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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Das Leuchten vergangener Sterne (ISBN: 9783423263368)

Bewertung zu "Das Leuchten vergangener Sterne" von Rena Fischer

Das Leuchten vergangener Sterne
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein romantischer, stimmungsvoller und spannungsreicher Sommerroman, der mich weitestgehend überzeugt hat.
Stimmungsvoller Sommerroman, der weitestgehend überzeugt

Archäologie, Drogenhandel und eine Liebesgeschichte – all dies verbindet Rena Fischer in ihrem Roman „Das Leuchten vergangener Sterne“ zu einer abenteuerlichen und romantischen Geschichte. Hinzu kommt mit Andalusien ein wahrlich bezauberndes Setting, das in so manchem Lesenden sicherlich akutes Fernweh auslöst. In diesem Sinne ein Buch, das hervorragend für ein gemütliches Sommerwochenende geeignet ist. Mir haben insbesondere die Erzählstränge gefallen, die denen die Archäologie im Mittelpunkt stand – so eine faszinierende Wissenschaft. Die Liebesgeschichte spannt darum einen schönen Bogen, während Drogenbosse und deren Handlanger für reichlich Spannung sorgen. Was mir gefiel und was nicht, erfahrt ihr in dieser Rezension im Detail.

Alles dreht sich um die Hauptpersonen Nina, Taran und Orlando. Nina arbeitet als Unternehmensberaterin mit Zahlen, Daten und Fakten. Zeit ist Geld, lautet ihre Devise, und zufriedene Kunden sind der Weg zum Erfolg. Taran ist das komplette Gegenteil. Voller Leidenschaft für seinen Beruf, sind ihm Erkenntnisse über die Vergangenheit wichtiger als Geld und Besitz. Er ist mit Leib und Seele Forscher und Entdecker. Bleibt Orlando, der tief in illegale Geschäfte verwickelt ist und es in diesem Metier zu etwas bringen will. Rena Fischer hat die Vergangenheit der Protagonist*innen sehr gut mit deren Gegenwart sowie ihren Ambitionen, Gefühlen und Lebenseinstellungen in Einklang gebracht. Man versteht als Leser*in, weshalb sie auf bestimmte Art und Weise handeln oder reagieren. Sogar für Orlandos Handeln konnte ich ein gewisses Verständnis aufbringen. Am meisten überzeugt hat mich jedoch Taran, der konsequent seiner Passion treu bleibt.

Schön war außerdem der Gedanke, dass Nina und Taran eine Verbindung haben, deren Wurzel in der Vergangenheit liegt. Das erklärt, weshalb Nina sich unmittelbar zu Taran hingezogen fühlt, obwohl die beiden so unterschiedlich sind. Hier wurde die Story gut durchdacht aufgebaut. Allerdings konnte mich die Liebesgeschichte dennoch nicht vollständig überzeugen, was jedoch hauptsächlich darin begründet liegt, dass mir die Figur von Nina fremd blieb. Sie wirkte auf mich zu unnahbar und zu verkopft – auch dann noch, als sie eigentlich loslässt und sich einem neuen Lebensmodell öffnet. Das ist natürlich nur mein persönliches Empfinden, andere haben möglicherweise einen besseren Zugang zu Nina und nehmen die Annäherung zwischen Taran und Nina dadurch ganz anders wahr.

Dennoch habe ich die Geschichte weiter mit großem Interesse verfolgt, denn das Schicksal von Taran und seiner Ausgrabungsstätte hielt mich gefangen. Gleichzeitig fand ich es großartig, mehr über die Arbeit von Archäologen zu erfahren und ihre Methoden und Werkzeuge kennenzulernen. Wie wertvoll sind einzelne Fundstücke für die Forschung? Welche Informationen lassen sich daraus ziehen? Welche historischen Erkenntnisse lassen sich ablesen? Wo kommen Gelder für die Forschung her? Wie gestaltet sich der Alltag von Archäologen? Man spürt, dass Rena Fischer sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat und die Recherchen – wie bei jedem ihrer Romane – sehr ernst genommen hat.

Schwierigkeiten hatte ich hingegen wieder etwas mit der Storyline von Orlando. Der Drogenhandel ist in meiner Vorstellung ein gefährliches Geschäft voller skrupelloser Menschen, die keine Gewalt scheuen. In Anbetracht dessen erschien mir Orlando viel zu nett, geduldig und stellenweise ein wenig naiv – insbesondere Nina gegenüber. Vor allem jedoch löste sich der Konflikt am Ende zu einfach und unkompliziert. Das erschien mir insgesamt etwas unrealistisch.

Positiv hervorheben möchte ich zum Ende hin aber noch das Setting. Sowohl die Ausgrabungsstätte als auch die Orte, die Nina während ihres Aufenthalts in Andalusien besucht, sind so anschaulich beschrieben, dass ich ich das Gefühl hatte, ebenfalls dort zu sein. Eine warme und sommerliche Atmosphäre, von der man sich nur schweren Herzens wieder verabschiedet.

„Das Leuchten vergangener Sterne“ von Rena Fischer ist ein romantischer, stimmungsvoller und spannungsreicher Sommerroman, der mich weitestgehend überzeugt hat. Einzige Wermutstropfen waren eine Protagonistin, in die ich mich nicht vollkommen einfühlen konnte sowie die Auflösung des Konflikts, die mich nicht ganz abgeholt hat. Doch andere Aspekte haben dies ausreichend ausgeglichen, so dass ich den Roman insgesamt sehr gerne gelesen habe. Für die kurzweilige Unterhaltung eine Empfehlung.

Cover des Buches Quallen altern rückwärts (ISBN: 9783847901044)

Bewertung zu "Quallen altern rückwärts" von Nicklas Brendborg

Quallen altern rückwärts
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Spannende historische, kulturelle und wissenschaftliche Einblicke in die Altersforschung. Amüsant und verständlich aufbereitet.
Spannende historische, kulturelle und wissenschaftliche Einblicke in die Altersforschung

Was passiert eigentlich in unserem Körper, wenn wir altern? Warum werden manche Menschen älter als andere? Und warum werden einige Menschen im Alter krank, während andere bis zuletzt gesund bleiben? Diesen und vielen anderen Fragen geht Nicklas Brendborg, Postdoktorand für Molekularbiologie an der Universität Kopenhagen, in seinem Sachbuch „Quallen altern rückwärts“ nach. Vor allem aber widmet er sich der Frage, wie wir Menschen möglichst lange ein gesundes Leben führen können und bezieht hierbei den aktuellen Stand der Altersforschung ein. Mich machte vor allem neugierig, dass Brendborg sich dem Thema sowohl kulturell und historisch als auch wissenschaftlich nähert – ein spannender Rundumblick, über den ihr hier mehr erfahrt.

