffe sehr, dass nach diesem Roman noch weitere der Autorin folgen werden.

Cover des Buches Frida - Ein Leben zwischen Kunst und Liebe (ISBN: 9783791383873)

Bewertung zu "Frida - Ein Leben zwischen Kunst und Liebe" von Vanna Vinci

Frida - Ein Leben zwischen Kunst und Liebe
bibliotaphvor 7 Jahren
Kurzmeinung: Absolut lesenswert für Frida Kahl Neulinge und Kenner!
Ein bewegtes Leben

„ …und mir wurde eines klar…dass es in meinem Leben zwei große Unfälle gegeben hatte: Einmal, als ich von der Straßenbahn zerquetscht worden war…und ein zweites Mal, als ich Diego begegnet war.“

Die mexikanische Malerin Frida Kahlo (1907-1954) war zu Lebzeiten in der Öffentlichkeit vor allem als Ehefrau des berühmten Malers Diego Rivieras bekannt.

Im Jahr 1907 als Tochter eines deutschen Einwanderers und einer Mexikanerin geboren, ist sie schon als junge Frau sehr selbstbewusst, hat sie doch einen männlichen Kleidungsstil und treibt viel Schabernack mit ihren (hauptsächlich männlichen) Schulfreunden. Doch ein schwerer Unfall in einer Straßenbahn im September 1923 ändert alles: Viele Knochen in ihrem Körper sind gebrochen und sie muss eine sehr lange Zeit liegend verbringen.

Um sich von den schrecklichen Schmerzen abzulenken, beginnt sie zu malen. Einige Zeit später lernt sie den berühmten -und wegen seiner vielen Affären auch berüchtigten- Maler Diego Riviera kennen und die beiden verlieben sich ineinander. Der wesentlich ältere, unattraktive und dickliche Künstler ist die Liebe ihres Lebens. Frida beginnt traditionelle Tehuana Bekleidung zu tragen und unterstützt ihren Mann in seinem künstlerischen Schaffen.

Doch Diego kann ihr nicht treu bleiben und verletzt sie immer wieder mit zahllosen Liebschaften. Auch hat Frida mehrere Fehlgeburten und ihre körperlichen Beschwerden machen ihr immer mehr zu schaffen. Letztendlich beschließt sie, sich ebenso zu Verhalten wie ihr Mann und beginnt nicht nur Affären, sondern beschäftigt sich auch immer mehr mit der Malerei, durch die sie die Möglichkeit hat, ihre Gefühle und ihren Schmerz zum Ausdruck zu bringen.

Ich habe vorher noch nie ein Graphic Novel gelesen, aber da ich mich für Frida Kahlo und ihre Werke schon seit einigen Jahren interessiere, musste ich es einfach lesen. Ich wurde auch nicht enttäuscht, denn obwohl ich schon einige sehr interessante Biografien über sie gelesen habe, wurde ihre Geschichte durch die Bilder noch einmal anders erzählt.

So ging mir die Darstellung des Unfalls, der so viel Einfluss auf ihr Leben und Schaffen haben sollte, sehr nahe, da ihre Hilflosigkeit und Verwirrung angesichts der unübersichtlichen Situation und der Schmerzen mithilfe der Bilder ganz anders dargestellt werden, als „nur“ Worte es können.

Des Weiteren fand ich es sehr gut, dass durch die Einbettung ihrer Malereien noch einmal genau herausgestellt wird, wie eng ihr Leben mit der Kunst verbunden ist.

„Ich habe immer meine Realität und mich selbst gemalt…denn ich war das Einzige, was ich wirklich kannte…und ich war das einzige Territorium, das ich erkunden wollte.“

Frida Kahlo ist in diesem Graphic Novel selber die Erzählerin ihrer Lebensgeschichte, das komplette Buch ist ein Dialog zwischen ihr und jemand anderem (wer das ist, möchte ich hier nicht verraten). Vinci orientiert sich bei ihren Zeichnungen an dem Stil Frida Kahlos: Die Zeichnungen sind bunt und dadurch wirken sie auf den ersten flüchtigen Blick fröhlich, die Tragik offenbart sich nicht sofort. Die vielen Farben drücken vielleicht auch die Lebensfreude aus, die diese Frau trotz all der körperlichen Beschwerden, die sie hatte, nicht verloren hat. Trotz ihrer  körperlichen und seelischen Not scheint sie immer lebensbejahend zu sein und sich nicht aufzugeben. Wenn die Malerin über ihre Vergangenheit spricht, sind die Farben etwas gedeckter gehalten.

Da dieses Buch nicht nur unterhaltend ist, sondern auch einige wichtige Informationen zum Leben und Schaffen der Malerin vermittelt, ist es auch für Kahlo „Neulinge“ interessant. Allerdings werden auch Menschen, die sich mit Kahlo schon etwas ausführlicher auseinander gesetzt haben, ihre Freude beim Lesen dieses sehr schön gestalteten Graphic Novels haben.

