„All-Age-Fantasy ohne Dämonen und Werwölfe“, so bewirbt der Verlag Sturmschatten. Wahrscheinlich, um die große Schar der Twilight-Hasser auf sich aufmerksam zu machen. Aber auch, weil Sturmschatten tatsächlich kein Klon der üblichen Urban Fantasy-Romane ist. Zwar gibt es auch hier die obligatorische Liebesgeschichte und eine rätselhafte Großfamilie, die keinen Außenstehenden an sich ran lässt und die Protagonistin im Verlauf des Buches hütet und beschützt wie einen Schatz. Trotzdem hat der Verlag recht. Ich habe mich beim Lesen eher an Akte X als an Twilight erinnert gefühlt: eine junge Frau entwickelt plötzlich übernatürliche Kräfte. Noch bevor sie sich selbst im Klaren ist, was da eigentlich mit ihr passiert, sind ihr schon zwei Geheimorganisationen auf der Spur, die eine mit Verbindungen zu Regierungen in ganz Europa; die andere mit dunklen Kräften. Wer ist Freund, wer ist Feind?
Der Roman liest sich sehr flüssig und spannend und hat mit Deutschland, Island und Bordeaux auch sehr exotische Orte für einen Fantasyroman in petto. Das ganze Buch steckt voller Windmetaphern („sie schwebt wie eine Sommerbrise“; die Kneipen im Ort heißen Hurrikan und Butterfly), die dem Text eine eigene Note geben. Die Handlung wird schön langsam aufgebaut und steigert sich dann durchgehend bis zum großen Finale, das fast schon filmreife Action bietet. Und obwohl das Ende gar kein richtiges Ende ist (Mehrteiler!), wird man als Leser nicht unbefriedigt zurückgelassen.
Es dauert etwas bis Esta, die Protagonistin, wirklich Charakter entwickelt. Anfangs fand ich sie noch blass und hatte Schwierigkeiten, mich mit ihr zu identifizieren, da man als Leser etwas mit ihr allein gelassen wird. Außer, dass sie gerne malt und mit allen gut auskommt, wird nichts über sie ausgesagt. Aber im Laufe der Geschichte offenbart sich, dass Esta sehr gewieft, schlagfertig und vorausschauend ist. Passagenweise hatte ich manchmal das Gefühl, dass sich Esta zu schnell mit ihrem Schicksal abfindet und die Geschichte mehr von Zufällen als ihrem Handeln beherrscht wird. Und dann überraschte sie mich wieder mit Sturheit und starkem Willen. Auch Estas Loyalität bestimmten Personen gegenüber war mir öfter ein Rätsel. Die Liebesgeschichte mit Janis fand ich anfangs ebenfalls recht befremdlich, da die beiden kaum Zeit hatten, sich kennenzulernen und kaum etwas vom anderen wissen. Erst später wird klar, warum sie sich so zueinander hingezogen fühlen. Anfangs viel es mir auch schwer, die Brüder von Janis auseinanderzuhalten, da die doch recht austauschbar sind und ebenfalls erst später ihre wahre Stärke zeigen. Allerdings wartet das Buch auch mit einigen interessanten/liebenswerten/lustigen/mysteriösen Sidekicks auf, die etwas Leben ins Buch bringen und toll charakterisiert sind.
Was mich am Buch etwas gestört hat, waren die unnatürlichen und teils unglaubwürdigen Dialoge (niemand sagt „halte die Klappe!“…). Auch die Erzählperspektiven wechseln sehr schnell, manchmal nur für zwei Sätze, was öfters für Verwirrung gesorgt hat. Mindestens fünfmal haben sich Sätze gedoppelt und einige Tippfehler waren auch im E-Book, was ich bei Selfpublishing noch verschmerzen könnte, bei einem Verlagsprodukt aber schon sehr ärgerlich finde. Auch aus Estas Fähigkeit wurde im Text nicht alles rausgeholt. Ich hätte z.B. gern mehr über ihr Mentaltraining und ihr Gefühl bei der Wetterkontrolle erfahren. Aber dafür ist ja im zweiten Teil noch Zeit. Denn obwohl ich jetzt viel kritisiert habe, hat mich Sturmschatten extrem gefesselt und mit einem positiven Gefühl zurückgelassen. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung!