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Cover des Buches Immanuel Kant | Wissenswertes über Leben und Wirken des großen Philosophen | Reclam 100 Seiten (ISBN: 9783150207048)

Bewertung zu "Immanuel Kant | Wissenswertes über Leben und Wirken des großen Philosophen | Reclam 100 Seiten" von Claudia Blöser

Immanuel Kant | Wissenswertes über Leben und Wirken des großen Philosophen | Reclam 100 Seiten
dietrich_pukasvor 3 Monaten
Kants aktuelle Philosophie der Aufklärung und Friedenstheorie

Claudia Blöser: Immanuel Kant – 100 Seiten

Reclam Verlag Stuttgart, Ditzingen 20213 

Rezension von Dietrich Pukas 14.01.2024 

 

Die Autorin Claudia Blöser, Professorin für Philosophie an der Uni Augsburg, versteht es meisterhaft, uns Immanuel Kants vielseitige, anspruchsvolle Philosophie in ihrer einmaligen Vielfalt und Einheit zu erschließen, ohne dass wir dafür über besonderes Vorwissen verfügen müssen, so wie es die volkstümliche Reclam-Reihe der 100 Seiten anstrebt. In diesem Sinne können wir uns Kants maßgeblichen Fragen „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ hingeben und uns anhand seiner Methode der Kritik über unser Menschsein, unsere Freiheit und Verantwortung, Gott und die Welt aufklären lassen. Die Erkenntnisse, die wir dabei für unser Selberdenken gewinnen können, mögen uns auch in der aktuellen Krisensituation richtungsweisend sein, denn Kants Philosophie reicht bis zum politischen Ideal ewigen Friedens.

 

Nach der eindrucksvollen Schilderung von Kants persönlichem, unstetigen Werdegang zum Philosophen und schließlich als Professor für Logik und Metaphysik an der Uni Königsberg geht es zur Hauptsache: zur Methode der Kritik, und zwar der Kritik der reinen und der praktischen Vernunft. Mit seiner Kritik der reinen Vernunft stellt Kant die klassischen Probleme der Metaphysik wie der Frage nach Gott, der Unsterblichkeit der Seele sowie der Freiheit des Menschen auf eine neue Basis. Und zwar bestreitet er den herkömmlichen Wissensanspruch für diese Begriffe, weil sie die Erfahrung mit sinnlicher Wahrnehmung überschreiten und deshalb reine Vernunfterkenntnis sein müssen, was jedoch nicht „die Lizenz zum Glauben“ aufhebt. Zur weiteren Bestimmung dieser Erkenntnisarten führt er das zentrale Begriffspaar „a priori“ und „a posteriori“ ein. So sind Urteile a posteriori gültig, weil ihre Begründung aufgrund von Erfahrung erfolgt, während Urteile a priori unabhängig von Sinneseindrücken geschehen, also vor der Erfahrung stattfinden. Im Rahmen seiner Transzendental-Philosophie stellt Kant dann fest, dass die Gegenstände unserer Erfahrung mit unserer Erkenntnis zusammenhängen, und untersucht die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung. So ergibt sich: Die Sinnlichkeit liefert die Anschauung der Gegenstände und unser Verstand die Begriffe, sodass aus deren Kombination die Erkenntnis folgt und Kant den berühmt gewordenen Satz geprägt hat: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Sinnlichkeit und Verstand des Menschen müssen zusammen wirken, um Erkenntnis von Gegenständen zu produzieren, womit sich die jeweils einseitigen Positionen von Empirismus und Rationalismus versöhnen lassen.

 

Die Sinnlichkeit vermittelt uns die Anschauungsformen von Raum und Zeit, der Verstand liefert uns die reinen Verstandesbegriffe von Raum und Zeit, die sogenannten Kategorien a priori. Insofern existieren Raum und Zeit in Abhängigkeit von unserem Erkenntnisvermögen, sie gehören zur Art und Weise und fungieren sozusagen als Brille, wie wir die Welt betrachten. Raum und Zeit sind Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt und als solche nicht selbst Erfahrung, sondern Voraussetzungen oder Formen a priori. Dazu gehört gleichfalls die Kausalität als Verstandesbegriff. Die Ereignisse in der Welt erfahren wir als kausal nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung bestimmt. Das entsprechende Urteil a priori als ein Grundsatz des reinen Verstandes lautet daher: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung“. In dem Zusammenhang greift Kant das Problem der transzendentalen Deduktion auf, wie wir von den empirischen Begriffen der Erfahrungsgegenstände, die wir selbst in Auseinandersetzung mit denselben gebildet haben, zu einheitlichen Erfahrungen im Rahmen der Kategorien gelangen. Kants Argumentation dazu: Objektive Erfahrungserkenntnis entsteht, indem wir subjektive Wahrnehmungen einer Vielfalt miteinander zu einer Erfahrungseinheit verknüpfen und die Erkenntnis eines bestimmten Gegenstandes hervorbringen. Die verknüpften Wahrnehmungen müssen Erfahrungen ein und derselben Person sein, die sich durch Selbstzuschreibung ein Urteil bildet und die einheitliche Erfahrung zu Bewusstsein bringt. Das Fällen von Urteilen als Gebrauch der Kategorien ermöglicht wiederum einheitliche Erfahrung von Gegenständen und eine grundlegende Art des Selbstbewusstseins als eigene Identität über die Zeit hinweg. Somit erweist sich die einheitsstiftende Tätigkeit eines erkennenden Subjekts oder Ichs als Grundvoraussetzung des Erkennens, Denkens, Gestaltens der Gegenstände und der Welt.

 

Des Weiteren befasst sich Claudia Blöser mit den Grenzen unseres Wissens als „Erscheinung und Ding an sich“ nach Kant. Nach den bisherigen Überlegungen erweist sich die Grenze möglicher Erfahrung als Grenze möglicher Erkenntnis. Erscheinungen sind die Gegenstände der Erfahrungen, die wir durch die „Brille der Anschauungsformen und Verstandesbegriffe“ sehen, notwendig in Raum und Zeit gegeben und durch die Kategorien determiniert sind. Das berühmte „Ding an sich“ ist irgendetwas außerhalb unserer Erkenntnisbedingungen, das sich unserem Wissen entzieht, wie die klassischen Gegenstände der Metaphysik „Gott, Unsterblichkeit, Freiheit“. Einzig die Grundsätze unseres Verstandes wie „Jede Veränderung hat eine Ursache“ oder mathematische Formeln und grundlegende physikalische Gesetze können beanspruchen, (synthetische) Urteile a priori zu sein und damit das zentrale metaphysische Kriterium zu erfüllen. Aber die Struktur der menschlichen Vernunft verlange, nach dem „Unbedingten“ zu suchen. Eine „Zwickmühle der Vernunft“ demonstriert Blöser am Beispiel der Freiheit: Es gibt keine Kausalität aus Freiheit, sondern nur ihre logische Möglichkeit und den Trost, dass unser freies Handeln nicht naturwissenschaftlich widerlegt werden kann. Aber es besteht noch die praktische Wende der Metaphysik: die Fortsetzung von Kants Kritik der reinen oder theoretischen Vernunft zur Kritik der praktischen Vernunft. Erstere wendet sich an uns als erkennende Wesen und macht darüber Aussagen, was der Fall ist und warum, während die praktische Vernunft sagt, was sein soll, und unser Handeln leitet.

 

Mit Letzterer zeigt uns Kant, dass wir tatsächlich frei sind, und zwar aufgrund seiner Moralphilosophie. Diese basiert auf der zentralen Idee, dass a priori ein gültiges Moralgesetz existiert, das notwendig und ausnahmslos, also kategorisch gilt. Das enthaltene unbedingte Sollen setzt nach einem grundlegenden Satz der Metaethik Können voraus. Das heißt, wir müssen fähig sein, dieser Verpflichtung auch prinzipiell nachzukommen. Wenn für uns ein Sollen verbindlich gilt, können wir demnach sicher sein, dass wir die Sollensforderung befolgen können. Also können wir uns bewusst sein, unabhängig von allen natürlichen Bestimmungen und Ursachen das moralisch Richtige zu tun, und das macht einen wesentlichen Aspekt unserer Freiheit aus. Dass moralische Gesetze kategorisch für uns gelten, nennt Kant das „Faktum der Vernunft“. Nach unserem Selbstverständnis als moralische Wesen sind wir uns folglich unserer Freiheit bewusst; auch wenn wir nichts über sie wissen, können wir an sie glauben und sie postulieren. So hebt Kant am Beispiel der Freiheit das Wissen auf, um zum Glauben vorzudringen. Praktische Gründe stützen den Glauben, der uns erlaubt, an der Idee der Freiheit festzuhalten, obwohl wir nicht beweisen können, dass wir frei sind.

 

Mit dieser auf praktischen, moralischen Gründen fußenden Argumentation erklärt Kant ebenfalls, wieso der Glaube an Gott und Unsterblichkeit vernünftig ist. Demnach ist die praktische Vernunft auf ein Idealbild einer perfekt gerechten Welt ausgerichtet, in der alle Menschen so glücklich sind, wie sie es nach ihren moralischen Verhaltensweisen verdienen. Dieses nach Kant „höchste Gut“ müssen wir aufgrund unserer real existieren Welt für unmöglich halten. Dennoch dürfen wir das erhabene Moralgesetz nicht als Trugbild abtun und die Moral ins Wanken bringen, weil wir ihr unbedingt verpflichtet sind, sie grundsätzlich erfüllen und nach besten Kräften befördern können. Und wenn wir voraussetzen, dass Gott existiert, können wir auf unser verdientes Glück hoffen. Hier erwägt Kant verschiedene Varianten: Entweder teilt Gott jedem das Seine zu oder er hat die Welt so geschaffen, dass jedem das Seine zukommt. Für die Annahme der Unsterblichkeit gibt Kant zwei Gründe an: Zum einen können wir darauf vertrauen, dass irgendwann (auch nach dem Tod) alle ihren Anteil am Glück erhalten oder wir andererseits unendlich viel Zeit brauchen, um moralisch perfekte Personen zu werden. Insofern das zutrifft, sind der Glaube an Gott und Unsterblichkeit eng mit unserem praktischen, moralischen Selbstverständnis verbunden. Die Lizenz an diesen Glauben schließt das Prinzip der Hoffnung ein. Die beiden fundamentalen Ziele des menschlichen Lebens – Glück und Moral – können in Konflikt miteinander geraten, sodass sich ihre Vereinbarkeit als unsicher erweist und wir auf ihre Harmonie als höchstem Gut hoffen müssen. Das ist für Kant die Hoffnung auf die eigene Glückseligkeit, die alle Menschen teilen. Die kritische Nachfrage, ob wir für die Umsetzung davon den göttlichen Beistand brauchen, berührt nach Autorin Blöser nicht Kants Grundidee des Zusammenspiels von theoretischer und praktischer Vernunft, wobei er Letzterer die Führung einräumt. Als wesentlich handelnde Personen müssen wir uns in der Welt orientieren und wissenschaftliche, theoretische Erkenntnisse gewinnen, die sich oft nicht bestätigen, aber auch nicht widerlegen lassen. Daher können unsere praktischen, moralischen Belange dafür entscheidend sein, was wir über die Welt glauben.

 

Im vorliegenden Buch über Kants umfangreiches Werk geht es im Folgenden weltlicher zu

und die höchste Zielvoraussetzung wartet nicht erst nach dem Tod auf uns, sondern zum Beispiel als politische Hoffnung, der wir als politisches Ideal konkret näher kommen wie Verbesserung durch Bekämpfung von Armut und Unterdrückung. Zunächst befasst sich Claudia Blöser mit Kants Moralphilosophie „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und betrachtet diese aus der Perspektive „Freiheit und moralisches Gesetz“. Und zwar setzt Kant mit seiner Ethik beim Subjekt an, welches das Sollen, das für alle verbindlich gelten soll, selbst zustande bringt. Dafür setzt er den guten Willen der Person voraus, die nicht nur pflichtmäßig, sondern aus Pflicht handelt. Das heißt, moralisches Handeln wird aus richtigen Gründen, ein Gesetz achtend, jedoch auch aus Neigung vollzogen. Das Moralgesetz tritt immer als Imperativ auf, und zwar kategorisch als moralisches Prinzip a priori, das rein formal ist ohne empirische Bedingungen: Handle nur nach derjenigen Maxime als Grundsatz, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Das menschliche Handeln nach Maximen begründet unsere Freiheit und macht unseren Charakter aus, indem wir selbst entscheiden, ob und wann eine Neigung handlungswirksam wird, statt einfach impulsiv zu sein. Indes müssen wir unsere Maximen kritisch auf Widersprüche prüfen, wenn sie allgemeine Handlungsregeln sein sollen. In der weiteren Differenzierung der Problematik geht es noch um die Zweckformel, nämlich Gebrauch einer Person als Mittel und Zweck, sowie die menschliche Autonomie der Selbstgesetzgebung und gleiche Würde aller Menschen zu freien moralischen Entscheidungen. Kants Ethik ist als leerer Formalismus oder ebenfalls als Rigorismus z. B. vom Philosophen Hegel kritisiert worden, jedoch beispielsweise von Jürgen Habermas für seine Sozialtheorie als Anknüpfpunkt aufgenommen worden.

 

Nachdem Kant in seinen Kritiken die Reichweite und Grenzen der menschlichen Vermögen oder Hauptfähigkeiten bestimmt sowie deren Prinzipien a priori aufgezeigt hatte – nämlich für die Sinnlichkeit die Anschauungsformen, den Verstand die Verstandesbegriffe, die Vernunft das Moralprinzip a priori –, widmete er sich der Kritik der Urteilskraft und suchte dafür gleichfalls Prinzipien a priori, was Blöger in einem Kapitel „Das Schöne und Erhabene, das Lebendige und die Brücke zwischen Natur und Freiheit“ abhandelt. Für seine Kritik der Urteilskraft entwarf Kant eine ästhetische Theorie über das Schöne und das Erhabene, eine Theorie über das Lebendige als Beitrag zur Forschungslogik der Biologie sowie eine Theorie über die Verbindung zwischen Natur und Freiheit. Die Urteilskraft bedeutet für Kant die Fähigkeit, das Besondere im Allgemeinen zu denken und zu erkennen. Er unterscheidet die bestimmende Urteilskraft als Vermögen, die Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeit oder Anschauung unter die allgemeinen Ordnungsmuster, Begriffe und Grundsätze des Verstandes zu ordnen, sowie die reflektierende Urteilskraft, zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine als je eigenes Prinzip a priori zu finden. Und das ist das Prinzip der Zweckmäßigkeit, und zwar in dem Sinne einer gewissen Harmonie, dass Teile zu einem einheitlichen Ganzen zusammenstimmen. In Kants Ästhetik und Naturteleologie ist es die Idee, dass die Natur und unser Erkenntnisvermögen zueinander passen. Wohlgefallen und Interessenlosigkeit des Subjekts sind der Schlüssel zu einem Schönheitsurteil. Wenn dieses Geschmacksurteil von allen geteilt werden soll, müssen Verstand und Einbildungskraft bei Betrachtung des Gegenstandes in Harmonie Lust entfalten als allgemeines Lebensgefühl, das einem Gemeinsinn entspricht, was beispielsweise für die Üppigkeit der Gegenstände verschwenderischer Natur oder geniale Kunstwerke gilt. Dabei vergnügen sich Verstand und Einbildungskraft im ungezwungenen Spiel frei von begrifflichen Zwängen und ihrer Aufgabe, Erkenntnis zu erzeugen. Kant bringt den Bezug zwischen Geschmacksurteil und Freiheit bzw. Moral nach Blöser auf die Formel „Das Schöne ist Symbol des Sittlich-Guten“. Wir erleben nämlich aufgrund der „ästhetischen Beurteilung im Medium der Anschaulichkeit und gefühlsmäßig die Freiheit, deren Begriff in der Moral vorausgesetzt wird“. Mit dem Urteil über das Erhabene ist es ähnlich: Im Fall der Schönheit kommt es auf das zweckmäßige Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand an und beim Erhabenen von Einbildungskraft und Vernunft. Der wesentliche Unterschied zum Schönheitsurteil besteht darin, dass die Erfahrung des Erhabenen durch ein gemischtes Gefühl aus Lust und Unlust charakterisiert wird. Als Beispiel kommt die Erfahrung der Machtlosigkeit angesichts von Naturgewalten in Frage, die einerseits Unlust erzeugt und gleichzeitig eine Kraft in uns anregt, uns einer Überlegenheit über die Natur bewusst zu werden. Das ist unser moralisches Vermögen, nämlich die Freiheit, uns Menschen von der Naturordnung unabhängig zu machen. Es handelt sich dabei um subjektive Zweckmäßigkeit der Erkenntniskräfte des Subjekts.