Im ersten Teil von „Quallen altern rückwärts“ geht es um Wunder der Natur, wie dem Grönlandhai, der 286 Jahre alt war, als die Titanic sank, oder besagte Quallenart, die sich bei Gefahr in ihr Polypenstadium zurückentwickelt, um anschließend wieder von Neuem heranzuwachsen. Faszinierend! Nicklas Brendborg beschreibt jedoch nicht allein die beachtlichen oder besonderen Lebenszyklen von Tieren und anderen lebenden Organismen, sondern benennt Gemeinsamkeiten und stellt erste Rückschlüsse auf die Lebensdauer des Menschen an. Mich hat hierbei insbesondere überrascht, wie lange Wissenschaftler dem Alterungsprozess bereits auf die Spur zu kommen versuchen. Der Wunsch nach dem ewigen Leben ist scheinbar ziemlich tief in uns verwurzelt.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass der zweite Teil über Entdeckungen der Forschung der weitaus umfangreichste ist. Hier taucht Brendborg tief in genetische, biologische und chemische Zusammenhänge und Prozesse ab, erläutert diese jedoch durchweg leicht verständlich, so dass auch Laien alles gut verstehen. Eine geballte Ladung Wissen! Allerdings musste ich etwas aufpassen, nicht mittendrin zum Hypochonder zu mutieren, denn so erschreckend es auch sein mag – letztendlich ist das Altern unabwendbar, ganz gleich, wie sehr wir uns anstrengen, nicht zu altern. Und man kann so vieles „richtig“ machen, aber eben auch so vieles „falsch“.

Genau in Bezug auf eben jene Pros und Contras einzelner Forschungsergebnisse, verlor ich zwischendurch ein klein wenig den roten Faden. Was wirkt sich nun tatsächlich positiv aus und was nicht? Dass es auf diese Frage nicht unbedingt eine klare Antwort gibt, erkannte ich dann irgendwann. Nicht unbedingt alle Entdeckungen von Forscher*innen sind langfristig von Erfolg gekrönt. Theorien werden verworfen, andere Erkenntnisse treten in den Vordergrund und überlagern den alten Stand der Wissenschaft. Doch Nicklas Brendborg hat das Thema so erstklassig humorvoll aufbereitet, dass ich auch diese „Durststrecke“ schnell überwand – und überhaupt: welch ein Glück, dass Theorien überworfen werden! Sonst wären wir heute nicht so viel klüger als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Ausnahmslos fesselnd und informativ fand ich wiederum die Ratschläge im dritten Teil. Darin geht es um die Ernährung, Blutzucker, Cholesterin, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die sogenannte Hormesis. Wer wissen möchte, was es damit auf sich hat und welchen positiven Effekt Hormesis auf unseren Körper haben kann, der sollte sich dieses Sachbuch zu Gemüte führen.

„Quallen altern rückwärts“ von Nicklas Brendborg bietet spannende Einblicke in die Altersforschung. Durch die sehr humorvollen Erläuterungen des Molekularbiologen fühlte ich mich auch keineswegs vom Thema erschlagen, obwohl der Autor nicht mit Fachbegriffen geizt. Ein hervorragendes Sachbuch für alle, die sich gerne auf amüsante Art und Weise näher mit dem Älterwerden beschäftigen möchten.

Cover des Buches Das Spiegelhaus (ISBN: 9783847900993)

Bewertung zu "Das Spiegelhaus" von Carole Johnstone

Das Spiegelhaus
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein beklemmender, düsterer und herrlich vielschichtiger Roman mit virtuos gestrickter Handlung. Lässt sich nicht in eine Schublade stecken.
Beklemmender, düsterer und herrlich vielschichtiger Roman

Undurchschaubar, düster und klaustrophobisch ist „Das Spiegelhaus“ von Carole Johnstone. Ein psychologischer Spannungsroman, der mich lange Zeit im Dunkeln tappen ließ. Geht es um fantastische Welten, ähnlich derer von „Die Chroniken von Narnia“? Handelt es sich um ein Familiendrama? Einen Krimi? Erlebt man die Geschichte aus Sicht einer psychisch erkrankten Protagonistin? Diese und mehr Fragen haben sich bei mir im Laufe des Lesens angehäuft und ich schwankte mal mehr und mal weniger in die eine oder andere Richtung. Fakt ist, dass sich dieser Roman nicht in eine Schublade stecken lässt und das fand ich sensationell gut. Herauszufinden, was es wirklich mit dem Spiegelhaus und Els Verschwinden auf sich hat, was Cat und ihre Zwillingsschwester in ihrer Kindheit erlebt haben und weshalb es so wichtig ist, dass Cat sich an diese Erlebnisse erinnert, hielt mich in Atem und hat mir extrem spannungsreiche Lesestunden beschert.

Dabei beginnt „Das Spiegelhaus“ verhältnismäßig ruhig. Zwar gibt der Prolog einen kurzen Einblick in eine offenbar eher dunklere Vergangenheit der Zwillingsschwestern – Bilder von einer Flucht, Blut, Verfolgung und Angst blitzen darin auf -, doch anschließend stehen erst einmal Cats Rückkehr in das Land und Haus ihrer Kindheit, die Aufklärung von Els Verschwinden und das Wiedersehen mit Els Ehemann Ross im Vordergrund. Dennoch gelingt es Carole Johnstone bereits hier den Grundstein für die durchgehend bedrückende, subtil bedrohliche und aufgeladene Stimmung zu legen. Denn die Untersuchungen zu Els voraussichtlichem Bootsunfall nehmen zwar einen recht gewohnten Gang – Ross ist der trauernde Ehemann, Cat die verwirrte und überforderte Schwester – doch schon von Anfang an beschleicht einen das Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz „passt“. Wie ein Bild, das schief an der Wand hängt oder wie Musik, in der ein schiefer Ton mitschwingt. Schaurig!

Das Haus selbst spielt dabei in der Geschichte eine zentrale Rolle. Ein ganz tolles, besonderes und durchweg überzeugendes Setting. Das Spiegelhaus knarzt, es klappert, seltsame Glocken klingeln. Es atmet und lebt. Und in ihm leben die Erinnerungen von Cat, die erst oberflächlich und diffus sind und im Verlauf des Romans immer dichter, greifbarer und erschreckender werden. Dem passt sich der Schreibstil von Carole Johnstone nahtlos an: anfangs sachlich und distanziert, verleiht die Autorin den Emotionen der Ich-Erzählerin Cat zunehmend Ausdruck.

