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himbeerbel

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Rezensionen und Bewertungen

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Cover des Buches Innehalten, Masche halten (ISBN: 9783764508579)

Bewertung zu "Innehalten, Masche halten" von Karin Erlandsson

Innehalten, Masche halten
himbeerbelvor einem Monat
Kurzmeinung: Eine nette Lektüre in den Strickpausen
Eine nette Lektüre in den Strickpausen

Zeit, das Strickzeug beiseite zu legen, eine kleine Pause zu machen und sich mit diesem Buch zu beschäftigen. Das ist zugegebenermaßen gar nicht so einfach, denn am Freitag ist die „Sockmadness“ ins Qualifying gestartet, um weltweit die Stricknadeln zum Glühen zu bringen. Als begeisterte Sockenstrickerin lasse ich mir diesen Spaß natürlich nicht entgehen, auch wenn die Geschwindigkeit, mit der manche die komplizierten Sockenmuster stricken, für mich an Hexerei grenzt. Vor allem die Finnen stehen hier unschlagbar an der Spitze. Deshalb war ich besonders neugierig auf dieses Buch von der preisgekrönten finnischen Autorin Karla Erlandsson, die im Bereich Belletristik und Sachbuch veröffentlicht. Sie erzählt in „Innehalten, Masche halten“ unter anderem, wie sie im Alter von 14 Jahren ihren ersten selbst gestrickten Pullover anfertigt und wie das Stricken sie durch ihr Leben begleitet hat.


In diesem ganz persönlichen Memoir gibt sie Einblicke in ihre eigene Strickgeschichte und webt auch Geschichtliches aus den Anfängen des Strickens bis hin zur Gegenwart mit ein. So erfährt man einerseits Interessantes rund um das geliebte Thema, hat aber gleichzeitig das Gefühl, mit einer Strickfreundin im Handarbeitstreff viele Gemeinsamkeiten zu finden, ein wenig zu fachsimpeln und angeregt übers Stricken zu plaudern. Immer wieder macht es Freude das Buch aufzuschlagen und in die angenehme Atmosphäre der kurzen Kapitel einzutauchen. Es ist sicherlich kein Buch, das man in einem Rutsch durchliest, sondern eher eines für die kleinen Strickpausen, in denen man dann außerdem einen Einblick in die Handarbeitskultur Finnlands erhält.


Eine nette Lektüre für Zwischendurch, zum Selbstlesen oder Weiterverschenken.

Cover des Buches Der Kampf um das Internet (ISBN: 9783406807220)

Bewertung zu "Der Kampf um das Internet" von Stefan Mey

Der Kampf um das Internet
himbeerbelvor 4 Monaten
Kurzmeinung: Alternativen zu den Tech-Giganten für ein besseres, faireres und freieres Internet
Alternativen zu den Tech-Giganten für ein besseres, faireres und freieres Internet

Als ich von diesem Buch erfuhr, wurde ich gleich hellhörig. Denn erst im Mai hatte ich mit großem Interesse Darknet von Stefan Mey gelesen und war nun gespannt auf das neuste Werk des investigativen IT-Journalisten. Er hat sich von Anfang an für die Frage von Macht und Gegenmacht im Internet interessiert und kennt nicht nur die großen IT-Konzerne sondern neben den bekannten auch viele nicht so bekannte Projekte der digitalen Gegenwelt von innen.


Und genau das gefällt mir an dem Buch auch besonders gut. Viele der Projekte sind mir, als technisch interessiertem Menschen (aber dennoch IT-Laien) ein Begriff, manche habe ich selbst einmal ausprobiert, mich von dem ein oder anderen wieder verabschiedet, anderes hat sich jedoch auch auf meinem Rechner als feste und liebgewonnene Größe etabliert. Gern habe ich in diesem Buch hinter die Kulissen geschaut und mehr über die von mir genutzten Dienste und Programme erfahren und sie dabei tatsächlich auch gleich noch ein wenig mehr schätzen gelernt. Denn die Projekte legen transparent ihre Arbeitsweise offen und glänzen meist durch Datensparsamkeit, das heißt man muss sie weder mit Daten noch mit Geld bezahlen (auch wenn Spenden natürlich gern gesehen sind).


