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casanni

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Treibgut (ISBN: 9783463000565)

Bewertung zu "Treibgut" von Adrienne Brodeur

Treibgut
casannivor 16 Stunden
Kurzmeinung: Ein leider doch nicht großartiger Roman
Ein leider doch nicht großartiger Roman

Auf den ersten 360 Seiten dieses 460 Seiten langen Romans werden die Charaktere dieser Familie und ihre Geheimnisse auf sehr gelungene Art und Weise entwickelt, so dass die Lesenden mit jeder einzelnen Figur mitfühlen können. Insbesondere die Darstellung des Vaters und seine Innensicht auf seine bipolare Störung ist äußerst bemerkenswert. Der Ort des Romans, Cape Cod, wird wunderbar lebendig - fast spürt man die Meeresbrise und hört die Vögel singen. Adrienne Brodeur hat einen großartigen Schreibstil, der die Lesenden in die Geschichte eintauchen lässt, eine Sogwirkung für die sich zuspitzende Geschichte hat und süchtig macht.

Leider ändert sich das auf den letzten 100 Seiten. Plötzlich reden und verhalten sich die Personen klischeehaft, es werden platte Wendungen eingefügt und unnötig häufig auf den längst überholten Wahlkampf 2016 zwischen Clinton und Trump Bezug genommen. Die Geschichte bekommt etwas Eiliges, Hektisches und die komplexen Figuren werden flach und eindimensional. Die getroffenen Entscheidungen wirken übertrieben pädagogisierend, voreilig, banal und, ja, leider auch dümmlich.

Auf mich wirkt es so, als sei der Roman im Wahlkampf 2016 angefangen worden, hat dann zu lange unvollendet in der Schublade gelegen und wurde 2023 mit heißer Nadel schnell zu Ende gestrickt, denn die politische Hintergrundgeschichte hatte sich längst überholt. Meiner Meinung nach hätte es dem Roman besser getan, die eh unwichtige politische Geschichte zu löschen und die Familiengeschichte zu einem würdigeren Ende zu bringen.

Cover des Buches Der Sommer, in dem alles begann (ISBN: 9783462003871)

Bewertung zu "Der Sommer, in dem alles begann" von Claire Léost

Der Sommer, in dem alles begann
casannivor 19 Tagen
Kurzmeinung: Mehr Roman-Skizze als Roman
Mehr Roman-Skizze als Roman

Die Pariser Lehrerin Marguerite ist auf der Suche nach ihrer Mutter mit ihrer Familie in die Bretagne gereist, um dort an einer Schule Literatur zu unterrichten. Dort schlägt ihr zunächst der Vorbehalt der Bretonen gegenüber den Hauptstädtern entgegen und nach einigen Verwicklungen und vielen Nebensträngen der Erzählung wird dann schließlich auch die Frage nach ihrer Mutter geklärt.

Leider ist das gesamte Buch wie eine hastige Nacherzählung geschrieben. Die vielen Nebenstränge - Identität der Bretonen, Marguerite als Lehrerin für französische Literatur, das coming of age ihrer Schülerin Hélène, die Krebserkrankung von Hélènes Vater, die Geschichte von Odette etc. - werden regelrecht kurzatmig abgehandelt und teilweise auch merklich schulmeisterlich in die Erzählung gezwängt, wenn etwa typische bretonische Sprach- oder Charaktereigenschaften eingefügt werden.

Weder werden die Charaktere entwickelt noch wird eine Stimmung aufgebaut, so dass ich weder mit einer Person mitfühlen konnte, noch mich in die Gegend der Bretagne versetzt gefühlt habe. Sprachlich sind sehr wohl viele kleine Perlen zu finden, die aber leider in der oberflächlichen Abhandlung der Geschichte recht verloren und deplatziert wirken. Sehr schade.

Ich kann mir allerdings sowohl vorstellen, dass man aus diesem Material einen guten Roman schreiben, als auch einen guten Film machen könnte.  Nur, in dieser Form, ist das nichts Empfehlenswertes.

Cover des Buches Die sieben Türen (ISBN: 9783471360774)

Bewertung zu "Die sieben Türen" von Adrian Draschoff

Die sieben Türen
casannivor einem Monat
Kurzmeinung: Kleine Raupe auf den Spuren des kleinen Prinzen
Kleine Raupe auf den Spuren des kleinen Prinzen

Die kleine Raupe Yara begleitet ein kleines weißes Leuchten bei der Frage Wer bin ich?, Wo bin ich? und Wohin? Beim Erkunden der Grundsätze des Lebens, die sich hinter 7 Türen befinden, erfährt das kleine Leuchten von den (scheinbaren) Gegensätzen Licht und Dunkelheit, Mut und Angst, Liebe und Hass, Glück und Trauer, Jetzt und Unendlichkeit, Alles und Nichts, Leben und Tod. 

