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hproentgen

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Cover des Buches Ausbruch (ISBN: 9783867542180)

Bewertung zu "Ausbruch" von Dominique Manotti

Ausbruch
hproentgenvor 10 Jahren
Kurzmeinung: Ein toter Terrorist wird zum Mythos
Ein toter Terrorist wird zum Mythos

Filippo ist ein Kleinkrimineller in Rom. Im Gefängnis teilt er seine Zelle mit dem berühmten Carlo, berühmt, weil er in den Siebzigern ein Führer der terroristischen roten Brigaden in Italien war. Dessen Erzählungen faszinieren Filippo und als Carlo aus dem Gefängnis ausbricht, schließt sich ihm Filippo kurzentschlossen an.

 Doch Carlo hält nichts von dem Taschendieb, er trennt sich von ihm und nennt ihm nur eine Adresse in Paris, falls er aus Italien flüchten müsse.

 Einen Monat später wird Carlo bei einem mißglückten Banküberfall getötet. Die Polizei und die Zeitungen verdächtigen Filippo, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein und er flieht nach Paris, zu der Adresse, die ihm Carlo gegeben hat: Eine ehemalige Freundin von Carlo. Sie versorgt ihn mit einer Wohnung und einer Nachtwächterstelle, doch ansonsten interessiert sie sich auch nicht mehr als Carlo für Filippo.

Der ist frustriert. Carlo hat ihm die Kämpfe Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger in Italien so farbenprächtig geschildert, er hat davon geträumt, mitzukämpfen, doch jetzt sitzt er in einem Kabuff in einem Hochhaus und beobachtet die Monitore, damit sich niemand nachts in das Gebäude stiehlt.

So beginnt er zu schreiben. Die Geschichte von Filippo und Carlo, wie er sie gerne erlebt hätte. Zwei Freunde, die jeder Gefahr trotzen, zwei Robin Hoods, die zusammenstehen, in guten und in bösen Tagen und nur der Verrat kann sie trennen. Den Bankraub (oder das, was er darüber gelesen hat), baut er geschickt in die Geschichte ein. Er will damit seine Vermieterin beeindrucken, ebenfalls eine politische Italienerin, die aus Italien floh, die ihm aber nicht die Aufmerksamkeit schenkt, die er sich wünscht.

Die Vermieterin ist begeistert und vermittelt ihn an einen Verlag. Und das Verhängnis nimmt seinen Lauf, der Verlag veröffentlicht das Buch, für die Kulturredakteure ist es ein gefundenes Fressen, genau die Geschichte, die sie sich ebenfalls erträumen. Natürlich sind alle überzeugt, es sei autobiografisch.

Leider stößt das Buch nicht überall auf freundliche Aufnahme. Da ist die Ex von Carlo, die immer noch ihren alten Träumen nachtrauert und eifersüchtig ist, dass jetzt ein hergelaufender Kleinkrimineller das Bild von Carlo, dem Bandenchef malt. Da ist die italienische Polizei, die mit dem Bankraub eigene Pläne verfolgt und die extreme italienische Rechte, die Filippos Buch ebenfalls ausnutzen möchte. So kommt es dazu, dass ...

Nein, das müssen Sie jetzt selbst lesen.

Dominique Manotti hat nicht nur einen spannenden Krimi geschrieben, sie hat auch die Literaturschickeria aufs Korn genommen und die Medien, die Mythen so lieben und sie als "wahre Geschichten" verkaufen. Kein Zweifel, die Autorin kennt diese Szene, die Personen stehen dem Leser lebendig vor Augen, die Geschichte reißt den Leser mit.

Leider ist der Anfang mühselig, die ersten fünfzig Seiten im gleichförmigen Stakkato-Stil geschrieben und die Figuren reden hölzern, immer voll ausformulierte Sätze, die den Duden freuen, den Leser aber nicht. Filippo, der Kleinkriminelle, der kaum lesen und schreiben kann, sagt Sätze, die ihm die Autorin in den Mund legt, die aber nicht zu ihm passen. Und Carlo erzählt so platt, dass ich mich wundere, dass diese steifen politischen Glaubensbekenntnisse Filippo so beeindrucken, dass sie ihn zu seinem Buch beflügeln. Sicher, die radikale, terroristische Linke ist nicht für anschaulichen Stil bekannt, sondern dafür, dass ihre Statements sich so aufregend lasen, wie die neuesten EU-Paragraphen. Aber seitenlange Ergüsse in solchem Stil, mit viel Klischee vermengt, fördern nicht den Lesefluss.

"Carlo erzählte von den bald schon täglichen Versammlungen in seiner Fertigungshalle, in seiner Fabrik, wo jedermann das Wort ergriff und wo jedermanns Wort gleich viel wog, wo man tastend ein kollektives Denken, einen kollektiven Willen entwickelte.

Dann flammte Begeisterung in Carlo auf, wenn er beschrieb, wie sie fasziniert die Macht von Menschen entdeckten, die gemeinsam handeln, und die alle gleich sind."

Leider werden diese Erzählungen nie konkret, die Autorin sagt, wie es war, aber der Leser erlebt es nicht. Außer einmal, wenn Carlo eine Szene mit seinem Großvater schildert. Auch die Ex-Freundin Carlos wird nie richtig lebendig. Was in den Teilen über den Literaturbetrieb, über die Intrigen der italienischen Politik und Gerichte so farbig erzählt wird, fehlt in Szenen über die alten Rotbrigadisten leider weitgehend. Ob das deshalb so ist, weil die Autorin den Buchmarkt und die italienische Politik kennt, die Rotbrigadisten aber nur durch ihre Pamphlete? Ich weiß es nicht.

Möglicherweise ist deshalb mancher Leser versucht, das Buch vielleicht vorzeitig zuzuklappen. Doch "Ausbruch" ist eines der wenigen Bücher, bei denen es sich lohnt, einen nur bedingt spannenden Anfang durchzustehen. Die weitere Geschichte entschädigt für alles, das verspreche ich Ihnen.

