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evaczyk

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Cover des Buches Mord auf der Kreuzfahrt (ISBN: 9783608986969)

Bewertung zu "Mord auf der Kreuzfahrt" von Nicholas Blake

Mord auf der Kreuzfahrt
evaczykvor 4 Stunden
Bildungsreise mit Leiche

"Mord auf der Kreuzfahrt" von Nicholas Blake wirkt wie eine Zeitreise in eine Gesellschaft, die es so nicht mehr gibt und in der die britische upper class, abgesehen von den lästigen Ausländern an Bord - Deutsche mit Rucksäcken, Franzosen, die im Salon plappernde Rudelbildung betreiben und Italiener, die jeder gutaussehenden Frau schöne Augen machen - noch unter sich auf Reisen ist. Kein Wunder: das Buch wurde erstmals in den 1950-er Jahren veröffentlicht, und die anderen moralischen Standards jener Zeit schimmern durch, egal ob es um Homosexualität oder die skandalöse Frage gibt, ob ein Paar womöglich in Sünde, also unverheiratet zusammenlebt. Wobei das erotischen Eskapaden, die allerdings nicht detailgenau ausgebreitet werden, offensichtlich nicht im Wege steht.

Aber getrennte Kabinen für Meisterdetektiv Nigel Strangeways und seine Freundin, die Bildhauerin Clare Massinger sind auf der Reise Anstandspflicht. Getrennt schlafen, aber gemeinsam ermitteln und über die lieben Mitreisenden lästern, das ist hier die Regel. Überhaupt wird, ehe der Fall um eine verschwundene Passagierin an Fahrt aufnimmt, nach Herzenslust getratscht - auch ein Kreuzfahrtschiff ist irgendwie nur ein Dorf! Und die Passagiere zwischen Bildungsreise und Vergnügungslust entstammen einem Personen-Potpourri, das auch in einem Agatha-Christie-Roman nicht unpassend wäre, von der Femme fatale über den patenten Bischof und seine Frau, verwöhnte Internatszöglinge mit entsprechendem public school Akzent, der selbst beim Lesen hörbar zu sein scheint und einem exzentrischen Kind sowie einer Wissenschaftsfehde und altgriechische Übersetzungen.

Blake schreibt gewissermaßen im leichten Plauderton - "Darling" hier, "unerhört" da, in einem Stil, der gleichzeitig charmant-altmodisch wie zeitlos ist. Ein klassischer Whodunit, dessen Lösung schon ganz am Anfang in einem Nebensatz angedeutet wird und der zugleich ein Gesellschaftsbild einer vergangenen Epoche ist.


Cover des Buches The Hike: Nicht alle kommen zurück (ISBN: B0CYQ9SXKQ)

Bewertung zu "The Hike: Nicht alle kommen zurück" von Lucy Clarke

The Hike: Nicht alle kommen zurück
evaczykvor 5 Stunden
Dramatischer Wanderurlaub einer Frauenclique

 Die Romane von Lucy Clarke sind, und das ist positiv gemeint, eine sichere Bank: Spannende, aber nicht zu blutige Thriller in schöner Landschaft, in denen sich Frauenfreundschaften bewähren müssen. Von diesem erwartbarem Schema weicht auch "The Hike" nicht ab: Die Freundinnen Maggie, Helen und Liz brechen zu ihrem jährlichen gemeinsamen Urlaub auf. Jedes Jahr darf eine andere das aussuchen. Die Ärztin Liz hat zur Überraschung ihrer Freundinnen einen Trekkingurlaub in Norwegen gewählt und, gut durchorganisiert wie sie nun einmal ist, den anderen beiden gleich einen Trainingsplan aufgestellt. Zu dumm, dass die alleinerziehende Maggie und Karrierefrau Helen auf die Umsetzung verzichtet haben.