Die Texte sind mit jener Behutsamkeit geschrieben, die ein bisschen an ‚Der kleine Prinz‘ von Saint-Exupéry erinnert. In manchen Passagen habe ich das Gefühl, dass es sich um ein Kinderbuch handelt - in anderen Passagen gibt es so kluge und fast philosophische Gedanken, dass es doch eher an ein Buch für Erwachsene denken lässt. Für den Menschen gäbe es ohne Unendlichkeit „quasi keinen Meeresboden, auf dem das Boot seines Verstandes ankern könnte.“ Die Themen sind wunderschön und bezaubernd illustriert, so dass schon das Blättern Spaß macht und das Buch wirklich eine kleine Kostbarkeit ist! Es lohnt sich, dieses Buch mehrmals oder auch immer mal wieder zu lesen, denn, gerade in schwierigen Zeiten wie diesen, ist es wohltuend und bereichernd, seinen Kopf mit guten Gedanken und schönen Bildern zu beschenken.

Frei nach Saint-Exupéry könnte ich mir diese Widmung vorstellen: dieses Buch ist für Erwachsene … aber auch für Kinder, die diese Erwachsenen einmal waren.

Cover des Buches Yellowface (ISBN: 9783847901624)

Bewertung zu "Yellowface" von Rebecca F. Kuang

Yellowface
casannivor 2 Monaten
Kurzmeinung: Ein pageturner mit vielen losen Enden
Ein pageturner mit vielen losen Enden

June Hayward und Athena Liu sind College-Freundinnen, die Schriftstellerinnen werden wollen. Während Athenas Debutroman direkt ein Bestseller ist, hat Junes erster Roman nur mittelmäßigen Erfolg. Direkt am Anfang wird klar, dass die Freundschaft der beiden eher pragmatischer als emotionaler Natur ist und June Neid und Missgunst gegenüber Athenas Erfolg empfindet. June, die wenig attraktive, weiße Frau, vermutet, dass die wunderschöne, amerikanisch-chinesische Athena gerade besser dem Zeitgeist entspricht und von den Verlagen gehypt wird. 

Als Athena im Beisein von June tragischerweise an einem Pfannkuchen erstickt, stiehlt June Athenas gerade fertig gestelltes Werk; eine Geschichte über das chinesische Arbeiterkorps im Ersten Weltkrieg. Sie gibt das Werk als ihr eigenes aus, überarbeitet es für den Verlag aufwändig und landet einen großen Erfolg. Bald tauchen Zweifel an ihrer Autor:innenschaft auf und June kämpft um ihr literarisches Überleben; um den Erfolg, den sie eigentlich gestohlen hat.


Das Buch ist ein leichter pageturner und durchaus spannend geschrieben - aber weder eine literarische Glanzleistung noch eine überzeugende Geschichte. Die Charaktere des Buches bleiben oberflächlich und im Grunde dreht sich das Buch nur um den verzweifelten Kampf Junes, ihre Leser und sich selbst davon zu überzeugen, dass ihr geistiger Diebstahl gerechtfertigt war und sie ein Recht auf Erfolg hat. Die Geschichte hätte Potenzial - auch zur Verfilmung -, sie ist aktuell und 'zeitgeistig' - aber mit Konstruktionsfehlern und fehlender Tiefe an entscheidenden Stellen.

Es ist unglaubwürdig, dass June die Notizhefte von Athena, die ihren Diebstahl beweisen, bei Athenas Mutter lässt; dass June sich keine Sorgen über rechtliche und finanzielle Konsequenzen ihres Plagiats macht; dass sich das milliardenschwere Verlagswesen von Junes halbgarer Geschichte hinters Licht führen lässt. 