Einige Projekte gibt es schon seit Jahrzehnten, andere sind erst in den letzten Jahren hinzugekommen. Stefan Mey definiert und schaut genauer hin, um zu zeigen, wie sich die Projekte sozial organisieren und was die nicht kommerziellen Projekte zusammenhält, an denen Menschen größtenteils in ihrer Freizeit mitwirken. Aber es ist auch interessant zu erfahren, wie sich die digitale Gegenwelt finanziert – denn so ganz ohne Geld funktioniert es auch dort nicht. Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht, wie eng die digitale Gegenwelt mit freien Lizenzen verknüpft ist und wie wichtig es ist, dass dort alles andere als eine Software-Hippie-Kultur herrscht. Schließlich geht es noch um den Umgang mit Daten, die für viele Menschen ein wichtiges Motiv sind um sich in dieser Softwarewelt zu orientieren und wo es hier an der ein oder anderen Stelle hakt.


Zwischen die Kapitel sind Porträts der zehn wichtigsten Projekte gestreut: Der Kurznachrichtendienst Mastodon, der Messenger Signal, der Browser Firefox, der Kartendienst OpenStreetMap, Wikipedia, Tor, Freifunk, Libre Office, die Betriebssystem-Familie Linux sowie der Versuch verschiedener Initiativen ein Google-freies Android-Betriebssystem bereitzustellen. Der Anhang enthält Interviews mit sechs Vertreterinnen und Vertretern der digitalen Gegenwelt, ein Glossar der wichtigsten Begriffe sowie 25 Portraits weiterer wichtiger Projekte. Einige dieser Projekte kannte ich noch nicht, aber sie haben mich neugierig genug gemacht, dass ich in der nächsten Zeit das ein oder andere zu recherchieren und vielleicht auch auszuprobieren habe – die beste Art ein interessantes Sachbuch zu beenden.

Cover des Buches Wandering Souls (ISBN: 9783455015706)

Bewertung zu "Wandering Souls" von Cecile Pin

Wandering Souls
himbeerbelvor 7 Monaten
Kurzmeinung: Ein fragmentierter Roman, der allmählich zusammenwächst.
Ein fragmentierter Roman, der allmählich zusammenwächst

Als ich im Mai Der Gesang der Berge von Nguyễn Phan Quế Mai las, musste ich – auch wenn es um sie in dem Roman nicht ging – oft an die Boatpeople denken, die mir aus meiner Kindheit noch von Fernsehberichten unauslöschlich in Erinnerung geblieben sind. Die in dem Buch geschilderten Schrecken und politischen Entgleisungen, denen die Bevölkerung ausgesetzt war, machten die Flucht der rund 1,6 Millionen Vietnamesen nachvollziehbar, die in den 1970er und 1980er Jahren über das südchinesische Meer ins Ausland zu gelangen versuchten.

An diesem Punkt setzt „Wandering Souls“ von Cecile Pin an. Es handelt sich dabei um ihren ersten Roman, der in Teilen auf ihrer eigenen Familiengeschichte basiert. Sie erzählt darin die Geschichte von drei Geschwistern, die nach Ende des Vietnam-Krieges Ende der Siebzigerjahre mit ihrer Familie fliehen und in einem Lager in Hongkong stranden, wo sie vergeblich auf ihre Eltern und die anderen Geschwister warten. Plötzlich ist die sechzehnjährige Anh für ihre beiden jüngeren Brüder verantwortlich und muss sich mit ihnen nicht nur in einem fremden Land zurecht finden, sondern auch noch die Rolle einer Erwachsenen übernehmen.

Cecile Pin schildert anschaulich die Sorgen und Nöte, in die ihre Protagonisten geraten und doch kommt man ihnen in diesem Roman nicht wirklich nah. Denn die Geschichte der drei Geschwister wird in nicht immer linearen Zeitsprüngen erzählt und dabei immer wieder von anderen Texten unterbrochen, die mich anfangs ein wenig verwirrten. Gelegentlich meldet sich der Geist von Dao, dem kleinen toten Bruder, zu Wort; es gibt einen Zeitungsbericht über Vietnamesische Flüchtlinge, die von einer thailändischen Insel gerettet wurden; außerdem findet man den Brief der Premierministerin Margaret Thatcher an die Familie Nguyen, aber es gibt auch Akten der Downing Street, die Thatchers Abneigung gegen die Aufnahme vietnamesischer Flüchtlinge dokumentieren. Daneben kommt die Autorin gelegentlich selbst zu Wort. Ein Lesefluss will hierbei nicht so recht entstehen und manchmal ist es auch ein wenig sperrig, den Anschluss an die eigentlich erzählte Geschichte zu finden.

Und doch schafft es die Autorin, dass dieser fragmentierte Roman allmählich zusammenwächst und neugierig macht. Wissenslücken wollen außerhalb des Buches (Glossar vorhanden) geschlossen werden und regen zum Weiterforschen und staunen an. Chancen und Risiken der Flucht werden erkennbar. Gefühlswelten der geflüchteten Geschwister im fremden Land (England) werden nachvollziehbar und regen zum Weiterdenken an. Eigentlich genau das, was ein gutes Buch ausmacht und sicherlich ein insgesamt gelungener Debüt-Roman. Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Autorin weiter entwickelt.

Cover des Buches Die Macht der Maschen (ISBN: 9783328601418)

Bewertung zu "Die Macht der Maschen" von Loretta Napoleoni

Die Macht der Maschen
himbeerbelvor einem Jahr
Kurzmeinung: Informativ und unterhaltsam - Eine Liebeserklärung ans Stricken
Informativ und unterhaltsam - Eine Liebeserklärung ans Stricken

Als ich auf dieses Buch aufmerksam wurde, stand für mich gleich fest, dass ich es lesen würde. Ich hatte Lust auf eine ultimative Lobhudelei auf eines meiner liebsten Hobbies und war darüber hinaus gespannt darauf, Dinge übers Stricken zu erfahren, die über Muster und Anleitungen hinaus gehen. Und das bekam ich auch, nämlich immer dann, wenn ich das Strickzeug mal aus der Hand legte und zu diesem Buch griff.


Loretta Napoleoni ist politische Analystin und Ökonomin und hat diverse Sachbücher zu großen Themen unserer Zeit, nicht zuletzt Terrorismus und Globalisierung geschrieben. Aber sie ist auch eine passionierte Strickerin, die es schafft ihr Hobby historisch und analytisch so zu beleuchten, dass man ihr interessiert dabei durch Kapitel wie Stricklektionen über die Liebe, Politik und Wirtschaft, Stricken für die Revolution, Feminismus und Handarbeit – eine Hassliebe, Stricken im Zeitalter der Neurowissenschaft oder Stricken für eine bessere Welt folgt.


Einige Dinge wusste ich bereits, manches vermisste ich, aber es gab für mich auch Neues zu erfahren. Die Informationen sind gut verständlich und unterhaltsam aufbereitet. Ergänzt werden sie durch die Illustrationen von Allessandra Olanow und tragen damit unter anderem zu der liebevollen optischen Gestaltung des Buches bei. Als kleines Gimmick sind am Ende des Buches einige thematisch passende, aber nichtsdestotrotz kuriose knappgehaltene Anleitungen zu finden wie beispielsweise eine „Mütze mit Grips“, Soldatensocken oder die „Jakobinermütze“. Dinge, die mich persönlich nicht unbedingt zum Nachstricken einladen, es aber zumindest schaffen, mir ein Schmunzeln zu entlocken.


Nebenbei lässt die Autorin dabei Momentaufnahmen aus ihrer eigenen Geschichte mit dem Stricken einfließen und erzählt davon, wie das Stricken sie durch eine schwierige Lebenssituation begleitet. Dabei stellt sie manchmal sehr gewollt einen Bezug zwischen dem Stricken und den Dingen her, die ihr in ihrem Leben passiert sind und schreckt auch nicht vor an den Haaren herbeigezogenen Vergleichen und Wortspielen zurück, bei denen man sich ein Augenrollen kaum verkneifen kann. Letzten Endes bleibt das jedoch verzeihlich, weil Loretta Napoleoni mit diesem Buch eine Liebeserklärung an das Stricken gelungen ist und mir, als jemandem der leidenschaftlich gern zu Nadeln und Wolle greift, unterhaltsame und interessante Lesestunden beschert hat. Empfehlenswert!