Fazit: Holpriger Anfang, der aber bald Fahrt gewinnt und den Leser in eine spannende Geschichte über Mythenbildung und Politik verwickelt.

 

Leseprobe: leider keine Leseprobe

Interview mit der Autorin: http://www.argument.de/ak/manotti_interview.html


Ausbruch, Dominique Monetti, Argument, März 2014

ISBN-13: 978-3867542180, gebunden, 256 Seiten, Euro 17,00

 

 

Cover des Buches Ein paar Tage Licht (ISBN: 9783832196608)

Bewertung zu "Ein paar Tage Licht" von Oliver Bottini

Ein paar Tage Licht
hproentgenvor 10 Jahren
Algerien zwischen Islamisten, alten Militärs und deutschen Waffenexporten

Djamel spielt Fußball, als sein Vater verschwindet. Die Militärs haben ihn abgeholt, er taucht nie wieder auf. Pech gehabt. Einer der hundertausende, die in den Neunzigern zwischen die Fronten von Militär und Islamisten geraten und für immer verschwinden. Berichten darf man in Algerien noch immer nicht davon.

 

Dann reist ein deutscher Waffenhändler an, Peter Richter, der ein Lizenzwerk in Algerien betreuen will. Das Werk liegt in Constantine und er ist begeistert über die Landschaft. Doch als er Abends die Altstadt besichtigen will, hindern ihn seine Bewacher daran. Zu gefährlich. Und dann wird er entführt. Eine unbekannte islamistische Splittergruppe übernimmt die Verantwortung. Die Islamisten sind oft der Vorwand für die Militärs, ihre Unterdrückung zu perfektionieren. Und aus Deutschland Waffen zu beziehen. Korruption munkelt man, aber Beweise hat niemand. Oder rückt sie nicht heraus.

 

Ralf Eley ist BKA Kontaktbeamter bei der deutschen Botschaft in Algier. Doch die algerischen Behörden verbieten ihm die Ermittlungen. Zu gefährlich sagen sie. Eley glaubt nicht an die Splittergruppe, er weiß, dass die Islamisten der alten Garde -  "le pouvoir" nennen sie die Algerier - oft als Vorwand dienen. Um sich zu bereichern, um sich an der Macht zu halten.

 

Djamel, nun erwachsen, will seinen Vater rächen. Und damit nimmt eine rasante Geschichte ihren Lauf. Spannend, schockierend, bedrückend.

 

Oliver Bottini hat sich tief in die Geschichte Algeriens eingearbeitet. Von dem Befreiungskrieg gegen die Franzosen bis heute spannt sich der Rahmen. Er schildert die Landschaften, dass man meint, sie am Fenster vorbeifliegen zu sehen, er lässt die Personen lebendig werden, der Leser begreift, warum es in Algerien keinen arabischen Frühling gegeben hat und wie Waffenexporte in Deutschland laufen.

 

Schwarz-weiß Malerei ist nicht sein Ding. Alle seine Personen sind in eine Geschichte verwoben, habe ihre eigenen Leichen im Keller, wir verstehen, warum sie handeln, wie sie handeln und gerade das macht den Roman so bedrückend. Ein Roman, der die Liebe zu einem großartigen Land atmet und die Verzweiflung darüber, dass es immer wieder in Blut und politischer Gewalt ertränkt wird. Danach hat man nicht nur einen superspannenden Roman gelesen, man weiß eine Menge über Land, Leute und Geschichte und auch einiges über deutsche Rüstungsexporte. Und am Ende gibt es ein ausführliches Nachschlagekapitel, das aufzählt, was im Buch erfunden und was bittere Wahrheit ist. Wäre schön, wenn auch andere Bücher dies übernehmen würden.

 

Ein wenig erinnert es an Yasmina Khadras "Die Schuld des Tages an die Nacht" oder an "Nacht über Algier", ebenfalls ein guter Roman über Algerien, ebenfalls ein Krimi, der dem Leser staunend und entsetzt zurücklässt.

 

Ach ja, das Buch stand im April auf der Krimizeit Bestenliste auf Platz 2. Verdient, finde ich.

 

Hans Peter Roentgen

 

Leseprobe: http://www.bic-media.com/dmrs/widget.do?buyButton=no&showTitle=no&lang=de&isbn=9783832196608&width=200&height=375&pageHost=www.dumont-buchverlag.de&LocalHost=http:&jumpTo=book&configUrl=http://www.bic-media.com/dmrs/widget/&startingPage=1&searchStr=&matchesStr=&&myAdress=http%3A//www.dumont-buchverlag.de/buch/Oliver_Bottini_Ein_paar_Tage_Licht/13559&widgetSource=http%3A//www.dumont-buchverlag.de/buch/Oliver_Bottini_Ein_paar_Tage_Licht/13559

Homepage des Autors: http://www.bottini.de/

 

Ein paar Tage Licht, Kriminalroman, Oliver Bottini, Dumont, Februar 2014

ISBN-13: 978-3832196608, gebunden, 512 Seiten, Euro 19,99 (Ebook: 14,99)

 

 

Cover des Buches Fehlurteil (ISBN: 9783839215128)

Bewertung zu "Fehlurteil" von Sascha Berst-Frediani

Fehlurteil
hproentgenvor 10 Jahren
Dr Watson und Sherlock Margarethe in der Freiburger Justiz

»Als ich ihn neben ihr stehen und auf sie einreden sah mit seinem schwarzen Hut, von dem der Regen tropfte, der dicken Jacke, deren schwarz-weißes Fischgräten-Muster zuletzt vor 20 Jahren modern gewesen sein mochte, den eindringlichen Gesten und einem Blick, der wie besessen schien, hielt ich ihn für einen Querulanten, wie man sie auf den Gängen der Gerichte, Behörden und Kanzleien immer wieder trifft. Männer meist, oft ungepflegt und ungewaschen, die davon überzeugt sind, dass ihnen bitterstes Unrecht geschehen ist, und nun, bewaffnet mit Stapeln von zerschlissenen Papieren, Unterlagen, Urteilen, ausgerissenen Zeitungsartikeln, Briefen, Bittschriften und Petitionen einen Richter oder einen Anwalt suchen, der ihnen helfen soll, ja, helfen muss, das vermeintliche Unrecht ungeschehen zu machen. Sie fordern Gerechtigkeit!, lautstark und unbedingt, und ahnen dabei nicht, dass das Wort allein schon den Juristen unangenehm berührt«

 

Ein alter Mann, ein Jude spricht die junge Staatanwältin Margarethe an. Er hatte versucht, das Haus seines Vaters zurück zu gewinnen, das dieser in der Nazizeit einem Deutschen für ein Spottgeld verkaufen musste. Doch ein Gericht hat diese Rückübereignung abgelehnt und nun hat er einen Strafantrag gestellt. Wegen Rechtsbeugung, gegen den Senat eines Oberlandesgerichts.

