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derlorenz

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Das geraubte Leben des Waisen Jun Do (ISBN: 9783518465226)

Bewertung zu "Das geraubte Leben des Waisen Jun Do" von Adam Johnson

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
derlorenzvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Blick ins Innere Nordkoreas und eines Menschen, der sich beinahe mit der absurden Brutalität dieses Landes abgefunden hätte. Doch dann ...
Nordkorea: groteske Normalität voll absurder Brutalitäten

Einige Male habe ich überlegt, das Buch beiseite zu legen. Es schildert die absurde Brutalität und Hoffnungslosigkeit des Alltags in Nordkorea in einer ungewöhnlichen Weise, die mir sehr nahe ging. Was dem namenlosen Helden ganz normal vorkommt und „en passant“ beschrieben wird, ist für einen Mitteleuropäer nicht vorstellbar.

Ein „normales“ Leben scheint unter den geschilderten Bedingungen völlig unmöglich, weil es komplett fremdbestimmt ist. Nahrung wird (falls welche vorhanden ist) zugeteilt, Kinder und schöne Frauen werden willkürlich verschleppt, Angestellte von der Straße für mehrwöchige Ernteeinsätze eingesammelt. In den Arbeitslagern müssen die Menschen wegen geringster Verfehlungen bis zum Tod durch Erschöpfung schuften. Und in den Wohnzimmern rufen fest eingebaute Lautsprecher zur Denunziation auf, damit es Nachschub für die Lager gibt. Das System ist grotesk unmenschlich wie das in „1984“, aber wohl zu großen Teilen Realität, denn Johnson recherchierte auch vor Ort.

Als ich mich dann entschloss weiterzulesen, wandelte sich das Buch plötzlich. Ein Folterknecht wird zum Erzähler, der „Geliebte Führer“ tritt persönlich auf, und die allgegenwärtigen Lautsprecher werden von Johnson geschickt in die Erzählung eingebaut. Als hätte der Erzähler gerade noch rechtzeitig bemerkt, dass er dem Leser zuviel zumutet, kippt die Stimmung ins Groteske. Lustig wird es nicht, eher bringt  der „Geliebte Führer“ eine neue, subtilere Grausamkeit ein. Doch Details und Handlung wirken immer verrückter. Vielleicht, um das unumgängliche (zumindest halbe) Happy End einzuführen.

Von der Handlung und dem Waisen Jun Do, dessen Name eigentlich nur ein Sammelbegriff ist, muss ich nicht viel verraten. Es ist keine klassische Romanhandlung, die einen über die Verknüpfung von Handlungssträngen und sympathischen Figuren einfängt. Andererseits macht Johnson dem „creative writing“ auch einige Zugeständnisse.

Vielleicht wird seine sprunghafte Erzählweise, gespickt mit unglaubwürdigen Wendungen, dem oben beschriebenen, ganz und gar fremdbestimmten Leben eines Nordkoreaners sogar gerecht. Trotzdem gibt es einen kleinen Punktabzug für den Autor, denn es hätte nicht 682 Seiten gebraucht, um diese Geschichte zu erzählen. Sie hat mich berührt, bestürzt, sogar in Gedanken verfolgt. Aber man hätte sie noch stärker konzentrieren können.

Cover des Buches Der Allesforscher (ISBN: 9783492306324)

Bewertung zu "Der Allesforscher" von Heinrich Steinfest

Der Allesforscher
derlorenzvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Anregende stilistische Ambitionen verknüpft mit rasanten Tempowechseln ungewöhnlichen Gedanken und herzerwärmender Auflösung.
Das Buch den Tempo- und Perspektivenwechsel

Heinrich Steinfest kommt aus dem Krimigewerbe. In "Der Allesforscher" lebt er stärker - und durchaus erfolgreich - seine stilistischen und philosophischen Ambitionen aus, erzählt weniger stringent. Es finden sich viele ungewöhnliche Gedanken und Perspektiven, gekleidet in einen Sprachstil, der den Lesefluss an vielen Stellen bewußt, aber nicht aufdringlich unterbricht.

Der Roman beginnt furios mit einem port-mortal explodierenden Wal, der den Helden in ein taiwanesisches  Krankenhaus bringt. Dort lernt er eine deutsche Ärztin kennen. Erst später, als die Ärztin stirbt, wird klar, dass ihm hier die Liebe seines Lebens begegnet. Sogar ein Kind scheint dieser Verbindung entsprungen zu, welches er im zweiten Teil des Buches adoptiert, ohne von der Vaterschaft überzeugt zu sein. 

Wärend der erste Teil des Buches von schnellen Wendungen und einer Menge Action geprägt wird, kommt es dann zu einem rasanten Tempowechsel. Der Held zieht sich zurück aus seiner global und erfolgs-orientierten Managerwelt. Er wird Bademeister und Vater. Es passiert nicht allzu viel. Zeit für Reflektionen.