Cover des Buches World Travel (ISBN: 9783864931970)

Bewertung zu "World Travel" von Anthony Bourdain

World Travel
himbeerbelvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Nur halb so subjektiv wie erwartet
Nur halb so subjektiv wie erwartet

Es war ganz zu Anfang unserer kulinarischen Weltreise, dass mein Herzbube und ich uns ein Video anschauten, in dem Anthony Bourdain Myanmar besucht und auf seine ganz persönliche Weise kennenlernt, indem er sich durch das dort übliche Essen durchprobiert. Das war 2016 und wir ließen uns seitdem unter anderem von einigen seiner Videos der Serien „No Reservations“ und „Parts Unknown“ inspirieren und kosteten Dank der Kochkünste meines Herzbuben die unterschiedlichsten Gerichte, die er den jeweiligen Ländern im Anschluss an seine Recherche nachempfunden hat. Wir mochten die unkonventionelle Art mit der Anthony Bourdain durch die Welt reiste, um dabei die Gaumenfreuden der Einheimischen zu entdecken und vorzustellen, und waren bestürzt als wir erfuhren, dass er sich 2018 das Leben genommen hatte. Anthony Bourdain soll unter Depressionen gelitten haben, die er gekonnt vor der Welt verbarg. Als im Februar 2022 das Buch „World Travel: Ein gnadenlos subjektiver Reiseführer“ von Anthony Bourdain erschien, war ich gleich interessiert und wollte noch ein letztes Mal mit ihm unterwegs sein.


Doch ganz so leicht macht es einem dieses Buch dabei nicht, denn es stammt nicht allein aus der Feder von Anthony Bourdain, sondern wurde zusammengestückelt aus seinen Zitaten, ergänzt um Textteile und Abschnitte von Laurie Woolever, einer Autorin und Lektorin, die fast zehn Jahre lang an der Seite Anthony Bourdains als persönliche Assistentin tätig war. So bekommt man Anthony Bourdain auf seine bekannte unnachahmliche Weise, in der er kein Blatt vor den Mund nimmt, geboten und somit wohl auch genau das, was man erwartet, wenn man ein Buch zur Hand nimmt, auf dem in großen Buchstaben sein Name prangt. Da er die einzelnen Orte und Länder nicht erst kurz vor seinem Tod bereist hat, sondern hier aus seinen zahlreichen, auch viele Jahre alten Sendungen zitiert wird, ist es gut, dass Informationen und Preise aktualisiert und ergänzt wurden. Das ist ein echter Mehrwert, der einem dieses Buch bietet, wenn man es als eine Art knappes Nachschlagewerk zu den Sendungen nutzen möchte.


„…nichts wie raus aus dem Hotel und probier ein paar von den lokalen Spezialitäten. Neue Gerichte zu entdecken, die einem schmecken, gehört doch schließlich zu den geilsten Aspekten des Reisens.“ (S. 107)


Aber zu den einzelnen Stationen des Buches gibt es immer auch einen etwa gleich großen Teil, in dem Flughafen, öffentliches Verkehrsnetz und Taxi-Trinkgelderwartungen beschrieben werden. Sicherlich sind dies Informationen, die in einem guten Reiseführer nicht fehlen sollten, die jedoch in diesem Buch wie ein Fremdkörper wirken und es nur unnötig aufblähen. Denn um sich Reiseführer nennen zu dürfen – und sei er noch so subjektiv – bietet dieses Buch zu wenig, auch wenn man vom luxuriösen bis zum preiswerten Hotel und von der hochkarätigen Frittenbude bis zum besseren Restaurant in dem Buch Bourdains aktualisierte Perlen findet. Die anderen Informationen wirken wie unvollständiges Füllmaterial, das das Buch auf die doppelte Seitenzahl und wohl auch in eine höhere Preisklasse bringen soll. Das hinterlässt beim Lesen einen leicht schalen Nachgeschmack und den Eindruck, dass hier einfach noch mal richtig Kasse mit einem bekannten Namen gemacht werden soll.


Nichtsdestotrotz ist es mir gelungen die Bourdain-Zitate mal amüsiert und mal mit einem Stirnrunzeln bezüglich seiner allzu offenen Ausdrucksweise zu lesen. Bourdain eben. Irgendwie war es schön ihm noch einmal in Buchform zu begegnen, doch insgesamt hätte ich mir eher einen komplett subjektiven Rückblick auf Bourdains Reisen in „World Travel“ gewünscht.

Cover des Buches Gesichter (ISBN: 9783351039387)

Bewertung zu "Gesichter" von Tove Ditlevsen

Gesichter
himbeerbelvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Erschreckend realitätsnah in der Darstellung einer Psychose
Erschreckend realitätsnah in der Darstellung einer Psychose

Als ich im vergangenen Monat entdeckte, dass von Tove Ditlevsen ein neues Buch in deutsch übersetzt von Ursel Allenstein erscheinen würde, stand für mich gleich fest, dass ich es lesen werde. Ich war von der Kopenhagen-Trilogie im letzten Jahr so begeistert, dass ich nicht einmal wissen musste, worum es in ihrem neuen Buch eigentlich geht. Vermutlich hätte ich dennoch dazu gegriffen, auch wenn ich gewusst hätte, welches Thema mich erwartet. Denn inzwischen halte ich mich für psychisch so weit gefestigt, dass mich Dämonen aus meiner Vergangenheit nicht gefühlsmäßig überrollen, wenn sie mir in Büchern begegnen. Tatsächlich hatte ich jedoch an diesem Buch ziemlich zu knabbern, weil ich mich an eigene psychotische Erlebnisse erinnert fühlte.


Das liegt nicht so sehr an der Geschichte, die Tove Ditlevsen über ihre Protagonistin Lise Mundus autofiktional erzählt, sondern vielmehr an der Intensität, mit der sie dies tut. Auch wenn mir die inflationär verwendeten Vergleiche und die Bildhaftigkeit ihrer Sprache unangenehm auffielen, so führten diese jedoch genau dazu, dass ich mir lebhaft vorstellen konnte, was in Lise Mundus vorgeht und in welche Verwirrung sie ihre Wahrnehmungen stürzen. Man erlebt beim Lesen hautnah die Psychose der Protagonistin mit, die sie so sehr mitreißt, dass sie nicht mehr Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden weiß und in ihrer ganz eigenen Realität lebt.


Um sich aus ihrem vermeintlich bedrohlichem Zuhause, in dem Mann und Haushälterin sie betrügen und ihr nach dem Leben trachten, zu befreien, täuscht sie ihren Suizid vor und nimmt eine beachtliche Menge Schlaftabletten zu sich, an denen sie fast stirbt. Schließlich landet sie im Jahr 1968 in der Psychiatrie. Als aggressive Patientin, die Essen und trinken verweigert, weil sie fürchtet vergiftet zu werden, wird Lise Mundus fixiert, sie halluziniert und hört Stimmen in Wasserrohren, Heizkörpern und sogar in ihrem Kopfkissen. Ein Zustand, den man beim Lesen nachfühlt und kaum ertragen kann. Aber man erfährt auch, wie sich ihre Lage allmählich bessert und sie zu unterscheiden lernt, was ihr der Wahn beschert und was vielleicht doch real ist.


Man muss nicht die Kopenhagen-Trilogie gelesen haben, um mit diesem Buch etwas anfangen zu können. Wenn man die Bücher jedoch kennt, nimmt man „Gesichter“ als ein Buch wahr, das sich mit den stark autofiktionalen Anteilen in die Geschichte von Tove Ditlevsen einfügt und dem Gesamtbild eine Komponente hinzufügt. Keine leichte Kost und in seiner Wahnhaftigkeit doch erschreckend realitätsnah in der Darstellung einer Psychose.

Cover des Buches Was bleibt, wenn wir sterben (ISBN: 9783257071764)

Bewertung zu "Was bleibt, wenn wir sterben" von Louise Brown

Was bleibt, wenn wir sterben
himbeerbelvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Ein tröstendes und befreiendes Buch
Ein tröstendes und befreiendes Buch

„Seit der Tod in mein Leben getreten ist – und so fühlt es sich bis heute an -, hat er einiges in mir bewegt. So ist die Angst vor dem nächsten Verlust präsenter geworden. Die Garantie, dass ich oder meine Liebsten morgen noch hier sind, gibt es nicht. Auch scheint es unmöglich zu sein, das Sterben von anderen mitzuerleben, ohne an das eigene zu denken.“ (S. 210)


Keine leichte Thematik und ich muss gestehen, dass ich mich ein wenig davor gefürchtet habe, dass das Buch mich traurig machen könnte und in dieser komischen Zeit, die durchsetzt ist mit ihren ganz eigenen Problemen und indirekt immer auch den Tod im Gepäck hat, stimmungsmäßig so richtig runterziehen könnte. Doch diese Sorge war unbegründet, denn Louise Brown versteht sich darauf die richtigen Worte zu finden und nimmt einen behutsam an die Hand, um das Thema Tod zu beleuchten.


