Als ich von Karolin Kolbes neuem Roman gehört habe, war ich direkt Feuer und Flamme - und bald landete er dann auch schon in meinem Briefkasten. Mit dabei war eine kleine Broschüre über weitere Romane vom Verlag Planet Girl und ich muss euch zuerst einmal sagen, wie begeistert ich bin, was für schöne Romane vor allem von deutschen Autoren dabei sind. Gerade bei diesem Roman finde ich jedoch das Thema toll gewählt: im Mittelpunkt stehen vier Mädchen, die nach dem Abi in die ganze Welt gehen, nach Berlin, in die Niederlande, nach Malaysia oder direkt ins Studium.
Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass es dabei schwierig sein könnte, den Überblick zu behalten, und ich muss auch gestehen, dass ich nicht immer wusste, welches Mädchen nun welches ist. Die einzelnen Kapitel sind recht kurz und damit verliert man ab und an schnell den Überblick. Letztendlich fand ich allerdings, dass das gar kein Problem ist: Die Handlung wird dann doch eher von Ereignissen als von den Charakteren getragen und die einzelnen Lebenswege sind so unterschiedlich, dass man schnell wieder in jeden Charakter hereinwächst! Karolin Kolbes Schreibstil habe ich als sehr "leicht" erfunden, abwechslungsreich, aber auch sehr bodenständig, ohne Adjektive, die übertreiben und die niemand braucht, simpel aber doch bildhaft.
UNHEIMLICH LEBENSNAH - ABER WARUM NUR?
Was mir bei diesem Roman aber besonders aufgefallen ist, das ist, dass ich selten einen Roman als so lebensnah empfunden habe. Ich habe selbst gerade erst mein Abi gemacht und stehe nun vor derselben Entscheidung wie die Mädchen in diesem Roman. Bücher über Achtzehnjährige, die gerade ihren Schulabschluss in der Tasche haben, gibt es so viele, aber nie hatte ich das Gefühl, dass die Protagonisten dort vor denselben Problemen stehen wie ich - hier allerdings schon. Ich habe lange überlegt, woran das genau liegen könnte, und bin zu dem Entschluss gekommen, dass es daran liegt, dass hier eine deutsche Autorin am Werk war. Was mir vorher noch nie so bewusst geworden war, ist, dass gerade der Jugendbuchbereich der Romane in meinem Buchregal von englischsprachigen Originalversionen oder deutschen Übersetzungen gefüllt ist.
Viele davon stammen aus den USA: Das sind Bücher, in denen die Protagonisten mit ihrem Auto durch einige States zu ihrer University fahren, was in einem autoverrückten Land, indem jeder mit sechzehn den Führerschein macht, ganz normal ist, während in Deutschland nur die wenigsten Studenten Autos besitzen - wozu auch?! In "School's Out" besitzt keins der Mädchen ein eigenes Auto, sie nutzen öffentliche Verkehrsmittel und Mitfahrgelegenheiten, ein Bruder holt ein Mädchen vom Bahnhof ab und fährt dabei noch ganz "fahrschulgerecht". In amerikanischen Büchern geht es ums College, da sind Protagonisten wie Tessa aus "After Passion", die jetzt zum ersten Mal so etwas wie die große, weite Welt sehen, da geht es um Karriere, um Sex, um Partys, um Jungs. In "School's Out" geht es dann eher um das Sich-selbst-finden, um die vielen Möglichkeiten, die einen regelrecht erschlagen, um zaghafte und manchmal auch etwas unbeholfene Beziehungen, um die erste Einsamkeit.
"After Passion" war vor "School's Out" das letzte Buch, das ich über eine Achtzehnjährige, die gerade ihren Schulabschluss in der Tasche hat, gelesen habe. "After Passion" ist New Adult, "School's Out" noch eher Young Adult. Dennoch sind ihre Protagonisten gleich alt und geben ihrem Leser dabei ganz unterschiedliche Bilder davon, wie das Leben einer Achtzehnjährigen aussehen sollte. Ich persönlich konnte mich so viel mehr mit Karoline Kolbes Protagonisten identifizieren und das hat den Roman für mich perfekt gemacht. Was für mich heute noch schrecklich wäre, wäre beispielsweise Silvester allein verbringen zu müssen. Eine von den vier Mädchen aus "School's Out" ist jedoch gerade dazu gezwungen, betrinkt sich ganz allein in ihrem Zimmer, geht früh schlafen und rafft sich im neuen Jahr irgendwann wieder zusammen und findet doch noch Freunde. Das ist nicht die Art von Geschichte, die man unbedingt hören möchte, aber es ist eine Geschichte, die zeigt, dass man nicht direkt überall innerhalb von wenigen Wochen feste Freunde finden kann. Es zeigt, dass so etwas passiert und dass das dann auch mal okay ist, und ich finde es sehr mutig und gerade deshalb bewundernswert von der Autorin, wie wenig "toll" ihre Protagonistinnen sind, unter welch normalen Problemen sie leiden und wie alltäglich sie sind - denn hier macht gerade der Alltag den Roman so gut.