 

Cover des Buches Der weite Raum der Zeit (ISBN: 9783813506730)

Bewertung zu "Der weite Raum der Zeit" von Jeanette Winterson

Der weite Raum der Zeit
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Ein nicht ganz gelungener Versuch einer Umsetzung von Shakespeares "Das Wintermärchen" in die Moderne
Viel Licht und Schatten

„Der weite Raum der Zeit“ der Autorin Jeanette Winterson ist ein Teil der Reihe „Hogarth Shakespeare“, in der bekannte Autoren die Stücke Shakespeares in moderne, eigene Geschichten adaptieren. Dieser Roman (und auch die anderen der Reihe) erscheinen beim Klaus Verlag in deutscher Übersetzung. „Der weite Raum der Zeit“ basiert auf „Das Wintermärchen“, einem von Shakespeares Spätwerken, in dem ein von Eifersucht zerfressender König sein Leben und das seiner Liebsten zerstört. Eine Zusammenfassung des Stücks befindet sich auf den ersten Seiten des Romans.

Die Geschichte beginnt in New York City mit dem Auffinden eines Babys in einer offen gelassenen Babyklappe von Shep und dessen Sohn. Nachdem die beiden Zeugen eines Mordes geworden sind, nehmen sie das Baby und die Tasche, die neben dem Säugling liegt, mit zu sich nach Hause. In der Tasche befindet sich viel Bargeld, kostbarer Schmuck und ein Musikstück, das mit „Perdita“ betitelt ist. Er benennt das Mädchen nach dem Musikstück und kauft von dem Bargeld eine Bar. Danach geht die Handlung zurück in die Zeit kurz vor der Geburt Perditas in London. Leo, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der durch dubiose Geschäfte zu Reichtum gelangt ist, verdächtigt seinen besten Freund aus Kindheitstagen und jetzigen Geschäftspartner Xeno eine Affäre mit seiner Frau MiMi, einer französischstämmigen Sängerin zu haben. Auch das Kind, das sie erwartet, soll von Xeno sein. Vollkommen von seiner Eifersucht zerfressen, versucht er seinen besten Freund zu töten und behandelt seine Frau so schlecht, dass sie zusammen mit dem Baby zu einer gemeinsamen Freundin flieht. Leo schafft es jedoch, einen Mann zu bestechen, das Baby zu holen und nach New York zu Xeno, dem vermeintlichen Vater des Kindes zu bringen. Dies misslingt jedoch, da der Mann auf den Straßen New Yorks ermordet wird. Einige Jahre später ist Perdita eine fast erwachsene Frau, die bei ihrem Adoptivvater und Bruder lebt. Sie hat sich in Zel verliebt, der zufällig der Sohn von Xeno ist. Schnell wird klar, dass Perditas Vergangenheit eng mit der ihres Freundes zusammenhängt. Sie machen sich gemeinsam auf den Weg, Perditas Herkunft zu erkunden.

Dieses Buch hat es mir wirklich nicht leicht gemacht, es zu mögen. Die Charaktere sind leider flach: Perdita, das schöne und gute Findelkind; Leo, der kaltherzige Geschäftsmann, dessen Eifersucht ihn fast in den Wahnsinn treibt und nicht nur sein Leben zerstört; Xeno, der tiefsinnige, gebrochene, homosexuelle Künstler (er erfindet Videospiele), der versucht, seinen Kummer in Alkohol zu ertränken; Zel, der schüchterne, intelligente Junge, der seinen Vater verachtet. Auch die Art, Leos Eifersucht deutlich zu machen, funktioniert bei mir leider nicht- der Versuch, seiner Raserei durch derbe Schimpfworte und eigenartige Sexualfantasien Ausdruck zu verleihen, erzielt bei mir leider nicht den gewünschten Effekt, sondern veranlasste mich eher zum exzessiven Augenrollen. Das Ende ist eher zu viel des Guten (und das ist noch euphemistisch ausgedrückt), allerdings musste sich die Autorin natürlich auch an die Vorlage halten und hatte wahrscheinlich keine wirkliche Wahl. Natürlich hat der Roman auch Stärken. So fand ich die Umsetzung von MiMis (im Original Hermione) Schicksal sehr treffend umgesetzt. Im „Wintermärchen“ stirbt Hermione und es wird eine Statue aus Stein von ihr im Palast aufgestellt. Ich war schon vor dem Lesen des Buches gespannt, wie man damit umgehen würde und Winterson hat dies wunderbar gelöst. MiMi ist eine gebrochene Frau, die durch die Straßen von Paris streicht.

„Paris ist voller Engel. Jeden Tag entdeckt sie eine neue Statue, eine neue Schnitzerei, und stellt sich vor, was wäre, wenn sie alle zum Leben erwachen würden. Wer hat sie eigentlich eingeschlossen in Stein? Auch sie fühlt sich eingeschlossen in Stein.“

Auch die Metaphern, die ab und an eingestreut werden, sind gekonnt und poetisch, ohne dabei in den Kitsch abzudriften. Ebenso fand ich die Beschreibung des Videospiels, das Reno kurz vor Perditas Geburt entworfen hat, sehr interessant und ansprechend. Alles in allem ist dieser Roman streckenweise gut geschrieben und ist vor allem für Leser zu empfehlen, die sich für moderne Umsetzungen der Werke Shakespeares interessieren. 