Dabei begibt man sich unweigerlich auf eine Reise in die eigene Erinnerung und begegnet den Lieben, die man schon gehen lassen musste. Das machte mich jedoch nicht traurig, auch wenn ich mich an Schmerz und Trauer erinnerte. Vielmehr ist es ein liebevoller Blick zurück und immer auch eine Einladung, sich nicht nur mit dem eigenen unausweichlichen Tod, sondern außerdem mit dem Leben zu beschäftigen.


Die Journalistin Louise Brown versuchte nach dem Tod ihrer Eltern der Endlichkeit des Lebens etwas sinnstiftendes abzugewinnen und wurde als Trauerrednerin Zeugin dessen, was von uns bleibt. Dies veränderte nicht nur ihre Einstellung zum Tod, sondern auch ihre Haltung zum Leben. Im ersten Teil des Buches geht es um die Konfrontation mit dem Tod, in zweiten Teil um das Leben mit der Trauer, im dritten Teil schließlich darum, die Endlichkeit anzunehmen. Louise Brown schenkt uns unvergessliche Bilder, die daran erinnern, was uns als Menschen ausmacht.


„Ein guter Tod bedeutet für mich: Bevor ich sterbe, möchte ich mich um die Dinge gekümmert haben, die mir wichtig sind. Ich möchte, dass meine Kinder sich geliebt und sicher fühlen. Ich möchte ein mitfühlender und zärtlicher Mensch sein. Ich möchte meiner Welt dienlich sein mit dem Werkzeug, das ich habe. Wenn ich so weit bin, will ich so weit sein. Diese Gedanken an den eigenen Tod helfen mir, Klarheit darüber zu bekommen, welche Geschichte ich von meinem Leben erzählen möchte.“ (S. 232)


Ein tröstendes und befreiendes Buch, das Mut macht, das Leben auf die Dinge auszurichten, die von Bedeutung sind und ein Buch voller Wärme und Menschlichkeit, das Raum schafft, über die eigene Endlichkeit nachzudenken und mit ihr Frieden zu schließen meint der Klappentext. Dem kann ich nur beipflichten und möchte das Buch Lesern empfehlen, die einen liebevollen Blick zurück werfen und sich außerdem mit dem Gedanken an die eigene Vergänglichkeit aussöhnen möchten. Empfehlenswert!

Cover des Buches Every (deutsche Ausgabe) (ISBN: 9783462001129)

Bewertung zu "Every (deutsche Ausgabe)" von Dave Eggers

Every (deutsche Ausgabe)
himbeerbelvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Tolle Ideen, aber schwacher Plot
Tolle Ideen, aber schwacher Plot

Vor einigen Jahren las ich begeistert den Roman „Der Circle“ von Dave Eggers, der davon handelt, welche Auswüchse es haben kann, wenn der größte Suchmaschinenkonzern und die am weitest verbreitete Social-Media-Plattform in einer Firma vereint sind. Es war schon beängstigend, aber auch kurios, zu lesen was übergroße Transparenz und Überwachung, aber auch der Druck von Social Media aus Menschen machen kann. In seinem neuen Roman „Every“ geht Dave Eggers noch einen Schritt weiter. Der Circle fusioniert mit dem weltweit größten Online-Versandhaus und wird zu Every, dem reichsten und gefährlichsten Monopol aller Zeiten.


Delany Wells ist die Neue bei Every und hat als unerschütterliche Technikskeptikerin nur ein Ziel vor Augen: Sie will die Schwachstellen der Firma herausfinden, um sie von innen heraus zu zerschlagen. Sie versorgt Every mit ‚vergifteten‘ Ideen für Apps, bewirkt aber tatsächlich das Gegenteil von dem, was ihr eigentlich vorschwebt. Denn niemand regt sich auf, die Gesetzgeber bleiben stumm, Aufsichtsbehörden unsichtbar, und die Verkaufszahlen gehen durch die Decke.


Wie schon bei „Der Circle“ weiß Dave Eggers unsere Wirklichkeit so konsequent weiterzudenken, dass einem der Atem stockt beim Lesen. Man erkennt Technologien und manche Herangehensweisen der Firma und der Apps wieder und ist als technikbegeisterter Mensch einigermaßen angetan von den Ideen, die der Autor hier ausbrütet und unter die Leute seines Romans bringt. Beim Lesen dachte ich oft daran, wie viel Spaß es Dave Eggers gemacht haben muss, sich die vielen Weiterentwicklungen von Apps, Geschäftspraktiken und Gesellschaftsstrukturen auszudenken und auch ich hatte Freude daran, darüber zu lesen.