Überhaupt sind die Figuren, allen voran Cat, Ross und El, sehr überzeugend. Doch auch die Nebenfiguren sind sehr gelungen und absolut notwendig, denn nur durch sie entwickelt „Das Spiegelhaus“ seine Vielschichtigkeit. Niemand ist so, wie er oder sie auf den ersten Blick scheint, alle haben ein Spiegelbild, das eine hässliche, egoistische, hoffnungslose oder gewalttätige Seite zeigt. Sichtbar werden viele erst ganz zum Ende des Romans hin, was bei mir extrem das Gedankenkarussell ankurbelte. Hinzu kommt, dass kaum etwas außerhalb des Hauses geschieht – sowohl in Cats und Els Kindheit als auch in deren Erwachsenenalter -, wodurch die Geschichte einem beklemmenden Kammerspiel ähnelt.

Ein Großteil der Handlung und Spannung wird so natürlich von den Figuren getragen. Und das funktioniert hervorragend, ihre Entwicklung und ihre Motive sind vollkommen glaubwürdig. Jeder blickt auf eigene Erfahrungen zurück und jeder verfolgt somit eine eigene Agenda. Dabei gefiel mir sehr gut, dass die Autorin es verstand, meine Fantasie durch subtile Andeutungen Achterbahn fahren zu lassen. Ein seltsamer Gesichtsausdruck hier, eine unpassende Reaktion da und schon erschienen tausend verschiedene Szenarien denkbar. Bis zum Ende ein einziges, furchtbar faszinierendes Abenteuer.

„Das Spiegelhaus“ von Carole Johnstone ist ein beklemmender, düsterer und herrlich vielschichtiger Roman. Die Autorin spielt mit den Erwartungen, so dass ich auf wirklich alles gefasst war – von Fantasy bis hin zu Thriller. Eine virtuos gestrickte Handlung, in deren Zentrum die Kindheit der Zwillingsschwestern Cat und El im sonderbaren Spiegelhaus steht.

Cover des Buches 100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern (ISBN: 9783455009279)

Bewertung zu "100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern" von

100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Eine sehr informative und geistreiche Sammlung von Grafiken. Die Liebe zum Detail hat mich beeindruckt!
Informative und geistreiche Sammlung von Grafiken zu aktuellen Themen

„100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern“ ist eine von KATAPULT herausgegebene Sammlung unterschiedlichster Grafiken, die auf Basis von Statistiken und Studien der Sozialwissenschaften gebaut wurden. In knalligen Farben, anschaulich, mal ernst und (des Öfteren) humorvoll, bringen sie spannende Zusammenhänge ans Licht und regen zum Nachdenken an. Besser bekannt ist KATAPULT dem einen oder anderen vielleicht durch das vierteljährlich erscheinende Magazin, in dem sich Redakteur*innen, Grafiker*innen, Layouter*innen und mehr mit Themenbereichen von Klima und Nachhaltigkeit bis hin zu Migration auseinandersetzen. Für mich ist dieses Buch der erste Kontakt mit KATAPULT und hier erfahrt ihr, wie es mir gefallen hat.

Was ich direkt herausragend und großartig fand, war der Humor. Ich liebe den trockenen Witz und das Augenzwinkern, mit dem manche (besser: viele) Grafiken und Texte aufbereitet wurden. Allein dadurch spürte ich, dass „100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern“ mehr ist als nur eine schnöde Karten-Sammlung. Hier steckt ganz viel Herz und Überzeugung für die Sache drin – nicht nur seitens des Chefredakteurs Benjamin Friedrich, sondern vom gesamten Team. So etwas entsteht schließlich nicht im Alleingang. Also Hut ab allein schon dafür.

Das Ergebnis sind lehrreiche, witzige, absurde, spannende, kritische, traurige stimmende und faszinierende Grafiken, die wirklich und wahrhaftig die Sicht auf die Welt verändern können. Zu sehen, wie die Ausbreitung des Löwen abgenommen hat? Heftig. In minimalistischen Karten zu sehen, wo weltweit Unterseekabel liegen und wo Grenzzäune und -mauern stehen? Spannend! Weltweite Tempolimits? Natürlich fällt Deutschland hier deutlich aus dem Raster. Doch auch aktuelle Aufbereitungen zum Klimawandel finden ihren Platz, wenn zum Beispiel exemplarisch gezeigt wird, wie viel Platz wir benötigen würden, um die gesamte Welt mit Solarstrom zu versorgen. Ziemlich wenig!

Es ist die Mischung aus banalen Themen und ernsten Blicken auf die Welt, die dieses Werk besonders lesenswert machen. Wie Namen von Punkbands oder Friseursalons in Deutschland, gefolgt von der Anzahl von Todesopfern bei Terroranschlägen oder die anschauliche Darstellung der Anzahl „freier“ Länder – die in den letzten zwölf Jahren übrigens kontinuierlich zurückgegangen ist. Da muss man erstmal schlucken. Die sozialwissenschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge werden je Grafik kurz zusammengefasst, leicht verständlich und auf das Wesentliche konzentriert.

Dieses Werk regt definitiv zum Nachdenken an, zum darüber sprechen, zum lachen und zum weiterschenken. Es ist ein Buch, das man am besten einfach auf dem Wohnzimmertisch liegen lässt und schon schaut man immer wieder rein, weil man doch noch etwas entdeckt, was einem beim ersten, zweiten oder dritten Lesen entgangen ist. Und zu guter Letzt – die Grafik, die mich am tiefsten bewegt hat auf Seite 190/191: „Dinge, die schmelzen“ [Arktis, Antarktis, Softeis]. „Dinge, bei denen uns das stört“ [Softeis]. Das sitzt.

„100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern“ ist eine von KATAPULT herausgegebene sehr informative und geistreiche Sammlung von Grafiken, die auf Basis von Statistiken und Studien der Sozialwissenschaften gebaut wurden. Die Liebe zum Detail hat mich beeindruckt, gleichzeitig sind die Informationen extrem leicht verständlich – die Macher verstehen definitiv ihr Handwerk. Die thematische Bandbreite ist groß und so hat mich das Buch von Seite zu Seite in Staunen versetzt. Eine große Empfehlung für alle, die gerne visuell über den Tellerrand schauen möchten.

