immediators avatar

immediator

  • Mitglied seit 03.11.2010
  • 3 Freund*innen
  • 47 Bücher
  • 19 Rezensionen
  • 45 Bewertungen (Ø 4,89)

Rezensionen und Bewertungen

Filtern:
  • 5 Sterne40
  • 4 Sterne5
  • 3 Sterne0
  • 2 Sterne0
  • 1 Stern0
Sortieren:
Cover des Buches Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene (ISBN: 9783936618204)

Bewertung zu "Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene" von Erich Loest

Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene
immediatorvor 6 Jahren
Kurzmeinung: Die Erich Loest gelesen haben, werden kaum zulassen, dass es in Deutschland noch einmal seinen – sozialistischen – Gang geht.
Ein Buch der Deutschen

Der meisterhafte Roman von Erich Loest hat mich – noch aus dem Abstand von 40 Jahren – aufgewühlt. Wie in einem Druckkessel verdichtet er Lebensverhältnisse Mitte der 70er Jahre in Leipzig zu beklemmenden Bildern und Szenenfolgen. Sein Ich-Erzähler Wolfgang Wülff, eher ein Anti-Held, ist Ingenieur in einem “Volkseigenen Betrieb” (VEB) mit den zu jener Zeit überall in der DDR-Mangelwirtschaft üblichen Problemen. Er ist fast genau mein Jahrgang, 1949 geboren, verheiratet, lebt mit Frau und vierjährigem Töchterchen in einem Plattenbau im Leipziger “Oktoberviertel”. Zur Einheitswohnung haben sie den Einheitstrabbi, und dieses Leben ist ziemlich genau, was mir seinerzeit als Alptraum erschien. Nicht dass es mir an Respekt vor den “Werktätigen” gemangelt hätte: Allein die Aussicht, mich als funktionierendes, gar parteitreues Rädchen ins Gestell zu fügen, passte weder zu meinem Wissensdurst und Freiheitsdrang noch zu meiner Lebensgier. Zu meinen Freunden und Bekannten gehörten freilich Ingenieure wie dieser Wolfgang: Hilfsbereite, humorvolle, familienorientierte Männer. Impulse jugendlichen Aufbegehrens hatten sich oft – wie bei Wülff – nach Konflikten mit der Staatsgewalt zu hartnäckigen Traumata verknotet, aber ich bin den “gelernten DDR-Bürgern” niemals so nahe gekommen wie Erich Loest, wenn er Wülff erzählen lässt. Kein Wunder, dass das Buch trotz Behinderungen durch die Zensur im Osten ein Renner war.

Wülffs allzu normales Leben erscheint darin wie mit dem Retro-Virus der Verweigerung infiziert: Der 26jährige möchte gern in Ruhe gelassen werden, nicht aufsteigen in der sozialistischen Wirtschaftshierarchie, nicht zu den “Bestimmern” gehören. Er kümmert sich lieber um sein Töchterchen, seine Mutter, die kriselnde Ehe von Freunden. Seine geliebte Frau Jutta legt diesen Mangel an Ehrgeiz als Trägheit aus, und als er wegen Beleidigung eines Kaders vor Gericht landet, bestraft wird, weil er dessen sadistische Erziehungsversuche in einer Schwimmhalle “faschistisch” nennt, ist es um die Ehe geschehen.

Wie Loest Wülffs inneren Aufruhr in Sprache verwandelt, ihn allein in der Einsamkeit an einem Mecklenburger See, beim Hören einer Sinfonie Bruckners im Gewandhaus auf seiner Seelenwanderung begleitet, das holt dieses “Rädchen” im sozialistischen Getriebe endgültig aus der Anonymität. Am Ende verliebt er sich – in eine Alleinerziehende. Das ist kein Happyend, aber einer jener Hoffnungsfunken des Jahres 1977, die das Ende der DDR vorwegnahmen. Der Staat wurde seinen Bürgern längst nicht mehr gerecht, Rudolf Bahro hatte es im selben Jahr gnadenlos analysiert, die DDR war schon fast bankrott. Mir bleibt nur zu wünschen, Erich Loests Mühen um die deutsche Einheit würde auch künftighin dadurch belohnt, dass viele diesen Roman lesen. Die ihn gelesen haben, werden kaum zulassen, dass es in Deutschland noch einmal seinen – sozialistischen – Gang geht.

Cover des Buches Die größte Liebe aller Zeiten (ISBN: 9783955180003)

Bewertung zu "Die größte Liebe aller Zeiten" von Hans Zengeler

Die größte Liebe aller Zeiten
immediatorvor 11 Jahren
Leidenschaft mit Obsolenz?

Der vertraute Ton ist gleich da: Die Selbstironie des Romans „Traumtänzer“ von 1993, der sich und andere gern ins erzählerische Spiegelkabinett hinein lockt, ihm bei Alfanzereien zuzuschauen, der eigenen Zerrbilder gewahr zu werden, Alltagskleider in närrische Kostümierungen verwandelt zu sehen. Der „Traumtänzer“ drehte Anfang der 70er und 80er Jahre seine Pirouetten, Zengeler lässt nun dieses literarische Alter Ego als seinen Helden Joseph Bloch wieder auftreten im jüngst Vergangenen: 2009 erschien „Bloch I“, „Gestorben wird später“; wir erleben ihn als Alternden. Von Krankheit und Todesangst ins Bockshorn gejagt, findet er dank seiner Frau Ira heraus aus dem Lamento.