Cover des Buches Das Zimmer (ISBN: 9783630874609)

Bewertung zu "Das Zimmer" von Jonas Karlsson

Das Zimmer
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Kafkaesk angehauchter Roman mit Schwächen
Interessant, allerdings mit kleinen Schwächen

Joans Karlsson, Jahrgang 1971, ist nicht nur Autor, sondern auch Schauspieler. „Das Zimmer“ erschien 2016 auf Deutsch und wurde von Paul Berg aus dem Schwedischen übersetzt. Björn, der Ich-Erzähler des Romans, arbeitet seit Kurzem in „der Behörde“. Wofür diese Behörde nun genau zuständig ist, erfährt man nicht. In seinem vorherigen Job wurde ihm nahegelegt zu gehen und nun hat er einen Arbeitsplatz in einem Großraumbüro, in dem er Akten bearbeitet. Er ist sehr ehrgeizig und sieht seine Chance, in der Behörde aufzusteigen, hält er sich doch für intelligenter und arbeitsamer als seine Kollegen. Jedoch unterscheidet sich Björn auch in anderer Hinsicht von ihnen: Er ist sozial inkompetent und wenn ihn etwas an seinen Kollegen stört, dann sagt er es ihnen frei heraus, er nimmt keine Rücksicht auf die Empfindlichkeiten seines Umfelds. Auch legt er keinen Wert auf nähere Bekanntschaften mit seinen Kollegen und macht das durch seine kurzsilbigen Antworten deutlich. Er fühlt sich von dem Verhalten seiner Umgebung abgelenkt, es bringt ihn in seinem Arbeitsrhythmus mit fest gelegten Pausen durcheinander. Eines Tages entdeckt er aber auf dem Weg zur Toilette eine Tür, hinter der sich ein kleines Büro befindet. Sobald er dieses Zimmer betritt, fühlt er sich ruhig und kann sich danach wie er ungestört seinen Aufgaben widmen. Allerdings behaupten seine Kollegen, dass dieses nicht existiert und Björn vermutet, dass sie das sagen, um ihn zu mobben. Er besucht weiterhin das Zimmer und macht sich damit noch mehr zum Außenseiter dieses Büros, es wird ihm sogar von seinem direkten Vorgesetzten verboten, das Zimmer nochmals zu betreten. Also besucht er es heimlich, wenn alle gegangen sind und arbeitet darin unglaublich produktiv. „In ihm herrschte die gleiche Art von Entspannung und begrenzter Freiheit. Jede Linie schien perfekt mit der nächsten verzahnt zu sein. Alles Turbulente, Unruhige verschwand. Die Präzision kehre zurück.“ Doch was macht dieses Zimmer zu so etwas Besonderem? Existiert es überhaupt? Dieses Buch hat mir im Großen und Ganzen gut gefallen, es ist leicht und flüssig zu lesen, vielleicht auch dank der sehr kurzen Kapitel. Es ist zu einem gewissen Grad kafkaesk, Karlsson erreicht zwar nicht die sprachliche Virtuosität Kafkas, doch der Leser befindet in einer undurchschaubaren Situationen, da erst am Ende geklärt wird, ob sich das Zimmer nur in Björns Kopf befindet oder er aufgrund seines ungewöhnlichen Verhaltens das Opfer einer großangelegte Mobbingaktion seiner Kollegen ist, auch das Unwissen, für welche Dinge diese ominöse Behörde zuständig ist und warum eine mögliche Schließung droht, trägt dazu bei. Björn ist nicht durchschnittlich, meiner Meinung nach könnte es sein, dass er das Asperger Syndrom hat, denn das würde sein Benehmen gegenüber den Kollegen erklären. Da diese sich darüber keine Gedanken machen, sondern ihn wahrscheinlich als Sonderling abstempeln und meiden und ab einem gewissen Zeitpunkt auch einfach nur „loswerden“ wollen, zeigt, dass die (Arbeits-) Gesellschaft doch weniger Platz für anders denkende Menschen hat, als man gemeinhin annimmt. Björn erfährt erst Anerkennung und auch eine gewisse soziale Akzeptanz, als er (dank der heimlichen Arbeit in dem Zimmer) Erfolg hat, wobei ihm da auch klar wird, was den Unterschied zwischen ihm und den anderen Büromitarbeitern ausmacht. „Ich war ihnen immer etwas voraus. Ungefähr zwei Wochen. Sie benötigten diverse Gelegenheiten, um wahrzunehmen, was ich bereits beim ersten Versuch sah. War es mit dem Zimmer vielleicht das Gleiche?“ Um meine Kritikpunkte an dem Buch zu schildern, müsste ich auf das Ende näher eingehen, was ich aber hier nicht tun möchte. Abschließend bleibt zu sagen, dass „Das Zimmer“ ein Roman mit guten Ideen (z.B. dass beruflicher Erfolg auch gesellschaftlichen Erfolg bedeutet, der unabhängig ist von den positiven und negativen Eigenschaften der erfolgreichen Person) und einer gut zu lesenden Umsetzung ist, ich allerdings einen anderen Ausgang interessanter gefunden hätte.

Cover des Buches Bedenke, was du tust (ISBN: 9783442313723)

Bewertung zu "Bedenke, was du tust" von Elizabeth George

Bedenke, was du tust
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Kein Kriminalroman im eigentlichen Sinne, aber dennoch ein unglaublich spannendes Leseerlebnis
Lynley and Havers are back!