Cover des Buches Die Reise des Elias Montag (ISBN: 9783946112723)

Bewertung zu "Die Reise des Elias Montag" von Jonas Zauels

Die Reise des Elias Montag
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein psychologisch von A bis Z durchdachtes Werk, das zum Nachdenken und Interpretieren einlädt. Sehr unterhaltsam!
Feinsinniger und tiefgründiger Roman mit überraschendem Ende

Nach „Alle Farben der Nacht“ und „BOHÉME“ ist „Die Reise des Elias Montag“ der dritte Roman, den ich von Jonas Zauels gelesen habe. Und wieder wurde ich überrascht, von der Tiefgründigkeit, von den Interpretationsmöglichkeiten und von den Emotionen, die auf mich wie roh in Stein gemeißelt wirkten, aber gerade dadurch umso intensiver hervortraten. Diese, einem Roadtrip ähnliche Geschichte, steckt voller trauriger Sehnsucht – nach Freiheit, nach einem Ziel, nach einem Sinn im Leben. Und nach der Liebe. Elias, der von seiner Freundin betrogen wurde, hat sich abgeschottet. Er trinkt, er kifft, er raucht, er schreibt, hat gefühllosen Sex und trauert der verlorenen Beziehung nach. Er lenkt sich ab, erst mit einem Kurztrip mit Freunden und dann nimmt er Reißaus mit Vivian, die, aus der Psychiatrie geflohen, nun auf der Flucht vor der Polizei ist.

Jonas Zauels hat, wie in seinen vorherigen Werken auch, ein wachsames Auge auf seine Figuren. Elias, der von seiner Freundin verlassen wurde und niemanden hat, der ihn auffängt, der ihm Trost spendet. Lieblose Eltern nehmen seine Existenz nur am Rande wahr. Seine Freunde hat er viel zu lange nicht gesehen. Er versucht vor seinen Gedanken zu fliehen, doch immer wieder holen sie ihn ein und er genießt das Leiden in gleichem Maße, wie er ein Ende der Schmerzen herbeisehnt. Er übt sich darin, seine Gedanken und Empfindungen literarisch in einem Tagebuch zu verarbeiten, sie auf eine höhere Ebene zu katapultieren. So ist er eine Figur, die fortwährend grübelt, über das Leben, über die Liebe, die versucht, zu begreifen, aber nicht ins Reflektieren kommt, nie verarbeitet, sondern nur immer weiter rastlos vorprescht, auf der Suche nach etwas, das Erleichterung verspricht.

Und dann ist da Vivian, ein Waisenkind, das einen tödlichen Zugunfall verschuldet hat und seitdem in der Psychiatrie behandelt, beziehungsweise vielmehr verwahrt wird. Von Medikamenten betäubt, hat sie nur einen ganz klaren Gedanken: Bloß weg von hier. Den Erlebnissen dieser Figur widmet sich der Autor in einem kurzen, losgelösten Abschnitt, einer weiteren Erzählebene neben der Ich-Perspektive von Elias und seinem Tagebuch. Vivian lernt man als Leser:in jedoch nicht so unmittelbar kennen wie Elias. Sie wirkte auf mich wild, kämpferisch und gleichzeitig ebenso ruhelos und einsam wie Elias. Und so kommt es auch zu einem Erkennen der gegenseitigen Traurigkeit und Sehnsucht, als beide sich im Waldhaus von Elias Freunden begegnen. Sie spüren eine Verbundenheit. Doch kann es gutgehen, permanent auf der Flucht zu sein? Auf der Flucht vor der Polizei, den eigenen Gefühlen, den Herausforderungen des Lebens an sich?

Das Thema hat mich mindestens genauso begeistert wie der Schreibstil, der eine Mischung aus poetisch und kantig ist, sich stellenweise sogar etwas altbacken liest. Doch insgesamt ergibt das ein stimmiges Bild, was man als Leser:in vor allem ganz am Ende realisiert. Denn in „Die Reise des Elias Montag“ ist viel mehr klug konstruiert und vielschichtig aufgebaut, als ich erwartet hatte. Es gibt diesen großartigen „Aha-Moment“ auf der letzten Seite, der dazu führt, alles Gelesene erneut zu überdenken, neu zu sortieren und mit anderen Augen zu betrachten.

Und apropos großartig: Was ich generell sehr an Jonas Zauels Romanen schätze ist, dass er sich immer abseits von momentan gängigen Strukturen und Mustern bewegt. Er stürzt sich nicht auf das, was gerade Trend ist, sondern macht sein eigenes Ding, und das konnte ich in „Die Reise des Elias Montag“ wieder ganz deutlich spüren. Man hat etwas Echtes in der Hand, etwas durch und durch eigenständiges und einzigartiges.

„Die Reise des Elias Montag“ von Jonas Zauels ist ein psychologisch von A bis Z durchdachtes Werk, das mich komplett überzeugt hat. Sowohl die Figuren als auch die Story selbst sind lebensnah und fesselnd, vor allem aber lädt die Geschichte zum Nachdenken und Interpretieren ein, was ich persönlich an Romanen enorm liebe. Doch trotz all der Tiefgründigkeit ist „Die Reise des Elias Montag“ keine schwere Kost, sondern eine unterhaltsame Lektüre, die Lust auf mehr aus der Feder des Autoren macht.

Cover des Buches Heartstopper Volume 1 (deutsche Hardcover-Ausgabe) (ISBN: 9783743209367)

Bewertung zu "Heartstopper Volume 1 (deutsche Hardcover-Ausgabe)" von Alice Oseman

Heartstopper Volume 1 (deutsche Hardcover-Ausgabe)
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Einfühlsame Liebesgeschichte mit wichtiger Botschaft. Ich hätte mir etwas mehr Tiefgang bei den Konflikten u. feinere Zeichnungen gewünscht.
Süße Liebesgeschichte

Im Jahr 2016 begann Alice Oseman an einem Herzensprojekt zu arbeiten – „Heartstopper“, eine Webcomicserie über Charlie und Nick, die bereits Nebenfiguren in Osemans Roman „Solitaire“ waren. Es geht um ihr Kennenlernen, ihre Freundschaft und wie sie sich ineinander verlieben. Charlie, der ein Jahr lang gemobbt wurde, nachdem er sich als homosexuell geoutet hatte und Nick, der freundliche Rugbyspieler, der im Laufe des ersten Bandes erkennt, dass er sich nicht nur zu Mädchen hingezogen fühlt. Der Webcomic war so erfolgreich, dass zwei Jahre später die erste englische Printausgabe als Graphic Novel erschien, eine Netflix-Adaption soll folgen. Allerhöchste Zeit also, dass Deutschland nun mit einer deutschsprachigen Ausgabe nachzieht. Wie mir die Graphic Novel gefallen hat, erfahrt ihr hier.