 

Rechtsbeugung! Klarer Fall von Querulantentum, so sieht es zunächst aus, so sieht es der junge italienischstämmige Staatsanwalt Tedeschi. Doch seine Kollegin Margarethe bemerkt Ungereimtheiten. Nicht nur die Akte ist verschwunden, auch die zugehörige Karteikarte. Und nach und nach tauchen weitere Merkwürdigkeiten auf. Der Vorsitzende des Senats ist allerdings ein mächtiger Mann im Ländle, war Abgeordneter und Justizminister. Keiner, der in der Justiz etwas werden will, legt sich mit so einem an. Das meint auch Margarethes Verlobter, der als Verteidiger Karriere machen will. Er ist nicht der einzige, der ihr Steine in den Weg legt.

 

Auch ihr Kollege Tedeschi rät ihr, die Sache einzustellen. Doch dann packt auch ihn dieser Fall und die beiden verfolgen diesen merkwürdigen Fall gemeinsam. Nicht ungefährlich, im Justizsystem sich mit der obersten Hierarchie anzulegen.

 

Der Schriftsteller und Rechtsanwalt Ellen Stanley Gardner hat vor etlichen Jahrzehnten amerikanische Gerichtsthriller geschrieben und gezeigt, welche Spannung man damit erzeugen kann. Herbert Rosendorfer, ebenfalls ein Jurist, hat in seinen Büchern immer wieder Justizfragen aufscheinen lassen. „Fehlurteil“ erinnert an die beiden Vorbilder. Sascha Berst ist Anwalt und jede Zeile seines Buches zeigt, dass er weiß, wovon er schreibt. Wir tauchen in die Freiburger Justiz ein, erleben Anwälte, Richter und Staatsanwälte, ihre Träume und ihren Berufsalltag, die Intrigen und die Arroganz der Macht.

 

Nicht zu vergessen: der kleine, dickliche Tedeschi, Sohn eines italienischen Gastarbeiters, der in Sindelfingen am Band schuftete. In der sehr deutschen Justiz der Neunziger Jahre eine ungewöhnliche Figur, die meisten Juristen stammen aus alteingesessenen Bürgerfamilien. Tedeschi, dieser schwäbelnde Deutsch-Italiener weiß nicht genau, wo er eigentlich zu Hause ist, und er ist auch nicht wirklich der Held der Geschichte. Er ist Dr. Watson neben Sherlock Margarethe. Aber Watson alias Tedeschi erzählt sie uns, erzählt über seine Kollegin, die er heimlich verehrt, über Männerbünde und Burschenschaften, über Freiburg und Skandale, über eine Frau, die sich so auf Männer versteht und sie für sich einspannen kann und doch wählt sie sich den falschen Freund aus.

 

Ein spannender Gerichtskrimi also. Aber es ist noch viel mehr. Da ist einmal die genaue Beschreibung, jeder Ort, jede Person steht lebendig vor dem Leser; da ist die Sprache, bei der jedes Wort genau gewählt wurde und passt; da ist der langsame, aber gekonnte Aufbau einer Spannung, die einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt. Obwohl: Soviel passiert dort gar nicht. Kein Blut, kein Serienkiller, keine Schießerei und doch ist es spannender als viele, viele Krimis voller Action. Dass wir dabei auch eine Zeitreise durch die Geschichte der deutschen Justiz machen, kommt noch hinzu. Krimi at his best und gleichzeitig gute Literatur.

 

 

Leseprobe: http://www.amazon.de/Fehlurteil-Justiz-Thriller-Krimi-im-Gmeiner-Verlag-ebook/dp/B00HWRF5ZY/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1391977379&sr=8-1&keywords=fehlurteil#reader_B00HWRF5ZY

 

Fehlurteil, Krimi, Sascha Berst, Gmeiner, Februar 2014

ISBN-13: 978-3839215128, Tb, 309 Seiten, Euro 11,99 (E-Book Euro 9,99)

 

 

Cover des Buches Empfindliche Wahrheit (ISBN: 9783550080364)

Bewertung zu "Empfindliche Wahrheit" von John le Carré

Empfindliche Wahrheit
hproentgenvor 10 Jahren
Private Geheimdienste, vertuschte Entführungen und neue Gesetze

Paul, ein Diplomat im Dienste ihrer Majestät, spielt das rote Telefon bei einer geheimen Aktion in Gibraltar. Ein privater Geheimdienst soll einen islamistischer Waffenhändler dingfest machen. Doch die Aktion geht schief und Paul, der gar nicht Paul heißt, wird vor dem Ende abgezogen - und befördert.


Ein junger Nachwuchsdiplomat wird Sekretär eines Ministers und erfährt Dinge, die er nicht erfahren soll.

Und der Offizier, der die Aktion befehligte, geht vor die Hunde, weil er seine Erinnerungen nicht zum Schweigen bringen kann.

Le Carre hat ein Meisterwerk geschrieben, so aktuell, dass man glauben mag, dass es eine Dokumentation ist, keine ausgedachte Geschichte. Der drittklassige Minister ohne Moral; der smarte Chef des privaten Geheimdiensts, den er beauftragt; der Botschafter, der weiß, wie verkehrt die Außenpolitik läuft und der dennoch mitmacht und all die anderen Figuren aus Politik und Geheimdienst sind so realistisch gezeichnet, dass man glaubt, man habe sie gestern in den Nachrichten gesehen, wie sie die Horch- und Guck-Aktionen von NSA und anderen Geheimdiensten verteidigten und neue Gesetze zur Überwachung vorschlagen.