Die interessanten Themen werden nur oberflächlich bearbeitet, kommen nur in den Gedanken von June oder in empörten Tweets vor: Ab welchem Grad von Bearbeitung eines Textes kann man von einem eigenen Text sprechen? Hat June kulturelle Aneignung betrieben? Darf ein Autor nur über die eigene ethnische Zugehörigkeit schreiben? Und wie geht man als Autor:in damit um, wenn plötzlich Beifall aus der falschen Ecke kommt? Es sind genau diese Themen, deren Behandlung ich mir bei dem Titel 'Yellowface' gewünscht habe. In einem Interview hat Rebecca Kuang gesagt, dass sie es falsch finde, wenn Autor:innen nur über Menschen wie sie selbst schreiben sollten. Nun, June ist, meiner Meinung nach, ein denkbar schlechtes Beispiel für eine positive kultur-überschreitende Arbeit.  


Yellowface wird als "messerscharfe Satire" angepriesen. Nun, ich denke, die tatsächliche Satire wäre, wenn dieses Buch über bewußt gehypten Erfolg, wirklich ein großer Erfolg würde, weil … es bewußt gehypt wurde!?


Cover des Buches American Dirt (ISBN: 9783499276828)

Bewertung zu "American Dirt" von Jeanine Cummins

American Dirt
casannivor 4 Jahren
Kurzmeinung: 550 Seiten Luft anhalten
550 Seiten Luft anhalten

Nur Lydia und ihr 8jähriger Sohn überleben knapp ein Attentat eines Drogenkartells in Acapulco, bei dem ihre gesamte Familie getötet wird und machen sich auf den Weg - von Mexiko nach Norden, in die USA. Sie fliehen zu Fuß, mit dem Bus, springen auf den berüchtigten Zug ‚La Bestia‘, fahren auf dem Waggondach, übernachten in Migrantenunterkünften, machen gute und schlechte Bekanntschaften, vertrauen sich einem Schlepper an und durchqueren die Wüste.

Es ist ein packender Roman, bei dem ich wegen der Ereignisse oft die Luft angehalten habe - aber genauso oft stockte mir der Atem, weil es Millionen von realen Schicksalen gibt, die ähnliche Situationen so erlebt haben und erleben. Kann die tragische und brutale Realität von Millionen Flüchtenden ein toller Roman sein, auf dem man sich am Feierabend freut? Am Ende denke ich, ja, es kann und es muss, damit - mit den Worten der Autorin - die Leser beginnen, die Migranten „als Individuen zu begreifen“.

Leicht getrübt wird mein Eindruck allerdings, weil die Geschichte für mich an manchen Stellen nicht glaubhaft ist: ohne in die Details gehen zu wollen, wirken manche Wendungen auf mich zu plump und einfach, andere hingegen zu aufgesetzt und überzogen. Am Ende ist das Manko dieses Buches die Tatsache, dass die Autorin die Flucht nicht selbst erlebt, sondern ‚nur‘ recherchiert hat. Vielleicht ist das Thema zu sensibel, um ohne eigene Erfahrung darüber zu schreiben. Auf der anderen Seite ist das Thema dermaßen politisch brisant und wichtig, dass es lange an der Zeit war, den Migranten eine Stimme zu geben. Trotz allem: lesen und selbst ein Urteil darüber machen!

Cover des Buches Offene See (ISBN: 9783832181192)

Bewertung zu "Offene See" von Benjamin Myers

Offene See
casannivor 4 Jahren
Kurzmeinung: Den Moment in Bernstein gegossen
Den Moment in Bernstein gießen

„Ich will überrascht werden.“ sagt der 16jährige Robert, als er, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sein nordenglisches Bergarbeiterdorf verlässt und, „in den Künsten Sparsamkeit und Improvisation bewandert“, sich zu Fuß auf den Weg gen Meer macht. Er trifft auf die unkonventionell lebende ältere Frau Dulcie, die Robert auch neue innere Horizonte eröffnet und seine Liebe zur Poesie entzündet.

Mit bildgewaltiger Sprache ohne Pathos, Liebe zum Detail ohne Übertreibung, berührender Erzählung ohne Sentimentalität und Naturbeschreibungen, die den Leser spüren, hören und fühlen lassen, schafft Meyers es in der ersten Hälfte des Buches „den Moment in Bernstein zu gießen“! Das ist großartig und erweckt allerdings auch Erwartungen an die Handlung, die über die Dauer des Romans dann nicht erfüllt werden. Die Beschreibungen der Reparaturarbeiten, die Robert an dem Atelier vornimmt, seine Spaziergänge, Ausflüge die Tee- und Brandystunden mit Dulcie plätschern nach der Hälfte des Buches so dahin und die Entdeckung der Nachricht von Romy, der Autorin der Gedichte, wirkt auf mich etwas gekünstelt.