Um es direkt vorwegzunehmen – ich bin zwiegespalten. Einerseits ist es eine sehr schöne, romantische, geradezu niedliche Geschichte. Sie brachte mich zum lächeln und ich mochte Charlie und Nick auf Anhieb. Die Autorin beschreibt umsichtig und empathisch, wie Charlie eine Affäre zu einem anderen Jungen beendet, der nicht öffentlich zu ihm steht, wie Nick ihn unterstützt und ins Rugbyteam holt, wie sich eine Freundschaft zwischen beiden entwickelt und Nick nichts auf die teils abfälligen Kommentare anderer Jungs aus dem Team oder in seinem Freundeskreis gibt, wie er seine Gefühle und seine sexuelle Orientierung hinterfragt.

Daneben verblasste der Ernst der Konflikte und Schwierigkeiten meinem Empfinden nach jedoch zu stark. Und die Konflikte sind nicht ohne. So hatte Charlie es nicht einfach nach seinem Outing. Und nach wie vor sind da die Jungen, die meinen, als Schwuler sei Charlie nicht gut in Sport oder die sagen, er sei zwar schwul, aber trotzdem echt okay. Hinzu kommen besagte heimliche Treffen mit seinem Mitschüler Ben, der ihn verletzt und enttäuscht hat. Diese einschneidenden Erlebnisse und abwertenden Reaktionen von Mitschülern fielen für mich neben der Liebesgeschichte zu wenig ins Gewicht. Und Nick, dem bewusst wird, dass er mehr für Charlie empfindet, als reine Freundschaft? Seine Unsicherheit und Gedanken werden in „Heartstopper“ ebenfalls recht zügig abgehandelt.

Natürlich ist es klasse, wenn eine Graphic Novel über Homosexualität oder jedwede andere sexuelle Orientierung stärken möchte, dazu beitragen will, Vorurteile zu zerschlagen und einfach vom wundervollen Gefühl des sich Verliebens erzählen will. Das feiere ich sehr und in dieser Hinsicht ist dieser Webcomic zu Recht so erfolgreich geworden. Es ist eine positive, romantische Geschichte, aber halt auch nicht mehr als das. Dazu geht Alice Oseman den Konflikten zu pädagogisch korrekt, geradezu belehrend, aus dem Weg.

Weiterhin sind natürlich auch die Zeichnungen ein wichtiger Aspekt in einer Graphic Novel und in diesem ersten Band von „Heartstopper“ fand ich sie leider enttäuschend. Ich mag möglichst wirklichkeitsgetreue und feine Zeichnungen, hier sind sie hingegen wenig detailliert und ausdrucksstark, teilweise fand ich sie auch nicht sonderlich schön. Besonders die Hintergründe wirken oft hingekritzelt. Aber das ist nur mein persönlicher Anspruch und ich las in diversen Rezensionen, dass sich die Qualität der Zeichnungen mit jedem Band verbessert.

„Heartstopper“ von Alice Oseman ist eine Graphic Novel mit wichtigen und richtigen Botschaften und damit sicherlich zu Recht so erfolgreich. Die Autorin erzählt einfühlsam von den aufkeimenden Gefühle zwischen Charlie und Nick, und ich habe die beiden unmittelbar ins Herz geschlossen. Besser hätte mir der Comicroman jedoch gefallen, wenn er auch mal eine raue Kante gezeigt hätte, Konflikte und Unsicherheiten weniger oft lösbar oder allzu schnell überwindbar dargestellt hätte. Daher bin ich gespannt, ob sich das im nächsten Band ändert.

Cover des Buches Quiet Girl (ISBN: 9783743210790)

Bewertung zu "Quiet Girl" von Debbie Tung

Quiet Girl
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Diese Graphic Novel war wie eine tröstende Umarmung, ein verständnisvolles Buch, das introvertierten Menschen vollkommen wertfrei begegnet.
Einfühlsame Graphic Novel über introvertierte Menschen

Menschen mit einer extrovertierten Persönlichkeit sind, grob gesagt, kontaktfreudig und geselliger. Sie beziehen ihre Energie aus dem Kontakt mit anderen Menschen. Introvertierte Menschen hingegen halten sich lieber zurück und ausgiebige soziale Interaktion entzieht ihnen Energie, sie brauchen Zeiten der Ruhe, um einen notwendigen Ausgleich zu schaffen. In der Graphic Novel „Quiet Girl: Geschichten einer Introvertierten“ hat Autorin und Illustratorin Debbie Tung typische Erlebnisse und Erfahrungen eines introvertierten Menschen zusammengestellt – vom Studium bis ins Berufsleben hinein. Wie fühlt es sich an, von einer Vielzahl an Partys überfordert zu sein? Wieso strengt es so an, viele Menschen um sich zu haben? Mit welcher Ausrede kann ich heute zu Hause bleiben? Diese und viele Fragen mehr stellt sich die Protagonistin und trifft damit sicherlich den Nerv vieler introvertierter Menschen.

Es sind nicht mehr als kleine Episoden bzw. kurze Alltagssituationen, die in „Quiet Girl: Geschichten einer Introvertierten“ erzählt werden. Debbie Tung zeigt dabei aber anschaulich, wie sich verschiedene Situationen auf die Protagonistin auswirken und wie sie trotz innerer Widerstände versucht, sich anzupassen. Die Gesellschaft will es schließlich so, so die Annahme. Ich bin selbst introvertiert und konnte viele dieser Momente und Gedanken von ganzem Herzen nachempfinden. Vor allem die Erkenntnis darüber, wie oft ich mich in meinem Leben schon gefragt habe, warum ich mich dazu zwingen muss, gesellig und kommunikativ zu sein, wo es mir doch so unendlich schwer fällt. Doch auch andere Beispiele ließen mich energisch zustimmen, wie die Freude darüber, ein Wochenende ganz für mich allein zu haben. Oder der Zwiespalt, dazugehören zu wollen, während ich mich aber eigentlich lieber im Bett verstecken möchte. Der Wunsch, eine erfüllende Arbeit zu haben. Die Fragen und Tipps, die mich mein Leben lang begleiten: Alles okay? Du wirkst so traurig. Du solltest mehr reden. Und so weiter und so fort.

Wie die Protagonistin frag(t)e ich mich: Was stimmt bloß nicht mit mir? Diese Graphic Novel war daher wie eine tröstende Umarmung, ein verständnisvolles Buch, das introvertierten Menschen vollkommen wertfrei begegnet. Das zeigt sich vor allem am Umfeld des „Quiet Girl“, allen voran ihr Freund, der durchweg eine Figur bleibt, bei der sich die Protagonistin fallenlassen kann. Bei ihm zeigt sie sich offen und kommunikativ, wenn ihr danach ist, aber er sieht auch ihre verletzliche Seite, ihre Zweifel, ihre Unsicherheit. Und anstatt sie als extrovertierter Mensch zu verurteilen, begegnet er ihr mit Verständnis, er räumt ihr die Freiräume ein, die sie benötigt, er bestärkt sie in ihren Zielen. Er zwingt sie nicht dazu, bei Feiern mit Freunden dabei zu sein, doch er freut sich, wenn sie dabei ist. So toll!