Langsam erzählt Le Carré seine Geschichte, Stück für Stück enthüllt er sie, lässt den Hintergrund lebendig werden und die Figuren und quält den Leser, der wissen will, wie es weitergeht. Spannung pur.

Ein beklemmendes Buch, politisch aktuell und literarisch meisterhaft geschrieben vom Altmeister der Geheimdienst-Thriller.

 

Leseprobe: http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullstein/inc/forward_leseprobe.php?isbn=9783550080364

Autorenhomepage: http://www.johnlecarre.com/

 

Empfindliche Wahrheit, Thriller, John Le Carré, Ullstein, November 2013

Originaltitel: A Delicate Truth, Übersetzerin: Sabine Roth

ISBN-13: 978-3550080364, gebunden, 400 Seiten, Euro 24,99 (Ebook Euro 19,99)

 

 

Cover des Buches Vogelweide (ISBN: 9783462045710)

Bewertung zu "Vogelweide" von Uwe Timm

Vogelweide
hproentgenvor 10 Jahren
Gut geschrieben, aber wenig Inhalt

Eschenbach lebt auf einer kleinen Insel in der Nordsee als Vogelwart. Und immer wieder erinnert er sich, an seine Zeit mit Selma, an Elma und Anna, ein befreundetes Paar. Beide gehören zum gehobenen Bildungsbürgertum, ein bißchen Schickeria, ein bißchen auf intelligent machen und viel Geld.

 

Eschenbach hatte eine Softwarefirma, in der er - laut Timm - überflüssiges wegrationalisierte. Eine Aussage, so sinnfrei, wie ein Arzt, der "Krankheiten heilt". Dann fängt Eschenbach ein Verhältnis mit Anna an und geht pleite. Das Verhältnis, so klärt uns Timm auf, hat mit Begehren zu tun und über Begehren wird im Buch viel geredet - allerdings spüre ich nirgendwo Begehren, höchsten "Begehren light". So flach, wie die Figuren bleiben, sind sie für wirkliches Begehren wohl auch kaum geschaffen.

 

In einem Nebenplot hat eine alte Leiterin eines Umfrageinstituts (gemeint ist wohl Noelle Neumann) Eschenbach engagiert, um "Begehren" zu untersuchen. Allerdings agiert die Dame (und Eschenbach) so naiv, dass es fast schon unfreiwilliger Humor ist. Was ein derart flacher Strang in dem Roman zu suchen hat, weiß ich nicht.

 

Positiv ist anzumerken, dass Timm erzählen kann und deshalb bleibt das Buch trotz aller Untiefen lesbar und ich habe es zu Ende gelesen, was ich normalerweise bei solchen Büchern nicht tue. Timm beherrscht das Schreibhandwerk perfekt, schade, dass er das nicht mit einer besser Geschichte, mit lebendigern Figuren kombiniert hat.

 

Fazit: Gut geschriebenes Fast Food mit etlichen Klischees.

 

 

Leseprobe: https://www.bic-media.com/dmrs/widget.do?layout=singlepage&buyButton=no&clickTeaser=yes&arrowTeaser=yes&https=yes&showLanguageButton=yes&cid=1593026&widgetSource=https://www.bic-media.com/dmra/content/detail/detail-widget.do?cid=1593025&isbn=9783462045710

Autorenhomepage: www.uwe-timm.com

 

Vogelweide, Roman, Uwe Timm, Kiepenheuer & Witsch, 2013

ISBN-13: 978-3462045710, gebunden, 336 Seiten, Euro 19,99 (Ebook 17,99)

 

 

Cover des Buches So lektorieren Sie Ihre Texte (ISBN: 9783866711051)

Bewertung zu "So lektorieren Sie Ihre Texte" von Sylvia Englert

So lektorieren Sie Ihre Texte
hproentgenvor 10 Jahren
Wie man Manuskripte überarbeitet

So lektorieren Sie Ihre Texte, Schreibratgeber, Sylvia Englert

 

Jeder erfahrene Autor weiß es: Manuskripte müssen überarbeitet werden, in der Regel mehrfach. "Der erste Entwurf ist immer Scheiße", wußte schon Hemingway, der einige Texte angeblich über dreißigmal überarbeitet hat.

 

Doch wie lektoriert man eigene Texte? Während es jede Menge Schreibratgeber gibt, die zeigen wollen, wie man Romane verfasst, gibt es in Deutschland nur zwei Bücher zum Thema, beide sind vergriffen und nur für teures Geld antiquarisch zu kaufen: «Die Überarbeitung» und «Über das Schreiben». Obendrein ist "Die Überarbeitung" vornehmlich für literarische Autoren gedacht.

 

Sylvia Englert hat jetzt ein Buch darüber vorgelegt. Als Verfasserin zahlreicher Bücher, darunter das Standardwerk «Autoren-Handbuch: So finden Sie einen Verlag für Ihr Manuskript» weiß sie, wie wichtig die Überarbeitung ist - und wie gerne Nachwuchsautoren sich davor drücken oder einfach nicht wissen, wie sie vorgehen sollen.

 

Der erste Abschnitt beginnt mit den Figuren, dass man nicht "über sie" schreiben sollte, sondern in ihre Köpfe schlüpfen muss und manches mehr, das ein Autor überprüfen sollte, damit seine Figuren für die Leser lebendig werden. Nach den Figuren kommt der Plot, die Konflikte; der Szenendoktor für die Szenen und, ganz wichtig, die ersten und die letzten fünf Seiten.

 

Damit stellt die Autorin die Überarbeitung der Struktur an den Anfang, in Deutschland besonders wichtig, wo der Stil oft als das Entscheidende angesehen wird. Aber ein Manuskript, bei dem die Struktur, die Personen und der Plot nicht stimmen, wird auch der beste Stil nicht retten.

 

Der Stil wird im zweiten Abschnitt behandelt, zusammen mit Ton und Tempo der Geschichte und der äußeren Gestaltung.

 

Der dritte Teil behandelt das Feedback: Testleser, bezahlte Lektorate, die Hilfe von Verlagslektoren und Redakteuren.

 

So bietet das Buch eine umfassende Übersicht über die Überarbeitung, erstaunlich, dass es dennoch kurz und übersichtlich bleibt. Kein dicker, abschreckender Schinken. Sylvia Englert schreibt kurz, prägnant und leicht verständlich.

 

Ein wenig habe ich es bedauert, dass der erste Abschnitt über Personen und Plot nicht mehr Beispiele enthält. Für den erfahrenem Autor ist das kein Problem, er findet hier eine gute Zusammenfassung, die man immer wieder zu Hilfe nehmen kann, wenn es ums Überarbeiten geht. Aber für Nachwuchsautoren wären mehr Beispiele wie im zweiten Abschnitt nützlich. Gut wäre auch ein Index und ein Literaturverzeichnis am Schluss.

 

Doch da die Autorin ihre Bücher vor Neuauflagen immer wieder überarbeitet, dürfen wir hoffen. Und alles Gemecker von mir ändert nichts daran, dass das ein mehr als nützliches Standardwerk ist, das ich allen Autoren empfehlen kann.

 

 

Leseprobe: http://www.blickinsbuch.de/center/cm/cm_cm.php?Zmxhc2g9MSZ2MzE1Nj04MTUwODM4Njg3JnY3Mzc2PTk3ODM4NjY3MTEwNTEmdGFyZ2V0X2lkPTMmdjkzNjk9YU1uOHRxaGc2Tw==&mxbook=f59a4bc6df8870ec3f2a8869da1f1497

Homepage der Autorin: http://www.sylvia-englert.de/

 

So lektorieren Sie Ihre Texte, Schreibratgeber, Sylvia Englert, Autorenhaus, 2013

ISBN-13: 978-3866711051, Tb, 153 Seiten, Euro 12,95

 

 

Cover des Buches Das Lavendelzimmer (ISBN: 9783426652688)

Bewertung zu "Das Lavendelzimmer" von Nina George

Das Lavendelzimmer
hproentgenvor 11 Jahren
Eine Büchermauer, ein alter Lastkahn und eine neue Liebe

Monsieur Perdu betreibt eine Buchhandlung in einem alten Lastkahn auf der Seine. Eine Bücherapotheke soll es sein, er verkauft nur Bücher, die seine Kunden heilen sollen. Einzunehmen bei Liebeskummer, Weltschmerz und zur Überwindung von Erwachsenenängsten.

 

Sich selbst kann er nicht heilen durch die Bücher. Im Gegenteil, er hat aus Büchern eine Mauer um sich herumgebaut, eine Mauer, die ihn vor dem Leben schützen soll. Besonders dick ist die Mauer vor dem Lavendelzimmer, dem Zimmer seiner großen Liebe, die ihn vor einundzwanzig Jahren verlassen hat. Jetzt zieht eine neue Frau in dem Mietshaus ein und Monsieur Perdu traut sich erstmals seine Büchermauer einzureißen und das Zimmer zu betreten. Denn er will der neuen Mieterin, die keine Möbel hat, einen Tisch und einen Stuhl schenken.

 

Mauern einzureißen, ist nicht ungefährlich, das gilt auch für Mauern aus Büchern. Schon gar nicht, wenn die Mauer auf „1984" aufgebaut wurde. Und mit dem Fall dieser Mauer fällt auch die Versteinerung seines Herzens. Erstmals nach über zwanzig Jahren löst er die Leinen seines Bücherschiffes und fährt los. Die Seine hinab, über die Kanäle Frankreichs in die Provence. Dorthin, wo er mit seiner großen Liebe glücklich war.

 

Ein junger, verstörter Autor springt in letzter Minute auf sein Schiff, einen Bestseller hat er geschrieben und jetzt ist er ratlos und sichert sich mit Ohrenschützern gegen das Leben ab. Hinzu kommen ein neapolitanischer Koch und eine Büchernärrin, die beide ...

 

Nein, das erzähle ich jetzt nicht. Das müssen Sie schon selbst lesen.

 

Das Lavendelzimmer hat alle Zutaten zu einem Kitschroman. Viel Liebe, viel Lebensweisheiten, sogar ein Happy-End, für viele deutsche Literaten sicheres Anzeichen für "Finger weg". Nur ist es kein Kitschroman. Sondern eine ruhige Fahrt durch den Sommer; Landschaften, die man riecht und sieht, wenn sie beim Lesen vorbeigleiten; vier Leben, die langsam zu sich selbst finden und vor dem Leser ihre Geheimnisse Stück für Stück preisgeben; viel sinnlicher Tango und Erotik und die Erkenntnis, dass man Erinnerungen und das Leben nicht einfach aussperren kann. "Erinnerungen sind wie Wölfe. Du kannst sie nicht wegsperren und hoffen, dass sie dich ignorieren."

 

Doch so einfach ist das alles nicht. Denn "Im Kopf stand er [Monsieur Perdu] immer noch im Flur seiner Wohnung, vor einer Bücherwand, die ihn einmauerte." Ihm steht noch einiges mehr bevor als eine gemütliche Wasserreise in einem alten Lastkahn.

 

Poetisch und herzzerreißend, traurig und tröstend, anregend und vor dem Schlafengehen einzunehmen ist dieses Buch selbst eine Herzmedizin. Eines der Bücher, die man nicht schnell liest, sondern langsam an sich vorbeigleiten lässt, Stückchen für Stückchen, immer wieder aus der Hand legt, weil man Atem holen, seinen eigenen Träumen nachhängen will. Ein Buch, das lange nachklingt.