Aber das alles ist sehr nah an unserer Wirklichkeit entwickelt und die Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, sind nicht unbekannt. Das sorgt auch dafür, dass man beim Lesen nicht zu großen Spaß empfindet. Denn hier werden Lösungen für Probleme gefunden, die sich bei genauerer Betrachtung keiner wünschen kann. Denn wo Licht ist, ist auch Schatten was bei Dave Eggers mit dem Verlust der Freiheit und Bevormundung durch den Monopolisten einher geht.


So sehr mich die Rahmenbedingungen dieser Dystopie begeistern konnten, so schwach fand ich jedoch die eigentliche Geschichte der Protagonistin und ihrer Vorgehensweise. Die Handlung plätschert eher vor sich hin. Etwa ab der Hälfte des Buches nimmt die Geschichte ein wenig an Fahrt auf, aber es ist eher die Frage danach, ob es der Protagonistin gelingen wird Every zu zerschlagen, die einen beim Lesen bei der Stange hält. Das Ganze mündet schließlich in einem Ende, das ich so nicht erwartet habe, das ich jedoch stimmig fand. Insgesamt ein gruseliges Zukunftsszenario, das beim Lesen nachdenklich macht.

Cover des Buches Dumm gegessen! (ISBN: 9783426277997)

Bewertung zu "Dumm gegessen!" von Hans-Ulrich Grimm

Dumm gegessen!
himbeerbelvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Die Risiken ultraverarbeiteter Nahrung
Die Risiken ultraverarbeiteter Nahrung

„Wie uns die Nahrungsindustrie um den Verstand bringt“ lautet der provokante Untertitel des Buches, der gleich mein Interesse weckte. Die Menschen werden immer älter, aber das menschliche Gehirn schrumpft und ist heute weniger leistungsfähig. Es altert sogar schneller als in früheren Zeiten, warnen neueste wissenschaftliche Untersuchungen. Die geistige Performance lässt nach, es steigt die Gefahr, an Alzheimer und Demenz zu erkranken und schon bei den Schülern lässt die geistige Leistungsfähigkeit seit 1999 immer mehr nach. Der entscheidende Grund dafür ist unsere Ernährung, sagt der Nahrungskritiker Dr. Hans-Ulrich Grimm, der seine jahrelangen Recherchen in der Welt der industrialisierten Nahrungsmittel bereits in zahlreichen Bestsellern präsentiert hat.


In seinem neuen Buch hat er Wissenswertes aus mehreren neuen Forschungsdisziplinen zusammengetragen, die sich mit dem Gehirn beschäftigen, zum Beispiel die Hirnernährungswissenschaft (Nutritional Neuroscience), bei der es um die Ernährung des Gehirns ganz generell oder die Ernährungspsychiatrie (Nutritional Psychiatry), bei der es um die Folgen der Nahrung für die Psyche, das Verhalten und den Charakter geht. Hans-Ulrich Grimm zeigt, wo die Gefahren lauern.


Es fehlt an hirnwichtigen Nährstoffen, dafür gibt es eine Flut neuer Schadstoffe, Chemikalien, Zusatzstoffe und auch mehr Zucker, mehr Salz und dazu völlig neuartige Problemstoffe, die durch die industrielle Produktion überhaupt erst entstehen. Der entscheidende Punkt ist, ob das herrschende Ernährungssystem die Versorgung des Gehirns begünstigt und die grauen Zellen schützt – oder sie schädigt. Die Probleme entstehen erst durch die Extrempraktiken der Lebensmittelkonzerne, durch die eigens konstruierte ultraverarbeitete Nahrung, für die es oft nicht einmal ein Vorbild in der Natur gibt – und durch ihren wachsenden Anteil an der Versorgung.


Hans-Ulrich Grimm erklärt, was manche Stoffe fürs Gehirn problematisch werden lässt, wozu sie eingesetzt werden und wie sie in der Zutatenliste gefunden werden können. Dabei macht er auch nicht davor halt die Lebensmittelkonzerne und deren Produkte zum Teil namentlich zu benennen. Fast beschleicht einen beim Lesen das schlechte Gewissen, weil man vieles einfach kennt und vielleicht sogar gern konsumiert hat. Und als hätte man es nicht längst geahnt, bekommt man nun schwarz auf weiß bestätigt, dass man sich damit nichts Gesundes gegönnt hat.