Was die beiden anderen wiederum nicht wissen: Die Wanderung ist für Liz auch eine Art Flucht vor den Problemen in ihrer Ehe. Völlig überraschend stößt dann in Norwegen auch Jonie, die vierte der in ihrer Schulzeit unzertrennlichen Freundinnen dazu. Als internationaler Rockstar hat sie sich zuletzt rar gemacht. Was ihre Freundinnen nicht wissen: Jonie ist zunehmend ausgebrannt, nimmt Drogen längst nicht mehr zur gelegentlichen Entspannung, sondern hat ein ausgewachsenes Suchtproblem, dass sie sich selbst nicht eingesteht. Ohnehin simmert so manches unter der Oberfläche der vier Frauen, die trotz einer Sturmwarnung - von der Liz ihren Freundinnen nicht berichtet - zu ihrer viertägigen Bergtour aufbrechen.

Die Wanderung fordert körperlich und bringt die Frauen an ihre Grenzen. Hinzu kommt das Unbehagen angesichts der Warnungen von Einheimischen, an dem Berg sei etwas Unheimliches. Eine junge Frau ist dort spurlos verschwunden, der Vermisstenfall hat die Dorfgemeinde zerrissen. Und auch die vier Frauen fühlen sich nicht nur angesichts der intensiven Naturerfahrung in der Wildnis zunehmend nervös - bilden sie sich das nur ein, oder beobachtet sie jemand aus dem Wald?

Ein heraufziehender Sturm spiegelt die aufbrechenden Konflikte. Zum Umkehren ist es nach einem Erdrutsch, der den Pfad zurück zur Pension verschüttet, zu spät. Erschöpft, verängstigt und ohne Ausrüstung und Verpflegung müssen die vier den Gipfel erklimmen. Es soll auch der Höhepunkt einer dramatischen Entwicklung werden...

Wenn Lucy Clarkes Romane einen wiederkehrenden Muster folgen - sei´s drum. Die Masche ist erfolgreich und garantiert spannende Unterhaltung. "The Hike" bildet da keine Ausnahme. In der Hörbuchversion werden die Kapitel, die abwechselnd aus der Sicht unterschiedlicher Protagonisten erzählt werden, von fünf Sprecherinnen und Sprechern interpretiert. Allerdings unterscheiden sich die Frauenstimmen in Sprechduktus und Stimmhöhe meiner Meinung nach nichts ausreichend voneinander um den verschiedenen Charakteren auch deutlich unterschiedliche Stimmen zu geben - das finde ich dann doch ein bißchen bedauerlich.


Cover des Buches Die Hamas (ISBN: 9783406816970)

Bewertung zu "Die Hamas" von Joseph Croitoru

Die Hamas
evaczykvor 7 Stunden
Geschichte einer Terrororganisation

 Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober haben sicherlich viele gerätselt: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Wie konnten, gerade angesichts der beengten Verhältnisse auf dem Gazastreifen die Terroristen eine solches Waffenpersonal horten? Und wie konnte es sein, dass die israelischen Sicherheitsbehörden, seit Jahrzehnten geübt und erfahren in der Terrorabwehr, nicht rechtzeitig erkannt oder erfahren haben, was sich auf dem Gazastreifen zusammenbraute? Andere, für die der Nahostkonflikt immer sehr weit weg war, mögen gefragt haben: Was genau ist eigentlich die Hamas, was treibt sie an, was ist ihre Ideologie?

Auf all diese Fragen gibt Joseph Croitoru in seinem Buch „Die Hamas“ Antworten – und angesichts des emotional aufgeladenen Themenkomplexes Nahost ist seine sachliche Gründlichkeit gar nicht hoch genug einzuschätzen. Für alle, die sich historischen Hintergrund und ideologisch-politische Einordnung gleichermaßen verschaffen wollen, ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen.

Croitoru greift weit zurück, in die Zeit der Staatsgründung Israels, die Verbindungen zwischen ägyptischer Moslembruderschaft und ihren palästinensischen Geistesbrüdern, zur Geschichte von PLO und Al Fattah und den im nachhinein gefährlichen und folgenschweren Allianzen Israels mit Islamisten, aus denen die Hamas hervorging, um die PLO zu schwächen - nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist vielleicht nicht mein Freund, aber doch nützlicher Verbündeter.

