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Cover des Buches Der Platz an der Sonne (ISBN: 9783608962901)

Bewertung zu "Der Platz an der Sonne" von Christian Torkler

Der Platz an der Sonne
buchgespraechevor 6 Jahren
Kurzmeinung: Flüchtlingsproblematik mal anders. Hautnah und authentisch.
Flüchtlingsproblematik mal anders. Hautnah und authentisch.

Christian Torkler: Der Platz an der Sonne, Klett Cotta 2018, 592 Seiten

 

Josua Brenner lebt, liebt und träumt in der Hauptstadt der Neuen Preußischen Republik. Berlin, 1978, eine zerbombte Stadt, in der Kinder Kohlen klauen und Bürokraten mit Politikern um den Titel des korruptesten Halunken ringen. In dieser Welt reift der junge Familienvater zu einem erfolgreichen Unternehmer. Widerstände überwindet er mit Hilfe von Freunden und dem eisernen Willen das wahre Glück zu finden. Erst als ihm seine Lebensgrundlage unter den Füßen wegbricht, folgt er dem Ruf in den verheißungsvollen Süden. Eine Reise durch das neue Nachkriegsdeutschland führt ihn über die Alpen bis nach Italien. Doch wie all die anderen vor ihm zieht es ihn nach Afrika: den Sehnsuchtsort aller Europäer.

 

Meine Erwartungen an dieses Buch waren hoch. Das Cover schrie förmlich „Nimm mich in die Hand!“ Und auch der Klappentext klang sofort vielversprechend. Zwei wichtige Kriterien für den Kauf eines Buchs – bei mir, und wie ich vermute, bei vielen anderen auch. So hat es nicht lange gedauert, ich begann zu lesen und, was soll ich sagen, ich wurde nicht enttäuscht:

 

Christian Torkler greift in seinem Debütroman ein seit Jahren virulentes tagespolitisches Thema auf und entwirft in einer kontrafaktischen Geschichtswelt die Lebensgeschichte eines modernen Helden, der sich vom Schicksal herausgefordert niemals geschlagen gibt. Den Protagonisten als Ich-Erzähler seine eigene Geschichte erzählen zulassen ist kein neues Stilmittel, passt in diesem Fall aber wie Faust aufs Auge. Torklers Schreibstil ist leichtfüßig, gekonnt verwebt er verschiedene Dialekte und gibt jedem Charakter durch sprachliche Feinheiten eine eigene Persönlichkeit. Dabei schafft er mit Tempovariationen emotionale Authentizität.

 

Josua Brenner befindet sich am Scheideweg. Das Zitat entstammt dem Ende des ersten Romanteils. Die Zweiteilung, welche Christian Torkler für seinen Roman geschickt gewählt hat, spiegelt zwei Lebensphasen wieder: Das Streben nach persönlichem Glück, das in einem gebeutelten Nachkriegsdeutschland mit vielen Hindernissen gespickt ist und die scheinbar alternativlose Flucht in das wohlhabende Afrika. Die Persönlichkeitsentwicklung unseres Helden ist differenziert gezeichnet, der Leser begleitet ihn durch unterschiedlichste Lebenslagen, hofft, wütet und freut sich mit ihm.

 

Flucht. Das Thema dieses Romans. Im ersten Teil noch nicht konkretisiert, aber immer virulent. Nicht nur, weil Brenners bester Freund diesen Schritt früh wagt, sondern auch weil Torkler indirekt immer durch die Lebensbedingungen in der Neuen Preußischen Republik gekonnt Szenarien entwirft, die dem Leser reale Fluchtgründe unausweichlich erscheinen lassen. Gleichermaßen schildert der Autor Fluchtthemen – Routen, Schleuser, Ausbeutung, Misshandlung – lebensnah. Man entwickelt die stete Hoffnung, das Brenner in Afrika heil ankommen möge, ein wenig Glück erfahren könne. Wie hierbei Liebe und Freundschaften den Menschen Josua Brenner formen, bringt der Autor dem Leser durch auserzählte Einzelschicksale emotional näher.

 

Sucht man Kritik, findet man sie auch. Genauere Schilderungen der kontrafaktischen Welt – Wie kam die Afrikanischer Union zu wirtschaftlichem, politischem und gesellschaftlichem Reichtum? – wäre ebenso, wie eine detailliertere Schilderung des Nachkriegsdeutschlands wünschenswert gewesen, aber tut dem Roman insgesamt keinen Abbruch, da das Augenmerk deutlich auf dem Menschen Josua Brenner und seinen Lebenserfahrungen liegt.

 

Die Grundkonstellation heutiger Fluchtrouten und ihrer Ursachen durch die Frage „Was wäre, wenn...?“ umzudrehen, und damit dem Leser das Thema Flucht näherzubringen, ist Christian Torkler in seinem Debütroman „Der Platz an der Sonne“ literarisch wunderbar gelungen. Ein wichtiges Buch zur rechten Zeit, mit politischer und moralischer Botschaft, das dazu beiträgt Nachzudenken, über Flucht, den nicht-selbstverständlichen Wohlstand und das Glück in Europa geboren worden zu sein.

 

Zuletzt bleibt mir nur, Juli Zeh zuzustimmen: „Nicht wer wir sind, entscheidet über unseren Platz in der Welt, sondern wo wir geboren werden: Christian Torkler hat den Roman der Stunde geschrieben. Ein literarisches Ereignis.“

 

OHJA!

Über mich

  • männlich
  • 23.09.2018

Lieblingsgenres

Krimis und Thriller, Sachbücher, Science-Fiction, Fantasy, Historische Romane, Literatur, Unterhaltung

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