Aus meiner Sicht stört dieser Bruch in der Mitte des Buches den Lesefluss. Man hat sich an teilweise sureale Handlungsrasanz gewöhnt und wird dann vollgebremst. Zum Glück wird der Roman zum Schluss wieder dichter und phantasievoller, wartet sogar mit einer herzerwärmenden Auflösung auf. Und landete sicher zu Recht 2014 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Cover des Buches Gleisdreieck (ISBN: 9783957230294)

Bewertung zu "Gleisdreieck" von Jörg Ulbert

Gleisdreieck
derlorenzvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Lakonisches Porträt der Westberliner Hausbesetzerszene in den 80ern: korrekt in den Details, origineller Strich und wunderbare Farbigkeit.
Cover des Buches Der Staub der Ahnen (ISBN: 9783939080619)

Bewertung zu "Der Staub der Ahnen" von Felix Pestemer

Der Staub der Ahnen
derlorenzvor 8 Jahren
Kurzmeinung: Staubige Angelegenheit: die bunten Rituale des mexikanischen Totenfestes werden nicht wirklich lebendig, die Geschichten bilden kein Ganzes.
Angestaubte Geschichten ohne Zusammenhalt


Felix Pestemer hat sich vorgenommen, Europäern das mexikanische Totenfest näher zu bringen. Seine Faszination für dieses Ritual ist sicherlich echt, er konnte sie mir als Betrachter seiner Zeichnungen aber nicht vermitteln.
Die Grundidee wird allzu schnell klar: Die Toten zerfallen erst dann zu Staub, wenn sich niemand mehr an Sie erinnert. So weit, so ehrenwert. Und dann? Nichts weiter!
Es werden ein paar Familiengeschichten aus verschiedenen Epochen angerissen, deren Protagonisten jetzt tot sind und in ihrem Zwischenreich eine Party feiern. Diese Skelette sind nicht nur tot, sie wirken auch ziemlich leblos. Und die lebenden Mexikaner sind in einer Weise gezeichnet, die ich persönlich recht albern finde.
Kulturhistorisch mag das einen gewissen Wert haben, als Comic funktioniert es aber nicht.

Cover des Buches Sonnenschein (ISBN: 9783455405163)

Bewertung zu "Sonnenschein" von Dasa Drndic

Sonnenschein
derlorenzvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Eine extrem anspruchsvolle Doku Fiction, voll gepackt mit Details zur deutschen Besatzung der Adria und dem Projekt Lebensborn der SS.
Cover des Buches Kruso (ISBN: 9783518424476)

Bewertung zu "Kruso" von Lutz Seiler

Kruso
derlorenzvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Der Poet Seiler setzt mit einer hochstilisierten Allegorie der DDR wie auch den Republikflüchtlingen ein eigenartiges Denkmal. Anspruchsvoll
Wunderlich poetischer Abgesang


Gibt es eigentlich eine Handlung? Ja, in der Nebensache. Sie sollte für niemanden der Grund sein, den lyrisch und allegorisch angelegten Roman eines großen Poeten zu lesen. Eine Kurzfassung? Der Germanistikstudent Ed strandet auf der Flucht vor sich selbst auf Hiddensee, der Insel für DDR-Aussteiger und potenzielle Republikflüchtlinge. Er wird vom heimlichen Inselhäuptling Kruso auserwählt, erst als Abwäscher in der Betriebsgaststätte Klausner, dann als Mitglied einer subversiven Organisation.
Glücklich über seinen Status als Auswählter, später Freund und sogar Blutsbruder, versinkt Ed völlig in dem Paralleluniversum Hiddensee, das sich letztlich noch einmal verengt auf den Klausner. „Seine Aufgabe war, an der Seite seines Gefährten zu bleiben […] dass niemand anders als sie beide es waren, die diese Stellung hielten: zwei beste Freunde , die beide ganz allein den Klausner betrieben und damit etwas im Grunde Unmögliches schafften, mit ihrer eigenen Arbeit, Helden ähnlich.“
Wie Nebelfelder treiben einzelne Nachrichtenfetzen aus dem Sommer und Herbst 1989 durch diese abgekapselte Welt. Nur der kundige Leser weiß, dass eine massive Fluchtbewegung über Ungarn und die Tschechoslowakei die DDR erschüttert, und selbst Wende oder Maueröffnung schaffen es nur als Echo in den Roman.
Er ist ein Denkmal, das den Eigenarten der DDR und dem prinzipientreuen Teil ihrer Bewohner gewidmet ist. Vor allem jenem, oft wunderlichen Teil, der sich in einem unfreien System eine eigene Form von Freiheit schuf. Und nicht zuletzt den Republikflüchtigen, die für ihren Traum von Freiheit das Leben riskierten und viel zu oft verloren.
Die Qualität des Buches liegt in seiner ganz eigenen Form und Sprache. Viele gründlich recherchierte Details der staatlich gelenkten Feriengestaltung vermischen sich mit feinsinnigen Naturbeschreibungen, Träumen und Halluzinationen, philosophischen Betrachtungen und Charakterstudien. Eine wirklich wahnwitzige, bewundernswerte Konstruktion! Aber auch reichlich anstrengend und viel zu sehr in die Länge gezogen.