 

Eine objektive Zweckmäßigkeit schreibt Kant den Objekten selbst zu und erklärt die Natur teleologisch oder zielgerichtet in dem Sinne, dass wir Organismen nur als Naturzwecke verstehen. Das heißt: Ein Ding existiert als Naturzweck, wenn es in sich Ursache und Wirkung zugleich ist, z. B. wenn ein Baum einen anderen erzeugt, wodurch sich Organismen von rein mechanischen Gegenständen wie einer Uhr unterscheiden. Ein organisiertes Wesen ist nicht bloß Maschine, sondern hat bewegende und sich fortpflanzend bildende Kraft. Insofern liegt es in der Eigenart des menschlichen Verstandes, in seiner Naturbetrachtung sowohl mechanisch-kausale als auch als auch teleologische Erklärungsmuster anzuwenden. Und deshalb führen Kants Reflexionen über Organismen zur Zielvoraussetzung eines „nach Absichten handelnden Wesen als Weltursache, also zu Gott und wir können nach der Zweckmäßigkeit der Natur als Ganzes fragen und schließlich, ob die Welt als Ganzes einen Zweck hat. Dieser letzte Zweck der Natur oder die zweckmäßig eingerichtete Welt ist unter der Bedingung möglich, dass sie ein geordnetes System als Hierarchie von Zwecken bildet. Und dieser Endzweck der Welt ist nach Kant der Mensch als „Krone der Schöpfung“. Hier stellt Blöser von heutiger Warte zurecht fest, dass man dies hinsichtlich der Unterwerfung und Ausbeutung der Natur als Ausdruck menschlicher Selbstüberschätzung oder Versuch philosophischer Legitimation werten und gegenüber diesem Anthropozentrismus mit dem Menschen als Maß aller Dinge im Zentrum eine bescheidenere Haltung anmahnen könnte, die der gebeutelten Natur zu ihrem Recht verhilft. Jedoch stellt die Autorin klar, dass der Mensch „nicht per se Endzweck“ ist, „sondern nur als moralisches Wesen“, was Kants Position die Spitze nimmt und sie für uns annehmbarer macht. Der Mensch als moralisches Wesen steht nicht außerhalb der Natur, sondern ist als ihr Teil zu verstehen ist. Daher ist die Natur von ihrer eigenen Struktur her der Moral zuträglich und die Moral wird durch Natur befördert und kann in der Welt verwirklicht werden.

 

All das, was ich hier im verkürzten Umfang und Zusammenhang dargestellt habe und im Original differenzierter, anschaulicher und verständlicher dargelegt ist, kann man als Erkenntnis-Grundlage nehmen, um philosophisch überzeugend das Kapitel zu betrachten, das Claudia Blöser dankenswerter Weise ins Buch aufgenommen hat und uns in der krisenhaften , von grausamen Kriegen erschütterten Gegenwart wahrscheinlich am meisten interessiert oder in der Seele brennt: „Politik und Fortschritt – Der Weg zum ewigen Frieden“. Kant nahm regen Anteil am politischen Geschehen seiner Zeit, die Französische Revolution von 1789 war ein Lieblingsthema in seinen Tischgesprächen, weil er sie als „Geschichtszeichen“ für den moralisch-politischen Fortschritt verstand, allerdings schwor er jeglicher Gewaltanwendung ab und setzte sich in seinen Schriften für den Frieden ein. Dieser durfte für ihn kein Waffenstillstand sein, sondern musste in einer dauerhaften Friedensordnung bestehen, die auf gesetzförmig geregelter Freiheit beruhte und im Staatsrecht, Völkerrecht und Weltbürgerrecht verankert ist. Die tragende Säule seines Staatsverständnisses stellt das angeborene Recht auf Freiheit dar und insofern kann Kant als Vordenker für die Menschenrechte gelten. Denn aus dem Recht auf Freiheit folgen unmittelbar die Gleichheit und Selbstständigkeit der Staatsbürger sowie die Meinungsfreiheit. Und dem Freiheitsrecht entspricht die republikanische Verfassung, die unserer heutigen Auffassung von repräsentativer Demokratie mit der Selbstgesetzgebung der Bürger nahekommt. Kants Staatstheorie war wegweisend für den politischen Liberalismus, indem Herrschaft auf Freiheit als angeborenem Recht gegründet wird und sich der Staat dadurch legitimiert, dass er individuelle Freiheitsrechte sichert. Indes legte Kant dem Volk bei ungerechter Herrschaft ein Widerstandsverbot auf, da Rebellion und Anarchie schlechter seien als jede Form staatlicher Organisation. Das Völkerrecht enthält Normen, die den Krieg regeln, bis er vollständig abgeschafft ist. Den eigentlichen Kern dieses Rechts bildet die beständige rechtliche Ordnung zwischen den Staaten, die ein Völker- oder Friedensbund gewährleisten soll. Ein solcher bestand vom Ersten Weltkrieg 1919 bis zum Zweiten 1944, als Nachfolgeorganisation versucht seitdem die UNO im Sinne Kants die Erhaltung der Freiheit der Mitgliedsstaaten, friedliche Streitschlichtung sowie den Schutz der Menschenrechte zu sichern. Dazu ist ein schwieriger Balanceakt zu vollführen: Einerseits bedarf es genügender Verbindlichkeit, um Staaten am Krieg zu hindern, andererseits darf die innere Autonomie der Staaten nicht eingeschränkt werden und eine Zusammenschmelzung zu einer globalen Supermacht muss verhindert werden. Über das Staats- und Völkerrecht hinaus hatte Kant die Idee des Weltbürgerrechts, dass Individuen auch noch Mitglieder einer globalen Rechtsgemeinschaft sind und ein Besuchsrecht auf fremden Boden haben sollten. Laut Blöser begründet Kant de facto ein Asylrecht, wenn er fordert, dass ein Besucher nur abgewiesen werden kann, wenn dies nicht seinen Untergang bedeutet. Gleichzeitig soll mit der Beschränkung des Gastrechts auf bloßes Besuchsrecht kein Recht der Ansiedlung auf dem Boden eines anderen Volkes erworben werden, um ausufernden Kolonialismus und ausdrücklich Sklaverei zu verhindern.

 

Schließlich fragt Blöser, ob es unhaltbarer Optimismus ist, wenn Kant seine Friedensschrift mit der Beteuerung endet, dass der ewige Frieden keine leere Idee, sondern eine Aufgabe ist, deren Erfüllung wir uns annähern können und müssen. Denn Kant nimmt an, dass die menschliche Geschichte ein Ziel hat und gibt die Bedingungen an, unter denen wir dies erwarten können, womit er die Grundlage für die Geschichtsphilosophie des Deutschen Idealismus schafft. Zwar sagt er, dass wir den Fortschritt nicht erkennen können, jedoch dürfen wir hoffen, dass wir auf dem Weg zum ewigen Frieden sind. Seinen Fortschrittsglauben gründet er zum einen auf den negativen Eigenschaften und dem zwiespältigen Verhältnis der Menschen zueinander wie Neid, Eifersucht, Habsucht, Arroganz und gewinnt ihnen als positive Seite Antriebskraft für die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten und Talente ab, insofern Kampf und Not zu ihrer eigenen Überwindung drängen. So unterstütze die zwiespältige Naturanlage des Menschen die Bildung staatlicher Gemeinschaften, in denen das Gegeneinander derart geregelt werde, dass die aufbauenden Effekte zum Wirken kommen. Außerdem führt Kant weitere natürliche Mechanismen für den Fortschritt ins Feld: 1. die friedensfördernde Struktur von Republiken, da die Staatsbürger sich gegen Kriegsleiden entscheiden; 2. die Tendenz des Handels zur Friedensbegünstigung; 3. die Funktion der Kontrolle durch die politische Öffentlichkeit. Zwar bergen die Veränderungen auch Sprengstoff für Konflikte, aber das ist kein Beweis gegen die Möglichkeit des ewigen Friedens und wir können unser Bestes geben, um ihn Schritt für Schritt zu realisieren. Denn wenn wir ein Ziel verfolgen, müssen wir vernünftiger Weise annehmen, dass seine Verwirklichung nicht unmöglich ist, und das heißt hoffen und gibt uns mentale Stärke. Das gilt heutzutage für unser Handel angesichts der Klimakatastrophe: Die Menschheit muss hoffend kooperieren, um für das Gelingen und unsere Zukunft kollektiv erfolgreich zu sein. Indes ist das nach Kants Ethik des guten Willens auch moralisch von uns allen gefordert.

 

Kants Leitidee zur Umsetzung: Aufklärung und die Befreiung von Vorurteilen, Selbstdenken und selbstbestimmte Lebensführung in funktionsfähigen Demokratien. Dazu kann das Buch von Claudia Blöser beitragen und ich hoffe als Neukantianer, dass ich mit dieser Rezension dazu anregen kann.

Cover des Buches Udo Jürgens. 100 Seiten (ISBN: 9783150206713)

Bewertung zu "Udo Jürgens. 100 Seiten" von Rainer Moritz

Udo Jürgens. 100 Seiten
dietrich_pukasvor 10 Monaten
Kurzmeinung: Weg und Aufstieg von Udo Jürgens zum Ausnahme-Künstler und Top-Star meisterhaft beschrieben
Weg und Aufstieg von Udo Jürgens zum Ausnahme-Künstler und Top-Star meisterhaft beschrieben

 

Rainer Moritz: Udo Jürgens – 100 Seiten

Reclam Verlag Stuttgart, Ditzingen 2023 

Rezension von Dietrich Pukas 30.06.2023 

Der völlig überraschende Tod von Udo Jürgens am 21.12.2014 erschütterte die Welt, jedenfalls mächtig den Autor des vorliegenden Buches Rainer Moritz, namhafter Essayist, Literaturkritiker und Udo-Jürgens-Kenner, sowie nicht minder mich selbst, der ich nun diese Rezension des gelungenen Werkes verfasse. Nur knapp 3 Monate nach seinem 80. Geburtstag, 2 Monate nach seiner brillanten Fernseh-Jubiläums-Show und 2 Wochen nach seinem letzten Konzert seiner Tournee „Mitten im Leben“ in Zürich starb Udo plötzlich auf einem Spaziergang am Bodensee in Münsterlingen/Schweiz. Mich traf die Nachricht schlagartig unmittelbar nach Bekanntwerden am Radio, als ich den Reisebericht meines Baltikumbesuchs schrieb, und ich war zutiefst ergriffen und betrübt, denn Udo war für mich das leibhaftige, ewig junge Vorbild zum Altwerden – seit ich ihn als 30-Jähriger bei einem Sommerurlaub in Velden am Wörthersee 1971 persönlich kurz, aber hautnah nach Mitternacht an der Theke im Hubertushof kennengelernt hatte. Und eine gleichsam wiederholende Betroffenheit richtete in mir jetzt das Buch von Rainer Moritz an, als ich dort las, dass es ihm, dem vertrauten Udo-Fan seit Jugendtagen, mit dem „Götterliebling“ ganz ähnlich erging wie mir. Da wir uns in der typischen Kneipenatmosphäre duzten, rede ich seitdem von Udo vorwiegend nur mit Vornamen und mache das auch hier; ich bin überzeugt, es ist in seinem Sinne. 

 

Indes zog mich Moritz vor allem in seinen Bann damit, wie er gekonnt und feinsinnig Udos Charakter analysiert, detailliert seine Lebensumstände schildert, meisterhaft seine Lieder interpretiert und die ganze Lebensmannigfaltigkeit dieses beispiellosen Ausnahme-Künstlers zum Mitfühlen entfaltet. Meine literarische Udo Jürgens-Faszination beschränkte sich bislang auf seine Autobiografie „Unterm Smoking Gänsehaut“ von 1994 und den Film über seine Familiengeschichte „Der Mann mit dem Fagott“ von 2004. Erstere inspirierte mich dazu, bei einem Zürich-Besuch das Corso-Haus am Bellevueplatz aufzusuchen und vom zufällig davor aufgebauten Riesenrad aus hoch oben einen wunderbaren Blick auf Udos Penthaus zu genießen. Und vom Film war ich so beeindruckt, dass ich mir erlaubte, in einem Kärnten-Urlaub den Bokelmannschen Familiensitz Schloss Ottmanach bei Klagenfurt in Augenschein zu nehmen. So erinnerte ich mich gerne an Beides bei der Lektüre von Moritz‘ aufschlussreichem Buch, während ich seine treffenden Ausführungen über Udos Musik aufgrund von Livekonzerten, Fernseh- und Rundfunkübertragungen, Tonträgerdarbietungen zustimmend nachempfinden konnte. Allerdings die offenbarten Informationen über das Agieren und die Strategien der Manager Hans R. Beierlein und Freddy Burger sowie die namhaften Texter etlicher Songs und ihren Einfluss auf Udos Erfolg waren für mich doch größtenteils überraschend und Neuland, jedoch sehr interessant, besonders weil Udo seine Identität und Glaubhaftigkeit bis zum Schluss voll wahren konnte. Und seine Wahrhaftigkeit von Künstler- und Menschsein, seine große Offenheit gegenüber Privatem und Affären machten ihn zum Publikumsliebling, dem man nichts dauerhaft übel nahm und der ebenfalls Politiker, Schriftsteller und die „nachrückende Musikergeneration“anregte. 

 

In diesem Sinne war es für mich angenehm und amüsant, den beschriebenen holprigen Karriereweg, begleitet von „Chrysanthemen, Gin und Knarren“ zu verfolgen – von den ersten Liedern ohne eigene Note über Seeleute, Indianer, Cowboys (Country-Welle) und seinem ersten Erfolgssong „Jenny“ auf dem belgischen Gesangsfestival in Knokke 1960. Zudem debütierte Udo als Filmschauspieler in Schlager- und Schnulzenfilmen, die auch in der Kulisse des Wörthersees gedreht wurden. Da internationale Stars wie Sacha Distel oder Bing Crosby, Opernsänger wie René Kollo oder Anneliese Rothenberger Udo Jürgens-Kompositionen aufnahmen, sah es zunächst so aus, als wenn er eher als Komponist denn als Interpret Karriere machen würde. Eindrucksvoll war schließlich sein Durchbruch mit „Merci Chérie“ 1966 beim „Grand Prix Eurovision de la Chancon“ in Luxemburg, wo Udo für Österreich antrat und was Moritz ausführlich als Meilenstein beschreibt und interpretiert: Udo als Sänger vom Leid der Liebe, des Abschieds und der Trennung. Um 1970 erhält er ein neues Etikett „Happy Udo“ mit Liedern wie „Anuschka“, „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“, „Es wird Nacht Senorita“. Udo geht erfolgreich 1969 auf Europa-Tournee, 1970 erscheint das großformatige „Udo-Jürgens-Songbuch“, 1971 noch überboten vom populären Sammelband „Warum nur, warum? Das Phänomen Udo Jürgens“. Udos Ruhm geht über normale Anerkennung hinaus, mit seiner Wirkung beschäftigten sich Feuilletonisten, Musikwissenschaftler, Soziologen, Theologen. Er gilt als „Solitär der Branche, der zwar eingängige Schlager schrieb, aber nicht als Schlagersänger galt“. Dieser Spagat gelang ihm viele Jahre, für das Publikum machte er nicht Musik – er war sozusagen Musik! 