Die Feministin und Autorin Clare Abbott feiert gerade große Erfolge mit ihrem jüngst erschienen Buch „Auf der Suche nach Mr Darcy“, in dem es über die Institution Ehe geht. Auf ihren Lesereisen begleiten sie die Verlagsmitarbeiterin Rory Statham und ihre dominanten Assistentin Caroline Goldacre. Barbara Havers besucht eine ihrer Lesungen und führt auch ein kurzes Gespräch mit der Autorin und ihren beiden Begleitungen. Als Clare Abbott kurz danach von ihrer Assistentin tot in ihrem Hotelzimmer gefunden wird, setzt sich Rory mit Barbara Havers in Verbindung, da sie nicht an eine natürliche Todesursache glauben kann, sie verdächtigt Clares Assistentin, die ein sehr eigenartiges Verhalten an den Tag legt, ihrer Chefin etwas angetan zu haben. Doch DS Barbara Havers steht aufgrund von Fehlentschlüssen in ihrem letzten Fall unter strenger Beobachtung ihrer Chefin Isabelle Ardery, ihrer beruflichen Karriere droht ein schnelles Ende, wenn sie sich noch einen Fehltritt erlaubt. Nichtsdestotrotz überzeugt sie ihren direkten Vorgesetzten DI Lynley davon, sich des Falles anzunehmen und bald stellt sich heraus, dass die berühmte Feministin vergiftet worden ist. Isabelle Ardery ist gegen die Ermittlungen in diesem Fall, da Clare Abbott in Dorset lebte und in Oxford starb und es somit nicht in das Arbeitsgebiet von Scotland Yard fällt. Lynley übergeht ihre Anweisungen jedoch und kurz darauf macht Havers sich gemeinsam mit ihrem Kollegen Winston Nkata auf den Weg nach Dorset, um herauszufinden, wer Interesse an dem Tod der bekannten Feministin gehabt hätte. Besonders interessieren sie sich für Caroline Goldacre, da  ihr Verhältnis zu Clare ungewöhnlich zu sein schien. Nach dem Suizid ihres Sohnes Will vor zwei Jahren scheint sie sehr labil, doch hatte sie einen Grund, ihrer Arbeitgeberin den Tod zu wünschen?

Eigentlich spielt die Krimihandlung in diesem Roman nur eine Nebenrolle (der Mord geschieht erst nach 200 Seiten), auch Thomas Lynleys und Barbara Havers' Privatleben wird relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet, was aber der Lesefreude keinen Abbruch tut. Die Autorin hat sich auch schon in einigen vorherigen Romanen nicht hauptsächlich auf das Verbrechen, sondern auf die Psychologie ihrer Charaktere konzentriert und beherrscht dies wirklich meisterhaft. Statt der Geschichte eines Mordes wird vielmehr die Geschichte der Familie Goldacre erzählt, von Caroline, ihrem zweiten Mann Alistair, ihrem Sohn Will, der Selbstmord beging, ihrem Sohn Charlie, der als Psychologe in London lebt und arbeitet und dessen Frau India, die sich vor Kurzem von ihm getrennt hat. In dieser Familie ist jeder auf seine Weise unglücklich, was aber zumeist ihren Ursprung in dem unberechenbaren Verhalten Carolines hat. Sie will alles und jeden kontrollieren und schreckt auch nicht vor Lügen zurück, um ihre Macht, die sie über die einzelnen Familienmitglieder hat, zu behalten. So versuchen ihr Mann, ihre Kinder und selbst India es ihr recht zu machen, doch Wills Suizid bringt Carolines Machtverhältnisse ins Wanken. Man könnte meinen, dass der Selbstmord die Familie zerstört, doch die Frage ist eigentlich, ob es überhaupt etwas zu zerstören gab, da die gesamte Familiengeschichte nur auf Lügen aufgebaut zu sein scheint. Die Charaktere und ihre Geschichten sind das, was diesen Roman so lesenswert macht, die Perspektivwechsel zwischen Havers, Lynley, Alistair, Charlie India und Rory unterstützen dies noch. Der Roman ist flüssig zu lesen und da dies nun schon der 19 Band mit den beiden Hauptermittlern ist, fühlt man sich gleich „zu Hause“. Auch wenn, wie schon erwähnt, der größte Teil des Romans nicht unbedingt von Lynley und Havers handelt, so ist es doch offensichtlich, dass ihre Charaktere sich innerlich und- in Havers Fall- auch äußerlich entwickeln. Diese Entwicklung ist etwas, das mir bei den drei vorangegangenen Romanen gefehlt hat, hier aber nun endlich geschieht. Besonders Barbara Havers, die schon seit dem ersten Buch der Reihe größere Veränderungen strikt abgelehnt hat, scheint langsam zu begreifen, dass sie sich selbst verändern muss, um ein erfüllteres Leben zu haben. Ich freue mich schon sehr auf den nächsten Band der Reihe, nicht nur, um die Entwicklungen der Hauptfiguren zu verfolgen, sondern auch, weil Elizabeth George mich wunderbar unterhalten kann, was sie mit diesem Buch endlich wieder bewiesen hat.

Cover des Buches D.I. Helen Grace - Schwarzes Herz (ISBN: 9783499238390)

Bewertung zu "D.I. Helen Grace - Schwarzes Herz" von Matthew J. Arlidge

D.I. Helen Grace - Schwarzes Herz
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Für Fans von Karin Slaughter
Schwarzes Herz

"Schwarzes Herz“ ist der zweite Band der Reihe um die Ermittlern D.I. Helen Grace. 

Der Roman beginnt einige Monate nach dem Ende des ersten Bands, ich würde empfehlen, den Vorgänger „Einer lebt, einer stirbt, zuerst zu lesen, da die Auswirkungen dieses Falles auch die Protagonisten dieses Thrillers beschäftigt. 


Es werden Männer auf bestialische Weise ermordert, ihnen wird das Herz rausgeschnitten. Die Herzen werden mit einem Paket an die Hinterbliebenen oder aber an den Arbeitsplatz geschickt. Die Opfer scheinen auf den ersten Blick unbescholtene Bürger zu sein, einer ist aktives Mitglied einer Glaubensgemeinschaft und mehrfacher Vater, ein anderes Opfer hat gerade mit seiner Frau ein Baby bekommen. Doch es stellt sich im Laufe der Ermittlungen heraus, dass diese Männer regelmäßig  einen Chatroom aufgesucht haben, der eine Art Bewertungsportal für das Können von Prostituierten ist. 

D.I. Grace übernimmt diesen Fall zusammen mit ihrem Team, dazu gehören auch Tony, dessen Frau ein Pflegefall ist, und Charlie, die gerade wieder ihren Dienst antritt. Charlies und Helens Beziehung ist am Anfang schwierig, da Helen ihr Vorwürfe wegen des Ausgangs des vorherigen Falles macht. Außerdem hat Helen auch einen schweren Stand bei ihrer neuen Vorgesetzten, die nur auf medientauglichen Erfolg erpicht zu sein scheint und auch der öffentliche Druck, der durch die Presse ausgeübt wird, wächst stetig. Trotz all dieser Widrigkeiten macht sich Helen Grace daran, den Mörder zu finden. 


Ich lese sehr gerne Thriller, dieser konnte mich aber leider nicht so überzeugen. Die Figuren bleiben blass, man kann sich weder mit ihnen identifizieren noch in irgendeiner Form an ihren Problemen Anteil nehmen. Des Weiteren fand ich die Schilderungen der Morde sehr, sehr brutal und auch die Sprache des Romans ist sehr rau- ich finde, dass man selbst bei einem Thriller auf unnötige Gewaltszenen, bzw. deren detaillierte Schilderungen, verzichten kann, denn es trägt der Spannung nicht zwangsläufig bei, wenn das Blut bis an die Decke spritzt, es erhört lediglich den Ekelfaktor. 

Ich denke aber, dass diese Reihe sicher Fans von Karen Slaughter oder Cody McFayden gefallen könnte. 

Cover des Buches Die vier Liebeszeiten (ISBN: 9783946086130)

Bewertung zu "Die vier Liebeszeiten" von Birgit Rabisch

Die vier Liebeszeiten
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Eine realistische Liebesgeschichte, die über die Jahrzehnte andauert.
Die vier Liebeszeiten

Der Roman ist unterteilt in vier Abschnitte: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die Jahreszeiten sollen die jeweiligen Stadien des Lebens und der Liebe der beiden Protagonisten Rena und Hauke darstellen. 

Der Roman beginnt im Jahr 1970 in Hamburg, als die siebzehnjährige Rena den acht Jahre älteren Germanistikstudenten Hauke auf einer Party kennenlernt. Die beiden verstehen sich von Beginn an gut und verabreden sich zu einer Radtour. Trotz Renas anfänglicher Nervosität fasst sie schnell Vertrauen zu dem älteren Jungen und erzählt ihm von ihrem schwierigen familiären Hintergrund. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Ort bei ihrer Oma Anna, die sich rührend um sie kümmerte, nun lebt Rena schon seit einiger Zeit bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, ihre Beziehung ist aber konfliktreich. Am liebsten hätten ihre Eltern sie auf einer Volksschule gesehen, da sie einen  höheren Schulabschluss für ein Mädchen als unnötig erachten. Rena geht trotzdem aufs Gymnasium, denn trotz ihres jugendlichen Alters hat sie schon klare Vorstellungen von ihrer Zukunft - sie interessiert sich brennend für Naturwissenschaften und möchte nach dem Abitur etwas in der Richtung studieren. Hauke ist beeindruckt von Renas Offenheit und Willensstärke und die beiden beginnen eine Beziehung. 

Im „Sommer“ sind einige Jahre ins Land gezogen und Rena (inzwischen in ihren Zwanzigern) ist mit ihrem ersten Kind schwanger. Sie befinden sich auf einem Boot, das Hauke von seinen Eltern geerbt hat. Rena hat ihr Physikstudium inzwischen fast beendet und will nach der Geburt ihres Kindes weiter arbeiten, da Hauke von zu Hause arbeitet und sich so um das Kind kümmern kann. 

Der Abschnitt „Herbst“ beginnt am Morgen von Haukes 60. Geburtstag, die Jahre, die zwischen der Geburt und diesem Tag vergangen sind, werden in Rückblenden erzählt. Rena ist der Meinung „Sie haben ein unverschämtes Glück gehabt … Und vor allem sollte sie den Augenblick genießen, ihn hinzufügen zu all den wunderbaren Augenblicken, die ihre Erinnerung schon angesammelt hat. Vielleicht wird sie sie noch brauchen, wie das Eichhörnchen, das im Winter auf seine gesammelten Vorräte zurückgreifen kann, um der eisigen Jahreszeit zu trotzen.“

Und das Rena dies tut, ist auch gut, denn auch sie wird bald im Winter ihres Lebens sein…


Der Roman ist einfach zu lesen und hat mich so gut unterhalten, dass ich ihn „in einem Rutsch“ durchgelesen habe. Renas und Haukes Liebesgeschichte ist realistisch und entbehrt jeglichem Anflug von Kitsch, das ist mir wichtig zu betonen. 