WARUM HAT MICH DAS SO ÜBERRASCHT?
Mir ist es vorher nie aufgefallen, aber ich war tatsächlich geschockt, wie selten ich eigentlich Romane von deutschen Autoren lese. Viele der Romane, die ich lese, spielen in einer ganz anderen Welt als in der, in der ich lebe, und das finde ich ziemlich schade. Schnell entsteht für mich der Eindruck, die Zeit nach dem Abi müsste so ausfallen wie die College-Zeit, die ich aus Romanen kenne. Dementsprechend erfrischend fand ich, wie lebensnah Karolin Kolbe in diesem Roman das Leben von vier Mädchen nach dem Abi darstellt: Da ist Liebe, ganz schüchtern und etwas nebensächlich aber doch total verliebt, die Fernbeziehung, der neue Junge, der die Liebe doch nicht erwidert. Da ist der Druck von den Eltern, das Gefühl, sich endlich loslösen zu müssen, das Bedürfnis, etwas Eigenes anzufangen. Da ist die Suche nach sich selbst, nach einem Plan für die Zukunft, nach Freunden. Da ist so viel Neues.
Die vier Mädchen machen mit dem FSJ, dem Freiwilligendienst im Ausland, dem Praktikum und dem Studium nicht nur Dinge, die als Pläne nach dem Abitur bei uns ganz verbreitet sind, sie haben auch mit Problemen zu kämpfen, die jeder von uns in dieser Zeit kennen lernen wird - und das hat mich begeistert. Für mich war dieser Roman damit beinahe ein Weckruf, warum wir uns unbedingt wieder mehr auf deutschsprachige Autoren konzentrieren sollten. Ich finde es so schade, wie uns Jugendlichen schnell das Gefühl vermittelt wird, dass unsere Uni-Zeit einem Durcheinander wie Tessas College-Zeit entsprechen müsste, egal wie gerne ich "After Passion" gelesen habe. Und ich finde es umso toller, dass ein Roman wie dieser das Leben nach der Schule ganz natürlich und bodenständig darstellt - eben weil die Autorin die Welt kennt, in der wir leben.
Ich musste direkt an einen ganz tollen TED Talk denken, den ich vor kurzem gesehen habe und den ich hier einfach mal verlinken möchte. In "The Danger of a Single Story" geht es zwar um eine andere Thematik, aber letztendlich zeigt auch dieses Gespräch, wie einseitige Romane unsere Einstellung beeinflussen können. Karolin Kolbe schreibt dabei eine "Story", die anders ist als die Nach-der-Schule-Romane, von denen wir bereits so viele gelesen haben, und sorgt damit dafür, dass wir deutschen Jugendlichen, die vor einer ganz anderen Uni-Welt als die amerikanischen stehen und dabei mit ganz anderen Problem konfrontiert werden, auch Bücher über unsere eigene Welt haben, die uns Protagonisten an die Seite stellen, die dieselben Problem durchmachen wie wir.
ZURÜCK ZUM ROMAN...
So bodenständig wie ich die Idee dahinter beschrieben habe, so habe ich auch die Handlung empfunden: Große Spannung ist da nicht, keine großen Abenteuer, keine atemraubenden Cliffhanger. Wenn ich ehrlich bin, finde ich allerdings, dass der Roman so etwas auch nicht nötig hat. Er ist interessant, stellt seine Protagonisten ganz liebevoll und beinahe zärtlich vor, lässt sie die alltäglichsten Probleme durchmachen und bleibt doch einfach toll. Ich würde den Roman jedem empfehlen, der bald mit der Schule fertig ist - nicht zwingend als Orientierungshilfe, denn mit Sicherheit gibt es noch tausend andere Dinge, die wir nach unserer Schulzeit machen könnten, aber als eine Art Generationsporträt, das auf so natürliche und tolle Art und Weise zeigt, wie unsere Generation sich nach ihrer Schulzeit fühlt. Letztendlich ist es dabei auch ein echtes "Mut mach"-Buch für alle, für die der "sichere Raum Schule" bald endet. Auf einem Buchmarkt, auf dem so viele Übersetzungen landen, ist es wirklich toll, einen solchen Roman dazwischen zu finden, der unsere eigene Welt so realitätsnah darstellt.