 

Allerdings bekam auch Udo etwas von der damaligen Schlagerkritik als seichte Musik zur Volksverdummung mit systemstabilisierender Wirkung für den Kapitalismus und mit Bezug auf Theodor W. Adornos Vorlesungen zur Musiksoziologie ab. Doch seine Kompositionen und Texte gingen mit Gesellschafts- einschließlich Kirchen- und Papstkritik („Udo 70“) über die übliche „Herzschmerzwelt“ hinaus und tendierten eher ins Chansonlager. Markante Beispiele sind „Wer ist er?“ (1968) auf der Suche nach dem kosmologischen Gottesbeweis sowie „Gehet hin und vermehret euch“ (1988) gegen die Haltung der katholischen Kirche zur Empfängnisverhütung und Überbevölkerung. Das trug zu Udos beständiger Publikumsgunst und zum Sieg über die Skeptiker bei und stabilisierte seinen Ruhm als Ausnahme-Talent, das heißt: Unterhaltungskünstler als Weltversteher und Weltverbesserer. Moritz bietet mit einem Zitat von Günther Hunold einen unübertroffenen Höhepunkt der Interpretation: nämlich dass Udo Jürgens in seinen Konzerten mit Orgien-Charakter den Zuhörern einen künstlerisch gestalteten pausenlosen Orgasmus vermittele, wie man ihn sonst nicht erlebe. Im übrigen veranschaulicht und kontrastiert Moritz seine Favoriten-Darstellungen von Udos Person und Werk immer wieder reizvoll mit den Liedern bekannter Schlagersänger/-innen wie Gilbert Bécaud, Harry Belafonte, France Gall, Alexandra, Roy Black, Peter Alexander, Roland Kaiser, Helene Fischer und vielen anderen, deren „Ohrwürmer“-Songs einem im Gedächtnis sind und Udos Besonderheit demonstrierend verstetigen. 

 

In einem ausführlichen Kapitel befasst sich Moritz mit Udo Jürgens als Gesellschaftskritiker. Das begann mit „Babuschkin“ (1970) als Antimilitaristen, gefolgt von „Lieb Vaterland“ (1971), das sich – geprägt vom Studentenaufbruch der 1968er – gegen einen Ellbogen- und Haifischkapitalismus (Text vom Drehbuch- und Kabarettautor Eckart Hachfeld) wendet. Der kämpferische Text, vom Millionär und Österreicher Jürgens als Systemkritiker vorgetragen, sorgte für Furore und wurde von konservativen Publizisten und Anderen wie Elfriede Jelinek als „Ritt auf der linken Zeitgeistwelle“ gegeißelt, während das Publikum ihm auch das als Mahner abnahm. So kann er weiter gern gehört werden und erfolgreich gesellschaftliche Missstände anklagen wie in „Tausend Fenster“ (1968) die Großstadt-Einsamkeit im Häusermeer und im Laufe der Zeit alles, was zu kritisieren ist: atomare Bedrohung in „Am Tag davor“, übermäßigen Fernsehkonsum in „Die Glotze“, architektonische Sünden in „Schöner wohnen“, Arbeitsplatzrationalisierung in „Gefeuert“, Lebensmitteldiscounter in „Tante Emma“, Umweltzerstörung in „5 Minuten vor zwölf“ oder Digitalisierung in „Der gläserne Mensch“. Dazu konstatiert Moritz: Das wurden selten große Hits, jedoch blieben sie fester Bestandteil seiner Konzerte und konnten dem Publikum das Gefühl vermitteln, „keinem bloßen Heile-Welt-Abend beigewohnt zu haben“. Zu Bestsellern und Evergreens avancierten hingegen „munter getextete und rhythmisierte“ Lieder wie „Aber bitte mit Sahne“ (1976) als Warnung vor Wirtschaftswundervöllerei, „Ein ehrenwertes Haus“ (1975) als Anprangerung falscher bzw. Doppelmoral, „Griechischer Wein“ (1974) als Gastarbeiter-Problematik. Der treffende Kommentar von Moritz zusammengefasst: Angesichts der Kanzlerschaft Willy Brandts galt „Udo Jürgens als Sprachrohr des sozialliberalen Aufbruchs“, und zwar weil das Kritische in seinen Liedern anschlussfähig war, nämlich nur soweit ging, wie es dem gesunden Menschenverstand und Empfinden des Normalbürgers entsprach. Sofern in den Songs Auswege thematisiert sind, bleiben sie schlagerkonform vage und präsentieren Träume, Hoffnungen, Sehnsüchte. Den angebotenen Rückzug auf Freundschaft und Liebe, ins private Glück nennt Moritz „konsensfähigen Eskapismus“, während Udo und seine Fans der diesbezügliche Mittelmaß-Vorwurf nicht angefochten hat. 

 

Udos gesellschaftskritischem Engagement sowie seiner Kontaktanbahnung zur Bonner und Wiener Politikwelt stellt Moritz als „größten Missgriff des Jürgens-Oevres“ das Schnulzenlied „Buenos Dias Argentina“ (1978) gegenüber. Denn wie kein anderer seiner Fußballschlager reiht es Klischees von lieblichen Gitarrenklängen bis zur Völkerfreundschaft aneinander ohne Rücksicht darauf, dass das reale Argentinien seit 1976 von einer diktatorischen Militärjunta beherrscht und unterdrückt wurde. Für Moritz erweist es sich als Zynismus der Schlagergeschichte, dass ausgerechnet diese Langspielplatte als erfolgreichste Platz 1 der Charts erreichte und über 1 Million Mal verkauft wurde, während der Gesang zusammen mit Udo der deutschen Nationalelf kein Glück brachte, worin Moritz eine Art höhere Gerechtigkeit sieht und was ich als Nicht-Fußballfan verstehen kann. Und ich begrüße, dass im Buch ein längeres Kapitel über „die kleinen Dinge des Lebens“ des Geschichtenerzählers Udo Jürgens in den 1980er Jahren folgt. Dazu gehören Lieder, die Klassiker-Statur erlangten wie „Gaby wartet im Park“ (1981), eine Geschichte voller widerstrebender Gefühle, in der ein verheirateter Mann, der eine Liebschaft mit Gaby hat, mit sich ringt, die im Park Wartende nicht wieder zu sehn. Oder „Ich war noch niemals in New York“ (1982), ein Alltagsereignis im Kleine-Leute-Milieu, wo ein Familienvater abends im neon-hellen Treppenhaus auf dem Weg zum Zigarettenautomat angesichts von Bohnerwachs und Spießigkeit minutenlang seiner Sehnsucht nachhängt, endlich einmal einen verrückten spontanen Aufbruch zu wagen, um „wirklich frei zu sein“, um nach New York, Hawaii oder San Franzisco zu entfliehen, es aber bleiben lässt. In „Liebe ohne Leiden“ (1984) singt Udo mit seiner Tochter Jenny ein wärmendes Trostlied zum Abschied, um ihr gute Wünsche auf den beginnenden Lebensweg außer Haus mitzugeben. Mit „Ich schrieb nie ein Lied für Karin“ (1979) übt Udo ein wenig Selbstanklage für Versäumtes, füllt jedoch nachträglich geschickt die Lücke, indem er andeutet, wie schön es geklungen hätte, was er allerdings der Fantasie des Zuhörers überlässt. Zu diesen „leisen Liedern“, wie Moritz sie tituliert, führt er u. a. auch „Im Kühlschrank brennt noch Licht“ (1991) auf als mitternächtliche Szene, wo ein verlassener, einsamer Mann in eisiger und seelischer Kälte vor dem geöffneten Kühlschrank sitzt und als einzigen Trost die Lichtquelle darin betrachtet. Das Kühlschranklicht als letzter Trostspender und die Kühlschrankkälte als Kontrast zur Wärme der Liebe – das ist der Gipfel unendlicher Tristesse. Diese realitätsnahen Songs, die nicht nur ungetrübtes Schlagerglück verheißen, sondern auch Alltagskümmernisse und Lebensenttäuschungen aufgreifen, sind es nach Moritz, die Udos Werk dauerhaft populär machen, und nicht sein ehrgeiziges 35 Minuten umfassendes Projekt, die Dichtung „Die Krone der Schöpfung“ (1999), in der die Menschen als Giganten der Verschwendung und Überheblichkeit angeprangert und ermahnt werden, obwohl es die legendären Berliner Philharmoniker und Mario Adorf eingespielt und klassisch geadelt haben. Als ruhmreich für Udo führt Moritz noch ins Feld: die ARD-Show „Leben für die Lieder“ zu seinem 70. Geburtstag (2004) und die Geburtstagsfeier zu seinen Ehren anlässlich des 80. (2014). Indes strebte Udo noch zu künstlerisch höheren Weihen, indem er mit 18 seiner Lieder das Musical „Helden, Helden“ schuf, das mit bescheidener Resonanz 1972 im „Theater an der Wien“ uraufgeführt wurde. Mehr Anklang fand das Udo und seinen Songs gewidmete Musical „Ich war noch niemals in New York“, das nach seiner Premiere 2007 im Hamburger TUI-Operettenhaus dort jahrelang lief. 

 

Zum Schluss des Buches stellt Moritz die Frage „Was bleibt?“: ein authentischer Lieblingskünstler, dessen populäre Songs 9 Jahre nach seinem Tod ungebrochen gerne gespielt und gehört werden, dessen Andenken in treuen „Udo-Jürgens-Clubs“ gepflegt wird und zu dessen origineller, pompöser Grabstätte auf dem Wiener Zentralfriedhof Scharen von Fans pilgern, was ich auch noch vorhabe, obwohl Rainer Moritz das monströse Grabmahl als schwerer verhüllter Marmor-Flügel gar nicht gefällt, weil es wenig mit dem Auftreten des Sängers zu Lebzeiten gemein habe. 

Cover des Buches Sprachbildung für alle! (ISBN: 9783411756834)

Bewertung zu "Sprachbildung für alle!" von Juliana Goschler

Sprachbildung für alle!
dietrich_pukasvor einem Jahr
Kurzmeinung: Auf relativ wenigen Seiten sehr viel geboten und die Problematik treffend und vielseitig mit Lösungsvorschlägen dargestellt
Sprachliche Benachteiligung und Förderung - Problem und Aufgabe kompakt dargeboten

Juliana Goschler: Sprachbildung für alle – Eine Streitschrift
Dudenverlag Berlin 2023, ISBN 978-3-411-75683-4, 82 S., 10 €
Rezension von Dietrich Pukas 27.02.2023

Streiten sollte man für das, was im vorliegenden Buch steht, weil es vernünftig und angemessen ist sowie als Einsicht weit verbreitet und umgesetzt werden sollte. Als zentrale These des wichtigen, aufschlussreichen Debatten-Bandes geht es darum, dass grundlegende Sprachfähigkeiten die Voraussetzung für eine aktive Teilhabe der Bürger am gesellschaftlichen Leben und beruflichen Erfolg bilden. Dazu müssen allen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen geeignete Bildungsprozesse ermöglicht werden, die den Erwerb adäquater Sprachkompetenzen sichern. Das erweist sich als schwieriges Komplexvorhaben, das die Beteiligung und Mitwirkung der betroffenen Eltern, Erzieher/-innen, Lehrer/-innen, Sozialarbeiter/-innen sowie politisch Verantwortlichen erfordert. In erster Linie muss dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Bildungsinstitutionen: Kitas, Schulen, Hochschulen, Stätten der Berufsbildung, Einrichtungen der Weiterbildung begriffen, unterstützt, gefördert, nicht zuletzt finanziert werden.

Folgerichtig, ausführlich und versiert befasst sich die Autorin in dem Buch mit der didaktisch-methodischen Umsetzung dieses Mammutanliegens. Als Professorin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Oldenburg erweist sich Juliana Goschler in Forschung, Lehre und Veröffentlichungen als Expertin für sprachsensiblen Fachunterricht und Lehramtsausbildung. Und sie verfolgt den richtigen und wirksamen Lösungsansatz, nämlich die in unserer modernen Welt unverzichtbare, existenziell notwendige Bildungssprache im Fachunterricht, die speziellen sprachlichen Fähigkeiten in fachspezifischen Zusammenhängen zu vermitteln und zu trainieren. Jedenfalls kann ich das als langjähriger Deutschlehrer und Referendarausbilder in technischen Berufsschulen und weiterführenden beruflichen Schulen voll bestätigen.

Juliana Goschler beschreibt treffend die Problematik und das sprachliche Erfordernis, sich jeweils in verschiedenen sozialen Situationen, im Familien- und Freundeskreis, Freizeitbereich, in Schule und Berufsausbildung, Geschäfts- und Arbeitswelt passend auszudrücken, um gesellschaftsfähig und beruflich erfolgreich zu sein. Dazu muss man über Alltags- und Vulgärsprache, Jargon und originelle Jugend- bzw. Cliquensprache, Dialekte, lässige Sprechsprache hinaus die gehobene Bildungssprache und das gute Schriftdeutsch beherrschen. Letzteres lernen nicht alle je nach familiärer Herkunft, sozialer Schicht oder mit Migrationshintergrund optimal von klein auf im Elternhaus oder vorschulischen Einrichtungen, sondern oft und lückenhaft erst unter Schwierigkeiten in der Schule. Aber ein differenzierter Sprachgebrauch mit großem Wortschatz, in korrekten Sätzen und Satzgefügen entscheidet über fachlich gute Schul- und Prüfungsleistungen, auch in den zukunftsträchtigen MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. In der Arbeits- und Berufswelt kommt es ebenfalls auf die Kenntnis domänen- und fachspezifischer Sprache zur Kommunikation unter Fachleuten an. Statt einfachem Zeigen, Vormachen und Verständigen in Satzfragmenten bei zerlegten Arbeitsvorgängen am Fließband, die zunehmend durch Mechanisierung, Automation, Digitalisierung, maschineller Vernetzung erledigt werden, sind Zusammenhangswissen und präzise Ausdrucksweise gefragt: Sprachhandlungen, die auf dem Verstehen und Produzieren von Fachtexten beruhen wie Fehlermeldung, Ablaufdokumentation, Aufgabenbeschreibung, Bericht, Protokoll, Antragstellung, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Durch diese Verhältnisse erweist sich das Bildungsbürgertum bevorzugt und Goschler stellt vorhandene soziale Ungerechtigkeit fest, während andererseits Fachkräftemangel existiert. Deshalb fordert sie meines Erachtens streitbar zu Recht, dass Sprachenlernen und Sprachbildung nicht weiter überwiegend als Privatsache und Familienangelegenheit angesehen werden dürfen, sondern dass eine bessere öffentliche Sprachförderung der Benachteiligten durch das Bildungssystem eine dringliche Staatsaufgabe ist.

Der Autorin ist ferner in ihrer Argumentation zuzustimmen, dass sie in einem kurzen Exkurs die Mehrsprachigkeit und das Fremdsprachen-Lernen nicht als relevanten Teil des angesprochenen allgemeinen Sprachproblems erörtert und in dieser Beziehung typische Vorurteile gegenüber Migranten widerlegt. Sinnvoll und informativ erweist sich die Unterscheidung der Sprachmerkmale von gesprochener und geschriebener Sprache hinsichtlich Wortwahl und Satzbau. Da wird die Alltagssprache für die dialogische Kommunikation im Gespräch als einfacher Sprachgebrauch charakterisiert, während die Bildungssprache die Brücke zur Fachsprache herstellt. Aufschlussreich wird an Beispielen wie „Zelle, Kern, Kopf, Stern, Arbeit, Zapfen, Hahn oder Sitz“ veranschaulicht, wie diese in der Alltagssprache und in den Fachsprachen unterschiedliche Bedeutung haben. Daneben gibt es den spezifischen Fachwortschatz, der mit seiner Bedeutung direkt mit dem Fach verknüpft ist und dort gelernt wird: „Mitochondrium, Elektron, Gastritis, Galaxie, Knagge, Melaminharzdekor oder Überhangsmandat“. Außerdem weisen die Fachsprachen grammatische Eigenheiten auf wie Nominalisierung, Passiv-Konstruktionen, Bevorzugung der Zeitform Präsens in Naturwissenschaft oder Technik.