Als „Bloch II“ war der weiter führende Roman „Die größte Liebe aller Zeiten“ angekündigt. Er singt das Hohelied auf Ira, ist Ballade und Lobgesang für eine Frau, die vor allem zuhören kann, sich niemals nach vorne spielt, aber ein Gespür für Leiden, Bedürfnisse, Untiefen eines Mannsbildes wie Bloch hat – und eine schier unerschöpfliche Geduld.

Zengeler erzählt in „Die größte Liebe aller Zeiten“ zugleich die Geschichte einer Prüfung. Joseph Bloch wird während einer Reise Iras von Erinnerungen an ein kurzes, aber leidenschaftliches Verhältnis heimgesucht. Bevor er nämlich Ira kennenlernte, hatte er sich unsterblich vergafft, war er von Liebe auf den ersten Blick mit jener sprichwörtlichen Wucht des Blitzstrahls getroffen, von der Literatur seit je Hochspannungen ableitet. Im Jahr 86 taucht, während Traumtänzer Bloch, wieder einmal in prekärer finanzieller Lage, sich als Chauffeur verdungen hat, eine Literaturprofessorin des klangvollen Namens Clara auf, Clara Luzia gar, leider verheiratet mit einem Schwerreichen in Australien, dort Mutter dreier Kinder. Die beiden durchleben eine heftige Leidenschaft füreinander, sie kostet Bloch den Fahrerjob,erhebt ihn dafür in den Rang des Romanciers, auf die Bühne des Ruhms unter Berühmten beim Literaturkongress mit der Traumfrau an seiner Seite, von Applaus umtost. Ihr widmet er sein Werk, beide können sich nicht satthören am eigenen Liebesgestammel, bis der Tagtraum endet, sie wieder im Alltag landen: sie bei Mann und Kindern, Joseph auf einem Berg Schulden.

Von der Liebe bleiben Briefbündel, der Wahn verweht, Ira bietet dem am Weibe und am Literaturbetrieb verzweifelten Obdach und Halt, und während sich Joseph an all das noch einmal erinnert, vergewissert er sich seiner Entfernung zur „größten Liebe aller Zeiten“. Ich lese das als Bruch nicht nur mit der Professorin Clara Luzia, sondern auch mit dem Geschäft des Schreibens. Ich lese, dass sich die Maßstäbe für Größe mit dem Alter verschieben, die größte Liebe nicht die am feurigsten begehrte ist, sondern sich bis zum Ende beweisen muss, weniger an Ruhm und Applaus als an verlässlicher menschlicher Zuwendung und krisenerprobtem Humor. Dann freue ich mich, dass Hans Zengeler das Schreiben sowenig lassen wird wie ich – auch wenn, oder gerade weil wir beide immer wieder lieber Traumtänze aufführen, als uns mit halbwegs ruhigem Dasein als „Rentner mit Grundsicherungsanspruch“ abzufinden.

Cover des Buches Der menschliche Kosmos (ISBN: 9783939611134)

Bewertung zu "Der menschliche Kosmos" von Immo Sennewald

Der menschliche Kosmos
immediatorvor 13 Jahren
Kurzmeinung: Einzelne Kapitel als Leseprobe: http://kosmosmensch.blogspot.com
Cover des Buches Aus dem Leben eines Fauns (ISBN: 9783596291120)

Bewertung zu "Aus dem Leben eines Fauns" von Arno Schmidt

Aus dem Leben eines Fauns
immediatorvor 13 Jahren
Cover des Buches Die Verwirrungen des Zöglings Törless (ISBN: 9783763248094)

Bewertung zu "Die Verwirrungen des Zöglings Törless" von Robert Musil

Die Verwirrungen des Zöglings Törless
immediatorvor 13 Jahren
Cover des Buches Tractat vom Steppenwolf (ISBN: 9783518100844)

Bewertung zu "Tractat vom Steppenwolf" von Hermann Hesse

Tractat vom Steppenwolf
immediatorvor 13 Jahren
Cover des Buches Der Steppenwolf (ISBN: 9783518031582)

Bewertung zu "Der Steppenwolf" von Hermann Hesse

Der Steppenwolf
immediatorvor 13 Jahren
Cover des Buches Vor Feuerschlünden - Erfahrung mit Georg Trakls Gedicht (ISBN: 9783356008692)

Bewertung zu "Vor Feuerschlünden - Erfahrung mit Georg Trakls Gedicht" von Franz Fühmann

Vor Feuerschlünden - Erfahrung mit Georg Trakls Gedicht
immediatorvor 13 Jahren
Cover des Buches Saiäns-Fiktschen (ISBN: 9783356000986)

Bewertung zu "Saiäns-Fiktschen" von Franz Fühmann

Saiäns-Fiktschen
immediatorvor 13 Jahren
Cover des Buches Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (ISBN: 9783356010985)

Bewertung zu "Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel" von Franz Fühmann

Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel
immediatorvor 13 Jahren

Über mich

1950 geboren in Suhl (Thüringen) Ausbildungen als Autoschlosser, Physiker, Theaterregisseur, entsprechende berufliche Erfahrungen mit periodisch wechselnden "Nieder!" und "Hoch!"- Zurufen, gelegentlichem Applaus und ein weder durch gutes Zureden noch durch Gewaltandrohung abzuschaffender Eigensinn haben eine bunte Biographie hervorgebracht. Dabei bleibe ich noch eine Weile.

Lieblingsgenres

Sachbücher, Literatur, Unterhaltung

Freund*innen

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks