Der Wissenschaftler Isaac Dan dar Grimnebulin hat sich mit dem Lehrkörper der Universität von New Crobuzon überworfen und vertreibt sich seitdem seine Zeit mit privaten Forschungsprojekten, wenn er nicht seine Liebesbeziehung mit Lin auslebt, einer menschlich-insektoiden Hybridin. Als der Garuda Yagharek ihn mit dem Auftrag betraut, ihm wieder das Fliegen zu ermöglichen, wird eine Reihe von Ereignissen in Gang gesetzt, die die Existenz der Stadt und des gesamten Kontinents bedroht. Die Kultur der Garuda kennt als Bestafung für bestimmte Vergehen das Entfernen der Flügel, was den Betroffenen einer Fähigkeit beraubt, die wesentlich für dessen Selbstverständnis ist. Sein neuer Auftrag erfordert es, dass Isaac alles über die Natur des Fliegen herausfindet, was nötig ist, um den Garuda wieder fliegen zu lassen. Es dauert nicht lange, da bevölkert ein Zoo von allen denkbaren und undenkbaren fliegenden Anschauungsobjekten sein Labor. Eine geheimnisvolle Falterlarve, die aus einer zwielichtigen Quelle stammt, entkommt aus der Gefangenschaft und entpuppt (!) sich zu einer tödlichen Gefahr für alles vernunftbegabte Leben. Denn diese Falter ernähren sich von Träumen …
New Crobuzon ist ein stinkender Moloch, ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen und Lebensformen. Miévilles Schilderung der Stadt erinnert an eine englische Hafenstadt irgendwann zwischen den Anfängen der Industrialisierung und dem Beginn des 20. Jahrhunderts - tatsächlich basiert sie nach des Autors eigenen Worten völlig auf London. Zwischen Dampfmaschinen und Luftschiffen leben hier die menschlichen und nicht-menschlichen Subkulturen in “ihren” Stadtvierteln, Hafenarbeiter streiken für bessere Arbeitsbedingungen, eine links-intellektuelle Bohéme schreibt im Untergrund Pamphlete gegen eine wenig demokratische Politik, die einerseits gemeinsame Sache mit der organisierten Kriminalität macht, andererseits mit Milizen dieses Pulverfass gegensätzlicher Lebensformen in Schach hält. Über allem thront Perdido Street Station, gleichzeitig Hauptverkehrsknotenpunkt und politisches und wirtschaftliches Zentrum der Stadt.
Dieses also gar nicht so fremd anmutende New Crobuzon, das der Autor mit seiner bildreichen und intensiven Sprache vor dem inneren Auge des Lesers entstehen lässt, bevölkert er mit einer bunten Gesellschaft von Menschen, Chimären, Kaktusmenschen und lebendig gewordenen Fabelwesen. Anhand der sexuellen Beziehung zwischen Isaac und der Khepri-Frau Lin, eines der zentralen Themen und Hauptmotivation für Isaacs Handeln, beleuchtet Miéville beispielhaft auch das Thema der Diskriminierung von Minderheiten. In dieser und anderen Betrachtungen des sozialen Lebens in seiner Welt wird immer wieder der sozialistische Hintergund des Autors deutlich, ohne jedoch missionierend zu wirken. Bezeichnend ist es allerdings, dass gerade die Verquickung von Politik und Kriminalität die sich entwickelnde Tragödie erst ermöglicht.
In der Schule hatte ich einen Englischlehrer, der sagte, dass Leute, die schreiben wollen, nicht Englisch studieren sollten, sondern eher Sozialwissenschaften. Das ist vielleicht etwas übertrieben — es gibt eine ganze Menge brillanter Schriftsteller, die Literatur studiert haben –, mein Schreiben ist allerdings sehr stark von Sozialwissenschaften und Gesellschaftstheorien beeinflusst. Das war jedoch nicht der Grund, warum ich diese Studiengänge belegt habe — sie haben mich schlicht interessiert, um ihrer selbst willen –, aber bei den Fragestellungen, die mich innerhalb der Erzählliteratur interessieren, geht es um Politik, Klassenzugehörigkeit, Rassismus und dergleichen mehr. All das spielt in den Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle. – China Miéville
Bei aller Exotik und Phantasie manifestiert sich in der Welt von New Crobuzon kein typisches Science Fiction-Setting. Der Autor verleiht den Beschreibungen seiner verschiedenen Millieus ein höheres Gewicht als wissenschaftlich glaubwürdigen Erklärungen technischer Vorgänge. Die Naturwissenschaft, wie wir sie kennen, existiert zwar auch hier, doch ergänzt wird sie um das Element der Thaumaturgie, gewissermaßen die wissenschaftliche Form der Magie. Sie hat nichts gemein mit der Magie, die wir aus der klassischen Fantasy kennen. Roboter heißen Kontrukte, ihre Künstliche Intelligenz (KI) wird mittels Lochkarten und Dampfmaschinen in mechanischen Apparaten bewerkstelligt. Es sind diese in untypischer Weise kombinierten typischen Elemente, die den Begriff Steampunk Fantasy treffender erscheinen lassen als Science Fiction.
Das Buch fordert den Leser in mehrfacher Hinsicht. Die phantasievoll, eigenwillig und bunt erdachte Welt zwingt den Leser, sich auf Neues einzulassen, denn China Miéville schreibt keine Wohlfühl-Fantasy. Die Charaktere sind oftmals sperrig, Handlungen aus ehrenhaften Motiven eher Ausnahme als Regel, und überhaupt sind die Geschehnisse oft ebenso schmutzig wie die Welt, in der sie stattfinden.
Die Sprache wird ihrer Aufgabe gerecht. Sie ist niemals einfach, häufig anspruchsvoll, gleichzeitig aber immer geprägt von großer Erzählfreude und -kunst. Tatsächlich sollte der Leser das Spiel mit der Sprache ebenso lieben wie es der Autor tut, denn Miéville Sprache macht es dem Leser manchmal schwer. Ein ums andere Mal verliert er sich in seitenlangen Schilderungen, die zwar die Handlung – die wenig genug hergibt, um in ein Buch von deutlich geringerem Umfang zu passen – um kein Jota voranbringen, doch sich sprachlich auf hohem Niveau bewegen und den Leser, der sich darauf einlässt, gefangen nehmen können. Wer dies tut und nicht jede Unglaublichkeit hinterfragt, wird mit einem intensiven Leseerlebnis belohnt.
Möglicherweise entwickeln viele Leser immer mehr ein Gefühl dafür, dass die Traditionen der SF und der Fantasy, die wir entwickelt haben, nicht wirklich unveränderlich sind. Entsprechend trifft ein Buch, das sich bewusst in ein Grenzgebiet zwischen bestimmte Genreschubladen wagt, eine bestimmte Stimmung. - China Miéville
In der vorliegenden Neuausgabe sind erstmals die schon früher erschienenen Bücher Die Falter und Der Weber vereint.