Nichts desto trotz - die erste Hälfte des Buches ist so grandios, dass sie die Lektüre in jedem Fall wert ist.

Cover des Buches Das Haus der Frauen (ISBN: 9783103900033)

Bewertung zu "Das Haus der Frauen" von Laetitia Colombani

Das Haus der Frauen
casannivor 4 Jahren
Kurzmeinung: Die Tiefe fehlt
Die Tiefe fehlt

Ein Klient der Rechtsanwältin Soléne stürzt sich nach der Verurteilung in den Tod und dies stürzt Soléne in eine tiefe Krise aus der sie einen Ausweg sucht. Auf Anraten ihres Psychiaters betätigt sie sich gemeinnützig und geht einmal in der Woche in ein Frauenhaus als ‚Öffentlicher Schreiber‘, wo sie den Frauen beim Aufsetzen unterschiedlichster Schreiben hilft. Auf diese Weise erfährt sie von vielen persönlichen Schicksalen, die sie dazu bringen, ihr eigenes Schicksal zu reflektieren. Sie kommt auch der Geschichte dieses Hauses auf die Spur - es ist die Geschichte von Blanche Peyron, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit unermüdlichem Engagement diesen Zufluchtsort für Frauen ins Leben rief.


Laut Klappentext ist dieser Roman „ein Plädoyer für mehr Solidarität“ - und das ist er auch.  Darüber hinaus geht es diesem Buch, meiner Meinung nach, wie dem Spruch ‚Zu viele Köche verderben den Brei‘. Es sind zu viele verschiedene Schicksale, die jeweils auf wenigen Seiten in komprimierter Form erzählt werden. Die Charaktere werden nicht erarbeitet, sondern in kurzen, dramatischen Nacherzählungen vorgestellt. Die Geschichten werden hochemotional erzählt und nehmen den Leser kurzfristig mit - aber, es ist wie bei den Nachrichten, nach zu vielen schrecklichen Geschichten, kann man sich am Ende kaum an die erste Geschichte erinnern.

Der Geschichte von Blanche Peyron wird in dem Buch zwar mehr Platz eingeräumt, aber leider wirkt auch sie wie eine Dokumentation und beschreibt zwar ihre Unermüdlichkeit, lässt aber keinen wirklichen Einblick in ihre Seele und ihr Gemüt zu. Die Tiefe fehlt - schade.

So bleibt am Ende die Essenz, dass Frauenschicksale damals und heute sich leider immer noch ähneln und dass persönliches Engagement wichtig ist - für andere und auch für sich selbst.

Cover des Buches Rote Kreuze (ISBN: 9783257071245)

Bewertung zu "Rote Kreuze" von Sasha Filipenko

Rote Kreuze
casannivor 4 Jahren
Kurzmeinung: Geschichte für die Gegenwart
Die geschundene russische Seele

Der junge, alleinerziehende Alexander hat einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften und zieht in eine neue Stadt. Sehr schnell lernt er seine an Alzheimer erkrankte alte Nachbarin Tatjana kennen und erfährt ihre Lebensgeschichte. Ihr Mann gerät während des zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft. Sie wird verhaftet, in ein Umerziehungslager  geschickt und verbringt viele Jahre mit der Suche nach ihrem Mann und ihrer Tochter. 


Rote Kreuze ist eine eindrückliche und bewegende Geschichte über das stalinistische Terrorregime, die Säuberungsaktionen, die Willkür und Repressionen, die Zustände in den Umerziehungslagern (Gulag) und den rücksichtslosen Umgang mit den eigenen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geratenen sind.

Der Autor schafft es, dieses schreckliche Kapitel russischer Geschichte durch die Auswahl seiner Charaktere und deren zum Teil humorige bis lakonische Ausdrucksweise interessant und ansprechend zu erzählen und damit ‚die Geschichte in die Gegenwart zu ziehen‘, ohne dabei je die Ernsthaftigkeit zu verlieren. Er ermöglicht einen Blick in die geschundene russische Seele ohne pathetisch oder sentimental zu sein.

Der besondere Verdienst von Sasha Filipenko ist es, meiner Meinung nach, durch die Verknüpfung der beiden, zeitlich weit auseinander liegenden Schicksale zu zeigen, dass, egal wie groß das eigene, aktuelle Leid ist, die Geschichte nicht vergessen werden darf. Angesichts der politischen Entwicklungen in vielen Ländern könnte dieser Appell nicht wichtiger und passender sein.