Auch die fehlenden Zeitabschnitte zwischen den Kapiteln haben mich nicht gestört, da die wichtigsten oder prägendsten Ereignisse in Rückblenden erzählt wurde. Besonders beeindruckt hat mich Renas Charakter, da sie schon als Jugendliche wusste, was sie erreichen will und ihr Ziel auch, trotz aller Widrigkeiten, erreicht, ohne dabei rücksichtslos gegenüber ihrem Mann oder ihren Kindern zu werden. Mein einziger Kritikpunkt an dem Roman ist das Fehlen von „echten“ Konflikten, bzw. Situationen, die Renas und Haukes Beziehung auf längere Sicht beschädigt hätten, es gibt keinen wirklichen Streit und selbst ein Vorfall, der in jeder anderen Beziehung zu einer großen, länger andauernden Krise geführt hätte, wird hier nur kurz abgehandelt. 

Alles in allem ist „Die vier Liebeszeiten“ jedoch ein schöner und berührender Roman, den man auch Menschen ans Herz legen kann, die eigentlich keine Liebesromane lesen. Es wird die Geschichte einer großen Liebe erzählt, die an der Stellen einsetzt, an der andere Romane normalerweise aufhören - dem Finden der Liebe des Lebens, des Seelenverwandten. 

Cover des Buches Pride and Prejudice Stolz und Vourteil (ISBN: 9783945342350)

Bewertung zu "Pride and Prejudice Stolz und Vourteil" von Jane Austen

Pride and Prejudice Stolz und Vourteil
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: More than a love novel
My all-time favorite

Although this book was published more than 200  years ago, it is still read and loved by many readers nowadays and has been made into movies for several times (in my opinion the best adaption is the BBC mini series from 1995).

For those who still haven't read "Pride and Prejudice"  I'll summarize the content shortly.

The Bennet family has five daughters (the beautiful and kind Jane, the witty and clever Elizabeth who is her father's favourite, the boring  Mary, and the untamed girls Lydia and Kitty) and no son which means that Mr Bennet's estate and money will be inherited by the closest male relative. Because of that Mrs Bennet is eager to find a wealthy and suitable husband for her daughters. When a young wealthy gentleman, Mr Bingley, his two sisters, Miss Bingley and Mrs Hurst with her husband, and his friend Mr Darcy arrive in Meryton (Mr Bingley has rented a mansion, Netherfield Hall), hopes are high that he will be looking for a wive in the village. However, the first meeting is disappointing. Although Mr Bingley is a handsome young man and seems to have genuine interest in Jane, his relatives and Mr Darcy seem to be completely uninterested and arrogant. As the story continues, Mr Darcy and Elizabeth bicker constantly. But is Mr Darcy as proud as Elizabeth believes?

While writing the summary I realized how hard it is to put everything what's in this book in a few short sentences. It's more than just a love story- it's a novel that portrays society and class in 19th century England. The summary omits many characters and story lines but I didn't want to spoil anything - I vividly recall the embarrassment I felt every time Mrs Bennet spoke, laughed about the ridiculous Mr Collins  or the feelings I had towards Mr Darcy and his arrogant behaviour when I was reading the novel for the first time.The novel is mainly told from Elizabeth's point of view and I could perfectly understand her feelings towards Mr Darcy. Moreover, I love Elizabeth's character - she is a woman who has her own mind and I (and I think many other readers) could relate to her views of love and marriage. In a time when marriage meant (financial) security for women, she doesn't understand that a woman should ever marry a man she doesn't love. After she is informed that her best friend is going to marry a man without loving him, she is devastated.

"The more I see of the world, the more I am dissatisfied with it; every day confirms my belief of the inconsistency all human characters, and of the little dependence that can be placed on the appearance of either merit or sense."


In 2010, the Harvard University Press published an annotated version of the famous novel. It was edited by Patricia Meyer Spacks who is an emerita professor of English at the University of Virginia.

Although I've read the book at least five times and had access to  additional material , I've really enjoyed reading this annotated version. It delivers insight into the role of women and the importance of marriage during the Regency era. Some annotations are short explanations of today obsolete and unusual expressions and words, but most of the annotations build a bridge to Austen's biography and novels, other novels of the era and  social conditions. Many questions that could arise while reading the novel are answered very well, e.g. why it is a problem if Mr Bennet doesn't call upon the new neighbours (no social connections  between the families would have been possible if he hadn't) or why Mr Darcy avoids being introduced to anyone at a dance (a man and a woman  who hadn't been formally introduced before couldn't dance). Moreover, there are pictures of illustrations, paintings and sketches which are very well-chosen to get an idea how life looked like 200 years ago.Besides all the interesting and fascinating information given, the book itself has high-quality binding and paper and is an eye catcher for every shelf or coffee table of Janeites. This annotated edition can be recommended to everyone who has already read Pride and Prejudice  because it gives uncountable additional information of various Jane Austen scholars so that the reader can enjoy this brilliant story even more. However, I wouldn't recommend it for first readers since I think it the amount of information can be overwhelming and also spoil some fun.

Cover des Buches The Attack (ISBN: 9780099499275)

Bewertung zu "The Attack" von Yasmina Khadra

The Attack
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Erwartungen enttäuscht
The Attack

Yasmina Khadra ist das Pseudonym des algerischstämmigen Mohammed Moulessehoul. Er lebt und arbeitet seit einigen Jahren in Frankreich.