Damit können sich die Experten rationell und eindeutig verständigen, jedoch in der Vermittlungs- bzw. Lehr-Lern-Situation in Schule und Hochschule gilt es, eine Kommunikation zwischen Fachmann und Laien zu vollziehen. Dazu bedienen sich die Lehrkräfte in der Regel der Bildungssprache als Mittlerin. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Sensibilisierung für eine Kluft zwischen den vorhandenen Sprachfähigkeiten der Lernenden und den Anforderungen an die Aufnahme der Lerninhalte. Die Lehrenden müssen also darauf achten, dass ihre Schüler/-innen für den Lernerfolg auch Bildungssprache verstehen und produzieren können. Gleichfalls sind in dieser Hinsicht Missverständnisse oder Unverständnisse von Fach- und Lehrbuchtexten zu vermeiden. Insofern sind die Lehrer/-innen voll gefordert, die anspruchsvollen Unterrichtsgegenstände zunächst zu vereinfachen und auf dem Sprachentwicklungsniveau ihrer Schüler/-innen zu erklären sowie die Lernenden beständig an den bildungssprachlichen Sprachgebrauch heranzuführen. Und Gleiches ist für den geeigneten Gebrauch von Schulbüchern im Unterricht und zu Hause zu gewährleisten.

Schließlich beschäftigt sich Juliana Goschler mit der wichtigen Frage: Wie können Bildungsinstitutionen diese diffizile Aufgabe der Sprachschulung erfüllen? Denn die Verantwortung dafür kann nicht einfach auf die Eltern abgeschoben werden. Zwar sind sie in der Regel primär dafür zuständig, dass ihre Kinder von klein auf grundlegende Sprachkenntnisse erlangen und zur gesellschaftlichen Kommunikation befähigt werden. Aber wir bzw. die Gesellschaft und der Staat können nicht erwarten, dass alle Eltern in der Lage sind, bei ihren Sprösslingen über eine gewisse und unterschiedliche Beherrschung der Alltagssprache hinaus Bildungssprache und erst recht nicht Fachsprache in einem wünschenswerten Umfang anzubahnen, der ein gesichertes Auskommen in unserer komplizierten Welt garantiert. Dazu bedarf es einer ausreichenden Anzahl an professionellen Lehrkräften in den genannten öffentlich verantworteten Bildungsinstitutionen, die von Staats wegen leistungsfähig ausgestattet werden und allen Bedürftigen gleichermaßen zugänglich sein müssen.

Und die Autorin als ausgewiesene Expertin lässt keine Ausreden in Bezug auf einen Mangel an Zeit, Personal sowie Geld gelten und unterbreitet einschlägige Vorschläge zur Abhilfe. Trotz derzeit chronischer Unterfinanzierung unseres Bildungswesens verlangt sie z. B., dass Teamteaching mit einer Fach- und einer Sprachlehrkraft in der Lerngruppe zumindest auf längere Sicht zur Normalität an Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten werden muss. Ebenfalls ist notwendig, dass alle Lehrkräfte als obligatorischen Teil ihrer Ausbildung die Themen „Sprache, sprachliche Heterogenität, Sprache im Fach“ kennenlernen. In Lehrerfortbildungen sollte bereits sofort gezielt der Zusammenhang von sprachlichem und fachlichem Lernen einbezogen werden. Die ständige Integration sprachlicher Aspekte in den eigenen Unterricht erweist sich zwar schwierig, jedoch ansatzweise möglich wie beim Training des Fachwortschatzes oder mit Wortfeld-Übungen. Die Identifizierung typischer grammatischer Strukturen in fachlichen Formulierungen wie „wenn-dann-Beziehungen“ in der Mathematik, Satzgefüge mit logischen Verknüpfungen in der Physik oder von Eigentümlichkeiten der Politiksprache können besprochen, analysiert, sprachlich vertieft werden. Deshalb muss der schulische Deutschunterricht, der vornehmlich die allgemeinen bildungssprachlichen Kompetenzen in Rechtschreibung, Grammatik, Literatur und Mediengebrauch vermitteln soll, durch komplexe fachsprachliche Bemühungen im Fachunterricht, Fachstudium oder in der beruflichen Ausbildung unterstützt, ergänzt und verfeinert werden. Dazu sind die Fachlehrkräfte in allen Fächern, Ausbildungs- und Studiengängen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung unter tatkräftiger Mitwirkung der zuständigen Akteure in Politik und Administration in die Lage zu versetzen.

Insofern darf und soll sich – nicht zuletzt aufgrund der ansprechenden Aufmachung und Präsentation – ein sehr breiter Leserkreis von dem kompakten Buch zum Mitstreiten für den höchst wünschenswerten Fortschritt des Sprachlehrens und -lernens heraus gefordert fühlen und engagieren.



Cover des Buches Das Licht in uns (ISBN: 9783442317134)

Bewertung zu "Das Licht in uns" von Michelle Obama

Das Licht in uns
dietrich_pukasvor einem Jahr
Kurzmeinung: Lebensweisheiten für uns von einer ungewöhnlichen Frau und Bestsellerautorin
Lebensweisheiten für uns von einer ungewöhnlichen Frau und Bestsellerautorin

Lebensweisheiten für uns von einer ungewöhnlichen Frau 

und Bestsellerautorin 

 

Michelle Obama:

Das Licht in uns – Halt finden in unsicheren Zeiten 

Deutsche Erstausgabe München 2022 (Goldmann Verlag) 

Rezension vom 13.02.202Michelle Obama, die Ehefrau des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama (2009 – 2017) war nicht nur eine repräsentative First Lady der USA. Die Absolventin der Princeton University und Harvard School of Law arbeitete zuvor als Rechtsanwältin in einer Chicagoer Anwaltskanzlei, im Bürgermeister-Büro von Chicago, an der dortigen Universität und im Chicago Medical Center. Unter Anderem gründete sie eine Organisation „Public Allies“, die junge Menschen auf eine Laufbahn im öffentlichen Dienst vorbereitet, und engagiert sich in zahlreichen sozialen Projekten. Zu einer weltbekannten Persönlichkeit avancierte sie indes mit ihrem Bestseller „Becoming – Meine Geschichte“ (2018). An diesen Bucherfolg und die anspornende Resonanz auf ihrer begeistert aufgenommenen Vorstellungs-Tournee knüpft sie mit ihren Erfahrungen als aufstrebende Tochter, Mutter, Ehefrau, Freundin, Wahlkämpferin, Präsidentengattin, gesellschaftlich Engagierte im vorliegenden Buch an. 

 

„Das Licht in uns“ steht als Fingerzeig und Antwort auf die Fragen in unserer unsicheren Gegenwart, die ihr Menschen aus der ganzen Welt in den letzten Jahren gestellt haben: Wie können wir in Zeiten von Pandemien, globalen und persönlichen Krisen bestehen, wenn uns Konflikte, Hilflosigkeit, Selbstzweifel, Verdruss plagen und uns die Hoffnung auf die Zukunft zu rauben drohen? Aufgrund ihrer ganz persönlichen Erlebnisse und Einsichten ist sie überzeugt, dass wir in uns Fähigkeiten finden und mobilisieren können, mit denen sich Probleme im Kleinen und Großen, Nahem und Weitem besser bewältigen lassen. Und sie gibt dazu Einblicke, wie sie es selbst mit Klugheit, Nachdenklichkeit, Offenheit, Mitgefühl, Humor schafft, ausgeglichen und stark zu bleiben für sich, ihre Familie, Freunde*innen, Mitmenschen, auch insoweit es keine schnellen Antworten und einfache Lösungen für die Herausforderungen des Lebens gibt. 

 

Ihr Credo oder Glaubensbekenntnis ist, jeder Mensch trägt ein kostbares Licht, eine Flamme in sich als etwas Einzigartiges, Individuelles, das man in sich selbst und anderen erkennen muss, um mitfühlende Gemeinschaften aufzubauen und die herausfordernden Zeiten zu bewältigen. Dazu gilt es, seine Kraft zu finden sowie Angst, Zweifel und Hilflosigkeit zu überwinden. So entwirft sie eine nachvollziehbare Lebensstrategie, sich in einer Welt der Hindernisse zurechtzufinden, wachsam zu sein und seine Energie gezielt für den persönlichen Erfolg einzusetzen. Als durchgängige Thematik behandelt sie den Fragen- und Antwortkomplex des Andersseins, wobei sich ihre Probleme als Farbige, als Frau, als Bürgerin aus einfachen Familienverhältnissen, als erfolgreich Aufstrebende beispielhaft für die typischen Schwierigkeiten des Außenseitertums in unserer Gesellschaft stehen, von denen wir mehr oder weniger in den alltäglichen Situationen unseres Daseins betroffen sind. 

 

Auf dem Weg zu Selbsterkenntnis und Selbstvertrauen empfiehlt sie etwa die ermutigende „Stärke des Kleinen“ als stetiges Voranschreiten, indem man überlebensgroße Vorhaben in überschaubare Einzelschritte zerlegt und abarbeitet. Oder sie plädiert für den konstruktiven Umgang mit Angst, die man entschlüsseln soll, insofern man sie als Reaktion auf etwas Neues erklärt, Gefahren und Erwartungen reflektiert, Vor- und Nachteile abwägt. Um unsere Akzeptanz in der Gesellschaft, in sozialen Gruppen wie Familie, Schule, Ausbildung, Beruf zu erlangen, sollten wir unsere Außenseiter-Gefühle aufgrund von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Körpergröße, Geschlecht oder einer Behinderung, durch die man anders wahrgenommen und an den Rand gedrängt wird, zu etwas Besonderem und Vorteilhaftem machen, Ähnliche zum Vorbild nehmen und sich entsprechende Freundeskreise schaffen, was sie an Beispielen von sich selbst und ihrem familiären Umfeld beim Kampf um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit erläutert. Sie gibt auch Ratschläge, wie man seine Integrität bewahren und danach handeln, sich von seiner „besten Seite“ als Selbstverpflichtung sowie offen für Freundschaften zeigen soll. 

 

Einen Schwerpunkt in der Fülle ihrer Betrachtungen und persönlichen Erfahrungen bildet beispielsweise noch das Thema „Partnerschaft“. Michelle Obama setzt hier bei der Erziehung und Identitätsfindung ihrer beiden Töchter zu „ganzen Menschen“ an, die in einem geborgenen Zuhause aufwachsen, menschliche Reife zu einem unabhängigen Leben entwickeln und den Umgang mit Konflikten lernen. Am Beispiel ihrer Ehe mit Barack verdeutlicht sie, worauf es in der Partnerschaft ankommt. Beide müssen im Verschmelzungsprozess zweier Leben ihre Verschiedenheit und Gepflogenheiten bewahren können, damit Gewissheit und Zuflucht in der Partnerschaft möglich sind. Das setzt eine gewisse Schwankungsbreite voraus, Anpassung auf beiden Seiten, verbindliche Aushandlungsprozesse in der Ehe, wobei kein vollkommenes Gleichgewicht herzustellen ist. Eine starke Partnerschaft besteht in einer dynamischen Beziehung voller Veränderung, bei der sich Kompromisse ablösen. Nachsicht und Freiraum sind geboten, wenn einer Schaden nimmt, ist Zeit zum Rückzug. Anfälle von Groll sind normal, aber Partner verstehen sich als Team und nicht als Erfüllungsgehilfe für eigene Begehren und Probleme, sodass auf lange Sicht Bleiben statt Trennen eintritt. In diesem Zusammenhang sei auf eine schöne Metapher verwiesen: „beim sofortigen Problemgespräch am heißen Dampf der Verärgerung verbrennen“ anstatt unterschiedliche Bedürfnisse und Lebensweisen mit zu bedenken, den gemeinsamen Weg durch diese Gemengelage zu finden, aufeinander erklärend zu reagieren. Denn es gibt „kein starres Set an partnerschaftlichen Grundregeln“, sondern wir müssen mit einem hohen Grad an Flexibilität durch das Leben gehen. 

 

Das Thema „Familie und Kindererziehung“ hält Michelle für ein äußerst wichtiges Anliegen, das im Buch nicht nur mehrfach vorkommt und das sie nicht nur privat gepflegt, sondern auch als First Lady im Weißen Haus sowie in sozialen Projekten intensiv gefördert hat. Konkret hat sie für einen Realitätsscheck die Maxime ihrer „Grandma“ in fünf Regeln aufgeführt und kommentiert (S. 245 ff.). Kinder zeigen uns unverfälscht, wie sehr wir authentische Freude Wohlwollen brauchen, und lassen uns unser eigenes Licht erkennen und leuchten, damit wir einträchtig miteinander umgehen. Deshalb sollen Kinder zu Hause sie selbst sein dürfen, sich sehen und gehört fühlen. Sie sind als eigene Individuen zu unterstützen und sollen ungehindert die Welt erkunden können, sich realistisch darauf einstellen, was passiert, statt nach Plänen unter Kontrolle gesteuert zu werden. Sie sind zu ermuntern, Fragen und Gedanken zu äußern. So sollen sie das Licht in Anderen entdecken und mit natürlicher Neugier außerhalb im Leben nach mehr davon suchen. Also soll man bei Kindern stets das Beste annehmen und ihnen Vertrauen entgegen bringen. 

 

Schließlich greife ich noch ein relevantes Kapitel in Michelle Obamas Buch auf, das ihre Berufsarbeit und ihre politische Tätigkeit betrifft, insbesondere ihre Wahlkampf-Unterstützung für ihren Mann, damit dieser als Farbiger Präsident der USA werden konnte, nämlich die Bedeutung der Teamarbeit. Unter der Überschrift „Wir alle zusammen“ beschreibt sie sehr versiert und engagiert, dass heutzutage das Schaffen und der Erfolg von Spitzenleuten nur als Teamarbeits-Ergebnis zustande kommt. Dankbar und geradezu liebevoll äußert sie sich über die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihren persönlichen Mitarbeitern*innen, aber ebenfalls mit Gefolgsleuten zur Wahrung einer partizipatorischen Demokratie, gegründet auf der Idee freier Wahlen sowie dem Bekenntnis zu den Idealen der Menschlichkeit, die in der nachfolgenden Trump-Ära gefährdet wurden. Recht feinfühlig erzählt sie vom Schutzpanzer vor Panik und Desaster, den man bei gleichzeitiger Beweglichkeit benötigt, um in unserer Welt voller Linien und Grenzen zu bestehen. Man muss sorgfältig entscheiden, welche überschritten werden sollen oder nicht, um die eigene Flamme zu schützen, ohne sie zu verbergen. Manchmal ist es sinnvoll, sich zuerst zu fügen, um dann etwas zu verändern. 

 

Fazit: Auch dieses Buch von Michelle Obama hat es redlich verdient, auf der ganzen Welt gelesen und beherzigt zu werden! 