Darüber hinaus zeigt Debbie Tung, dass introvertierte Menschen sich nicht verstecken müssen. Sie sind nicht weniger Wert als extrovertierte Menschen, sie sind nicht weniger leistungsfähig und nicht weniger geeignet, Freundschaften zu schließen. Sie machen es nur eben anders. Und sobald jemand diesen anderen Weg für sich gefunden hat, ist dieser Mensch zufrieden. Eine schöne Perspektive.

Was nun wie eine sehr ernste Graphic Novel klingt, ist aber tatsächlich ziemlich humorvoll umgesetzt. So werden auf einer Seite die „Heilmittel für den sozialen Kater“ aufgezeigt – Trostkekse, gute Bücher, Lieblingsmusik, ruhige Zeit allein, Umarmung vom Lieblingsmenschen. Oder „Fashiontipps für Introvertierte, um spontane soziale Begegnungen zu vermeiden“ – unter anderem ein langer Schal, Kopfhörer und Sonnenbrille. Auch die inneren Konflikte werden mit einer sehr angenehmen Mischung aus Ernst und Schmunzeln betrachtet. Sehr gelungen! Ebenso wie die Zeichnungen, die ansprechend und detailreich sind, für mich ein sehr wichtiger Aspekt in einer Graphic Novel, die neben der Story vor allem durch die Bilder lebt.

„Quiet Girl: Geschichten einer Introvertierten“ von Debbie Tung zeichnet in ihrer Graphic Novel in sehr einfühlsamen Episoden, wie introvertierte Menschen den Alltag zwischen Studium, Beruf und Privatleben erleben. Ein sehr schöner Comicroman, auch gestalterisch, nicht nur für Introvertierte, sondern auch für extrovertierte Menschen, die verstehen möchten, wie ihr Gegenpol „tickt“.

Cover des Buches Tilda (ISBN: 9783897414549)

Bewertung zu "Tilda" von Maiken Brathe

Tilda
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein einfühlsamer Roman über den Verlust eines geliebten Menschen, aber auch über Selbsterkenntnis und die Kraft, weiterzumachen.
Einfühlsamer Roman über Verlust, Trauer und Familie

Verlust und Trauer sind zentrale Themen in „Tilda“ von Maiken Brathe, einem emotionalen und feinfühligen Roman aus dem Ulrike Helmer Verlag. Genauso geht es aber auch um die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit bzw. Kindheit, um nachteilige Verhaltens- und Beziehungsmuster sowie um Selbstfindung und Neuanfänge. Susanna hat ihre Partnerin Anna verloren. Tiefe Trauer umfängt Susanna, gleichzeitig brennt eine unbändige Wut in ihr – auf Anna, die eine andere Frau traf, auf ihre Mutter, die sie als Kind zu oft alleine ließ, und auf ihre Tante, die ihr etwas Wichtiges verschwieg. Wie soll Susanna mit all diesen Erkenntnissen umgehen? Und wie wirkt sich dies auf ihr Leben aus? Ein aufwühlender und vielschichtiger Roman über Familie, Freundschaft und die Liebe.

Nach dem Tod ihrer Partnerin verlässt Susanna ihr Haus nicht mehr, die Besuche von ihrer Mutter und ihrem Freund Chrischi lässt sie passiv über sich ergehen. Überhaupt ist Susanna eher der passive Typ, willenlos schon beinahe. So lässt sie ihre Mutter und ihren Freund in ihrem Haus rauchen, obwohl sie das hasst. So ließ sie Anna ihr Haus einrichten, obwohl sie ihren Geschmack nicht teilte. Immer mehr Erinnerungen stürmen auf sie ein, an ihre Mutter, ihre Tante, an Anna. Und damit einhergehend brechen immer mehr tief vergrabene Gefühle in ihr auf. Die Autorin schildert all dies mit viel Bedacht, sie schenkt den Gedanken und Gefühlen ihrer Protagonistin viel Raum, wodurch „Tilda“ zu einer sehr intensiven Lektüre wird.

Die Figuren sind sehr fein ausgearbeitet. Die ordnungsliebende Anna, die nichts dem Zufall überlässt und die sich in einer sterilen und sauberen Umgebung am wohlsten fühlt. Susannas Mutter, die selbst keine einfache Kindheit hatte und vor dem Alltag und der Verantwortung flieht – am liebsten in die Arme von Männern. Susannas Tante, die für sie wie eine Mutter war und ihr ein wenig Halt bot. Was sie alle eint: Sie haben oder hatten Geheimnisse vor Susanna. „Warum haben mich alle dumm gelassen? Die Tante! Mutter! Anna! Fuck, shit, piss, hell!“ schreit Susanna an einer Stelle im Buch heraus.

Susanna hingegen, und dieser Eindruck verstärkt sich mit jeder Seite, tappte bislang recht orientierungslos durch ihr Leben. Erst trieb sie durch das wilde Gewässer ihrer Kindheit, in der sie versuchte, möglichst geräusch- und anspruchslos zu sein. Dann übernahm sie das Haus ihrer verstorbenen Tante und richtete sich in diesem „fertig eingerichteten“ Leben ein, ließ es zu, dass Anna später „katalogisierte“, „ordnete“ und „sortierte“, ohne selbst mitzubestimmen . Im Gegenteil, sie nahm dies dankbar an, lehnte sich an diese feste Säule in ihrem Leben. Erst durch das Wegbrechen dieser Säule wird ihr nun bewusst, auf welch wackeligen Füßen sie steht. Und sie beginnt sich zu verändern.

Es sind solche Entwicklungen von Figuren, die einen Roman für mich sehr lesenswert machen. Betrachtungen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter, wie sich das Verhalten von Eltern auf ihre Kinder auswirkt, wie es sie prägt: Die Angst vor dem Verlassenwerden, das Alleinsein, das sich ungeliebt und ungewollt fühlen. Aber auch, wie Eltern selbst geprägt wurden: Der Krieg, der Verlust der Eltern und Heimatlosigkeit sind hier die Stichworte. Spannend fand ich die psychologischen Aspekte, die mit all diesen Dingen zusammenhängen. Welche Verhaltensmuster wurden erlernt? Welche Bewältigungsstrategien wurden entwickelt? Wie können Muster durchbrochen werden, sofern sie einem nicht gut tun? All dies steckt in „Tilda“ und das war faszinierend.