Es ist auch eine Analyse den Nahostkonflikts und der israelischen Politik in den besetzten Gebieten wie auch im israelischen Kernland, eine Geschichte gescheiterter, auch von der einen oder anderen Seite ungewollter Friedensprozesse, der Haltung der Hamas zu Juden und Christen.

Manches scheint im Rückblick wie ein Alarmsignal aufzuleuchten, etwa die Information, dass festgenommene Hamas-Kämpfer bereits 2014 im israelischen Verhör gestanden, Angriffe mit Gleitschirmen geübt zu haben. Nun ist man hinterher immer schlauer, aber die Hinweise, die Monate auch israelischer Armee-Beobachterinnen an der Grenze zum Gazastreifen, die von ihren Vorgesetzten ignoriert wurden, wie mittlerweile bekannt ist, machen den 7. Oktober dann doch zu einer Katastrophe, die in diesen Ausmaßen vielleicht hätte verhindert werden können.

Wie geht es weiter? Darauf weiß auch Croitoru keine Antwort. Der massive Militäreinsatz Israels auf dem Gazastreifen mit seinen fürchterlichen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung kann die Hamas schwächen, besonders durch die gezielte Tötung der politischen und militärischen Verantwortlichen für den Terror vom 7. Oktober. Dass dies aber das Ende der Hamas ist, bleibt fraglich.


Cover des Buches Die Influencerin (ISBN: 9783352010057)

Bewertung zu "Die Influencerin" von Rebecca Russ

Die Influencerin
evaczykvor 3 Tagen
Melodrama um Influencerin

  Ursprünglich wollte Sarah ihr Fitness- und Ernährungsprogramm dokumentieren und teilen. Doch längst schon ist sie Influencerin mit Zehntausenden von Followern. Ihr Ehemann ist auch ihr Manager, und sie können ziemlich gut von Sarahs social Media-Aktivitäten leben: Ein großes Haus am Stadtrand, Sponsoren, Geschenke für product placement, und immer diese Woge von Zuspruch und Fanliebe. 

Bis die Verehrung plötzlich ins Gegenteil umschlägt: Ein junges Mädchen, das mit offenbar niedrigem Selbstwertgefühl und Unzufriedenheit über sein Aussehen Sarah als Idol erkoren hatte, hat sich umgebracht. Ihre letzte Nachricht war eine verzweifelte Botschaft an Sarah, auf deren Antwort sie vergeblich gewartet hatte. Und plötzlich ist das Netz bereit, Sarah gnadenlos fertig zu machen, mit Hass und Häme zu überziehen. Plötzlich muss Sarah die Schattenseiten der Internet-Berühmtheit erfahren und feststellen, dass ihrer pubertierende Tochter die digitale Dauerpräsenz der Mutter schwer zu schaffen macht.

Sarah zieht die Reißleine, deaktiviert ihren Account. Doch dann erscheint ein neuer Account, der wirkt wie ein Ableger von Sarahs. In ihrem privaten Umfeld häufen sich Vorfälle, die darauf hinweisen, dass jemand sie beobachtet und ihr schaden will. Sarah versucht Detektivarbeit in eigener Sache und stellt fest, dass irgendjemand ihr sehr, sehr nahe ist und ihre lange versteckten Geheimnisse kennt.

"Die Influencerin" von Rebecca Russ ist ein Krimi aus der Welt des Internets, die für manche - ob Influencer oder Fans - realer zu sein scheint als das richtige Leben, ohne den Schein gefilterter und editierter Beiträge zu hinterfragen. Auch die Oberflächlichkeit dieses Lebens stellt die Autorin nicht wirklich in Frage. 

Während Teile der Lösung der  Fragen, auf die Sarah eine Antwort sucht, für mich relativ früh feststanden, gibt es doch die eine oder andere Überraschung im Plot des Romans. Allerdings  geht es mitunter arg melodramatisch zu. Vielleicht ja auch an ein Zugeständnis an die vermutlich eher junge Zielgruppe des Romans, die der Influencer-Welt aufgeschlossen gegenübersteht und die Daueraufgeregtheit der digitalen Welt als völlig normal und okay empfindet.


Cover des Buches Fannys Rache (ISBN: 9783293006102)

Bewertung zu "Fannys Rache" von Yaniv Iczkovits

Fannys Rache
evaczykvor 3 Tagen
Die Rächerin aus dem Stetl

Emanzipationsgeschichte, Roadtrip, spannende historische Geschichte - "Fannys Rache" von Yaniv Iczkovits ist vieles und wirkt mitunter wie eine Fusion gewaltgeladener Tarrantino-Filme mit den Geschichten von Isaak Bashevi Singer. Der israelische Schriftsteller, von Haus aus eigentlich Philiosoph, schickt seine Leser*innen zusammen mit Protagonistin Fanny auf einen Parforceritt durch das zaristische Russland - etwa zur gleichen Zeit, in der "Anatevka" spielt, aber mit weniger Gesang und mehr Blut.

Ein solcher Roman von einem israelischen Autor ist um so erstaunlicher, als die Stetl-Kultur und selbst das Jiddische lange bei vielen Israelis geradezu verpönt waren: Zu sehr wurde beides mit Ghetto-Dasein, Opferrollen und Hinnehmen von Gewalt und Leid in Verbindung gebracht, zu wenig passten die Bilder frommer Juden mit Schläfenlocken, Torahstudium und Schicksalsergebenheit in eine Gesellschaft, die auf Selbstbehauptung setzt und Parallelwelten der Ultraorthodoxen wie etwa in Vierteln wie Mea Shearim ablehnt.

Aber dann: schicksalsergeben ist Fanny Kajsman nun wirklich nicht, auch wenn sie in mancherlei Hinsicht dem Bild einer frommen jüdischen Frau aus einem osteuropäischen Stetl zu entsprechen scheint: Sie befolgt die religiösen Gebote, ist mit 25 Jahren bereits fünffache Mutter und widmet sich ganz Haushalt und Familie. Allerdings lebt sie mit ihrer Familie nicht im Stetl, sondern auf einem Dorf polnischer Gojim, hat sogar deren Sprache gelernt - das kommt vielen der alten Nachbarn nicht richtig vor. Und als sie noch Fanny Schechter hieß und zusammen mit ihrer Schwester Mende vom früh verwitweten Vater aufgezogen wurde, galt sie als "a wilde chaje", ein Mädchen, das sich nicht in die vorgeschriebene Rolle fügen wollte, sondern den Vater überreden konnte, sie das Schächten, also das koschere Schlachten, zu lehren. 

Auch wenn Fanny und ihre Familie schon seit Jahren kein Fleisch mehr essen - das Messer trägt sie weiterhin bei sich. Erst recht, als sie einen Plan ersinnt, um ihrer Schwester Mende zu helfen. Deren Mann hat sich nämlich abgesetzt aus dem Stetl und ist wohl nach Minsk gegangen. Dass der Taugenichts weg ist, macht aus Fanny Sicht gar nichts, doch er hat keinen Get, einen Scheidebrief, hinterlassen, damit Mende ihr Leben wieder in geordnete Bahnen lenken kann.

Angesichts des Unglücks der Schwester entschließt sich Fanny zu einem folgenreichen Schritt: Sie wird ihren Schwager aufspüren und zwingen, Mende frei zu geben. Sie kann den stummen Fährmann Cicek Berschow überreden, sie zu begleiten, als sie bei Nacht und Nebel ihre Familie verlässt. Die Suche nach dem Schwager wird buchstäblich zu einer Räuberpistole. Fanny muss sich mit Straßenräubern und Spitzeln der Geheimpolizei, mit zaristischen Soldaten und einer antisemitischen Gesellschaft auseinandersetzen.  Und schon bald wird sie von einem gefährlichen und intelligentem Gegenspieler gejagt, dem Offizier Novak von der Ochrana, der Geheimpolizei des Zaren.

Novak selbst ist, ebenso wie Cicek eine tragische Figur und in mancher Hinsicht ein gebrochener Charakter. Der Roman ist von atemlosen Tempo, bildhaft und wortgewaltig, lässt wirklich eintauchen in die gar nicht so gute alte Zeit und erzählt nicht nur die Geschichte von Fanny und ihrer Rache, sondern über die verschiedenen Lebenswelten im Russland des 19. Jahrhunderts, in Adelspalästen und Armeelagern, Kaschemmen und Stetln. 

Von Fannys Reise und ihrer Rache will ich hier gar nicht viel schreiben, weil ich nicht spoilern will. Aber Iczkovits hat ein sprachlich großartiges, thematisch faszinierendes und dabei sowohl unterhaltsam wie spannendes Buch geschrieben, dessen Figuren nachhallen.

Cover des Buches Schnitzel Surprise (ISBN: 9783426448748)

Bewertung zu "Schnitzel Surprise" von Markus Heitz

Schnitzel Surprise
evaczykvor 6 Tagen
Herrlich überdrehte Schnitzel-Parodie

Mit "Schnitzel Suprise" hat Markus Heitz die Welt der Koch- und Backshows aufs Korn genommen und beschreibt mit schrägem Humor und überdrehtem Plot die Abenteuer von Thom, der es fast mal zu einem Michelin-Stern geschafft hat, nun aber doch nur der Wirt des Schnitzel-Ecks ist, einer Kneipe, die irgendwie in den 80-er Jahren stehengeblieben ist und in der die Pleite stets nur um die Ecke zu sein scheint. Also so gar kein telegener Szenewirt - bis ihm der hippe TV-Produzent Max ein Angebot macht, dass Thom nicht abschlagen kann: Er stellt Thom in den Mittelpunkt von Koch-Formaten aller Art. Das wird dem Schnitzelwirt zwar schon bald zu viel, aber er kommt da nicht mehr raus. Statt dessen gibt es Ärger mit der Lebensmittelaufsicht, mit der Ex und die Sorge um den 60-jährigen Azubi Boris, der an Allergien und Unverträglichkeiten alles aufzuweisen hat, was da so existiert.

In der Hörbuchfassung hat Sprecher Thomas Nicolai hörbar Spaß an der durchgedrehten Geschichte und läuft zu Hochform mit all den Dialekten und Akzenten auf, die "Schnitzel Surprise" zu bieten hat. Der Generationen- und Kulturclash zwischen Mittvierziger Thom und seinen Stammkunden Halbglatzen-Martin und Schnurrbart-Stefan einerseits und der hippen unter-30-Fernsehmeute andererseits bietet schon reichlich Stoff für Krisen, Missverständnisse und Frust, der für Hörer*innen allerdings sehr komisch ist. Mal ganz abgesehen von der Steigerung irrwitziger Koch- und Backformate, in denen Thom jetzt irgendwie eine gute Figur machen muss. Und dann sind da noch all die durchgeknallten Schnitzelvarianten. Nicht zu vergessen der Einsatz Thoms in einer Kindergartengruppe, wo nach gemeinsamem Schnitzelbraten sensible Kinderseelen plötzlich feststellen, dass das Fleisch mal gelebt hat. 

Kurz, es gibt jede Menge Situationskomik, vielleicht nicht allzu subtil, aber ein Hörspaß, der Entspannung schafft und die Lachmuskeln attackiert. Witzig geschrieben und von Sprecher Nicolai mit seiner wandelbaren und vielseitigen Stimme großartig umgesetzt.

Cover des Buches Die Schwere des Seins (ISBN: 9783949545436)

Bewertung zu "Die Schwere des Seins" von Karen Mukwasi

Die Schwere des Seins
evaczykvor 6 Tagen
Erzählungen von Macht und Ohnmacht aus Simbabwe

Als postkoloniale Erzählungen ordnet der Verlag die Reihe der von Tsitsi Dangarembga herausgegebenen Erzählungen simbabwischer Autorinnen und Autoren ein. Damit klingt das zwar hinreichend woke, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob diese Definition die zutreffendste ist, mal abgesehen davon, dass Simbabwe eine koloniale Vergangenheit hatte, aus der es sich befreit hat. Vor allem aber geht es um Macht und Ohnmacht, um Gewalterfahrungen, die zwar in einigen Geschichten im Unabhängigkeitskampf und dem späteren System Mugabe wurzeln, in anderen aber in patriarchalen Strukturen und systematischer traditioneller Unterdrückung von Frauen. Insofern könnten sie auch in der Zeit der Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien spielen, in Syrien oder überall dort, wo archaische Strukturen Ehemännern und Vätern absolute Gewalt über Frauen zubilligen.

