Ein Mensch verlässt die Geborgenheit und geht in die Welt. Er will es nicht unbedingt tun, aber er weiß: Er muss das tun. Warum? Weil er berufen ist. Von wem? Wozu berufen? Das weiß er noch nicht, aber er wird es schon herausfinden, da ist er sich sicher. Die meiste Zeit jedenfalls.
Juro ist der sympathische Protagonist dieses Romans. Juro, der Wissende, der Savant. Damit er nicht allein auf Wanderschaft geht, kommt sein Freund Solus mit. Die beiden verlassen das Kloster, in dem sie aufgewachsen sind, und ziehen durch Täler und Wälder ihres Heimatplaneten Innis.
Dabei erfahren sie Tag für Tag immer mehr über diesen Planeten, auf dem es weit mehr als nur einsame Klöster und idyllische Bauernhöfe gibt. Sie lernen die Geschichte des Planeten kennen - und lernen einander kennen. Jeden Tag etwas mehr Erkenntnis. Die Geschichte des Planeten hat viele tragische Seiten, auch die Gegenwart ist durch die Auseinandersetzung mit einer technisch überlegenen Zivilisation betrübt.
Die Autorin beschreibt den Alltag und die Wanderschaft von Juro und Solus so ausführlich, als ob sie ihnen Gesellschaft geleistet hatte. Dabei geht sie besonders stark auf die Persönlichkeiten der beiden ein, auf ihre Beziehungen zueinander und zu den anderen Inari, wie die Ureinwohner des Planeten heißen. Ebenfalls sind die besonderen Fähigkeiten des Savanten und seiner Freunde und Mitstreiter so präzise beschrieben, dass ich als Leserin ein Gefühl hatte: Die Autorin besitzt auch etwas von diesen Kräften.
Während den Menschen viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, war für mich deren Umgebung, Flora und Fauna von Innis, etwas undeutlich geblieben. Ich hätte gerne ihre Andersartigkeit, ihre Besonderheit erlebt.
An manchen Stellen war der Roman zu wortlastig, einige Szenen könnte man weglassen. Eine Schlankheitskur hätte dem Werk gut getan.
Dafür hat mich die Grundidee des Romans fasziniert: Eine Vision der gewaltlosen Revolution, eines friedlichen Umbruchs. Das Bild eines Volkes, dass keine Hassgefühle empfindet, dass auf Gewalt verzichtet und das nicht nur im Rahmen eines Abkommens oder Friedensvertrages. Nein, der Gewaltverzicht ist bei den Inari ein Teil ihrer Natur, sie können nicht anders agieren.
Der Savant schien mir eine Art Jesus von Innis zu sein - eine Person, die bemüht ist, mit ihrer geistigen Stärke und mit Freundlichkeit zu überzeugen. Jemand, der versucht, sich dem Bösen nicht mit Gewalt zu widersetzen, sondern Streitgespräche führt und hoffe, sein Gegenüber zu überzeugen. Eine für mich sehr sympathische Methode. Wird sie auf Innis funktionieren? Um die Antwort zu finden, muss man den Roman lesen.
Mein Eindruck: Ein gut geschriebener Roman, ausdrucksvolle Sprache, ein guter Plot. Der Roman ist weitgehend frei von krassen Gewaltszenen, vom Blutvergießen, von Mord. In diesem Roman ist nichts von einem amerikanischen Blockbuster zu finden, doch dieses Werk ist ein gutes Beispiel dafür, dass es auch ohne verwüstete Straßenzüge und Hunderte Leichen spannend und unterhaltsam sein kann. Eine Leseempfehlung!