Aber der Autor schafft es die Dringlichkeit eines Umdenkens zu vermitteln. Nötig ist eine umfassende Ernährungswende, auch ein Paradigmenwechsel bei der Bewertung von Nahrung, ein neuer Begriff von Lebensmittelsicherheit, der auch den Grad der industriellen Verarbeitung als Risikofaktor anerkennt. Das Beste ist und bleibt halt selbst zu kochen, frisch und regional, nach Jahreszeiten, „viel Obst, viel Gemüse, ein bisschen Fleisch, etwas Fisch, wenig Zucker, keine Chemie, also kein Fast Food, keine Fertiggerichte, keine Softdrinks. Frisch zubereitet, hohe Qualität bei den Rohstoffen, glückliche Tiere.“


Das klingt nicht nach umwälzenden neuen Erkenntnissen und doch habe ich viel Bemerkenswertes und auch einiges Neue in dem Buch erfahren können, so dass ich es Lesern empfehlen kann, die sich für die Thematik interessieren.

Cover des Buches Barbara stirbt nicht (ISBN: 9783462000726)

Bewertung zu "Barbara stirbt nicht" von Alina Bronsky

Barbara stirbt nicht
himbeerbelvor 2 Jahren
Kurzmeinung: Bitterböse und doch warmherzig
Bitterböse und doch warmherzig

Alina Bronsky wurde 1978 in Jekaterinburg/Russland geboren und lebt seit den Neunzigerjahren in Deutschland. Ihren Debütroman „Scherbenpark“ mochte ich sehr und fand auch „Baba Dunjas letzte Liebe“ großartig. Deshalb griff ich gespannt zu ihrem neusten Buch „Barbara stirbt nicht“ und wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht.


Auf knapp 256 Seiten dreht sich alles um Herrn Schmidt. Der Rentner wacht eines morgens auf und vermisst den Duft frisch aufgebrühten Kaffees. Verwirrt steht er auf und findet seine Frau Barbara im Bad liegend vor. Er hilft ihr zurück ins Bett und muss sich fortan in völlig neuen Lebensumständen zurechtfinden. Denn Barbara funktioniert nicht mehr und er ist ab sofort für alles im Haushalt verantwortlich. Herr Schmidt, der nie auch nur den kleinen Finger krumm gemacht hat, steht plötzlich vor Problemen, wie z. B. wie man Kaffee kocht oder was der Hund zu fressen bekommt. Und nicht zuletzt, was und wie er für sich und Barbara kochen soll, damit sie wieder auf die Beine kommt.


Es sei nur verraten, dass Herr Schmidt auf seine grantig schrullige Art Mittel und Wege findet mit seinen neuen Aufgaben irgendwie zurecht zu kommen. Dabei geht er sogar voller Abneigung in den Austausch zu seinen Mitmenschen und als Leser kann man kaum umhin zu erkennen, dass der alte Miesepeter doch über ein Herz verfügt. Doch das ist bei aller Grummeligkeit nur ganz leise und bei genauem Hinschauen in seinen Taten und keinesfalls in seinen Worten zu erkennen.


Da der personale Erzählstil aus der Sichtweise von Herrn Schmidt geführt wird, muss man mit seiner unangenehmen egoistischen Denkweise zurechtkommen, auch wenn er eigentlich zu der Sorte Mensch gehört, mit der man lieber nichts zu tun haben möchte. Und doch ist es Alina Bronsky gelungen hier einen Charakter zu erschaffen, den man letztlich doch mag, weil er in seiner Ruppigkeit und nach all den Ehejahren endlich erkennt, dass Barbara die perfekte Frau für ihn war. Und zumindest insgeheim wird er in manchen Punkten einsichtig, zeigt sich sogar menschlich und beginnt über sich hinaus zu denken.


„Barbara stirbt nicht“ ist ein bitterböse und dennoch warmherziges Buch, das ganz abrupt endet. Es lässt einen zunächst etwas ratlos zurück, weil das doch unmöglich der Schluss sein kann und man so gerne noch weitergelesen hätte. Aber das Ende erschließt sich dem Leser auch so und erzählt sich nach dem letzten Satz im Kopf weiter. Hoffnungsvoll und doch traurig. Ein wundervolles Buch.

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