 

 

 

Leseprobe: http://www.amazon.de/Das-Lavendelzimmer-Roman-Nina-George-ebook/dp/B00AAABJIM/ref=cm_cr-mr-title#reader_B00AAABJIM

Homepage der Autorin: http://www.ninageorge.de/

Interview mit der Autorin: http://www.focus.de/kultur/vermischtes/nina-george-nina-george-man-braucht-jahre-um-ueber-nacht-den-durchbruch-zu-schaffen_aid_1065252.html

 

Das Lavendelzimmer, Roman, Nina George, Droemer Knaur, Mai 2013

ISBN-13: 978-3426652688, gebunden, 382 Seiten, Euro 14,99 (Ebook: 12,99)

 

 

Cover des Buches Das demokratische Zeitalter: Eine politische Ideengeschichte Europas im 20. Jahrhundert (ISBN: 9783518732472)

Bewertung zu "Das demokratische Zeitalter: Eine politische Ideengeschichte Europas im 20. Jahrhundert" von Jan-Werner Müller

Das demokratische Zeitalter: Eine politische Ideengeschichte Europas im 20. Jahrhundert
hproentgenvor 11 Jahren
Politische Ideen und ihre Wirkung

Jan-Werner Müller will die politischen Ideen und ihr Zusammenspiel mit den politischen Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts untersuchen. Keine reine Ideengeschichte also, sondern:

 

»Um ein solches Verständnis zu gewinnen, dürfen wir uns nicht mit den vorliegenden Darstellungen der Entwicklung bedeutender politischer Philosophen des europäischen 20. Jahrhunderts begnügen. Wir sollten uns vielmehr auf das konzentrieren, was sich zwischen dem mehr oder weniger akademischen politschen Denken auf der einen Seite und der Schaffung (und Zerstörung) politischer Institutionen auf der anderen Seite abspielt. Mit einem Wort: Wir müssen jene politischen Theorien erfassen, die politisch folgenreich waren.«

 

So beginnt er konsequenterweise mit dem klassischen Liberalismus der Epoche vor dem ersten Weltkrieg. Ein ungebrochener Fortschrittsglaube, der Staat in den Händen verantwortungsvoller Parlamentarier, die freilich nur von einem Teil der Gesellschaft gewählt wurden. Denn der Plebs würde, gäbe man ihm die Macht, die Gesellschaft zerstören. Das galt auch für die Frauen, denen die Fähigkeit zum Wählen, geschweige denn gar zum Regieren, rundweg abgesprochen wurde. Monarchien begründeten sich aus Gott und Aristokratie.

 

Diese Vorstellungen zerstörte der erste Weltkrieg. Den alten Eliten und dem Liberalismus der Vorkriegszeit war es nicht gelungen, den Krieg zu verhindern, geschweige denn, dass die Probleme der Gesellschaften zu lösen.

 

Auf diesem Hintergrund entstanden verschiedene politische Bewegungen samt Theorien, die den klassischen Liberalismus der Vorkriegszeit ersetzen wollten. Mussolinis Faschisten, die Nazis, die Kommunisten, klerikale Regime wie die von Franco und Salazar, Nationalstaaten, die ein einheitliches Volk mit einheitlichem Willen schaffen wollten. Sie alle benötigten Ideen, die sie legitimieren würden, aber auch die Ausgestaltung ihrer Politik prägten. Allen gemeinsam war, dass sie sich auf das Volk beriefen, dass sie, auch wenn sie nicht demokratisch waren, sich einen demokratischen Anschein geben wollten.

 

Zugleich waren die Staaten im Krieg immer mächtiger geworden. Dass das deutsche Reich Lenin als Vorbild für seinen Sozialismus diente, lag auch daran, dass sich dieses Reich während des Krieges zu einer riesigen Maschine, einer Bürokratie entwickelte, die eine Macht beanspruchte, die vor dem Krieg kein Staat innehatte. Das galt auch für die anderen Staaten im Krieg.

 

Müller untersucht die verschiedenen Ideen und Theorien, die zwischen den Weltkriegen aufkamen und die, die nach dem Krieg erst prägend für Westeuropa, später auch für Osteuropa wurden. Sein Buch liest sich gut, wenn er sich am Anfang bei Max Weber auch sehr in Details verliert, die vielleicht Wissenschaftler interessieren mögen, für Otto Normalleser aber weit hergeholt erscheinen. Doch das gibt sich bald, denn der Autor versteht es, in den folgenden Kapiteln verständlich und stringent seine Thesen zu entwickeln.

 

Und deren zentrale ist: Es ist kein Zufall, dass sich nach dem ersten Weltkrieg alle möglichen Ideologien Boden gewannen. Aber das zwanzigste Jahrhundert ist nicht das Jahrhundert der blutigen Ideologien, wie es oft dargestellt wird. Es ist auch ein Jahrhundert der Demokratien. Wie sie sich entwickelten, welche Strukturen und Ideen dafür prägend waren, kann das Buch spannend darstellen. Etwa die Bedeutung von Verfassungsgerichten, die nicht gewählt werden, aber einen ganz zentralen Baustein heutiger europäischer Staaten bilden.

 

Für die Nachkriegszeit legt er den Schwerpunkt auf die Christdemokraten. Das ist sicher richtig, denn Adenauer, de Gaspari, Schuhmann waren Christdemokraten. Und die Christdemokraten hatten ideengeschichtlich den weitesten Weg zurückzulegen. Der klassische Katholizismus, auch der politische, stand schließlich bis zum Ende des zweiten Weltkriegs der Demokratie sehr distanziert gegenüber. Es ist der Verdienst der christdemokratischen Parteien, dass das heute ganz anders ist und Müller schildert auch, welche Theoretiker und welche Ideen diesen Weg ebneten.