Ziemlich harter Tobak ist der Stoff dieser Kurzgeschichten, die die literarische Umsetzung wahrer Geschehnisse sind. Im Rahmen des Projekts "Breaking the Silence" hatten die Autorinnen und Autoren Briefe und Aussagen, die Opfer von Gewalt aus verschiedenen Teilen Simbabwes und aus verschiedenen Zusammenhängen heraus geschildert hatten. Da geht es um die Mutter, die nach der Vergewaltigung ihrer behinderten Tochter um Gerechtigkeit kämpft, um den Vater, der seine Tochter erschlägt, um Folter politischer Gegner. Das Buch bringt die nicht ganz neue Erkenntnis, dass die Freiheitskämpfer von gestern die Unterdrücker und Folterknechte von morgen sein können. 

Es gibt nur wenig Hoffnung und noch weniger Gerechtigkeit in diesen Erzählungen - und die Tatsache, dass sie auf tatsächlichen Geschehnissen beruhen, macht die Texte noch deprimierender. Gleichzeitig zeigen diese Erzählungen, wie wichtig es ist, das Schweigen über Gewalt zu durchbrechen, egal, ob es auf Angst oder auf Scham beruht. 

Abgesehen von Dangarembga kannte ich die Verfasser der übrigen Texte bisher nicht und bin daher froh über die Gelegenheit, neue afrikanische Autor*innen kennenzulernen.


Cover des Buches James (ISBN: 9783446279483)

Bewertung zu "James" von Percival Everett

James
evaczykvor 7 Tagen
Huckleberry Finn, von Jim erzählt

Mit seinem Roman "James" hat Percival Everett den Klassiker "Huckleberry Finn" von Mark Twain einmal ganz neu aufgerollt: Denn hier erzählt Jim, der entlaufene Sklave, mit dem Huck seine Abenteuer auf dem Mississippi erlebt. Einige Plots sind bekannt, andere kommen ganz neu hinzu. Und natürlich: es ist ein schwarzer Blick auf die bekannt geglaubte Geschichte.

Huckleberry Finn war immer die ernstere Geschichte, gegen die die Abenteuer von Tom Sawyer eben wie Lausbubenstreiche wirkten. Eine Coming of Age-Geschichte, in der auch ein durchaus kritischer Blick auf die Sklaverei geworfen wird, auch wenn Twain wegen der Verwendung des N-Worts von politisch besonders korrekten Bibliothekaren und Literaturkritikern heute als schon fragwürdig gesehen wird. Everett zeigt: Besser als Cancel Culture ist es, sich kreativ des Themas anzunehmen.

Denn James, der Sklave Jim, mag in Unfreiheit geboren worden sein, aber indem er sich das Lesen und Schreiben beigebracht hat (wie, das bleibt leider unbekannt), hat er sich gewissermaßen innerlich befreit, sich nicht nur über die Rolle erhoben, die ihm zugedacht wurde, sondern auch über manchen tumben Sklavenhalter. Denn James liest Voltaire, Rousseau, die Werke der Aufklärung.

Einer der Twists dieses Romans ist, dass die Sklaven den verhunzten Südstaatenslang nur für die Weißen sprechen, um sie im falschen Glauben ihrer Überlegenheit zu lassen, während sie tatsächlich untereinander in perfekter Schriftsprache kommunizieren. In der deutschen Übersetzung kommt dieser Slang eher als Kunstsprache rüber, aber andererseits - der Übersetzer hatte im Deutschen keine vergleichbare Entsprechung. Kein Wunder, dass James Huck in große Verwirrung stürzt, als er im Schlaf plötzlich ganz anders spricht und gar nicht mehr nach Sklave klingt.

Netter Einfall, auch wenn er unberücksichtigt lässt, dass einerseits auch die weißen Südstaatler einen recht eigenen Dialekt sprechen und andererseits bis heute viele Afroamerikaner Anstoß nehmen an schwarzen Amerikanern, die "weiß" klingen (ganz anders als beispielsweise in Großbritannien).

Bei aller Ironie und einem Humor, der sicher auch Mark Twain gefallen hätte, kommen die ernsten Themen nicht zu kurz - die Sklaverei und die Misshandlungen, das Auseinanderreißen von Familien, blackfacing und rassistisches Denken. Ein - früh absehbarer -  ganz besonderer Aspekt im Verhältnis zwischen Huck und Jim kommt mir dagegen unnötig und angesichts der Gesellschaft des alten Südens auch unglaubwürdig vor. Eindringlich dagegen die Szenen, die den Preis zeigen, die Freiheitsstreben und unabhängiges Denken haben können.

Cover des Buches Ihre schönen Knochen: Ein unfassbar packender Thriller (Detective Gina Harte 3) (ISBN: B0CTCWTLDJ)

Bewertung zu "Ihre schönen Knochen: Ein unfassbar packender Thriller (Detective Gina Harte 3)" von Carla Kovach

Ihre schönen Knochen: Ein unfassbar packender Thriller (Detective Gina Harte 3)
evaczykvor 10 Tagen
Vermisst, tot, Rothaarig

Nachdem ich im vergangenen Jahr erstmals einen Roman aus der Reihe um die britische Ermittlerin Gina Harte gelesen hatte, war ich neugierig auf einen neuen Fall dieser eher herben und schon langjährigen Polizistin mit einer schwierigen Vergangenheit und kompliziertem Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter. Die Möglichkeit, "Ihre schönen Knochen", den dritten Band der Reihe, zu lesen, ergriff ich darum gerne. Und ich wurde nicht enttäuscht - auch hier stimmte die Mischung zwischen einem komplexen Fall und den privaten Krisen und Problemen des Ermittlerteams. Zudem ging Autorin Carla Kovach nicht nach einem bewährten Strickmuster vor, sondern schuf einen Plot, der sich deutlich vom Vorgänger unterschied.

Vermisstenfälle und Mutter-Tochter-Konflikte - und hiermit eben auch ein Grundmotiv Gina Hartes eigener Biografie - prägen diesen spannungsreichen Thriller. Ein junger Mann ist unterwegs zum ersten Arbeitstag im neuen Job, als aus der Tür des vor ihm fahrenden Lieferwagens eine junge Frau auf die Straße stürzt. Die Leiche weist Spuren von Injektionen auf, die junge Frau war halb verhungert, es gibt keinen Hinweis auf ihre Identität. Können ihre roten Haare bei der Identifizierung helfen?

Eine Frau ist unterdessen seit drei Monaten auf der Suche nach ihrer vermissten - rothaarigen - Tochter. Sie sucht im Ausreißer- und Obdachlosenmilieu Birminghams, glaubt nicht, dass ihre Tochter trotz aller Streitereien für immer verschwunden sein kann. Die Nachricht über den Fund einer toten jungen Frau könnte ihre schlimmsten Ängste bestätigen. Vor allem, da auf einem Grundstück bei Bauarbeiten eine weitere Leiche gefunden wird - auch hier handelt es sich um eine junge Frau mit roten Haaren.

Und dann ist da noch die 16-jährige, die in einem Hofladen in der Region jobbt und sich beobachtet fühlt von einem Unbekannten, der sich irgendwie auffällig verhält und merkwürdige Fragen stellt.