Cover des Buches Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen. (ISBN: 9783777630205)

Bewertung zu "Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen." von Franz Alt

Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen.
dietrich_pukasvor 2 Jahren
Höchste Zeit zur Rettung der Erde - Lebensgefahr und Hilfsmaßnahmen

Franz Alt/Ernst Ulrich von Weizsäcker: 

Der Planet ist geplündert – 

Was wir jetzt tun müssen 

Stuttgart 2022 

Rezension von Dietrich Pukas  06.072022 

Der Anlass für die vorliegende Veröffentlichung ist das 50jährige Jubiläum der Studie „Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ im Jahr 1972. Die Autoren beleuchten den Verlauf der krisenhaften Entwicklung und stellen dazu eine schonungslose Diagnose. Aber sie suchen auch nach den Möglichkeiten für die Zukunft und können bereits mit vielen praktikablen Lösungsbeispielen aufwarten, die es auf breiter Ebene zu entfalten gilt. Im Mittelpunkt der globalen Umsetzung stehen nachhaltiges Produzieren und Wirtschaften sowie das Gelingen einer menschengerechten Demokratie, indem wir von der Natur lernen und der göttlichen Schöpfung des gesamten Lebens gerecht werden sollen. Dann können wir es nach Ansicht von Alt und Weizsäcker noch vor dem Punkt ohne Umkehr bzw. „Kipppunkten“, nach denen es kein Zurück mehr geben könne, schaffen, den verheerenden Untergang der Menschheit zu stoppen und abzuwenden. Jedoch müssen wir uns sofort nach bestem Wissen und Gewissen ändern sowie kraftvoll handeln. 

Am Anfang zeigt uns Franz Alt unseren „Planeten in Lebensgefahr“, weil wir gegenwärtig schon die tatsächlichen Grenzen des Wachstums weitgehenden erreicht haben. Die derzeitigen Unwetter-, Flut-, Dürre-, Feuerkatastrophen, Zyklone, Tsunamis und Reaktorunfälle bis hin zur Corona-Pandemie offenbaren in brutaler Weise, dass wir Menschen die materiellen Grenzen einer endlichen Welt nicht beachtet haben. Die Klimakrise hat ihren Ursprung in ehrfurchtsloser Ausbeutung der Natur. Das Verbrennen fossiler Rohstoffe in ungeheurem Tempo hat Millionen Menschen das Leben gekostet und die Gesundheit geraubt. Weltweit haben 1,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser; täglich verhungern etwa 20000 Menschen. Tier- und Pflanzenarten sterben schneller aus als je zuvor, Gletscher schmelzen, Wüsten nehmen zu, das Klima erwärmt sich zu stark und gefährdet das 1,5 Grad-Ziel von Paris, das sich die Weltgemeinschaft 2015 als äußersten Katastrophenschutz gesetzt hat. Indes ist der Planet schon geplündert und hat Fieber, er darf nicht durch den weiteren Ausstoß von Treibhausgasen und Verpestung der Luft todkrank werden. Er darf auch nicht mit Müll und Abfall zugeschüttet werden und die Meere dürfen nicht mit Plastik verseucht werden. Bei der Klimaerhitzung geht es bereits um eine Frage von Leben und Tod, denn die Klimakatastrophe erweist sich als Menschheitskatastrophe. 

Doch wir wissen, dass ein gesellschaftlicher Wandel erforderlich ist, um die Klima- und Umweltschutz-Problematik zu lösen. Nach Alt und Weizsäcker brauchen wir eine „ökoplanetare Zukunftsvision“ und müssen einen „globalen Ökohumanismus“ durchsetzen. Dafür haben wir uns nicht zuletzt auf die geistigen Grundlagen der Schöpfung zu besinnen. Wir benötigen zur Bewältigung der weltweiten Krise eine „Ökospiritualität“, eine globale Ethik und ein Weltethos und können im Gegensatz zu früher auf enorme wissenschaftliche Erkenntnisse bauen. Insbesondere sollten wir die Ökonomie als eine Unterabteilung der Ökologie begreifen, welche wir als Lehre vom Zusammenleben aller Lebewesen in ihrer Umwelt und in der schöpferischen Natur achten müssen. Insofern soll die Ökologie künftig für ökonomisches Handeln nur im Rahmen der planetaren Grenzen verantwortlich sein. Akut bedeutet das: Klima- und Umweltschutz haben absoluten Vorrang, damit eine „grüne Revolution“ mit einer Wende zu solarer Energie, ökologischem Verkehr, nachhaltiger Landwirtschaft, Wasser- und Waldbewirtschaftung, nachhaltigem Bauen eingeleitet werden kann. In diesem Sinne müssen wir als denkende und moralische Wesen zusammenstehen, um in diesem Jahrzehnt den „Krieg gegen die Natur“ zu beenden und die große Transformation im 21. Jahrhundert zu ermöglichen: Das heißt die vollständige solare Energieversorgung der Menschheit als Grundlage der ökologischen Ökonomie, eine abfallfreie Kreislaufwirtschaft sowie Humanisierung der industriellen Revolution. Dann besteht noch die Chance, den Kollaps aufzuhalten und den Weltuntergang zu verhindern. 

Dazu ist ein wichtiges Anliegen im Buch, an „Beispielen positiver Entwicklung“ zu zeigen, dass und wie rasche notwendige Veränderungen zu bewältigen sind. Als Erfolge mit erneuerbaren Energien führen Alt und Weizsäcker u. a. auf: Deutschland produziert bereits heute fast 50 % seines Stroms erneuerbar, Island zu 98 % und Costa Rica zu 100 %. Das deutsche Passiv-Haus-Konzept spart 90 % des bisherigen Energieverbrauchs ein und findet gerade in China breite Anwendung. Chinesen kaufen schon mehr E-Autos als wir Europäer und in der südchinesischen 20-Milllionen-Metropole Shenzhen fahren 15000 Busse sowie sämtliche Taxis elektrisch. Die chinesische Regierung will nach ihrem jüngsten Fünfjahresplan „globale Supermacht der erneuerbaren Energien“ werden. Dänemark mit 6 Mio. Einwohnern baut einen riesigen Offshore-Windpark, der 10 Mio. Menschen Ökostrom liefern und zur Produktion von grünem Wasserstoff für Schifffahrt, Luftfahrt und Schwerindustrie dienen soll. Saudi-Arabien plant bis 2030 das weltgrößte Solarkraftwerk in der Wüste, das so viel Strom bereitstellen soll wie 70 Atomkraftwerke bei Kosten von 1 Euro pro Kilowattstunde. Zum Umweltschutz wird als mustergültig ins Feld geführt: Bayern und Baden-Württemberg haben sich gesetzlich verpflichtet, bis 2030 den Anteil des biologischen Landbaus zu verdreifachen und unsere Ampel-Bundesregierung will bis zum Ende des Jahrzehnts 30 % Ökolandbau einführen. Überall auf der Welt bereite man einen widerstandsfähigen Mischwald vor durch Vermeidung von Monokulturen und Kommunalpolitiker holen Wald und Bäume in die Stadt und bauen Radwege im Grünen aus wie in Helsinki, Stockholm, Amsterdam, Paris. Auch in Deutschland boomt der Radfahrmarkt dank E-Fahrräder und das Bundesverkehrsministerium fördert die Radinfrastruktur mit 600 Mio. €, während an 7 Hochschulen Lehrstühle für den Radverkehr als Universitäts- und Forschungsfach eingerichtet wurden. Für die Klimarettung wird beispielgebend vermeldet: Die Zahl der E-Autos hat sich bei uns im Jahr 2020 verdoppelt und in 2021 wurden hierzulande europaweit die meisten E-Autos verkauft. Die Bundesregierung stellt über 100 Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs bis 2030 zur Verfügung. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 wurden unsere Klimaschutzziele erhöht, um bis 2045 unser Land klimaneutral zu machen. Die EU will bis 2030 gegenüber 1990 nun 55 % weniger CO2 emittieren. Die USA wollen den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 gegenüber 2005 um 50 % reduzieren. Brasilien hat sich bereit erklärt, die illegale Abholzung des Amazonas-Gebietes bis 2030 zu beenden und seine Emissionen in den nächsten 10 Jahren um 50 % zu senken; Japan kündigte Letzteres mit 46 % im Vergleich zu 2013 an (S. 15 ff.). Dieses realistische Positiv-Szenario wird wie die Negativ-Bilanz an anderen Stellen des Buches mit Nachdruck für die Leser*innen ergänzt und vertieft. 

Die Rio-Umweltschutz-Konferenz von 1992 und das Pariser Klimaschutz-Abkommen von 2015 haben also nicht nur Hoffnungen geweckt, sondern führen in evolutionären Schritten zu konkreten Lösungsansätzen, die trotz aller Diktatoren und autoritärer Regime aufgrund von Überlebens- und Freiheitswillen, Weltbürgeridentität, Aufklärung und Solidarität rund um den Erdball umgesetzt werden müssen. Dabei betont Alt mehrfach, wie wichtig Frauen wie z. B. Raissa Gorbatschow oder Greta Thunberg in der Politik sind und dass es künftig auf eine Balance von männlich und weiblich in der Gesellschaft mehr denn je ankommt. Das Gelingen des grundlegenden Wandels muss gewährleisten, dass „ein gutes Leben in Würde für 10 Milliarden Menschen innerhalb planetarer Grenzen möglich ist. Als entscheidend erweist sich, dass die materiellen Grenzen des Wachstums in die Grenzenlosigkeit des Geistes, die das „Schlüsselwort für eine gute Zukunft“ darstellt, eingebettet sind. Daraus resultiert nämlich eine Lernwilligkeit, Lernfähigkeit und grundsätzliche Offenheit für neue Erkenntnisse: dass sich durch Geburtenregelung, Produktionsbeschränkung, Technologien zur Erosionsverhütung, Emissionsbekämpfung, Ressourcenschonung doch ein Gleichgewichtszustand erreichen lässt. In diesem Sinne wurden Updates und weitere Berichte erstellt und publiziert wie 2016 „Ein Prozent ist genug – Mit wenig Wachstum soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Klimawandel bekämpfen“, worin 13 Vorschläge zur Arbeits- und Einkommens-Sicherung, gerechteren Besteuerung, zum nachhaltigen Umweltschutz enthalten sind. Oder in der 6. Auflage von „Die Grenzen des Wachstums“ 2020 präsentieren die Autoren 10 alternative Szenarien, wie die Entwicklung im 21. Jhdt. ablaufen könnte, und wollen damit zum Lernen, Nachdenken und zu persönlichen Entscheidungen anregen. Weltweit kam allmählich eine wissenschaftsbasierte Umweltpolitik in Gang gegen den Klimawandel und für Abrüstung und Atomausstieg, eine globale Bewegung für die Anerkennung des Klimaschutzes als Menschenrecht. 

In dem lesenswerten Buch bemühen sich Franz Alt und Ernst Ulrich von Weizsäcker redlich, Überzeugungsarbeit für die Sache bei den Bürgern durch interessante Informationen und Argumentationen zu leisten. Dazu zählen neben Weizsäckers Erklärung markanter Wachstumsmodelle nebst kritischer Konsequenzen insbesondere Alts 18 Zukunftsthesen oder „Angebote des Überlebens“, die seine facettenreichen Ausführungen prägnant zusammenfassen und in deren Mittelpunkt sich die Interdependenzen allen Lebens sowie das Lernen und der Frieden mit der Natur befinden. 

Zur Motivation der Leserschaft dient neben der mannigfaltigen Inhaltsstrukturierung und Metaphern reichen, bildlichen Sprache eine alternierende Fokussierung auf die Sonne als unerschöpfliche Energiespenderin und natürliche Dauerlösung für die Umwelt- und Klimakatastrophe sowie unsere glückliche Zukunft. Dies geschieht mit Nachdruck an verschiedenen Stellen des Buches in immer wieder neuen Zusammenhängen. Einige markante Aussagen dazu sind: Die Sonne ist „der Stern, um den sich alles dreht“, obwohl nur einer von 200 Milliarden Sternen in unserer Milchstraße. Die Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium in der Sonne ist „die primäre Energiequelle sämtlicher Lebensprozesse, jede Sekunde wandelt sie fünf Millionen Tonnen Materie in Kernenergie um“. Wir Erdenbürger sind im Grunde Sonnenkinder und „baden im Energiefeld dieses kosmischen Lebensspenders“. Die Sonne funktioniert als Fusionsreaktor dort, wo sie die Evolution, Gott oder die Natur vor Milliarden Jahren platziert hat, nämlich in 150 Millionen Kilometern Entfernung zur Erde und von wo aus sie mit 15 Mio. Grad Hitze uns und unsere Solaranlagen mit einfacher, preiswerter, ungefährlicher Energie versorgt. So sollen wir uns nicht länger hinters Licht führen lassen, sondern selbst das Licht sein, indem wir uns für die Sonne öffnen. Wie ein Gag wirkt der Begriff „Solarbeton“, dabei sollen Solarzellen in Hausfassaden integriert werden, indem Beton durch Auftragen einer Schicht von fotoreaktiven Substanzen leitfähig wird und Energie liefert. „Mit Gott wird es gehen“, dem Leben auf der Erde die Zukunft durch die vielen Umwandlungsprozesse von Sonnenlicht in andere Energieformen zu sichern, sagt Alt, denn Gott sei die Sonne hinter der Sonne, die Urenergie aller Energien, der wir alles Leben verdanken, weil unsere Erde den exakt richtigen Abstand zur Sonne als Lebensspenderin hat. Die Sonne schickt keine Energie-Rechnung, sie ist im Überfluss vorhanden und kann den weltweiten Energiebedarf mehrfach decken, sodass wir die solare Energiewende herbeiführen können. Also ruft uns Alt zu: „Solarier aller Länder – vereinigt euch! Oder: Bürger zur Sonne, zur Freiheit!“ Und mein Appell lautet: Lest bitte alle das verständliche, aufschlussreiche Buch und zieht eure persönlichen Schlussfolgerungen! 

 

 



Cover des Buches Gier (ISBN: 9783777629667)

Bewertung zu "Gier" von Barbara Streidl

Gier
dietrich_pukasvor 2 Jahren
Eine Todsünde: GIER – Aufklärung und Überwindung

Barbara Streidl

GIER - Wenn Genug nicht Genug ist 

Stuttgart 2022 

Rezension von Dietrich Pukas 21.05.2022 

 

Gier gehört zum Menschsein und sie steckt als Todsünde mehr oder weniger ausgeprägt in uns allen. Über sie wurde auch schon frühzeitig nachgedacht: sowohl in der griechischen Antike als ebenfalls in der christlichen Dogmatik. Und sie beherrscht als grundlegende Problematik unser Leben heute mehr denn je, sodass Aufklärung zu ihrer Überwindung geboten erscheint, was Barbara Streidl in ihrem lesenswerten Buch anschaulich und gründlich besorgt. 

 

Gier, Habsucht, Geiz als Antrieb der Menschen: Wir wollen immer mehr ohne Ende und selbst dann, wenn es auf Kosten und zum erheblichen Nachteil Anderer geht. Wir tun es, da es in unserer Wachstums-, Konsum- und Überfluss-Gesellschaft normal und weit verbreitet ist, viel zu haben und trotzdem noch mehr zu wollen. Das gilt im Großen wie im Kleinen: ob ausbeuterische Unternehmer, „Heuschrecken“-Investoren, Miethaie, bestechliche Staatsdiener, Börsenspekulanten, Steuerbetrüger, Sozialhilfe-Mogler, skrupellose Schnäppchenjäger – sie wollen in ihrer Habgier den eigenen Vorteil ohne Rücksicht auf die Mitmenschen oder das Allgemeinwohl. Die Autorin erläutert die Gier in uns: woher sie kommt, wo wir ihr begegnen, wie sie uns ergreift und prägt, auf welche Weise wir sie bezwingen könnten, wenn wir überhaupt bereit werden, uns entsprechend zu ändern. 