 

Interessant ist sein Kapitel über das, was als „68er“ berühmt wurde. Sehr richtig weist er darauf hin, dass die Hochzeit dieser Bewegung nicht 1968 stattfand, sondern in den Siebziger Jahren. Aber er tut sich schwer, eine prägende Theorie für diese Bewegung zu finden. Im Kapitel „Theorie? Nein danke!“ versucht er über Agnoli und Marcuse eine Theorie des Jugendprotestes zu finden, gibt dann aber zu, dass „Autonomie“ wohl der Kernbegriff dieser Bewegung war (und die Revolutionierung des Alltagslebens), sich aber eine einheitliche Theorie nicht finden lässt. Was natürlich einen ganz neuen Blick darstellt. Immerhin gab es wenige Bewegungen, die so verzweifelt versucht haben, eine politische Theorie für sich zu schaffen – und damit immer wieder aufs neue scheiterten.

 

Was in Müllers Buch völlig fehlt, ist die Sozialdemokratie. Stalinismus und Faschismus, Christdemokratie und klassichen Liberalismus schildert er. Doch die Sozialdemokratie lässt er fast völlig weg. Warum? Dass es die Christdemokraten waren, die nach dem Krieg zunächst die Macht innehatten, kann kein Grund sein, schließlich wurden diese durch die Konkurrenz mit Sozialdemokraten geprägt; viele politische Ideen der C-Parteien sind mehr oder minder gelungene Kopien sozialdemokratischer Ideen. Die „soziale Marktwirtschaft“ wäre ohne konkurrierende Sozialdemokraten (und kommunistischen Block) nie entstanden.

 

Doch sieht man von diesem blinden Fleck ab, ist das Buch ein ebenso lesenwertes wie lehrreiches Werk und ein Beispiel dafür, wie lebendig Wissenschaft sein kann – und wie unterhaltsam.

 

Leseprobe


 Das demokratische Zeitalter, Politisches Sachbuch, Jan-Werner Müller, Suhrkamp, 2013

ISBN-13: 978-3-518-58585-6, gebunden, 509 Seiten, Euro 39,95 (Ebook: Euro 34,99)

 

 

Cover des Buches Schwarzlicht (ISBN: 9783805250573)

Bewertung zu "Schwarzlicht" von Horst Eckert

Schwarzlicht
hproentgenvor 11 Jahren
Spannender Krimi und bundesdeutsches Sittengemälde

»Für die Handvoll Demonstranten hinter der Absperrung war der Fall klar: Profitgier, Ausbeutung, die korrupte Politik.

Vincent stapfte durch aufgeweichte Erde. Kein Grün, so weit er blicken konnte. Die Seestern-Arkaden sollten hier entstehen, ein von Beginn an umstrittenes Projekt der Osterkamp-Entwicklungsgesellschaft. Das Schild an der Zufahrt zeigte eine Computergraphik mit transparenten Fassaden, Bäumen und blauem Himmel. Dazu den Slogan: Die Zukunft beginnt jetzt.

Der Wind trug Protestparolen herüber und das Rauschen der nahen Schnellstraße. Davon abgesehen war es still, seit der Nacht ruhte die Arbeit, wo sonst die Maschinen rund um die Uhr dröhnten. Uniformierte suchten das Gelände ab – vielleicht lag irgendwo ein weggeworfener Benzinkanister.«

 Ein Ministerpräsident, der in einem teuren Loft tot aufgefunden wurde, war es Selbstmord oder Mord? Er ließ die Büros der Oppositionspartei verwanzen - oder wusste er gar nichts davon und die Opposition war selbst der Täter? Was ist mit dem Baulöwen, der ihm teure Urlaube spendiert hatte und den Schwarzgeldkonten? Dazu ein Kommissar, dessen Mutter bei der RAF war und der Opa bei Einsatzkommandos in Polen.

 

Klingt das alles nach einem überfrachteten Kolportageroman, der sämtliche Politevents der letzten Jahre ausschlachten will?

 

Ja. Aber ein Spitzenkoch zeichnet sich dadurch aus, dass er aus den üblichen Zutaten ein höchst unübliches Dinner zaubern kann. Und Horst Eckert beweist, dass das auch für Romane gilt. Vieles in dem Krimi haben wir in anderer Form bereits gelesen, von Wulff bis Barschel, von Meinhof bis Schleyer. Doch Eckert webt daraus ein Sittengemälde bundesdeutscher Realitäten der ganz eigenen Art. Bevölkert mit Menschen, die man oft nach wenigen Sätzen schon zu kennen meint, etwas Klischee, etwas eigenes Profil. Wie Menschen in Deutschland eben sind.

 

Alles beginnt mit dem Brand auf einer Baustelle. Der Baulöwe beschäftigt Arbeiter aus der Ukraine, die er in einem Zelt unterbringt. Die Zeltplane war nicht feuerfest, es gab nur einen Feuerlöscher, der zudem leer war und in dem Zelt hätten auch bestenfalls Baumaschinen untergebracht werden dürfen. Jetzt sind drei der Ukrainer tot. Und die Behördenleitung dreht durch, die Medien wittern einen neuen Anschlag, die Kripo bekommt von allen Seiten Druck.

 

Dann wird der Ministerpräsident tot im Schwimmbecken des Lofts gefunden, das nicht ihm, sondern dem Baulöwen gehört. Und nur der pedantischen Arbeit von Vincent Veih ist es zu verdanken, dass doch noch Zweifel an der Selbstmordthese auftauche. Veih hat gerade die Leitung der Dienststelle übernommen. Kein angenehmer Vorgesetzter, meint mancher, mischt sich überall ein und zu pedantisch. Dieser Veih hat außerdem eine Mutter, die bei der RAF war und wurde von dem Opa großgezogen, einem Urgestein der Düsseldorfer Polizei. Und über seine Beförderung ist er voller Zweifel: Mit dem Team etwas trinken gehen – er fragt sich, ob das endgültig der Vergangenheit zählt.

 

Mit geschickter Hand verwebt Eckert bekannte Ereignisse und eine Vielzahl von Personen zu einer ganz neuen Geschichte, die ein spannender Krimi ist und gleichzeitig ein Sittengemälde deutscher Wirklichkeiten. Ein toter Politiker, der zunächst als Selbstmord präsentiert werden soll, dann ist es doch Mord; eine Ehefrau, der angeblich die Affären ihres Mannes nichts ausmachen; eine Ex-Terroristin, die sich mit Kunst durchs Leben schlägt und keine Hemmungen hat, ihre terroristische Vergangenheit für ihre neue Karriere auszuschlachten; Kollegen, die intrigrieren und andere, sich anpassen, wenn auch mit schlechtem Gewissen; Journalisten, die hinter der großen Story her sind und dann doch die Wahrheit senden; dazu die Polizeiarbeit.