Cover des Buches Das größere Wunder (ISBN: 9783423143899)

Bewertung zu "Das größere Wunder" von Thomas Glavinic

Das größere Wunder
derlorenzvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Mit philosophischer Tiefe und sprachlicher Eleganz wird die Frage gestellt: was macht ein Leben lebenswert? Was stelle ich damit an?
Cover des Buches Ein neues Land (ISBN: 9783864970092)

Bewertung zu "Ein neues Land" von Shaun Tan

Ein neues Land
derlorenzvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Äußerst originelle Umsetzung der Erfahrungen eines Emigranten, der in ein völlig fremdes Land kommt. Ohne Worte, umso schöner gezeichnet.
Cover des Buches Eugène (ISBN: 9783940304872)

Bewertung zu "Eugène" von Quentin Vijoux

Eugène
derlorenzvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Komplett verrückte Geschichte. Sehr einfach und in schwarz-weiß gezeichnet, trotzdem sehr gruselig und tiefsinnig.
Simpel verrückt

Um der Geschichte willen liest man diese Graphic novel nicht unbedingt. Sie ist so abgedreht wie das ganze Buch, aber auch sehr simpel. Verrückter Professor will seinen Sohn wieder zum Leben erwecken und bringt dabei Kräfte aus dem Zwielicht hervor. Sie wuseln als Schatten in Anzügen durch das Buch.

Eugene, der tumbe Held des Buches, bekommt vom Professor einen Job angeboten. Um die Arbeit in der Stadt anzutreten, muss er seine anstrengend anhängliche Frau in der Einöde zurück lassen. Seltsame Figuren begegnen ihm und führen ihn zu einem Krankenhaus, das zu einem aggressiven Organismus mutiert ist.
Dazu passt der einfache, nicht colorierte Strich von Quentin Vijoux. Er meidet alle Ecken und Kanten, wuchert organisch durch die Seiten. Auf sehr subtile Weise macht Vijoux seinem Leser Angst. Schwarze Gestalten, fiese Krankheiten, leere Städte, dunkle Geheimnisse.

Aber die Angst wird nicht kultiviert, sie verfliegt auch wieder, in offenen Landschaften. Offen wie die Fragen, die zum Schluss bleiben. Trotzdem fühlte ich keine Enttäuschung, wie bei einem Thriller, der nicht alle losen Enden zusammenführt. Vielmehr kann man auf einer philosophischen Ebene darüber nachsinnen, worum es bei dieser Geschichte eigentlich geht.

Cover des Buches Im Eisland (ISBN: 9783356019018)

Bewertung zu "Im Eisland" von Kristina Gehrmann

Im Eisland
derlorenzvor 9 Jahren
Kurzmeinung: Für Kinder ein guter Einstieg in das Genre Graphic Novel. Der erste Teil erzählt den optimistischen Beginn der tödlichen Expedition ins Eis.
Aufbruch ins ewige Eis

Die Einordnung als Kinderbuch bei LB scheint mir passend, gut geeignet als Einstieg in das Genre Graphic Novel. Der erste Teil (von 3) erzählt den optimistischen Beginn der tödlichen Expedition von Kommandant John Franklin ins ewige Eis der Nordwestpassage.

Die "Terror" und die "Erebus" starten von England zuerst nach Grönland, dann durch die Baffin-Bucht bis zu einer kleinen Insel, in deren Nähe erst 2014 die Überreste eines Schiffes gefunden wurden. Die meisten Matrosen und Offiziere sind sicher, bald den Ruhm für eine große Entdeckung einheimsen zu können. nur Kapitän Francis Crozier, der einzige mit Erfahrung in der zu durchsegelnden Region, ist skeptisch, ob es tatsächlich irgendwo im höchsten Norden eine freie Passage gibt.

Dieser Teil endet mit der ersten Überwinterung im Eis. Es gibt ausreichend und abwechslungsreiches Essen, die Mannschaften und Offiziere sorgen für Unterhaltung. Gute Laune strahlen die Bilder von Kristina Gehrmann aus. Nichts deutet daraufhin, dass alle 129 Männer den Tod finden werden. In den ersten Panels deutet das Buch allerdings schon drastisch an, was sich bald für Dramen abspielen werden. Insgesamt akribisch recherchiert, alle bekannten Quellen scheinen verwendet worden zu sein.

Für erwachsene Leser mag der Zeichenstil etwas naiv wirken. Große Augen und helle Gesichter mit wenig Kontur, viele Wusch-Effekte. Das düstere Potenziel wird bisher nicht ausgeschöpft, aber vielleicht kommt das noch? Und es ist eben ein Kinderbuch! Für junge Leser wird allein die kommende Geschichte noch hart genug!

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