Cover des Buches Das Evangelium der Aale (ISBN: 9783446265844)

Bewertung zu "Das Evangelium der Aale" von Patrik Svensson

Das Evangelium der Aale
casannivor 4 Jahren
Kurzmeinung: Die Aalfrage ... überraschend, kurzweilig, interessant!
Die Aalfrage

Dank Patrik Svensson wird es der Aal mit Sicherheit in das Langzeitgedächtnis vieler Leser schaffen, denn welcher Nicht-Aalkenner wusste, dass sich der Aal bis zum heutigen Tag der wissenschaftlichen Beobachtung seiner Fortpflanzung entzog? Aristoteles glaubte, der Aal entstünde aus dem Schlamm und Freud sezierte auf der Suche nach dem männlichen Geschlechtsteil vergeblich 400 weibliche Aale. Erst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wusste man, dass der Aal erst dann seine Geschlechtsteile entwickelt, wenn er sie braucht. Diese und weitere interessanten Anekdoten, Fakten und Legenden erfährt der Leser über dieses rätselhafte Tier, dessen Existenz durch Staudämme, Fischerei und Klimawandel gefährdet ist.

Im Wechsel mit wissenschafts- und kulturhistorischen Kapiteln erzählt Patrik Sevensson, der an der Aalküste in Schweden aufgewachsen ist, von seinem Vater, mit dem er in seiner Jugend Aale gefangen hat. In leisen Tönen erschafft er die Atmosphäre der nächtlichen Angeltouren. Der Leser erfährt von verschiedenen Angeltechniken, dem Töten des Aals und auch der Zubereitung; und so brutal auf der ein oder andere Akt ist - der Respekt gegenüber dem Tier ist immer spürbar.


Zu dem sonderbaren Aal passt dieses ungewöhnliche Buch, das eine sehr persönliche Geschichte mit fundiert recherchierten wissenschaftlichen Daten und literarischen Bezügen verknüpft. Ein kleines Manko ist, meiner Meinung nach, eine Redundanz, die die Beschreibung bestimmter Verhaltensweisen des Aals betrifft. Hier drängt sich mir die Frage auf, ob die Kapitel in großem zeitlichen Abstand geschrieben wurden und beim Zusammenfügen des Buches, diese Wiederholungen nicht aufgefallen sind?

Trotz allem: ein lesenswertes Buch, dass den Leser schnell ‚am Haken‘ hat!

Cover des Buches Der Apfelbaum (ISBN: 9783550081965)

Bewertung zu "Der Apfelbaum" von Christian Berkel

Der Apfelbaum
casannivor 5 Jahren
Kurzmeinung: Bei einem Wein würde man 'vollmundig' sagen ...
Wie ein saftiger Apfel

Christian Berkel erzählt die Geschichte seiner Eltern, die sich kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten kennengelernt haben. Seine Mutter, Sala, eine Halbjüdin mütterlicherseits, muss das Land verlassen und es beginnt eine 16jährige Odyssee zu verschiedenen Familienteilen und in verschiedene Länder. Sein Vater, Otto, geht als Arzt in den Krieg, gerät in russische Gefangenschaft und kehrt 1950 nach Berlin zurück. 

Schon in den ersten drei Seiten schafft es Christian Berkel, den Leser in den Bann dieses außergewöhnlich genussvollen Buches zu ziehen, das doch in einer düsteren, geschichtsträchtigen Zeit spielt. Mit einer wunderbar selbstverständlichen Leichtigkeit wechselt er zwischen breitestem berlinerischen Slang und eleganten, feinsinnigen Sätzen. Mal derb, mal fein, mal komisch, mal philosophisch, mal voller Lebensfreude und mal voller Melancholie - und doch verliert die Erzählung nie aus den Augen, dass sie vor dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte spielt. 

In der Mitte des Buches verweist Christian Berkel auf das Buch von Alexander und Margarete Mitscherlich und die Aufforderung „Erinnerung zu wagen, um dem unbewussten Wiederholungszwang vorzubeugen“ und könnte damit den Nerv des aktuellen Geschehens 2018 in Deutschland nicht besser getroffen haben. Dies ist nicht nur ein tolles Buch, sondern auch ein wichtiges Buch. Perspektivwechsel und Zeitsprünge fordern dem Leser Konzentration ab, aber die ist man gerne bereit zu geben, bei dem Genuss eines solch saftigen Apfels, der vom bitteren Kern über das süße Fruchtfleisch bis zur harten Schale alles zu bieten hat!


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