Dr Amin Jaafari ist ein israelischer Araber, der in Tel Aviv lebt und als erfolgreicher Chirurg in einem großen Krankenhaus arbeitet. Er und seine Ehefrau Sihem leben in einer Villa in einem schönen Stadtviertel, sie haben viele jüdische Freunde und scheinen erfolgreich integriert zu sein. 

Zu Beginn des Romans wartet Amin während seiner Schicht im Krankenhaus auf eine Nachricht seiner Frau, die die letzten Tage Verwandte außerhalb von Tel Aviv besucht hat. Dann gibt eine Explosion in einem Schnellrestaurant, es gibt viele Verletzte und Tote, darunter auch Kinder. Nachdem Amin die Patienten versorgt hat, erhält er eine schockierende Nachricht: Siehe befindet sich unter den Todesopfern und die Polizei vermutet aufgrund ihrer Verletzungen, dass sie diejenige war, die die Bombe am Körper trug. Amin weißt das natürlich von sich, er kann sich nicht vorstellen, dass seine geliebte Ehefrau eine Selbstmordattentäterin sein könnte. Nach tagelangem Verhör auf der Polizeiwache kann er wieder nach Hause gehen, da ihm keine Beteiligung an dem Anschlag nachgewiesen werden kann. Die Polizei weiß nur, dass Sihem nicht zu ihrer Familie gefahren ist, sondern in Betlehem den Bus verließ und von einem Auto dort abgeholt wurde. Als er heimkehrt,  findet er sein zu Hause verändert vor: Es wurde inzwischen nicht nur von der Polizei durchsucht, sondern auch die Fenster wurden von Vandalen zerbrochen und Beschimpfungen an die Wände gesprüht. Er ist aber so lethargisch, dass er den Zustand ignoriert - Amin weigert sich noch immer, die Tat seiner Frau zu akzeptieren. Er hat ihr alles gegeben, sie haben sich ein gemeinsames Leben in Wohlstand erarbeitet und sie wirkte auf ihn immer glücklich und zufrieden. Als er jedoch im Briefkasten einen Brief von Sihem findet, in dem sie die Tat gesteht, ist er schockiert. Er will das Haus verlassen, wird aber von einem wütenden Mob, der vor seinem Haus steht, verprügelt. Kim, seine ehemalige Geliebte und jetzige Kollegin gewährt ihm Unterschlupf. Der vor kurzem noch beliebte Chirurg wird nicht nur von Fremden angefeindet, seine Reputation leidet auch - ein Kollege im Krankenhaus hat die Belegschaft überzeugen können, dass es nicht gut wäre, würde er wieder zu seiner Arbeit zurück kehren. Kim fährt mit ihm zu ihrem Großvater, einem ehemaligen Auschwitzhäftling, um Amin wieder etwas auf die Spur zu bringen. Doch Amin möchte herausfinden, was seine Frau dazu gebracht hat, so viele Menschen in den Tod zu schicken und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. 


Ich bin vielleicht mit zu großen Erwartungen an dieses Buch heran gegangen, ich hatte gehofft, einen Einblick in das Leben eines Menschen zu bekommen, das sich nach dem Selbstmordattentat des Partners von Grund auf verändert. Dies ist nur am Rande geschehen, die Anfeindungen, die er sowohl von israelischer als auch von arabischer Seite erfährt, werden nur oberflächlich erzählt. Die Geschichte wird aus Amins Perspektive wiedergegeben, was dazu führt, dass alle anderen Charaktere des Romans blass und leer bleiben, selbst Sihem wird nur als schön und gut beschrieben. Das Problem ist, dass auch Amin seltsam farblos ist und ich seine Gedanken bezüglich des Selbstmordattentats von Sihem nicht nachvollziehen kann. Es beschäftigt ihn  nur am Rande, dass seine Frau zahlreiche Menschen getötet oder verletzt hat, es macht ihm größere Sorgen, dass Sihem die Islamisten ihm vorgezogen hat „It makes me very angry that she preferred a set of fundamentalists to me“. Zu einem späteren Zeitpunkt ist aber auch das vergessen, denn es verletzt ihn anscheinend mehr, dass es den Anschein hat, dass seine Frau mit einem anderen Mann hintergangen hat. Dies alles führt dazu, dass ich zu keiner Person des Romans eine Beziehung aufbauen konnte und ich noch nicht mal ansatzweise Empathie empfinden konnte. Die Beweggründe von Sihem werden nur ansatzweise dargestellt und Amins Sichtweise auf sie und Trauer wirken auf mich einfach nur konstruiert und oberflächlich. Dieses Buch wäre wesentlich interessanter zu lesen gewesen, wenn man Amins Leben nach dem Anschlag realistischer dargestellt worden wäre- ein ehemals erfolgreicher und anerkannter Muslim in Israel, der von einem Moment zum anderen zu einem geächteten wird, hätte mich mehr überzeugt. Der Schreibstil des Romans ist einfach zu lesen und zu verstehen, manche Gedanken sind auch durchaus interessant, wie zum Beispiel die Aussage von Kims Großvater, der am Meer lebt „One should always look at the sea. It’s a mirror that can’t lie. Among other things, looking at it has taught me to stop looking behind me. Before, everytime I looked over my shoulder, I found my old sorrows and my old ghosts, still intact.“ Hätte Amin vielleicht länger auf das Meer gesehen, dann hätte mir dieser Roman besser gefallen. 