Lediglich die Hilflosigkeit von Susanna, die sich zum Beispiel in einem Unvermögen Gespräche zu führen äußert, wurde für meinen Geschmack etwas zu sehr breitgetreten. Dadurch entstanden ein paar Längen und die fortwährende Passivität von Susanna wurde bisweilen anstrengend.

Sprachlich ist „Tilda“ sehr gelungen. Maiken Brathe beschreibt die Emotionen sehr einfühlsam, lässt aber auch immer wieder einen leisen Humor durchblitzen. Insbesondere die Szenen mit Susannas Mutter und ihrem Freund Chrischi entbehren nicht einer gewissen Komik – eine angenehme Leichtigkeit angesichts des schweren Themas.

„Tilda“ von Maiken Brathe ist ein einfühlsamer Roman über den Verlust eines geliebten Menschen und darüber, wie sehr Trauer lähmen und zum Stillstand zwingen kann. Es ist aber auch ein Roman über Selbstfindung und die Kraft, neu anzufangen. Mit ganz viel Ruhe erzählt, ist diese Geschichte besonders eine Empfehlung für LeserInnen, die gerne tief in die Gedanken- und Gefühlswelt von Figuren einsteigen möchten.

Cover des Buches The Stranger Times (ISBN: 9783847900900)

Bewertung zu "The Stranger Times" von CK McDonnell

The Stranger Times
buchstabentraeumerinvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Originelle Figuren, scharfzüngige Dialoge sowie der typisch britische schwarze Humor - ich liebe diese durchweg spannende Geschichte!
Fantastische Geschichte trifft britischen Humor - großartig

Was für eine verrückte und fantastische Geschichte, spannend und gespickt mit britischem Humor vom Allerfeinsten. Hinzu kommt ein Set an Figuren, die in ihrer jeweiligen Schrulligkeit und Eigentümlichkeit einfach nur hinreißend liebenswert sind. CK McDonnell hat mit „The Stranger Times“ einen Roman ganz nach meinem Geschmack geschrieben. Es geht um sonderbare Ereignisse, Ungeheuer und Magie. Und natürlich geht es um die „The Stranger Times“, eine Zeitung, die über eben jene unerklärlichen Dinge berichtet – sei es das Bild eines Trolls, der Haustiere frisst, oder eine vom Teufel besessene Toilette. Alles nur Humbug, denkt sich Hannah Willis, als sie notgedrungen die Stelle als stellvertretende Chefredakteurin annimmt. Doch schon am ersten Arbeitstag beginnt ein großes Abenteuer, das nicht nur ihr Weltbild auf den Kopf stellen wird.

Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Komplexität der Geschichte. „The Stranger Times“ ist eine meisterhafte Detektivgeschichte, die mit den Erwartungen des Lesers spielt und oft mit unerwarteten Wendungen überrascht. Einerseits gilt es, klassische Mordfälle zu lösen, andererseits scheint düstere Magie hinter all den Vorkommnissen zu stecken. Ob und wie beides miteinander in Verbindung steht, werden die Mitarbeiter der Times Stück für Stück, und mehr oder weniger unfreiwillig, aufdecken.

Federführend bei den journalistischen Nachforschungen ist Chefredakteur Vincent Banecroft, ehemals Chefredakteur wichtiger Tageszeitungen. Er ist ebenso scharfsinnig wie egozentrisch und zu allem Überfluss ein depressiver Alkoholiker, der mit Worten nur so um sich schlägt, aber dennoch irgendwie sein Herz am rechten Fleck hat, wenn man es nur wagt hinzuschauen.

Ihm gegenüber stellt CK McDonnell Figuren, die mindestens ebenso originell sind. Da wäre die Büroleiterin Grace, die mit eiserner Hand über alle Büroangelegenheiten regiert. Sie verbietet die Verwendung von Schimpfwörtern und bemuttert alle zuverlässig mit Tee und Keksen. Außerdem wären da Ox und Reggie, die einzigen Redakteure der Zeitung, die Angst vor Banecroft haben und dennoch vor (fast) keiner Recherche zurückschrecken. Hinzu kommen Stella, ein Schützling von Grace, immer schlecht gelaunt, aber ein Ass beim Anfertigen von Layouts, und Manny, der am liebsten nackt herumläuft und permanent high ist, doch die Druckerpresse besser im Griff hat als jeder andere. Und da wäre natürlich Hannah, die nach der Scheidung von ihrem Mann in der Luft hängt und durch ihre neue Arbeit feststellt, wie stark sie eigentlich ist.

Die Art und Weise, wie die jeweiligen Sorgen, Ängste und Wünsche der Figuren in diese absurd-fantastische Geschichte eingebunden werden und so auch emotional in die Tiefe geht, hat mich sehr positiv überrascht. „The Stranger Times“ ist nicht nur auf Komik ausgelegt, im Gegenteil. Die Figuren, allen voran Banecroft, verbergen dahinter nur eine tiefe Verletztheit und mitunter Einsamkeit. Es war schön zu verfolgen, wie die Figuren einander zunehmend vertrauen und in jeder noch so unglaublichen Situation zusammenhalten.

Der Schreibstil wird dieser besonderen Geschichte mehr als gerecht. Immerhin ist der Autor ein preisgekrönter irischer Stand-up-Comedian, und er versteht sein Handwerk. Die Dialoge sind herrlich pointiert, sie erinnern mich an die Dialoge der „Sherlock“-Serie mit Benedict Cumberbatch. Ein Schlagabtausch folgt auf den anderen und eine gewisse Charakterähnlichkeit zwischen Sherlock und Banecroft lässt sich nicht abstreiten. Gleichzeitig blitzen in „The Stranger Times“ auch immer wieder diese wunderbaren Momente ehrlicher Gefühle durch. Eine tolle Mischung, die vielleicht nicht jeden Geschmack treffen wird, mich aber rundum begeisterte.

„The Stranger Times“ von CK McDonnell ist eine abenteuerliche Geschichte über Magie, Ungeheuer und sonderbare Ereignisse aller Art. Wer originelle Figuren, scharfzüngige Dialoge sowie den typisch britischen schwarzen Humor mag, wird hiermit genau das richtige Buch für vergnügliche Lesestunden in der Hand halten. Mich haben zudem die Komplexität der Handlung und die Tiefe der Figuren überzeugt. Absolute Leseempfehlung.