 

Wie Geiz und Gier in unserer Gesellschaft verankert sind, schildert Barbara Streidl aktuell an markanten Beispielen und aus vielfältigen Perspektiven wie einem illegalen Hausabriss in München angeblich aus „Versehen“, der gerichtlich bislang nicht geahndet werden konnte, oder exemplarisch mit einem riesigen Pflegebetrug, der im bayrischen Gesundheitssystem stattfand, nicht zuletzt durch Ausbeutung und Bereicherung in Leiharbeiter- und Erntehelfer-Skandalen. Aber sie spürt der „neuen Habsucht“ auch in Werbeslogans oder Popsongs nach und zeigt „berühmte Maßlosigkeit“ etwa bei Popstars wie Elvis Presley und Madonna, jedoch ebenfalls bei bekannten Schauspielerinnen, Politikern oder anderen Spitzenpersönlichkeiten auf. Gleichfalls verfolgt sie „Habgier in der Bibel“ und beschreibt Auseinandersetzungen um Habsucht, Gemeinwohl und Nächstenliebe im Alten und Neuen Testament. Obwohl die Grenzen des Wachstums (Club of Rome) bereits vor 50 Jahren sichtbar waren, entwickelte sich unser Gesundheitswesen infolge von Profitgier und Trickmöglichkeiten in Teilen zum „Schlaraffenland für Kriminelle“. Angebahnt bzw. gerechtfertigt werden die zugrunde liegenden unmoralischen „Gierschlund“-Einstellungen und Verhaltensweisen durch ein ungelöstes Problem der Einkommensverteilung wegen Begünstigung der Superreichen und Machtelite. In der Trivial- und Comic-Literatur erweist sich der in Geld badende „Dagobert Duck“ als weltberühmter Vorzeige-Kapitalist und Muster für maßlosen Profit, wobei die Autorin eine Beziehung zu Donald Trump herstellt, während sie andererseits eine diesbezügliche Enthaltsamkeit moderner Moralphilosophie feststellt. 

 

Streidl trägt noch mehr Fälle vor, wie der Wohlstand der Einen den Übelstand der Anderen erzeugt und die Gier ins Grenzenlose treibt wie Billigkonsum und Kaufwahn zum Einen und menschenunwürdige Produktion zum Anderen, etwa bei der Kleiderherstellung in Niedriglohnländern und Wegwerfmentalität oder Fresswelle mittels Supermarkt-Strategien. Die vorgestellten Befunde der Psychologie zu Kaufsucht, Auswüchsen der Gier und Konsumverzicht fallen indes eher dürftig aus. Aber die Autorin beschäftigt sich ausführlicher mit dem Ende der Habsucht, der gesellschaftlichen Akzeptanz, das Begehren zu verändern in Richtung auf die soziale Befriedigung von Bedürfnissen für ein erfülltes, glückliches Leben. Denn viel Geld schafft nicht große Zufriedenheit: „Kein Gegenstand kann die Hohlstellen in einem Menschen auffüllen – nur der Mensch selbst.“ So möchten die Hochvermögenden lieber mehr spenden, als höhere Steuern zahlen. Das „Commons-Prinzip“ stellt eine Möglichkeit dar, durch Gemeingut wie die Weltmeere oder das Teilen von Besitz wie das Sharing von Autos, Fahrrädern, teuren Werkzeugen und Maschinen unter Nachbarn innerhalb einer Gesellschaft ein bereicherndes „Gefühl von genug“ herzustellen und unersättliche Gier zu überwinden. Soziale Ungerechtigkeit berechtigt jedenfalls Zukurzgekommene nicht, etwas zu stehlen und den anderen einfach wegzunehmen. Schließlich gewinnt das Nachhaltigkeitsverständnis angesichts der Klimakatastrophe an Zuspruch und Einsicht, auf Statusobjekte zu verzichten, den Überkonsum von Ressourcen global zu beenden und materiellen Fortschritt in eine sozial-ökologisch gestaltete Zukunft zu überführen. Um dieses Zieles willen ist die Lektüre dieses Buches möglichst allen zu empfehlen. 

Cover des Buches ICH BIN ICH (ISBN: 9783934969919)

Bewertung zu "ICH BIN ICH" von Margarete Friebe

ICH BIN ICH
dietrich_pukasvor 4 Jahren
BEWUSSTSEINS-EVOLUTION UND ICH-ENTWICKLUNG

 Margarete Friebe: ICH BIN ICH

Vom egositischen Alltags-Ich zum hohen geistigen Ich 

Paderborn 2019 

Rezension von Dietrich Pukas (07.06.2020) 

 Margarete Friebe ist Psychopädagogin und Inhaberin des Alpha-Instituts Adligenswil/Luzern sowie Gründerin der Schweizerischen Friedensstiftung „International White Cross“. Sie forscht seit 40 Jahren auf dem Gebiet der Tiefenpsychologie und spirituellen Philosophie, ist Autorin etlicher Bücher auf diesen Gebieten und betreibt seit 1973 eine umfangreiche internationale Lehrtätigkeit zur tiefenpsychologischen Management-Schulung. 

Im vorliegenden Werk lässt sie uns an ihrem persönlichen Weg der schwierigen Suche nach dem wahren Sinn unseres Lebens anschaulich und bewegend teilhaben. Aus ihrer leidvollen, trostlosen, vereinsamten Kindheit während des 2. Weltkrieges heraus interessiert sie sich bereits als Sechzehnjährige für die eigentliche Bedeutung unseres Daseins und will wissen, was unsere Welt im Innern zusammenhält sowie im Tiefen und Ganzen zu bieten hat. Den mühevollen Erkundungs- und Erkenntnisprozess vom „egoistischen Alltags-Ich zum hohen geistigen Ich“ beginnt sie in dem Buch zur fundierten Aufklärung und schrittweisen Führung der Leserschaft ans göttliche Ziel mit den mystischen Erlebnissen und Weisheiten der großen geistigen Lehrer der Antike. Indes schildert sie nur wesentliche Gedanken und Einsichten zum Kampf des Menschen um Dasein und Humanität, zur Persönlichkeits- und Seelenentwicklung in den Philosophien der altindischen, altpersischen, altägyptischen Denker. Beispielhaft sei hier auf die 7 „hermetischen Prinzipien“ verwiesen, die den Schüler auffordern „Beherrscher seiner Gedanken, Emotionen und Taten“ zu werden. Nach dem „Gesetz des Geistes“ ist alles real Existierende aus dem Geist oder der Idee geschaffen worden, auch der Mensch als Vorstellung des Ur-Schöpfers. Das konkret Vorhandene setzt also die Existenz des Immateriellen voraus und beweist diese. Nach dem „Gesetz der Entsprechung“ entspricht das Äußere strukturell dem Inneren, das Gegenständliche dem Geistigen, der Makrokosmos dem Mikrokosmos „Mensch“. Das „Gesetz der Schwingung“ sagt aus, dass alles Schwingung ist: das Atom wie jeder Gedanke, der sich qualitativ als informatives Schwingungsfeld fortpflanzt, zu einem bestimmten Gemütszustand führt und die Seele berührt. Alles schwingt und ist mit Allem verbunden. Gleiche Wellenlänge wirkt verstärkend und kann zur Tat anstoßen. Das „Gesetzt der Polarität“ besagt, das alles polar und als solches zur Bewegung zwischen positivem und negativem Pol notwendig ist. Auch die innere geistig-seelische Entwicklung erfolgt im Spannungsfeld zwischen gut und böse, Gott und Teufel (Luzifer), während der Mensch als individuelles, frei denkendes Ich-Wesen in der Mitte zwischen Beidem lebt. Das „Gesetz des Rhythmus“ lässt das Pendel der Polarität schwingen, sodass es keinen Stillstand gibt. Alles ist im Wandel von einer Stufe zur anderen. Dementsprechend soll man loslassen können, Blockaden auflösen und guten Fortschritt ermöglichen. Das „Gesetz der Kausalität“ bedeutet, dass es keine Wirkung ohne Ursache geben kann, wonach der Zufall nur ein Begriff für eine nicht erkannte Ursache ist. Also soll man nichts dem Zufall überlassen, sondern Fälle durch selbstbestimmtes Denken eigenverantwortlich entscheiden. Das verweist auf das „Gesetz des Geschlechts“, wonach sich jeder als individuelles Wesen begründen und behaupten soll, wenngleich männliche und weibliche Seinsformen in der menschlichen Seele „in befruchtender Harmonie miteinander wirken“ sollen. In diesem Zusammenhang plädiert Margarete Friebe für eine tiefe Herzens- und umfassende Friedensbildung auf der Grundlage dienender Liebe, wodurch Gier, Brutalität, Terror und Kriege überwunden werden sollen. 

So haben bereits die antiken Lehrmeister das Denken Margarete Friebes bereichert und beflügelt, wie sie eindrucksvoll und beispielhaft im Einzelnen schildert. Jedoch die entscheidende Bewusstsein-Erweiterung hat sie durch die christlichen Mystiker erfahren, die sie zum „Repräsentanten der personifizierten Ur-Liebe“ führten, nämlich zur „Ur-Lehre des Christus“ gelangen ließen. Sie berichtet die Herzenserlebnisse mit Gott begnadeter Persönlichkeiten wie Meister Eckehart, Jakob Böhme, Theresia von Avila, Emanuel Swedenborg und insbesondere die Auseinandersetzung um die göttliche Dreieinheit aus Vater, Sohn, Heiligem Geist zu einem persönlichen, wesenhaften Gott als „Urform des Menschen, die im Kleinsten und Größten lebt und alles mit seiner Liebe durchdringt“. So gewann sie die Überzeugung, dass „ein Gott existent ist, der nicht anonym, unfassbar in der Unendlichkeit ausgedehnt lebt, sondern ein durchaus erlebbarer Gott ist“. Und sie fühlte in ihrem Gemüt „die lebendige Anwesenheit Gottes“, fand aber auch in einem Psychotherapeuten und Theologen keinen Gesprächspartner für ein Wissen mit Herzenstiefe und Erkenntnissen, die zur „allumfassenden Liebe“ führen. Da empfand sie es als segensvolle Gnade, dass sie die umfangreichen Schriften von Jakob Lorber (Gesamtwerk in 25 Bänden, Bietigheim ab 1877 ff.) kennen und lieben lernen konnte. So bekennt sie pathetisch: „Alle meine mitunter noch auftauchenden Zweifel haben sich aufgelöst; das Tor zur Ur-Kraft und Ur-Liebe im Herzen öffnet sich immer ein wenig mehr und zeigt mir den Weg zum hohen göttlichen Ur-Ich, der eine segensreiche Bewusstseins-Evolution aufzeigt, an der alle Anteil haben, die mit gutem Willen sich strebend hinauf entwickeln wollen auf der Stufenleiter des Ichs – vom egoistischen zum hohen geistigen –, das die Hochzeit mit dem Ur-Ich krönend besiegelt.“ Das galt als neue Offenbarung des einzigartigen Sinns menschlichen Lebens auf Erden: Es gibt einen Gott der Liebe, der alle Menschen zu seliger Vollendung und zum ewigen Sein führen will. „Erkennet und liebet ihn über alles, und liebet ihn um seinetwillen auch alle eure Mitgeschöpfe!“ Lorber (1800-1864) wurde zum überzeugenden Verkünder dieser Botschaft, indem er seine Lebensstellung als Kapellmeister ausschlug und einer inneren Stimme folgte, die ihm wie die Stimme Jesu Gottesworte kundtat und ihn zum unermüdlichen Schreiben durch höchste Eingebung veranlasste. Und Margarete Friebe fand in seinem großartigen Weltbild die Bestätigung ihrer eigenen Erfahrungen und Erlebnisse, die in der Erkenntnis gipfelten, dass Gott selbst mit seiner unendlichen Liebe, Weisheit und Allmacht im Herzen und in der Seele eines jeden Menschen lebt und es als höchstes Ziel menschlichen Seins gilt, das angeborene embryonale, egoistische Ich im Lebensalltag zu überwinden und nach dem Ebenbild Gottes zum hohen geistigen Ich zu entfalten. 

Nach diesem Schlüsselerlebnis macht sich Margarete Friebe ans Werk und an ihre Lebensaufgabe, die Mitmenschen durch Wissensvermittlung, Aufklärung, herzlicher Zuwendung und Nächstenliebe, großer Ausdauer und Geduld auf die Stufenleiter der Bewusstseins-Evolution zu führen und in Erlangung des hohen geistigen Ichs mit Gott zu verbinden. Dazu untersucht sie im vorliegenden Buch den Ursprung des egoistischen Ichs und setzt sich zunächst mit den negativen Eigenschaften des Menschen anhand des schändlichen Treibens auf Erden von Luzifer als dem Ur-Teufel und Gegenspieler Gottes auseinander. Luzifer als der höchste von Gott geschaffene „Lichtgeist“ sollte im göttlichen Auftrag schöpferisch tätig sein und nach dem Willen Gottes Universen und Wesen erschaffen. Diese Aufgabe erfüllte er eine Zeitlang, bis er auf die Idee kam, seine verliehene Macht über Gott hinaus zu steigern und für eigene Zwecke zu nutzen. Diese eigensüchtige Überheblichkeit wurde mit seinem Fall in die materielle Welt und der Zersplitterung seiner Macht auf der Erde geahndet. Diesem Schicksal folgte ebenfalls der erste irdische Ur-Mensch Adam wegen seines luziferischen Verhaltens des Ungehorsams, wodurch der Egoismus geboren wurde. Zwischen diesen beiden Polen, der finsteren luziferischen Kraft und der edlen göttlichen Macht, lebt der Mensch als individuelles Wesen mit seinem Hang zum Egoismus und seinem denkenden Ich mit dem Willen zur freien Entscheidung zwischen beiden Seiten. Zudem ausgestattet mit dem „geistigen Organ“ des Gewissens, das bei schlechten Gedanken und Taten die Seele mit bedrückenden Gefühlen belastet und bei guten, mitmenschlichen Absichten und Handlungen ein seelisches Wohlgefühl erzeugt. In diesem Sinne machen die unreflektierten modernen Lebensumstände und Auswirkungen der oberflächlichen Massenkommunikation sowie die Gier nach Macht und materiellem Wohlstand heute viele Menschen zu Sklaven Luzifers. Margarete Friebe berichtet von der Bekanntschaft mit zahlreichen Personen während ihrer 40-jährigen Lehrtätigkeit, die sich als Gefangene ihrer Begierden, Abhängigkeiten und Schwächen fühlen und diese sehnsüchtig loswerden wollen. Sie setzt dagegen eine Begegnung in Güte und Warmherzigkeit, Nächstenliebe, geistig-seelische Herzensbildung, aufbauende, positiv-hilfreiche Gedanken, die das Gefühl der Steigerung des Guten in der Seele bewirken. Aber das egoistische Ich soll nicht verteufelt, sondern als erziehbare Teilpersönlichkeit mit einer ganzheitlichen Bildung für Geist, Seele und Körper verstanden und höher entwickelt werden, was die Autorin unter Einbeziehung der 7 hermetischen Gesetze und persönlicher Beispiele ausführlich erläutert. 