Cover des Buches Null bis unendlich (ISBN: 9783871348068)

Bewertung zu "Null bis unendlich" von Lena Gorelik

Null bis unendlich
bibliotaphvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Eine Liebesgeschichte, die (vielleicht) keine ist
Was hält Liebe aus?

Die jugoslawische Kriegswaise Sanela und der hochintelligente Nils Liebe lernen sich 1992 als Teenager kennen, als ihre Lehrerin sie im Unterricht nebeneinander setzt und Nils bittet, sich um Sanela zu kümmern, die kaum Deutsch spricht. Es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen Nils Liebe, der sich den Menschen aufgrund seiner Intelligenz überlegen und sich von seinen Eltern unverstanden fühlt und Sanela, die bei ihrer ungeliebten Tante lebt und ihre ständige Wut an sich selbst auslässt.

"Sanela kannte Wut nur als Gefühl der Maßlosigkeit, wenn sie wütend wurde, waren es sogar ihre Haare, die abstehenden Ohren liefen rot an, ihre Stimme musste die Welt übertönen, ihr Herz hämmerte, ihr Blut pulsierte, dass die Finger zitterten. Meistens war diese Wut nach innen gerichtet, Sanela hasste sich selbst. Auch für alles, was andere taten. Das wird mit der Zeit vergehen. Gefühle lassen sich auch umkehren. Man kann zum Beispiel auch andere hassen, für das, was man tut."

Sanela beschließt, mit Nils Liebe nach Jugoslawien zu fahren, um das Grab ihres verstorbenen Vaters zu suchen (ihre Mutter war schon sehr viel früher an Krebs gestorben). Da Sanela Sanela ist und Nils das tut, was sie ihm sagt, fahren die beiden Jugendlichen ins Kriegsgebiet, ihre Suche nach dem Grab verläuft aber erfolglos. Zurück in Deutschland, nach einem missglückten Selbstmordversuchs Sanelas und dem darauf folgendem Umzug, trennen sich erst mal ihre Wege. 15 Jahre später schreibt Sanela, inzwischen Mutter eines Sohnes namens Niels Tito und an einem Hirntumor erkrankt, Nils Liebe einen Brief. Die beiden treffen sich und beginnen so etwas wie eine Beziehung.

Ich habe mir das Buch aufgrund der positiven Besprechung von Christine Westermann bei WDR2 Bücher gekauft und wurde nicht enttäuscht. Obwohl ich nur in einigen Passagen Sympathie oder Verständnis für die Protagonisten empfand, habe ich es mit Begeisterung gelesen. Zu Beginn, als Sanela kaum Deutsch spricht, vertiefen sie ihre Beziehung, indem sie sich in dem Bücherladen des kleinen Ortes die Romane zeigen, die sie gelesen haben- um sich zu verständigen, brauchen sie nicht viele Worte. Meistens bestimmt Sanela, was sie tun, wie zum Beispiel die Reise in ihre Heimat. Auch als sie sich als Erwachsene wieder treffen, hat sich daran nicht viel geändert- Sanela bestimmt den Ablauf ihrer Beziehung und Nils Liebe richtet sich danach. Sanela und Nils brauchen auch jetzt nicht viele Worte aneinander zu richten,

"Bei allem, was war, bei allem, was ist, bei allem, was sein wird, wissen sie, wer sie sind, und brauchen dafür keine Worte."

Leider ist dieses Glück nur von kurzer Dauer, da Sanela in den 15 Jahren, die seit ihrem ersten Treffen vergangen sind, ihre Wut nicht mehr nur gegen sich selbst richtet, sondern ihre Umgebung verletzt. Sie verletzt meist mit Worten und Taten, auch wenn Nils Liebe eine physischer Gewaltausbruch lieber gewesen wäre als ihre verletzenden Worte. Aber Nils bleibt bei ihr, obwohl er selber nicht so genau weiß, warum. Dem ein oder anderen Leser mag dies zu konstruiert wirken, aber meiner Meinung nach ist Nils Verhalten schlüssig- erst als er mit Sanela zusammen ist, beginnt er überhaupt etwas zu fühlen und er fühlt sich ihr nicht überlegen wie den meisten anderen Menschen. Nils Liebe war, bis Sanela kam, ein Einzelgänger, der zwar beruflich erfolgreich, aber nicht in der Lage war, sich in die Gefühlswelten anderer hineinzuversetzen und sich oft unverstanden gefühlt hat.  Sanela jedoch scheint unfähig zu sein, Liebe zu spüren (nach ihrer Aussage liebt sie nur ihren Sohn und ihren Vater), sie schlägt verbal wild um sich, wenn zu viel Nähe entsteht, selbst ihr zehnjähriger Sohn Niels Tito wird nicht von ihr verschont. Sie ist, wahrscheinlich bedingt durch ihre traumatischen Kindheitserlebnisse, ein schwieriger Charakter, mit dem ich mich nicht anfreunden konnte. Nichtsdestotrotz hat mir der Roman sehr gut gefallen - Goreliks klare, unaufdringliche Sprache, der ständige Wechsel der Perspektiven und die kurzen Zeitsprünge in die nahe Zukunft machten dieses Buch für mich zu einem Leseerlebnis, das mich nicht nur zum Nachdenken angeregt, sondern mich auch mit Sätzen wie "Ich liebe dich nicht, weil, und nicht, obwohl, sagte ich, ich liebe dich nur."  berührt hat.


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