 

Und die besteht ausnahmsweise mal nicht aus dem Hauptkommissar und seinem Kollegen, sondern aus einer richtigen Mordkommission. Eckert kennt sich aus, das merkt man auf jeder Seite seines Romans. Obendrein versteht er sein Handwerk, da ist kein Wort zuviel, da sitzt jeder Satz und zieht den Leser in die Geschichte hinein. Gerade die prägnanten Schilderungen sind es, die die Geschichte wie einen Film ablaufen lässt. Alltag, wie wir ihn oft erlebt haben, wir wussten gar nicht, dass er so spannend beschrieben werden kann.

 

Das Buch zeigt, was ein Krimi alles sein kann: Spannende Unterhaltung und Sittengemälde, Polizeiarbeit und Alltag und vor allem: Ein neuer Blick auf Altbekanntes.

 

So kann ich nur ein Fazit ziehen: Ein Muss für Krimifans.

 

 

Leseprobe: http://www.rowohlt.de/fm/131/Eckert_Schwarzlicht.pdf

Homepage des Autors: http://www.horsteckert.de/

 

Schwarzlicht, Kriminalroman, Horst Eckert, Wunderlich, September 2013

ISBN-13: , gebunden, 384 Seiten, Euro 19,95 (Ebook: 16,99)

 

Cover des Buches Jäger des verlorenen Zeitgeists (ISBN: 9783932927553)

Bewertung zu "Jäger des verlorenen Zeitgeists" von Frank Jöricke

Jäger des verlorenen Zeitgeists
hproentgenvor 11 Jahren
Zeitgeist - mal witzig, mal bekannt

Früher war nicht alles besser, aber vieles anders, erklärt uns Frank Jöricke und will die ins Kraut schießende Nostalgie roden. Mit seinem Roman Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage hatte er bereits eine sehr unterhaltsame Zeitreise unternommen, egal ob es um die sexuellen Revolution im Hunsrück oder die Folgen des Mauerfalls bei Kleinkriminellen ging.

 

Auf den ersten zwanzig Seiten nimmt er uns mit durch die achtziger, neunziger und die nuller Jahre. Dann folgen verschieden Essays, von Peter Alexander und Rudi Dutschke über James Bond (der im Vergleich zu Sean Connery wie ein zweiter Hermann Grönemeyer wirkt) bis zu den Mad Men vor der Ära Alice Schwarzer. Ein bunter Essayblumenstrauß, dessen Themen weit variieren, manchmal aber wenig mit Zeitgeist zu tun haben. Etwa der Essay über Vietnam oder einen aufmüpfigen Weinbauern. Ab und an verfällt er selbst dem Nostalgieren und geht dem Zeitgeist auf den Leim.

 

Zum Beispiel bei den Jugendbüchern. Als Harry Potter vor etlichen Jahren die Bestsellerparaden stürmte, erkannten Verlage erstmals, dass Jugendbücher auch von Erwachsenen gelesen werden. Einige Kulturredakteure – vom Typ Literatursachbearbeiter, die in den Sechzigern die verderblichen Comics bekämpft hatten, in den Siebzigern Momo vorwarfen, gesellschaftlich nicht relevant zu sein und den Kindern Märchen verbieten wollten – schlussfolgerten daraus, dass heute die Leser immer kindischer werden, während früher, in der guten alten Zeit, erwachsene Leser nur ernste, erwachsene Literatur gelesen hätten. Dass auch „Oliver Twist“, „Huckleberry Finn“ und „Die unendliche Geschichte“ unendlich viele erwachsene Leser hatten (und sogar in die Literaturgeschichte eingingen) war diesen Möchtegerngurus entgangen. Seltsam, dass ausgerechnet Jöricke diese absurde Theorie unkritisch wiederkäut. Auch der ein oder andere Text klingt manchmal ein wenig nach Bedenkenträger a la Wolfgang Niedecken, die er sonst kräftig karikiert. Etwa in dem Text über den Facebook Gründer, der das beliebteste soziale Netzwerk schuf und selbst frei von jeglichen Beziehungsfähigkeiten ist. Ein glänzend geschriebener Text, doch am Ende wird es zu einem Lamento, das Facebook das Ende aller Freundschaften bedeuten wird.

 

Doch in den meisten anderen Essays wärmt er nicht kalten Kaffee auf, sondern schreibt mit spitzer Feder und zeigt, dass man neue Ideen durchaus unterhaltsam vorstellen kann. Mit einem Satz stellt er bessere Zusammenhängen dar, als manch anderer mit einem ganzen Buch. Egal ob er über die Rollingstones schreibt, denen die Wut abhanden kam oder aus „Sex and the City“ den Schluss zieht, dass Männer besser nicht versuchen sollten, Frauen zu verstehen, weil es ihre Beziehung ruinieren könnte.

 

Jeder Artikel enthält als Bonbon einen Verweis auf Filme, Musik oder Bücher, die für das Thema typisch sind und einen Merkspruch, Zeitgeistregel genannt. Über deren Brauchbarkeit kann man streiten, zum Nachdenken regen sie auf jeden Fall an.

 

Fazit: Eine unterhaltsame Essaysammlung zu unterschiedlichsten Themen, doch dem Zeitgeist geht Jöricke manchmal selbst auf den Leim. Mit dem liebestollen Onkel hat er ihn sehr viel genauer beschrieben.

 

Leseprobe: http://www.solibro.de/leseprobe-jaeger

 

Jäger des verlorenen Zeitgeists, Sachbuch, Frank Jöricke, Solibro, März 2013

ISBN-13: 978-3932927553, Tb, 217 Seiten, Euro 12,80 (Ebook 9,90)

 

Über mich

  • 12.02.2013

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