Cover des Buches Der Mauersegler (ISBN: 9783847900795)

Bewertung zu "Der Mauersegler" von Jasmin Schreiber

Der Mauersegler
buchstabentraeumerinvor 3 Jahren
Kurzmeinung: Ein trauriger, schmerzhafter und dennoch hoffnungsvoller Roman, der mit leisem Humor winkt, während man sich noch eine Träne fortwischt.
Emotionaler Roman über Freundschaft, Schuld und Verlust

Die Themen Krankheit, Tod und Trauer spielten in „Marianengraben“, dem Debütroman von Jasmin Schreiber, eine zentrale Rolle. In ihrem neuen Roman greift sie diese Themen erneut auf, setzt jedoch andere Schwerpunkte. In „Der Mauersegler“ es geht um Reue und Schuld, um Ambitionen und Fehler im eigenen Handeln. Wie lebt man mit tragischen Konsequenzen? Kann man vor den eigenen Fehlern weglaufen? Kann man vor sich selbst fliehen? „Der Mauersegler“ hat mich durchweg begeistert, der Roman ist zutiefst emotional, ich schwankte zwischen Wut, Fassungslosigkeit, Ohnmacht und Traurigkeit. Und dennoch hat Jasmin Schreiber es auch hier wieder geschafft, mich zum Lachen zu bringen. Eine großartige Mischung und ein wundervolles Werk, über das ihr hier mehr erfahrt.

In „Der Mauersegler“ geht um Prometheus, Arzt und bester Freund von Jakob, der kurzem an Krebs starb. Getrieben von Trauer und Schuld fährt er nach Dänemark, auf der Flucht vor sich selbst, Freunden und Familie. Ich spürte unmittelbar, dass ihn etwas sehr Schweres belastet. Das zeigen die rasenden, unzusammenhängenden Gedanken, die panisch an das Lenkrad gekrallten Hände, die Orientierungslosigkeit. Jasmin Schreiber greift die Stimmung des Protagonisten sprachlich auf, sie schreibt abgehackt, ein Satz jagt den anderen, gleichzeitig erzählt sie enorm bildhaft, mal wirkt alles zu grell und zu intensiv, die Welt erdrückte mich ebenso, wie sie Prometheus erdrückt. Mal verliert sich alles in einem diffusen Nebel. So oder so explodierten die Gefühle förmlich auf den Seiten und ich konnte mich einfühlen in seinen Schmerz und seine Verzweiflung.

Geradezu absurd erscheinen diese tiefen Emotionen, wenn man sie von außen betrachtet – wenn Tiere, Wälder oder Pflanzen Prometheus „beobachten“. Der Mensch wird abstrahiert, er ist ein sonderbarer „Fleischling“, sein Verhalten ist für andere Lebensformen unerklärlich und, ehrlicherweise, vollkommen irrelevant. Die Natur und Umwelt auf diese Weise ins Schreiben zu integrieren ist, wie ich finde, so typisch wie naheliegend für Jasmin Schreiber, wenn man bedenkt, dass sie studierte Biologin ist. Zudem hebt diese Abstraktion menschlicher Gefühle und menschlichen Leidens das Verlorensein von Prometheus sehr schön hervor. Hatte er als Kind, gemeinsam mit seinem Freund Jakob, noch einen intensiven Kontakt zur Natur, so verlor Prometheus diesen Zugang als Erwachsener. Die Natur dient hier als starkes Sinnbild für Stärke und Kraft, für ein in sich ruhen. Dass Prometheus sich von der Natur immer weiter ab- und beruflichen Ambitionen und materiellen Besitztümern zuwendet, hat folglich nur eine zunehmende Unsicherheit und Instabilität zur Folge. Diese Verbindungen und möglichen Assoziationen gefielen mir sehr gut.

Prometheus hingegen gefiel mir mit jeder Seite, mit jeder neuen Erkenntnis weniger. Er ist ein überheblicher Lügner, feige, schwach, eifersüchtig und Statussymbole sind ihm wichtiger als alles andere im Leben. Oder wie er selbst es ausdrückt: „Weil ich ein verfickter, arroganter Pisser bin, weil ich denke, ich bin Gott“. Nichtsdestotrotz fand ich es äußerst spannend, Stück für Stück zu durchschauen und zu verstehen, weshalb Prometheus ist wie er ist, nachvollziehen zu können, weshalb er bestimmte Entscheidungen trifft. Das machte es nicht besser, machte ihn mir nicht sympathischer, doch genau das ist das Reizvolle an „Der Mauersegler“.

In Dänemark trifft Prometheus auf Aslaug und Helle, zwei alte Frauen, die ihn bei sich Zuhause aufnehmen. Sie spüren, dass ihn etwas belastet, dass er „schuldig“ ist. Sie wissen aber auch, wie wichtig es ist, alle Gefühle zuzulassen, durch diesen Sumpf an Reue zu waten. Sie sind weise und stille Begleiterinnen, sie beobachten, geben Prometheus Aufgaben, sind mal freundlich, mal fordernd, aber sie sind immer da. Beständig wie Wind und Regen. Hier in Dänemark treffen die Natur und Prometheus‘ Innerstes zusammen, alles bricht auf und bringt in gut gesetzten Rückblicken zum Vorschein, was Prometheus belastet und zur Flucht gedrängt hat. Spätestens ab diesem Punkt wird „Der Mauersegler“ zum Pageturner.

Der Mauersegler selbst steht für mich in dieser Geschichte für die Sehnsucht nach Freiheit, nach Sorglosigkeit, Losgelöstheit oder auch dem Wunsch, ein erfolgreicher „Überflieger“ zu sein. Doch diese Freiheit ist mit Vorsicht zu genießen, denn stürzt ein Mauersegler ab, schafft er es aus eigener Kraft nicht wieder in die Luft. Diese Deutungsmöglichkeiten bilden eine schöne Metapher, die sich durch den gesamten Roman ziehen und ihn wunderbar abrunden.

„Der Mauersegler“ von Jasmin Schreiber handelt von Freundschaft, Reue und Schuld. Es geht darum, sich einer Schuld zu stellen und sie zu verarbeiten, um am Ende vielleicht wieder sich selbst und anderen Menschen ins Auge sehen zu können. Die Autorin beschreibt diesen Prozess so klug wie feinfühlig, nicht urteilend oder wertend, sondern gänzlich unbefangen. Ein wundervoller, trauriger, schmerzhafter und dennoch hoffnungsvoller Roman, der mit leisem Humor winkt, während man sich noch eine Träne fortwischt.

Über mich

Mich ohne Buch anzutreffen ist praktisch unmöglich. Seit ich denken kann, habe ich Bücher geliebt - erst bekam ich sie als Kind vorgelesen, danach verschlang ich fast alles, was ich in die Finger bekam. Dabei waren und sind Jugendromane meine absoluten Favoriten. Doch auch andere Genres können mich begeistern - einzige Ausnahme Thriller und Krimis.

Lieblingsgenres

Science-Fiction, Jugendbücher, Fantasy, Literatur, Unterhaltung

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