So kommen wir zum Herzstück des Werkes, aus dem die Leserschaft nach meiner Auffassung unmittelbar für die Sinnerfüllung des eigenen Lebens lernen und Konsequenzen ziehen kann. Da ist zum Einen das Kapitel über „die zu erringenden notwendigen Eigenschaften zur höheren Bewusstseinsbildung“. Im gesamten Lorber-Werk finden sich die 7 Eigenschaften Gottes, die wir Menschen in uns tragen und im Rahmen unserer Möglichkeiten im Alltag praktizieren sollen. Die erste Eigenschaft Gottes ist die LIEBE, durch die alles entstanden ist und die allem Geschaffenen das Leben eingehaucht hat, denn die göttliche Liebe ist das Leben selbst. Durch die täglich betriebene Nächstenliebe können wir immer liebesfähiger werden, besonders wenn wir nicht nur Freunde lieben, sondern uns auch der Unsympathischen, Schwachen, Hilfsbedürftigen annehmen. Um dem Unliebsamen ebenfalls Mitgefühl und Verständnis entgegen zu bringen, sollte man sich bewusst machen, dass er unwissentlich seinen negativen Teilpersönlichkeiten ausgeliefert ist. Außerdem müssen wir unseren Blick für die Not des Anderen schärfen und wir dürfen nicht gleich verzagen, wenn er auf unsere Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht wie erwartet reagiert. Wir müssen beharrlich lernen, nicht enttäuscht zu sein, indem wir uns selbst dahin erziehen, ein aufrichtiges Interesse am Wohl unserer Mitmenschen zu haben. Gottes Liebe wirkt nur zusammen mit seiner WEISHEIT als zweiter Eigenschaft, die das Wunder der Schöpfung hervorgebracht hat. Alles Geschaffene widerspiegelt seine Weisheit, nicht nur das nahezu unerschöpfliche menschliche Denken und der Erfindergeist, sondern ebenfalls der weisheitsvolle Instinkt der Tiere. Die Leistung, eine lebende Ameise zu erschaffen, ist gewaltiger, als eine Saturnrakete für den Flug ins All herzustellen. Denn der Mensch kann nicht die Natur, sondern nur Totes erzeugen (von der wiederum gottbasierten Fortpflanzung abgesehen). Es kommt auf das harmonische Zusammenwirken von Weisheit und Liebe an, besondrs in der Kindererziehung. Liebe ohne vernünftige Grenzen wird zur verhätschelnden „Affenliebe“ und Weisheit ohne Liebe bleibt kalt oder hochmütig. Als dritte göttliche Eigenschaft gilt der gute WILLE zur Tat, der den Geist und das eigenständige Ich antreibt, damit Fortschritt und überhaupt etwas entsteht. Ohne starken Willen gibt es keine Weiterbildung und keine Überwindung der Laster und negativen Teilpersönlichkeiten, auch keine Höherentwicklung auf der Stufenleiter der Bewusstseins-Evolution. Die göttliche ORDNUNG erweist sich als vierte Eigenschaft, die die gesamte Schöpfung durchzieht und gleichfalls unserem Denken, Wollen und Handeln die Richtung weisen sollte. Wir benötigen einen zielorientierten Weg für unseren Willen, um etwas Sinnvolles zu produzieren, eigene Ideen zu verwirklichen und selbstbestimmt unsere Persönlichkeit zu entwickeln, jedoch Chaos zu vermeiden und Katastrophen zu überwinden. Als fünfte göttliche Eigenschaft fungiert der ERNST, der uns motiviert, dass wir uns nicht gleichgültig, unverbindlich, oberflächlich verhalten, sondern mit standhaftem Willen unsere guten Absichten und Vorsätze umsetzen und unsere gewonnenen Erkenntnisse konsequent anwenden und beharrlich weiter verfolgen. Darin werden wir von der sechsten göttlichen Eigenschaft der GEDULD unterstützt. Sie benötigen wir, um dem verbreiteten Stress und der zermürbenden Hetze gelassen zu begegnen, damit wertvolle Ideenflüsse und Vorhaben nicht unterbrochen oder blockiert, zu früh aufgegeben werden oder gar in Fehlentscheidungen enden. Mit Langmut müssen wir unsere Schwächen und Fehler erkennen wollen und besonnen nach dem jeweils Besseren streben, gleichsam geduldig Verständnis und Mitgefühl für das Fehlverhalten der Anderen entwickeln und zur Vergebung und Versöhnung bereit werden. Damit sind wir bei der siebten göttlichen Eigenschaft der BARMHERZIGKEIT angelangt, die wie die Liebe all die anderen aufgeführten Eigenschaften durchdringt. Wo sie fehlt, kann das grenzenlose Ertragen und Gedulden ins extreme Nichtstun ausarten und zur Katastrophe führen. Vor allem sollte die Barmherzigkeit kein schädliches Verhalten rechtfertigen oder gar verstärken, sondern in Güte und Harmonie mit den anderen Basiseigenschaften zum Seelenfrieden beitragen und zur Entfaltung des hohen geistigen Ichs wirken. 

Diesen sieben Basiseigenschaften, die zusammen das Wesen Gottes repräsentieren und als Schöpfungsprinzip und höchstes Ur-Ich in jedem Menschen angelegt und zur Verwirklichung im Leben aufgegeben sind, stehen nach dem Gesetz der Polarität den sieben luziferischen Hauptleidenschaften als Hemmnisse zum Erringen des hohen geistigen Ichs gegenüber. Es handelt sich um die niedrigen Eigenschaften des egoistischen Alltags-Ichs des Menschen, nämlich „Hochmut, Herrschgier, eifersüchtigster Neid, tödlicher Geiz, unversöhnlicher Hass, Verrat, Mord“. Margarete Friebe setzt sich mit ihnen differenziert auseinander und liefert persönliche Ratschläge zur jeweiligen Selbstbeobachtung und zum Abbau-Training etwa mit Verzichtübungen. Denn das egoistische Ich will vieles im Übermaß und macht den Menschen zur Marionette seiner Gier und Unersättlichkeit, beraubt ihn seiner inneren Würde, entmenschlicht ihn. Allerdings sei hier angemerkt, dass ein gesunder Egoismus bis zu einem gewissen Grade durchaus überlebenswichtig ist und notwendig zur Daseinsbewältigung auf der Erde in dieser materiellen Welt gehört. Daneben und darüber darf man jedoch nicht den lohnenden, wichtigen Lebenskampf um die sinnerfüllende Bewusstseins-Erweiterung zum hohen geistigen Ich vernachlässigen; angesichts der abträglichen modernen Zivilisation gilt es eher im Gegenteil, sie nach besten Einsichten und Kräften zu forcieren. Jedenfalls werden wir – jeder nach seiner Herkunft, seinem sozialen Umfeld, seinen individuellen Maßen und Möglichkeiten – am Ende unseres irdischen Lebensweges in unterschiedlichen Situationen, mit einem verschiedenen Entwicklungszustand unseres hohen geistigen Ichs ankommen. Das wissen wir, daran gibt es keinen ernsthaften Zweifel. Aber es stellen sich mehr oder weniger vehement die Fragen aller Fragen: Was bedeutet mein irdischer Tod? Gibt es nach dem leiblichen Verfall für mich nur das Nichts oder eine Weiterexistenzchance im Jenseits? Habe ich eine unsterbliche Seele? Was passiert mit meinem hohen geistigen Ich auf dem erreichten Niveau? Kann ich auf einen gütigen Gott vertrauen oder muss ich eine strafende Macht befürchten? 

Für Margarete Friebe stellen sich diese Fragen in ihrer Konzeption und verinnerlichten Weltauffassung gar nicht (mehr?). Denn nach ihrer Überzeugung geht es im Jenseits für jeden Menschen auf der Polaritätsleiter der Bewusstseins-Evolution stufenweise weiter, so ähnlich wie auf Erden, bis das hohe geistige Ich des Menschen vollendet ist und in der glückseligen Hochzeit mit Gott vereinigt wird, das heißt mit dem göttlichen Ur-Ich, seiner Ur-Liebe, Ur-Weisheit, seinem Ur-Willen, gar mit dem Herzen Gottes, das in Jesus Christus als dem geistigen Ur-Menschen inkarniert ist. Um dies der Leserschaft anschaulich, aufgelockert-lebendig zu vermitteln, hat Margarete Friebe dramaturgisch sehr geschickt, ein ausführliches, eindringliches Zwiegespräch zwischen dem zweifelnden, fragenden Alltags-Ich (AI) sowie dem weise antwortenden Hohen Geistigen Ich (HGI) als umfangreiches Schlusskapitel ins lesenswerte Buch gesetzt. Gläubige, besonders überzeugte Christen müssten davon begeistert sein. Ich als rationaler Neukantianer, der ich der logischen Philosophie Immanuel Kants anhänge, empfehle es jedem zur Lektüre, der Fragen nach der Sinnfindung unseres Lebens hat und sich für die geistig-seelischen Grundlagen der menschlichen Existenz in dieser Welt interessiert. 

Zu Letzterem will ich abschließend noch einen Kommentar von meinem nüchternen Standpunkt aus abgeben. Nach meiner Logik sollte man für eine kritische Beurteilung beachten, dass die gegenständlich-materielle Welt und der geistig-seelische Bereich zwei verschiedene Seinsqualitäten nach dem Gesetz der Polarität sind. Das bedeutet, dass das Wissen da aufhört, wo der Glaube anfängt und umgekehrt. Demnach kann man annehmen, dass z. B. die berichteten Gotteserlebnisse der Mystiker wie auch ähnliche Nahtoderfahrungen in heutiger Zeit wahr sind, d. h. als Inhalte ihres hirnbasierten Bewusstseins tatsächlich so erlebt wurden. Aber das sind Diesseitserfahrungen und keine Aussagen über das Jenseits, seine Existenz und Beschaffenheit. So muss es sich ebenfalls mit der Grenzüberschreitung Margarete Friebes von der konkreten Wissensvermittlung im Diesseits zur Schilderung der Glaubensinhalte im Jenseits verhalten wie der Annahme der Stufenleiter zur Bewusstseins-Evolution oder der Hochzeit des hochgeistig-menschlichen mit dem göttlichen Ich. Sie mag es noch so überzeugend real empfinden und man darf darauf für sich hoffen und Trost spüren, jedoch bleibt es letztlich spekulativ. Einer ihrer Ratschläge lautet: „Rede täglich mit deinem göttlichen Vater in dir. Stell Ihn dir wirklich als höchstes Ur-Ich in ätherisch feinstofflich menschlicher Gestalt vor.“ Wohl dem, dessen Glaube und Fantasie das hergeben! Nach dem Kausalitätsgesetz von Ursache und Wirkung ist Gott als allmächtiger und allgegenwärtiger Schöpfer dieser Welt als logisch notwendige Zielvoraussetzung anzunehmen. Und wir wissen, dass es hinter der grobstofflichen Gegenstandswelt einen feinstofflichen Atom- und Quantenbereich gibt, in dem alles miteinander verbunden ist, den wir jedoch nicht mit unseren natürlichen Sinnen, sondern nur mit technischen Hilfsmitteln wahrnehmen können; trotzdem ist das immer noch diesseitiges Wissensgebiet. Die Hirnforscher können nachweisen, dass unsere Gedanken auf neuronalen Hirnströmen beruhen, jedoch können sie nicht erklären, wie diese ins Geistige umgewandelt werden und woraus diese andere Sphäre besteht. So setze ich Gott als abstraktes Schöpfungsprinzip in mir voraus und bete als solchem zu ihm. Dass man sich als gewissenhafter, guter, hilfsbereiter Mitmensch im Leben bewährt und sich für eine humane, friedvolle Daseinsgestaltung einsetzt, ist uns allen als verantwortungsvolle Bürger nach dem Gebot der Menschenrechte ohnehin aufgegeben. 

 

Cover des Buches Das Café am Rande der Welt (ISBN: 9783423209694)

Bewertung zu "Das Café am Rande der Welt" von John Strelecky

Das Café am Rande der Welt
dietrich_pukasvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Gestresster Manager wird im "Cafe der Fragen" auf einfühlsame Weise zu einer sinnvollen Lebensführung umgestimmt.
Zur Besinnung kommen und sein Leben sinnvoll gestalten

John Strelecky:

Das Café am Rande der Welt
Eine Erzählung über den Sinn des Lebens
41. Aufl. 2018 München (dtv)
Rezension von Dietrich Pukas (16.07.2019)

Da das Buch als internationaler Bestseller in 34 Sprachen ausgewiesen ist und ich gerne dem Sinn des Lebens nachspüre, reizte mich der kuriose Titel zum Lesen und ich erhoffte mir, durch eine angenehme Lektüre der Erzählung etwas Interessantes zu dem bedeutsamen Thema zu erfahren.

Ungewöhnlich gestaltet sich die Geschichte allemal, wird doch ein kleines Café im Nirgendwo der Welt zum Wendepunkt im Leben des gestressten Managers John. Eigentlich will dieser auf seiner Urlaubsfahrt direkt von der Büroetage an die Meeresküste von Hawaii in dem einsamen Café nur eine kurze Rast einlegen, weil er die Orientierung verloren hat, um einem unabsehbar langwierigen Stau zu entkommen. Aber er entdeckt neben dem Menü des Tages drei Fragen, die ihn in den Bann ziehen: „Warum bist du hier? Hast du Angst vor dem Tod? Führst du ein erfülltes Leben?“ Von Neugier gepackt, will er das Geheimnis lüften und begibt sich erwartungsvoll in das „Café der Fragen“, wie ein Neon erhelltes Schild in der eingetretenen Dunkelheit verkündet.

Während er des nachts bis zum Morgengrauen genussvoll ein einmalig opulentes Frühstück vertilgt, leisten ihm die Serviererin Casey, der Koch und Cafébesitzer Mike sowie deren Freundin Anne als Gast abwechselnd Gesellschaft und klären ihn in einfühlsamen, intensiven Gesprächen und mit trefflichen Beispielen aus dem Lebensalltag bis hin zum weisen Verhalten einer grünen Meeresschildkröte über die ungewöhnliche Komposition der drei Fragen und den implizierten  Sinn des Lebens auf. Dies geschieht nach und nach äußerst geschickt in einzelnen Gesprächsansätzen, wobei John im nachhaltigen Frage-Antwort-Spiel die entscheidenden Erkenntnisse selbst gewinnt und dadurch tief beeindruckt in seiner bisherigen Lebenseinstellung umgeprägt wird. Er begreift, weshalb er hier ist und lebt, warum wir Angst vor dem Tod haben und wie wir sie in einem erfüllten Leben überwinden können. Er findet mit Hilfe seiner klugen, erfahrenen Gesprächspartner seinen ZDE „Zweck der Existenz“ heraus und entwickelt seinen persönlichen Plan zur schrittweisen Veränderung seiner bislang zu wenig reflektierten Lebensweise, die ihn – von Werbung und Konsum verführt und auf der Jagd nach Geld und beruflichem Erfolg – vom eigentlichen Ziel seines Daseins abgehalten hat: nämlich im Leben vor allem das zu tun, was Spaß macht und der eigenen Bestimmung entspricht sowie im positiven Erleben das Glück herauszufordern und verblendeten Menschen mit der eigenen Begeisterung auf den richtigen Weg zu helfen, wie es die freundlichen, abgeklärten Vorbilder im „Café der Fragen“ tun.

Um den grundlegenden, ernsthaften Wahrheitsgehalt seiner netten, ja liebenswürdigen Erzählung über das ungewöhnliche Erlebnis im Café am Rande der Welt zu unterstreichen, schildert Strelecky zunächst in einem eher nüchtern gehaltenen Vorwort die Orientierungslosigkeit und Ausgangssituation des durch das Leben hetzenden Protagonisten. Und in gleicher Absicht schließt er seine fantasievolle Geschichte mit einem Epilog ab, der betont, wie der Erzähler in realistischen Schritten allmählich und pragmatisch sein Leben umgestaltet und nicht mehr zu seinem früheren Dasein hinter dem Tor der Erkenntnis zurückkehren will. Und es ist zu hoffen, dass das viel gelesene Buch mit seiner wichtigen Botschaft die Menschen erreicht und zum Umdenken animiert. 

Cover des Buches Eine Villa zum Verlieben (ISBN: 9783426517109)

Bewertung zu "Eine Villa zum Verlieben" von Gabriella Engelmann

Eine Villa zum Verlieben
dietrich_pukasvor 5 Jahren
Kurzmeinung: Drei unterschiedliche Frauen werden in alter Villa Freundinnen für's Leben.
Typisch menschlich - doch spannend

Gabriella Engelmann

Eine Villa zum Verlieben – Roman

Taschenbuch Neuausgabe, München 2015 (Knaur)

Rezension von Dietrich Pukas vom 01.01.2019

 “Warmherzig , liebevoll und romantisch“ lautet das Motto auf der Cover-Rückseite und man kann dem als Leitspruch zustimmen. Jedoch handelt es sich um einen ungewöhnlichen Liebesromen, der sich auf verschlungenen Pfaden voller Lebendigkeit, Abwechslung und Überraschungen auf seinen abschließenden Höhepunkt zu bewegt und für die entzündete und brennende Fantasie der Leser/-innen bis zum Schluss genügend offen lässt, das eigene Denken anregt und die Adressaten hautnah ins Geschehen einbezieht. Denn die Probleme, Verhaltensweisen, Überlegungen, Zweifel, Ärgernisse, Enttäuschungen, das Zaudern, Zögern, Verzagen und Versagen ebenso wie die Glücksmomente, die Euphorie und Sehnsucht, das Erträumen von Herrlichkeiten, der Eifer, das stürmische Vorwärtsdrängen, Erfolg und Erfüllung sind uns vertraut, weil wir sie aus unserem eigenen Alltag kennen, miterleben, erhoffen, jauchzend und bangend nachvollziehen können – aus persönlicher Anschauung und der Kommunikation oder Auseinandersetzung mit unseren Mitmenschen.

Wie ist all das möglich – mit einer „Villa zum Verlieben“ im Zentrum, wie der Titel verheißt? Nun, das schöne Domizil steht im noblen Hamburger Stadtteil Eimsbüttel in der Nähe der Außenalster, bezieht sich auf authentische Lokalitäten sowie auf fantasievolle Traumorte. Hier werden drei recht unterschiedliche wohnungssuchende Frauen zusammengeführt, die nur Eines gemeinsam zu haben scheinen: ihre Begeisterung für die alte Stadtvilla im Herzen Hamburgs. Stella ist eine ehrgeizige Architektin, die aus feudalen Verhältnissen stammt und hoch hinaus will, aber mit ihrem verheirateten Liebhaber nicht ins Reine findet. Leonie ist nach einer enttäuschenden Jugendliebe in die Großstadt gekommen und arbeitet in einem Reisebüro, wo sie großen Zoff mit ihrer Chefin hat und zermürbend gemobbt wird; sie sehnt sich nach einem eigenen harmonischen Familienleben. Nina ist zerütteten elterlichen Familenverhältnissen entflohen, hat zudem eine gescheiterte Liebesbeziehung hinter sich; sie ist eine leidenschaftliche Gärtnerin und wirkt erfolgreich in einem renommierten Blumenladen, muss sich jedoch wegen Geschäftsaufgabe beruflich umorientieren und sorgt sich also um ihre berufliche Zukunft. Alle drei sind um die Vierzig, haben einschlägige Lebenserfahrungen und typisch menschliche Schwierigkeiten. Sie ziehen in die preisgünstigen drei Zweizimmer-Wohnungen der renovierungsbedürftigen Villa ein mit dem Vorsatz, jede auf ihre eigentümliche Art ein neues, besseres, zufriedeneres Leben zu beginnen.

Geschickt gelingt es der Autorin Gabriella Engelmann, die ungünstige Ausgangslage, die unterschiedlichen Lebenseinstellungen, Tagesabläufe, Charaktere, Verhaltensweisen der Frauen, ihre Animositäten und Sympathien, Zerwürfnisse und Versöhnungen, fortwährend auch innerhalb der einzelnen Kapitel alternierend, zu verknüpfen, was zunächst etwas gewöhnungsbedürftig sein mag, aber zwecks damit verbundener Spannungssteigerung gerne zu akzeptieren ist.  Im Laufe der Tagesereignisse werden aus den Kontrahentinnen – temporäre Rückfälle in die Separation eingeschlossen – drei Freundinnen für das Leben geschmiedet, die sich helfen, voneinander lernen, sich ergänzen, verändern und ein gemeinsames zukunftsfähiges Dasein in der Villa mit dem parkähnlichen Garten entwickeln. Dabei erweist sich als originell und überraschend, wie sie ihre beruflichen Probleme lösen, sich bei der Partnerfindung unterstützen, eine ungewollte Schwangerschaft meistern, ihre verzwickten Aufgaben mit Bravour bewältigen zum Vergnügen der Leser/-innen, die ahnungsvoll gerne der gelungenen Inszenierung folgen werden. 

Cover des Buches Vermessung der Ewigkeit (ISBN: 9783453703292)

Bewertung zu "Vermessung der Ewigkeit" von Eben Alexander

Vermessung der Ewigkeit
dietrich_pukasvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Fortsetzung und Vertiefung der Konsequenzen aus der einmaligen Nahtoderfahrung des Dr.med. Alexander in "Blick in die Ewigkeit"
Interessante Erforschung des Jenseits und der Ewigkeit

Eben Alexander mit Ptolemy Tompkins:
Vermessung der Ewigkeit –
7 fundamentale Erkenntnisse über das Leben nach dem Tod
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Juliane Molitor

3. Aufl. München 2017

Rezension von Dietrich Pukas vom 24.06.2018

Das Buch stellt die Fortsetzung und Vertiefung der Konsequenzen aus der einmaligen Nahtoderfahrung des Gehirnchirurgen Dr. med. Eben Alexanders dar, die er in seinem Weltbestseller „Blick in die Ewigkeit“ anschaulich geschildert hat. Eine schwere bakterielle Meningitis hatte ihn 2008 für sieben Tage in ein tiefes Koma gestürzt und sein Bewusstsein völlig ausgeschaltet. Währenddessen erlebte er als sein wahres oder spirituelles Selbst eine fantastische, aber wirklich anmutende Reise ins Jenseits zu Gott im himmlischen Reich der Ewigkeit. Wie durch ein medizinisches Wunder kehrte er ins Leben zurück und wurde vollständig gesund, sodass er seitdem als aktueller Botschafter Gottes mit leidenschaftlichem Engagement den Menschen auf der Erde Hoffnung und Zuversicht spendet. Aufgrund einer ganzheitlichen Verbindung von Wissenschaft, Spiritualität und persönlicher Erfahrung erforscht er nun unser irdisches Leben im großen Rahmen der Geschichte und der spirituellen Entwicklung des Universums und ergründet die Unsterblichkeit unserer Seele als Bestandteil eines universalen Bewusstseins, wobei ihn eine Vielzahl betroffener Informanten und Helfer unterstützt hat und fördert.

Aus der Fülle dessen, was er alles an spirituellem Wissen hinter und

Jedenfalls können wir am Ende rational und emotional begründet an die Unsterblichkeit unserer Seele glauben und auf ein in Gott gefügtes Jenseits hoffen (vgl. ausführlicher D. Pukas: Philosophie zwischen Wissbarkeit und Glaube 2018). über unserer konkreten, irdischen, in Zeit und Raum bestimmten Welt zusammen getragen hat und vor uns ausbreitet, greife ich einige schlüsselwortartige Aspekte auf. In der Einleitung setzt er sich auf vielfältige Weise mit dem Begriff der Realität auseinander, dass der Mensch nur zum Teil als Körper aus Erde gemacht ist, die Materie aus chemischen Elementen besteht und die chemische Struktur des Lebens auf Kohlenstoff basiert. Zudem findet ein ständiger Austausch der Elemente und eine Erneuerung der Körperzellen statt. Die also „handfeste“ Materie der uns umgebenden physischen Welt befindet sich im chemischen Wandel und laufend im Fluss. Demgegenüber präsentiert sich der „himmlische Teil des menschlichen Wesens“, nämlich unsere unsterbliche Seele durchaus als beständig und existent. „Liebe, Schönheit, Herzensgüte und Freundschaft“ seien „so real wie Regen, Butter, Holz, Stein, Plutonium, die Ringe des Saturn oder Salpeter“. Früher zweifelten die Menschen nicht daran, dass die spirituelle Welt real ist und Alexander zitiert den Quantenphysiker Max Blanck, der als Urgrund der Materie einen intelligenten Geist annahm. Die quantenmechanischen Experimente auf subatomarer Ebene sind auf unsere Vorstellungskraft und das Bewusstsein angewiesen, sodass Physik und Hirnforschung ein unabhängig vorhandenes Bewusstsein als Basis von allem, was ist, akzeptieren müssten. Daraus folgt die zentrale Bedeutung des Bewusstseins sowie die Einstufung des Menschen als spirituelle Wesen mit Seelen, die in einer geistigen Welt existieren, und als materielle Wesen mit Körper und Gehirn, die in einer materiellen Welt leben. So sollten wir uns der Wahrheit öffnen, die unsere Vorfahren noch kannten: „Es gibt eine größere Welt hinter der, die wir Tag für Tag um uns herum wahrnehmen.“ Nach Alexanders Verheißung erweist sich diese Welt liebevoller, als wir uns es vorstellen können, und tief in uns sollten wir nach der Erinnerung daran suchen, wobei uns das Buch leiten soll.

Im Rückgriff auf die großen vorchristlichen Denker Platon und Aristoteles sowie die Mysterienreligionen legt Alexander anschaulich dar, welches Wissen über die jenseitigen Welten bereits die Menschen der Antike hatten, und er fordert von den modernen Wissenschaften, dass sie daran anknüpfen sollten, um die universale Welt heute umfassend zu deuten. Er bezieht sich dabei auch auf sein Nahtoderlebnis, das als eine Art moderne Mysterieninitiation seine einst verengte Weltsicht als Hirnchirurg gewaltig verändert und für übersinnlichen Input geöffnet hat. So wurde er wie Andere ein „Eingeweihter“ und Bewohner zweier Welten und widmet sich der Mission, neue Eingeweihte oder Anhänger für ein höheres Weltverständnis zu gewinnen, in dem der Geist des Mystikers Platon und der des Realisten Aristoteles zusammen kommen einschließlich innovativer Methoden und Wege dorthin. Unter Bezugnahme auf Natur- und Geisteswissenschaftlicher wie Newton und Descartes führt er uns von der körperlichen Sehkraft in der äußeren, materiellen Welt unter die Oberfläche zum spirituellen Sehen in der inneren Sphäre des Geistes, der Seele und des universalen Bewusstseins. Das Aufregende für mich ist dabei, dass er seit seiner Nahtoderfahrung den Mystikern darin zustimmt, dass das „Himmelreich“ nichts Abstraktes, kein Wunschdenken oder keine Traumlandschaft ist, sondern dass es dort Objekte gibt wie Bäume, Felder, Menschen, Tiere, sogar Städte, Seen, Flüsse, Meere, Gewitterregen. Allerdings funktionieren diese Dinge nicht nach unseren irdischen Regeln, sondern nach den „Gesetzen der himmlischen Physik“. Sie sind ultra-real: „viel zu real, um real zu sein“, alles ist eins und hängt zusammen, ist ohne grundlegende Trennung; Raum, Zeit und Bewegung gehen in den spirituellen Modus über. Indes sei gewiss, dass wir dort landen und hingehören, wo uns die Liebe in uns und als „Essenz des Himmels“ leitet. Und wir sind gut beraten, Liebe, Mitgefühl, Vergebung, Ehrlichkeit bereits im Diesseits walten zu lassen, denn die Liebe (die Gott ist) besteht in beiden Seinsbereichen und bleibt uns erhalten.

Im Gesamtzusammenhang hält Alexander ein Plädoyer für den Glauben, weil er die Gläubigen stark macht, insofern er eine feste Zuversicht auf das ist, was man erhofft. Wissenschaft bzw. Wissen und Glaube sind als beide Arten von Weltverständnis eng miteinander verflochten und haben unsere Kultur geformt. Wissen setzt den Glauben voraus, um die Welt verstehen zu können. Denn wir müssen glauben, dass sie einen Sinn hat und für dieses Verständnis offen ist, was die unabdingbare Glaubenskomponente hinter jeder Art von Wissenschaft ist und den geistigen Bereich als real erweist. Und der Mensch ist mehr als die einfache irdische Person, er muss bereit sein zu sterben, um das größere Wesen der himmlischen Person zu werden. Das können nicht die empirische Psychologie und Hirnforschung ergründen, dazu sind wissenschaftliche Befragungen nach mystischen Erfahrungen und Erleuchtungserlebnissen angebracht. Damit könnte begriffen werden, dass „unsere Odyssee durch die Materie“ kein Test ist, sondern die Evolution des Kosmos selbst mit uns als Hoffnungsträger Gottes. Jedenfalls liegt es in der Verantwortung der Wissenschaftler, kein Wissen zu unterdrücken, wie heikel es auch sei. Wissenschaft, Religion und Spiritualität müssen als Partner betrachtet werden und als solche agieren, damit das Universum ganzheitlich erschlossen, auch das Leid auf der Welt als Drama der irdischen Existenz relativiert und überwunden werden kann, indem wir die Fesseln des Lebens in der linearen Zeit sprengen und uns (wieder) zu dem multidimensionalen Wesen entfalten, das wir im Kern immer sind und in früheren bzw. östlichen Religionen übereinstimmend als Teil Gottes in uns selbst angesehen wurde und das Göttliche zum Zentrum aller Gipfel und Mittelpunkte macht.

In seinem Schlusswort des Buches hat mich Alexander auch noch mit einer unerwarteten Überraschung verblüfft. Er stellt den Sinnspruch voran: Wer das Geheimnis des Klanges enträtselt, der kennt das Mysterium des gesamten Universums. Wie wir von seinem Nahtodereignis wissen, „bildeten Musik, Klang und Schwingungen Schlüssel für den Zugang zum gesamten Spektrum der geistigen Reiche“ – von der „kreisenden Melodie aus reinem weißem Licht“ bis hin zu den Engelschören und schließlich zu Om, der Gottheit des Urklanges (in der hinduistischen Tradition). Dieses Erlebnis mit dem Om als dem Ursprung von allem Existierenden hat Alexander zur Klangforschung geführt, wo ihm mit dem Einsatz von Musik und Manipulationen von Klangfrequenzen ein ungewöhnlicher Ausflug in tief transzendente Bewusstseinszustände ermöglicht wurde. So wollte er die Informationsarbeit seines Neokortex im Gehirn neutralisieren, um die großartige Bewusstseinserweiterung während seiner Jenseitsreise nachzuahmen, indem er seine Gehirnwellen mit bestimmten Frequenzen synchronisierte. Und es gelang seit 2011, mit Hilfe ausgeklügelter Techniken von erfahrenen Klangspzezialisten und Audio-Komponisten das Gehirn in wachem Zustand von außen durch elektrisches Stimulieren so zu beeinflussen – da im subatomaren Bereich alles Schwingung ist –, dass ihm wie auch Anderen vorübergehend in Klang gestützten Meditationen tiefgründige, spirituelle Erlebnisse wie aus seinem Koma-Geschehen zuteil wurden. Und was zudem erstaunlich ist, die Klangforscher griffen zur Gestaltung ihrer Verfahren auf archaeoakustische Untersuchungen, nämlich das Studium der akustischen Eigenschaften alter Kultstätten zurück. Man hat festgestellt, dass etwa die Große Pyramide von Gizeh in Ägypten und die prächtigen mittelalterlichen Kathedralen auf der Welt wie Notre-Dame de Chartres so gebaut wurden, dass ihre Gebäudestruktur bestimmte Klänge verstärkt. Orgelmusik und Chorgesänge bescherten den Gottesdienstbesuchern in Resonanz mit der besonderen Akustik erhebende spirituelle Erlebnisse, die sie dem Göttlichen nahe sein ließen. Alexanders Schlussappell: Wir sollen unsere Achtsamkeit kultivieren und die Tiefe sowie wahre Natur unseres Bewusstseins, unsere persönliche Verbindung zu allem, was ist, selbst erforschen. Seien wir dazu bereit, mit Alexanders Büchern können wir den Einstieg wagen! Jedenfalls können wir am Ende rational und emotional begründet an die Unsterblichkeit unserer Seele glauben und auf ein in Gott gefügtes Jenseits hoffen (vgl. ausführlicher D. Pukas: Philosophie zwischen Wissbarkeit und Glaube 2018).

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Dr.rer.soc. Dr.phil. Dipl.-Päd.

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Biografien, Sachbücher, Liebesromane, Erotische Literatur, Literatur, Unterhaltung

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