In einer weiteren Erzählebene geht es um eine junge Frau, die offensichtlich gefangen gehalten und unter Drogen gesetzt wird. Ist das die Vorgeschichte der unbekannten Toten, ist es die vermisste Tochter, oder eine ganz andere junge Frau? Kovach schafft es, ihre Leser*innen im ungewissen zu lassen und Verdachtsmomente zu setzen, ohne viel zu verraten. "Ihre schönen Knochen" sorgt für Überraschungen und neue Wendungen, die ein Leseerlebnis ohne Langeweile und Längen garantieren. Während Gina Hart und ihre Kollegen das Gefühl haben, in einem Wettlauf gegen die Zeit zu stehen, werden die Hintergründe dieses Thrillers erst auf den letzten Seiten offenbar. Der Name Kovach bleibt entschieden auf meiner "to read"-Liste


Cover des Buches Lockvogel (ISBN: 9783036950303)

Bewertung zu "Lockvogel" von Daria Shualy

Lockvogel
evaczykvor 13 Tagen
Kurzmeinung: Tel Aviv Noir mit eigenwilliger Protagonistin
Tel Aviv Noir

 Ein bißchen wirkt Masi Morris, die Protagonistin in Daria Shualys Israel-Krimi "Lockvogel", wie eine israelische Cousine von Lis Salander: Sie pfeift auf die Regeln, die ihr andere aufstellen wollen, zieht ihr eigenes Ding mit eher unorthodoxen Methoden durch, hatte eine traumatische Kindheit mit reichlich Gewalterfahrung und pflegt ein sehr aktives, entschieden nichtmonogames Sexleben, wobei sie sich im Gegensatz zu Salander auf den männlichen Teil der Bevölkerung beschränkt.

Andererseits, das Hacken überlässt sie lieber ihrem kleinen Cousin/Adoptivbruder. Und zu ihrem Vater, einem Polizisten, hatte sie ein sehr enges Verhältnis, nur verschwand er spurlos, als sie 14 war. Kurz darauf starben ihre Großeltern bei einem Autounfall - die Mutter wurde erschossen, als Masi zwei Jahre alt war. Dass Masi trotzdem nicht kitschig-larmoyant als Tochter aller Leiden daherkommt, liegt an Shualy, die ihre Ermittlerin so unpathetisch, cool und ähnlich einem Detektiv der schwarzen Serie daherkommen lässt, dass all das persönliche Drama zwar zu Masi gehört, sie aber trotzdem ihren Weg geht.

Bei der Polizei ist Masi rausgeflogen. Eigentlich wollte sie ja in die Fußstapfen des geliebten Vaters treten, der ihr schon im Alter von sechs Jahren das Schießen beibrachte. Ein Video, in dem sie  - durchaus zutreffend - als Nymphomanin dargestellt wird, beendet die Karriere jedoch. Das war ihren Vorgesetzten dann doch zu viel, selbst im liberalen und durchaus hedonistischen Tel Aviv.

Jetzt ist Masi Privatdetektivin, eher die Frau fürs Grobe und die Action, während die kleinen Geschwister (Masi wurde von ihrem Onkel adoptiert) eher schüchtern und ob ihrer Jugend noch ein bißchen weltfremd sind, ihr aber tapfer als Assistenten zur Hand gehen. 

Ein Jugendfreund, dessen Frau verschwunden ist, bittet Masi, den Vermisstenfall zu übernehmen. Jasmin Schechter, die Vermisste, entstammt einer der reichsten und einflussreichsten Familien Israels - und die will nicht kooperieren.

Nur mühsam und von mancherlei Rückschlägen begleitet wird Masi klar: In der Familie Schechter herrscht keine heile Welt und allerlei üble Geheimnisse werden unter der glatten Luxus-Oberfläche verborgen. Sex, Korruption, Familiengeheimnisse - dieser Krimi ist entschieden Tel Aviv noir. Zugleich aber gibt es viel Lokalkolorit zwischen Neve Tsedek und Strandpromenade, Bürotürmen und den Schutzkellern, die man beim Raketenalarm lästigerweise mal wieder aufsuchen muss.   

"Lockvogel" überrascht mit allerlei unerwarteten Wendungen, wenn man - ähnlich wie Masi - glaubt, jetzt endlich verstanden zu haben, worum es bei dem Fall geht. Dieser Israelkrimi ist einerseits so tough und hardcore, gleichzeitig ironisch und nicht gänzlich unsensibel, macht trotz aller Schattenseiten Lust auf Tel Aviv und zeigt ein Stück Israel mit dem Hickhack zwischen Aschkenasim und Mizrahis, der vielfältigen Kultur und der Liebe zu gutem Essen.

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