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Es kommt nicht oft vor, dass Autoren das definierende Werk eines ganzes Genres schreiben - wesentlich weniger oft, als dass es von ihnen behauptet wird. Ein Grund dafür ist sicher, dass so ein Urroman natürlich am Anfang der Historie eines Genres liegt. Wer kann schon erkennen, ob aus einem bestimmten wenn auch hervorragenden Werk gleich ein ganzes Genre wird?
Im Falle von "Die Stadt und die Stadt" (The City & the City) würde ich es mir wünschen. Als eingefleischter Fantasy-Fan suche ich immer nach Autoren, die das Genre sprengen, die neue Wege beschreiten und dabei riskieren, ihre bisherigen Leser vor den Kopf zu stoßen. Von "Die Stadt und die Stadt" wird bisweilen gesagt, dass es Fantasy-phobische Lesern durchaus gefallen dürfte. Das ist unzweifelhaft richtig. Die Geschichte, die Miéville (ein Brite, falls das etwas zur Sache tut) erzählt, kommt ohne jedes übernatürliche Element aus. Keine Elfen, keine Raumschiffe, Zeitreisen oder gar Blutsauger.
Wie kann man das Buch also als Fantasy kennzeichnen? Der Grund dafür, dass ich diese Klassifizierung wählen würde (Miéville wird oft als Mitbegründer eines neuen Subgenres namens "New Weird" bezeichnet), ist gleichzeitig die große Stärke von "Die Stadt und die Stadt": Es ist Miéville gelungen, eine absurde, geheimnisvolle, aber deutlich in der realen Welt verankerte Realität zu erschaffen, in der das Unmögliche denkbar nicht. Mehr als das: die skurillen Umstände in der osteuropäischen Doppelmetropole Ul Quoma/Besźel sind beängstigend nachvollziehbar. Es ist mit nur wenig Vorstellungskraft möglich, eine Stadt vorzustellen, die nach den eigentümlichen Regeln lebt, welche das Leben in der geteilten Stadt bestimmen.
Was hat es mit dem Leben in Ul Quoma und Besźelauf sich? Man stelle sich vor, Ostberlin wäre nicht durch eine physische Mauer getrennt, sondern durch den gleichen Mechanismus des Wegschauens, der in den Metropolen der Welt das einigermaßen harmonische Zusammenleben ermöglicht. Man schaut nicht zu genau auf eine Mitmenschen, um ihnen nicht zu nahe zu treten. Man ignoriert störende EInflüsse wie Lärm oder Dreck, ebenso wie man Bettler und Obdachlose "nicht sieht". Der moderne Mensch hat einen sehr leistungsstarken Wahrnehmungsfilter, ohne den das Leben in der reizüberfluteten Großstadt schwer erträglich wäre.
Miéville, der auch als Politikwissenschaftler mit sozialistischen Ansichten veröffentlcht, stellt in seinem Buch die Frage: was, wenn dieser Wahrnehmungsfilter zwei Städte voneinander trennt, die sich geographisch einen einzigen Ort teilen? Wie lebt es sich in dieser Welt, und wie - hier kommen wir zur Handlung des Buches - werden Verbrechen begangen und geahndet.
Damit das Gedankenexperiment funktioniert, braucht Miéville eine regelnde Kraft. Die halb geheime Behörde"Breach" (auf Deutsch umständlich mit "Ahndung" übersetzt) ist von der Regierung der Stadt beauftragt, Verstöße gegen die Teilung der Stadt streng und unnachgiebig zu verfolgen. Sie greift überall da ein, wo Einheimische oder Gäste die Regeln verletzen, etwa indem sie als Touristen einer der beiden Städte einen Bürder der anderen Stadt ansprechen.
Dieses soziologische Gedankenexperiment macht den Reiz des Buches aus. Die eigenltiche Handlung - die Ermittlungen des Protagonisten, eines Inspektors der Polizei von Besźelnamens Tjador Borlú - sind fast nur Beiwerk, auch wenn es sich im Laufe des Buches herausstellt, dass der spezifische Mord, den er aufzuklären versucht, eng mit der Natur der Trennung der Doppelstadt verbunden ist. Diese Handlung ist von Miéville kompetent aufgesetzt, die Charaktäre sympathisch, aber nicht atemberaubend in ihrer Authentizität. Man merkt, dass der Autor weiß, wo Die Stadt und die Stadt punktet: in der Beschreibung einer Gesellschaft, die zwischen dem Wirklichen und dem Fantastischen eine leicht verstörende Position inne hat.
Gerade deswegen hoffe ich, dass Miéville weitere Werke dieses Kalibers schreibt, und dass andere Autoren sich von seinem Erfolg anstecken lassen (das Buch wurde mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Locus Award, Hugo Award und World Fantasy Award). Denn Bücher dieses Kalibers sind rar. "Die Stadt und die Stadt" stößt manchen Fans von Miévilles Steampunk-Reihe sauer auf, weil Action und vielleicht auch ein bisschen die krassen Schockeffekte fehlen. Doch es steht zu vermuten, dass der Autor ein Vielfaches an neuen Lesern hinzugewinnt, die sonst keines seiner Bücher gelesen hätten - eben Literaturfreunde, die nicht davor zurück schrecken, sich an neue Autoren (und eben vielleicht ein neues Genre) heranwagen. Ich möchte es dringed empfehlen.
Bewertung zu "Schwert und Schelm (Kopfloser, Herzlose) (German Edition)" von Michael Erle
Bewertung zu "Kopfloser, Herzlose (German Edition)" von Michael Erle
Bewertung zu "Masken über Masken (Kopfloser, Herzlose) (German Edition)" von Michael Erle
Leider platt und zu verfahren zwischen Handlungssträngen, die mich nicht in ihren Bann ziehen konnten. Die Charaktäre sind noch dazu einfallslos, die Erzählwelt brigt auch keine Überraschungen. Verwunderlich, warum das Buch so erfolgreich war.
Bewertung zu "Flashman und der Berg des Lichts" von George MacDonald Fraser
Über mich
- 16.08.1985
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